Vom Nachttisch geräumt

Strengste Diskretion

Von Arno Widmann
11.05.2016. Hüpft von Werk zu Person und wieder zurück: Eva Menasse in ihrer Biografie Heimito von Doderers.
Eva Menasse hat einen fulminanten Essay über Heimito von Doderer geschrieben. Ich habe ihn in einem Zug von Anfang bis Schluss gelesen. Dort kommt eine "Kurzbeschreibung wichtiger Werke (in der Reihenfolge, in der sie die Autorin Doderer-ungeübten Lesern weniger emp-, als befiehlt)". Das ist die Tonart. In einem Buch sind Befehle amüsant. Der Leser ist schließlich der, dem ein Autor nichts befehlen kann. Jeder Lehrer ist mächtiger als der erfolgreichste Bestsellerautor. Menasse ist begeistert von Heimito von Doderer. Sie bewundert den Autor, und es schaudert ihr ein wenig vor dem Menschen. Das Schöne am Lesen ist, dass man sich den Menschen, der das geschrieben hat, vom Leib halten kann. Sie tut das so weit, dass wir ihn genau erkennen. Menasse erklärt uns nicht die Schönheiten der von Dodererschen Prosa. Sie erklärt uns gar nichts.

Sie stellt uns den Autor vor, und mit der allergrößten Selbstverständlichkeit zitiert sie aus den Büchern, um uns den Autor verständlich zu machen. Nicht eine Sekunde lang gibt Eva Menasse dem Wahn nach, der von einer Literatur ohne Literaten träumt, der glaubt, zwischen Autor und Werk strengstens scheiden zu müssen. Der Hass, der im Werk Doderers eine so große Rolle spielt, das ist Doderers Hass. Die dicken Frauen, die er im Werk so gerne beschreibt, hat er sich im Leben per Zeitungsanzeige gesucht. Die Selbstverständlichkeit, mit der Eva Menasse von Werk zu Person und wieder zurück hüpft, ist ansteckend. Auch der durchs strengste literaturwissenschaftliche Studium blind gewordene Leser begreift bald, dass Texte nicht von Texten, sondern von Menschen geschrieben werden.

Manche, von Doderer war wohl einer von ihnen, schreiben, weil das ihnen die Möglichkeit gibt, sich zu offenbaren und sich gleichzeitig zu verstecken. In einem Roman kann man schreiben, wie ein Mann seine Lust befriedigt, indem er eine Frau rituell auspeitscht. Er kann das wieder und wieder tun. Er kann sich auch darum eingehend damit beschäftigen, weil er dabei doch immer auf der Suche nach dem richtigen Adjektiv oder der richtigen Melodie seines anschwellenden Bocksgesangs ist. Die ästhetische Schönheit ist auch ein Mittel, Taten und Dinge sichtbar zu machen, die sonst verborgen gehalten werden müssen. Menasses Essay ist so gut, weil er nicht das eine gegen das andere ausspielt. Sie schreibt nicht, Doderer sei ein hochbegabter Autor, der aber ein paar Macken habe. Wer Eva Menasse liest, der begreift: Der eine Doderer ist ohne den anderen nicht zu haben. Wir müssen, wir dürfen uns freuen, einfach freuen, dass wir ihn haben. Wir müssen nicht leben mit ihm, nicht mit seinen Ticks, nicht mit seinem Antisemitismus, wir können ihn einfach lesen.

Dennoch sei zum Schluss nicht der Autor Heimito von Doderer zitiert, sondern seine Zeitungsanzeige vom 17. November 1929: "Junger Doktor aus guter Familie, finanziell unabhängig, tadellose Erscheinung, sucht Anschluß an ca. 40jähr. disting. israel. Dame (Wienerin) von nur sehr starker (korpulenter) größerer Figur u. schwarzem Haar. Strengste Diskretion. Unt. 'Neue Jugend Nr. 47302'".

Eva Menasse: Heimito von Doderer, Deutscher Kunstverlag, Berlin, München 2016, 88 Seiten, 22 Euro