Magazinrundschau

Eine Drohne ist eine Drohne

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
18.11.2014. In ihrer Abneigung gegen die Friedensnobelpreisträgerin Malala Yusufzai sind sich Rechte und Linke einig, berichtet Outlook India. Der Tagesspiegel erläutert die Regeln des großen Krisenspiels Europoly. Bald werden wir nur noch über Emojis kommunizieren, prophezeit das New York Magazine. Aleida Assmann zieht in Eurozine eine erste Bilanz des Gedenkjahres 2014. Gemessen an ihrem Ertrag sind die Programmierer im Silicon Valley dramatisch unterbezahlt, findet der New Yorker. Und New Republic hat herausgefunden, was den Superreichen zu ihrem Glück noch fehlt: Geld.

The Nation (USA), 11.11.2014

Als militärisches Kampfmittel finden Drohnen mittlerweile auch ihren Niederschlag in der Literatur und den Künsten, schreibt Jenna Krajeski. Doch während Drohnen in den USA vor allem die Fantasie von Thrillerautoren beschäftigen oder zu aktivistischer Kunst anregen, sind die landay, eine spezifisch in der pakistanisch-afghanischen Grenzregion von Frauen kultivierte Gedichtform, von der sehr konkreten Bedrohung im Alltag geprägt. Unter dem Titel "I am the Beggar of the World" hat Eliza Griswold kürzlich eine landay-Sammlung veröffentlicht. Diese "trennt ein ganzes Universum von [Richard A. Clarkes Thriller] "Sting of the Drone", obwohl sich beide im Kern mit bewaffneten Dronen und dem "Krieg gegen den Terror" befassen. Dies nicht allein deshalb, weil Clarke sich denkbar stark von den Sängerinnen der landay unterscheidet, die einer distinkt fremden Literaturtradition angehören, oder weil er andere Ziele verfolgt (eines davon sehr wahrscheinlich, Bücher abzusetzen). Drohnen sind zwei unterschiedliche Objekte in der amerikanischen und afghanischen Imagination. In den USA figurieren sie allzuoft als Metaphern, mit einer Vermitteltheit, die noch stärker durch die Distanz zwischen dem Vehikel und seinem Piloten unterstrichen wird. Drohnen symbolisieren hier viel, richten aber nur wenig an. In Afghanistan jedoch existiert die Drohne als eine Tatsache des Lebens, die reale Tragödien verkörpert. Eine Drohne ist dort eine Drohne."
Archiv: The Nation

London Review of Books (UK), 17.11.2014

Ein bisschen genervt liest Bee Wilson Vivienne Westwoods Autobiografie, in der sich die Modemacherin wie die Kaiserinwitwe des Punks geriert, die von ihrem Volk permanent enttäuscht wurde. Aber eines hat Wilson gelernt: "Der Schlüssel zum Westwoods anhaltendem Erfolg scheint, abgesehen von ihrem brillanten Handwerk, das beinahe übernatürliche Gespür für ihr Charisma und ihre Autorität: Das Gefühl, dass genau dort, wo sie gerade ist, die Barrikaden stünden, auf denen jeder andere auch kämpfen sollte. Mit fünfzig gab sie zu, jeden Mann, der sie nicht mehr als alle anderen im Raum begehrte, für bescheuert oder für verrückt zu halten. 1989 posierte sie für das berühmte Tatler-Cover als Margaret Thatcher, mit Perlen, Krawatte und tailliertem Jackett. Die Macht des Bildes liegt in der unheimlichen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gesichtern: Wie kann die Frau, die den Punklook miterfunden hat, so sehr aussiehen wie die Eiserne Lady? Für Westwood war das keine Anstrengung. Um genau wie Thatcher auszusehen, musste sie lediglich "ein bisschen Zweifel" in ihre Augen legen."

Adam Shatz liest zwei neue Bücher, die sich mit der Persönlichkeit des Attentäters Anders Breivik (Aage Borchgrevink) und antimuslimischen Tendenzen in Norwegen (Sindre Bangstad) beschäftigen. Ross McKibben verfolgt den Absturz der Labour Party nach dem schottischen Referendum.

Quietus (UK), 16.11.2014

Herbstzeit - Horrorzeit. Für The Quietus unterhält sich Sean Kitching in aller Ausführlichkeit mit dem in Großbritannien bereits in höchsten Tönen gelobten Autor Adam Nevill, aus dessen Werk hierzulande eine kleine Auswahl bei Heyne erschienen ist. Kitching schätzt an dessen Romanen nicht nur den enormen Spannungsgrad, sondern auch die Art und Weise, wie Nevill mit gängigen Motiven und Tropen des Genres umgeht, etwa mit der oft misogynen Viktimisierung von Frauen: "Weite Teile der Horrorfilmproduktion sind mittelmäßig, und der wahre Schrecken, ein Opfer von Gewalt zu sein, verliert sich oft in den völlig austauschbaren Figuren: Die Art wie sie aus dem Leben scheiden, ist großartiger als das, was sie gewesen sind. Und doch, wenn wir die Pest von Vergewaltigung, Versklavung, Unterdrückung und häuslicher Gewalt bedenken, denen Frauen bis heute ausgesetzt sind, bieten uns die kreischenden Mäuschen in kurzen Jeans, die von "Anti-Helden" gejagt und zur Strecke gebracht werden, keinerlei Erkenntnis außer morbider physischer Schlachterei. Hier haben literarische Fiktionen einen Vorteil, da sie das Innenleben der Figuren und insbesondere von Gewaltopfern erkunden können. Mich befriedigt es sehr, wenn Leser anmerken, dass ihnen meine Bücher unter die Haut gehen oder sie denkwürdig verstörend sind, und ich denke, das liegt auch daran, dass ich versuche, die Erfahrung der schrecklichen Situation, von der schlimmsten Sorte Mensch angegangen und gequält zu werden, akkurat zu vermitteln. Ich betone beide Seiten, den Folterer und die Gefolterten, aber ich nehme dabei die Perspektive der Opfer ein."
Archiv: Quietus

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 14.11.2014

Schön, dass sich die Welt zurzeit an die immer wieder vergessenen Kurden erinnert, freut sich Allan Kaval, weist aber darauf hin, dass sie alles andere als eine einheitliche Nation sind: "Die Rivalitäten äußern sich auch in den aktuellen Auseinandersetzungen. Im irakischen Kurdistan hat die PDK die Kontrolle über den Energiesektor übernommen. Mit Blick auf die Ölnachfrage aus der Türkei hat sie den Ehrgeiz, die autonome Kurdenregion zu einer anerkannten Exportmacht zu machen, indem sie sich der Kontrolle durch Bagdad entzieht. In ihrer Opposition zum Zentralstaat und zu der schiitisch dominierten Regierung Nuri al-Maliki fand sich die PDK an der Seite sunnitischer Gruppen, die mit der syrischen Opposition sympathisieren und von Ankara gefördert wurden. Die PKK und ihre Verbündeten wiederum sind traditionelle Feinde der Türkei, unterhalten gute Beziehungen zum syrischen Regime und haben mit dessen Schutzmacht Iran einen Waffenstillstand geschlossen, während sie weiterhin halboffizielle Beziehungen zu Bagdad unterhalten. So lassen sich innerhalb der Kurdengebiete zwei - unterschiedlich stabile - Lager ausmachen: eine von der PDK dominierte protürkische und eine von der PKK dominierte proiranische Achse."

Owen Jones erklärt das Rätsel der Europafeinde von der britischen Ukip, die knallharte Neoliberale sind, aber von eher linken Arbeitern gewählt werden.

Outlook India (Indien), 24.11.2014

Dass Rechte und Linke heutzutage oft eine unselige Allianz eingehen, kann man am Beispiel von Malala Yusufzai studieren, dem Mädchen, das die Taliban in den Kopf schossen, weil es zur Schule gehen wollte. Seitdem führt Malala eine internationale Kampagne für das Recht aller Kinder auf Bildung. Seit sie den Nobelpreis bekommen hat, werfen ihr linke Kritiker vor, eine "Marionette" des Westens zu sein, weil sie nicht gegen Amerikas Kriege protestiert. Rechte Kritiker beschreiben sie als "trojanisches Pferd" des Westens, mit dem der Säkularismus in Pakistan eingeschleust werden soll. Außerdem haben die Taliban jetzt einen Brief veröffentlicht, in dem sie ganz genau erklären, warum es völlig in Ordnung war, Malala niederzuschießen. In der Linken hat sich nicht der geringste Protest bewegt, berichtet der pakistanische Atomphysiker Pervez Hoodbhoy, der das kaum fassen kann: "Es ist ein Rätsel. Warum findet eine solche Barbarei keine oder höchstens flüchtige Erwähnung in den heutigen linken Diskursen? Boko Harams Sexgefangene, die Enthauptungen durch den IS, die gegen Zivilisten gerichteten Selbstmordattentate der Taliban sollten alle anwidern, die an menschliche Gleichheit, Anständigkeit und Freiheit glauben. Warum schweigt die Linke, die doch auf diesen Fundamenten aufbaut? Dafür gibt es zwei Erklärungen: Erstens bewertet ein Teil der Linken die westliche Agenda ausschließlich negativ. Zweitens möchten viele Progressive ihre Komfortzone nicht verlassen, wo man alle globalen Probleme bequem auf den Westen abwälzen kann. Zwei Bösewichte - Amerika und der Islamismus - sind einfach zu viel für sie."

Außerdem schreibt William Dalrymple über die mühevolle, aber ertragreiche Restauration der Fresken in den Ajanta-Höhlen, wo sich die ältesten Malereien der indischen Kultur finden.



Wandgemälde in Höhle 17. Foto: Vu2sga (Quelle: Wikipedia)
Archiv: Outlook India

Guardian (UK), 15.11.2014

Manche Passagen in Slavoj Žižeks Buch "Trouble in Paradise" findet Terry Eagleton "atemberaubend scharfsinnig", andere, etwa über den Stalinismus, wieder "empörend verantwortungslos". Das Denken des "Sokrates auf Speed" umreißt Eagleton so: "In seinen Augen teilt sich die Welt auf in liberalen Kapitalismus und Fundamentalismus - mit anderen Worten: in diejenigen, die zu wenig glauben und diejenigen, die zu viel glauben. Doch anstatt sich auf eine Seite zu schlagen, arbeitet er die geheime Komplizenschaft zwischen den beiden Lagern heraus. Der Fundamentalismus ist das hässliche Bekenntnis derer, die sich vom Westen ruiniert und gedemütigt fühlen, der zu oft rücksichtslos über ihre Interessen hinweg gegangen ist. Eine Lektion der ägyptischen Revolte, argumentiert Žižek, lautet, dass die moderaten Liberalen eine gigantische Welle des Fundamentalismus erzeugen werden, wenn sie weiter die radikale Linke ignorieren."

Weiteres: Mark Mazower freut sich, dass Andrew Roberts mit seiner Napoleon-Biografie den "albernen" Versuchen etwas entgegensetzt, den Modernisierer Europas zu einem Vorläufer der modernen Despoten zu stilisieren. Und Daniel Kehlmann beschwert sich bei Philip Oltermann über die Aversion deutscher Lektoren gegenüber witzigen Stellen: "Die meisten glauben, sie haben es mit Druckfehlern zu tun."
Archiv: Guardian

La regle du jeu (Frankreich), 17.11.2014

Laurent-David Samama unterhält sich mit dem Sportjournalisten Nicolas Vilas über dessen Buch "Dieu Football Club". Darin untersucht Vilas die Beziehungen zwischen Religion und Fußball und widmet sich unter anderem der Gretchenfrage, wie es in den Spielerkabinen mit der Laizität steht. "Weil Fußball mehr ist als einfach nur ein Sport, sondern eine gesellschaftliche Dimension und Rolle hat, stand er der Religion nie unbeteiligt gegenüber, denn er ist mit einer Gesellschaft verknüpft, die davon durchdrungen ist. Sogar seine Existenz rührt von religiösen Gebräuchen. Die Zeichen des Kreuzes (...) sind heute Debatten über eine neue Wirklichkeit gewichen: der Multikulturalität. Es ist eine Tatsache, an welche die Franzosen Mühe haben, sich zu gewöhnen: dass der Islam die Religion einer Großzahl ihrer Mitbürger ist. Doch der Fußball ist weniger schizophren als die Gesellschaft, weil er seine Geschichte in gewisser Weise besser akzeptiert, weil er das Zusammenspiel unterschiedlicher Religionen in seinem Innersten zulässt."
Archiv: La regle du jeu

New Republic (USA), 12.11.2014

Grässliche Einsichten gewinnt Michael Lewis bei der Lektüre von Darrell M. Wests Buch "Billionaires - Reflections on the Upper Crust" und einigen psychologischen Studien in die Hirne sehr reicher Menschen. Da ist zum Beispiel eine Studie von Mike Norton, einem Professor an der Harvard Business School. Er fragte einige dieser sehr reichen Menschen, "wie glücklich sie gerade waren. Dann fragte er, wieviel Geld sie bräuchten, um noch glücklicher zu sein. "Alle sagten, sie bräuchten ungefähr zwei bis dreimal mehr, um glücklicher zu sein" erläutert Norton. Die Beweise sprechen dafür, dass Geld jenseits einer bescheidenen Summe nicht die Macht hat, Glück zu kaufen. Und doch glauben sogar sehr reiche Menschen daran, dass es das tut: Glück wird von jenem Geld kommen, das sie noch nicht haben."
Archiv: New Republic
Stichwörter: Oligarchen, Reichtum

Wall Street Journal (USA), 11.11.2014

Das House of Lords war eine relativ zahnlose Angelegenheit, solange dort in alter Tradition erbliche Adlige vor sich hin dämmerten. Das hat Tony Blair 1999 geändert. Seitdem sitzen dort auf Lebenszeit ernannte und übrigens unbezahlte "Peers", zumeist verdiente Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, und können immerhin den Gesetzgebungsprozess durch manche Schikanen erschweren. Justin Scheck und Charles Forelle haben für das Wall Street Journal mal unter anderem in Selbstauskünften der Parlamentarier recherchiert. Wie es der konservative Parteiführer William Hague vorausgesagt hatte, "haben viele Lords heute Beziehungen zu Lobbyorganisationen. Darunter machte ein Lord nach eigenen Angaben Lobbyarbeit für einen Offshore-Fond. 86 weitere Lords beraten Firmen, Handelsgruppen oder andere Organisationen in Regierungsangelegenheiten, oder sie arbeiten für Firmen, die auf Beziehungen zur Politik spezialisiert sind. 113 Lords werden von Finanzfirmen bezahlt. 26 Lords arbeiten für Rohstofffirmen. 20 arbeiten für ausländische Regierungen... Manche dieser Jobgelegenheiten eröffneten sich erst nach dem Eintritt in das Hohe Haus."

Hazlitt (Kanada), 24.10.2014

Auch in den deutschen Feuilletons hat man davon Notiz genommen, dass der Body-Horror-Regisseur David Cronenberg mit seinem Debütroman "Verzehrt" einen Ausflug ins literarische Feld unternommen und dafür aus den Vollen aus seinem bizarren Motivrepertoire geschöpft hat. Für Hazlitt befragte ihn Calum Marsh, wie sich der Medienwechsel vom Film zum Roman sich auf Cronenbergs Arbeit ausgewirkt hat - insbesondere auch, da der Roman in seiner Freude an bizarren Körperkonstellationen schwer als Film vorstellbar wäre. Dazu der frischgebackene Romancier: "Ich war mir sehr bewusst, dass ich hier Sachen trieb, die in einem Film nicht gehen würden, die ich mir noch nicht einmal in einem Film vorstellen könnte - das ist eben die Art diskursiver Intimität, die sich einem hier bíetet. Es ist sonderbar. Das soll jetzt nicht abschätzig klingen, aber das Buch ist wie ein Komposthaufen: Man kann viele Dinge dort ablegen und gären lassen. Es ist ein Nährboden für andere Dinge. Mit einem Film geht das überhaupt nicht. Ein Film ist eine komplett andere Geschichte - eher mechanisch, weniger organisch. Beim Schreiben hatte ich anfangs einen Film im Sinn. Als man mich fragte, was ich als Romanautor wohl tun würde, habe ich mit dem Finger darauf gezeigt. Da war eine Idee für einen Film, der in eine Sackgasse geraten ist. Ich mag es sehr, das zu romantisieren, und sage: Sie wusste, dass sie ein Roman sein sollte, und sie wartete darauf, dass mir das dämmerte. Da steckt schon eine gewisse Wahrheit drin."

Wired hat unterdessen ausfühlich mit dem Autor telefoniert. Die Aufnahme kann man sich hier anhören.
Archiv: Hazlitt
Stichwörter: Cronenberg, David, Intimität

Detroit Free Press (USA), 17.11.2014

In größter Ausführlichkeit, nicht ohne Stolz und mit sehr vielen dramatis personae erzählt eine Autorengruppe in der Detroit Free Press, wie die Stadt am Ende unter Mitarbeit von Stiftungen, reichen Spendern, Gewerkschaften und dem Staat Michigan aus ihrer katastrophalen Schuldenkrise befreit wurde. Hier nochmal die Ausgangslage: "18 Milliarden Dollar Schulden, 78.000 heruntergekommene Gebäude, 4 von 10 Dollar, die im Haushalt allein den Schulden, den Pensionen und der Gesundheit gewidmet waren. Tausende ältere Rentner waren mit der Perspektive massiver Einschnitte in den Zahlungen konfrontiert. Ein Weltklasse-Museum drohte bei einem Ausverkauf seine Kunstwerke zu verlieren. Nur um den Rand des Lochs zu sehen, in dem sie steckte, brauchte die Stadt Hunderte Millionen Dollar."

New Yorker (USA), 24.11.2014

In der Technik-Ausgabe des New Yorker erklärt John Seabrook, wie der Music-Streaming-Dienst Spotify die eine Hälfte der Musikindustrie glücklich, die andere ärgerlich macht und wie Apple dem Unternehmen aus Stockholm künftig das Leben schwer machen könnte: "Apple könnte Spotify bedrohen, indem es eine Art iStream auf dem nächsten iPhone vorinstalliert und den Preis für die Registrierung des Dienstes inkludiert. Siri könnte dein DJ sein. Das würde sofort hunderte Millionen zahlende Kunden bedeuten und die Spotify überrunden. Und weil Apple seinen Umsatz vor allem mit Hardware macht, könnte es Spotify bei den Kosten unterbieten - ein Szenario, das Apple gerade den Plattenlabels schmackhaft zu machen versucht."

Und Lizzie Widdicombe weiß, warum Programmierer-Agenturen und ihre Services im Aufwind sind: "Berücksichtigt man, um wie viel Geld es im Code-Business geht, könnten Angestellte in diesem Bereich viel mehr Lohn verlangen… Ein guter Büroangestellter mag dreimal soviel Umsatz generieren wie ein mittelmäßiger. Aber ein guter Techie kann mit einem Algorithmus bis zu einer Milliarde Leute beglücken… Im Silicon Valley liegt das Durchschnittsjahreseinkommen eines Ingenieurs bei 130.000 Dollar - verglichen mit den potenziellen Profiten ist das billig. Apple macht mehr als zwei Millionen Umsatz im Jahr pro Angestellten. Googles Umsatz liegt bei 60 Milliarden, geteilt durch 10.000 Programmier. Wenn Google seinen Angestellten also All-you-can-eat-Kantinen und einen Wäscheservice spendiert, ist das nichts."
Archiv: New Yorker

Elet es Irodalom (Ungarn), 17.11.2014

Unter Viktor Orbán entfernt sich Ungarn immer weiter von rechtsstaatlichen Prinzipien. Der Verfassungsrechtler Máté Szabó ist Direktor der Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), einer unabhängigen Organisation, die gegründet wurde um die Institutionen des jungen demokratischen Rechtsstaates auf die Wahrung der Grundrechte hin zu überwachen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Im Gespräch mit Eszter Rádai schildert er, wie seine und andere zivile Organisationen von staatlichen Behörden massiv unter Druck gesetzt werden - und ihre Rolle neu definieren müssen. "Im postrechtsstaatlichen Ungarn müssen diese Organisationen zur Opposition des Systems werden. Wenn wir innerhalb des Systems bleiben, werden wir Teil der Maschinerie. Unser Ziel ist es aber nicht, ein System zu verbessern, das nicht zu verbessern ist. Das ist äußerst wichtig! Solange das Orbán-System existiert, möchten wir nicht die Fehler und die Übergriffe dieses nichtverfassungsrechtlichen Staates verbessern und damit am Leben erhalten und legitimieren, sondern es durch ein System, das auf Grundrechten basiert, ablösen. Unsere Aufgabe besteht nun also darin, einen neuen verfassungsrechtlichen ungarischen Staat aufzubauen."

Tagesspiegel (Deutschland), 13.11.2014

Die Eurokrise ist nicht nur ein unerfreuliches, sondern auch ein außerordentlich komplexes Thema. In einer großen multimedialen Reportage veranschaulicht Elisa Simantke die Logik der Krisenbewältigung anhand des Spiels "Monopoly" und macht deutlich, dass sich die Schuldenstaaten als Gegenleistung für die Kredite der Troika zu umfangreichen Privatisierungen verpflichten - häufig zu äußerst ungünstigen Bedingungen und mit teilweise unabsehbaren Folgen: "Beim Spieler Griechenland klingt die Verpflichtung zum Verkauf so: "Die Regierung ist bereit, alle übrigen Anteile an staatseigenen Konzernen zu verkaufen, wenn dies nötig ist, um die Privatisierungsziele zu erreichen. Öffentliche Kontrolle wird auf Bereiche der kritischen Infrastruktur beschränkt." Ähnliche Sätze finden sich auch in den Verträgen mit den anderen Ländern. Und was verstehen die Regierungen und die Troika unter kritischer öffentlicher Infrastruktur? Das bleibt auch auf Nachfrage unbeantwortet. Flughäfen, Wasserversorgung, Stromkonzerne, Häfen und der Schienenverkehr gehören jedenfalls nicht dazu, sie alle sind auf dem Markt."
Archiv: Tagesspiegel

New York Magazine (USA), 17.11.2014

Adam Sternbergh prophezeit die baldige Ablösung der gesprochenen und geschriebenen Sprache durch knubbelige Bildschriftzeichen, die Emoji: "Auf den ersten Blick sind sie albern, leicht zu unterschätzen. Eine kleine Zeichentrick-Armee aus Gesichtern, Fahrzeugen, Flaggen, Symbolen, die die ewige Vorherrschaft der Worte attackiert. Emoji sind gemacht, um Worte in digitalen Nachrichten zu illustrieren oder auch zu ersetzen. Sie sehen aus wie das elektronische Gegenstück zu den Aufklebern, mit denen Zehnjährige früher ihre Schulhefter verzierten. Und doch sind sie auf jedem Smartphone verfügbar, genau wie eine richtige Sprache. Auf dem iPhone findet man die Emoji-Tastatur zwischen Niederländisch und Estnisch… In der Dehnbarkeit der Bedeutung liegt ihre Stärke. Sie haben sich dort bewährt, wo es um Gefühle geht und geschriebene Sprache oft plump und problematisch ist, vor allem auf kleinen Bildschirmen und Tastaturen, in Echtzeit. Diese infantil wirkenden Cartoons haben einen großen Wiedererkennungswert und sind verständlich, selbst über sprachliche Barrieren hinweg, auch wenn ihre Bedeutungen sich ständig verändern."
Stichwörter: Cartoons, Emoji, Iphone, Smartphones, Emojis

New York Times (USA), 16.11.2014

Im neuen Magazin der New York Times gehts ums Scheitern. Unter anderem erklärt Dan Hurley, warum die Pharmaindustrie relativ selten bahnbrechende Medikamente gegen genetische Defekte auf dem Markt bringt: "Zielorientierte Medikamentenentwicklung ist eher selten, da die meisten großen Krankheiten nicht einfach von einer Handvoll Mutationen verursacht werden, die sich leicht erkennen lassen. Genetiker nennen es das Problem der "fehlenden Erblichkeit", da trotz aller Verheißungen der 1990er Jahre bisher keine einzige genetische Variante gefunden werden konnte, die für Volkskrankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt, Alzheimer oder Krebs verantwortlich ist. Und selbst wenn eine genetische Variante mit einer Erkrankung in Verbindung gebracht werden kann, heißt das noch lange nicht, dass man auch weiß, was dagegen zu tun ist. Präparate, von denen man annimmt, dass sie das Ziel treffen, erweisen sich darüber hinaus in Tier- und Menschversuchen oft als unsicher und uneffektiv. Biologie ist einfach viel zu kompliziert."

Außerdem: Virginia Heffernan berichtet, wieso virtuelle Realitäten einfach keinen Erfolg haben (sie machen bloß neugierig aufs echte Leben). Und Adam Davidson findet heraus, was mit all den gescheiterten Startups im Silicon Valley geschieht (sie werden verschrottet, Mensch und Maschine).
Archiv: New York Times

Nepszabadsag (Ungarn), 15.11.2014

Der Jurist und frühere parlamentarische Beauftragte für nationale und ethnische Minderheiten, Jenő Kaltenbach, schreibt in der Wochenendausgabe von Népszabadság über die traditionelle Skepsis der ungarischen Gesellschaft gegenüber dem Westen, die die aktuelle ungarische Regierung regelmäßig bedient: "Im Kern besteht diese aus dem Gefühl der Beleidigung darüber, dass der Westen uns stets im Stich ließ und nie als gleichberechtigten Partner betrachtete, obwohl er uns einiges schuldet, schließlich waren wir die Verteidigungsbastion der westlichen Kultur. Dieses Gefühl ist freilich auch mit einem Minderwertigkeitskomplex verbunden, denn ein Vergleich mit dem Westen fällt für uns nicht wirklich herzerwärmend aus. In der deutschen Sprache gibt es für dieses ambivalente Gefühl den Begriff "Hassliebe". Wir haben dafür nicht einmal ein Wort, und können es somit auch nicht aufarbeiten, was die ewig wiederholte beleidigte Forderung "nach mehr Respekt" passend unterstreicht."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Deutsche Sprache

Eurozine (Österreich), 14.11.2014

Während sich das Jahr allmählich dem Ende zuneigt, denkt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann darüber nach, ob das allgemeine Gedenken geholfen hat, eine gemeinsame Erinnerung an die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs zu etablieren. Einen Schritt in diese Richtung kann Assmann erkennen, aber noch deutlicher sind die nationalen Unterschiede in der Erinnerung zutage getreten: "Der europäische Gedenktag ist der 11. November, der Tag, an dem 1918 der Waffenstillstand an der Westfront vereinbart wurde. In England wird dieser Tag mit Mohnblumen und zwei Schweigeminuten begangen, einer für die Gestorbenen und einer für ihre Angehörigen. Am selben Tag feiern die Deutschen den Beginn ihrer Karnevalsaison - ein bemerkenswertes Beispiel für die kulturelle Vielfalt in Europa. Auch hierzulande gibt es einen offiziellen Trauertag, aber der Erste Weltkrieg spielt dabei keine Rolle. Die Erinnerung der Deutschen an den Ersten Weltkrieg wurde von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg überlagert, und diese Erinnerung wird wiederum vom Holocaust überlagert."
Archiv: Eurozine