Mord und Ratschlag

Die Krimikolumne.
21.06.2002. Leseprobe zu Horst Eckerts 'Ausgezählt'



Horst Eckert: "Ausgezählt". Roman
Grafit Verlag, Dortmund 2002.
Taschenbuch, 320 Seiten, 10,40 Euro


Klappentext:
Bei einer Routinekontrolle durch zwei Streifenwagenpolizisten dreht ein Autofahrer durch und eröffnet das Feuer. Ein Beamter wird getötet, sein Partner, Bruno Wegmann, schwer verletzt. Noch zwei weitere Männer fallen dem Amokfahrer zum Opfer, bis er Stunden später tot in seinem Wagen gefunden wird. Selbstmord, so lautet das Ergebnis der Ermittlungen. Bruno Wegmann kommt über das Ereignis nicht so richtig hinweg, Zweifel plagen ihn: Hätte er den Tod seines Partners verhindern können? Dann wird bekannt, dass sein toter Kollege auffällig viel Geld bei sich trug, dass er den Amokläufer womöglich kannte. War der tote Polizist korrupt?


Zum Autor:
Horst Eckert wurde 1959 in Weiden (Oberpfalz) geboren. Er studierte in Erlangen und Berlin Politische Wissenschaft. Seit 1987 lebt er in Düsseldorf und arbeitet in Köln als Fernsehjournalist. Nach 'Annas Erbe' (1995) und 'Bittere Delikatessen' (1996) erschien der Thriller 'Aufgeputscht' (1997), der 1998 von der Raymond-Chandler-Gesellschaft mit dem "Marlowe" für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres 1997 ausgezeichnet wurde. 1999 erschien 'Finstere Seelen', gefolgt von 'Die Zwillingsfalle' (2000), ausgezeichnet mit dem Friedrich-Glauser-Preis 2001 für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres 2000.


Leseprobe:

Kapitel 33

Sie füllten ihn mit abgestandenem Mineralwasser ab, hörten ihm zu, ließen ihn warten, kamen mit weiteren Fragen wieder. Sie hatten ihn nicht in den Raum mit dem venezianischen Spiegel verfrachtet, sondern in ein normales Büro. Bruno bildete sich ein, dass das ein gutes Zeichen war.
Silberkuhls Leiche war gestern Abend bei Emmerich aus dem Rhein gefischt worden, kurz vor der holländischen Grenze. Nach geschätzten drei Tagen im Wasser sah Klees einstiger Einkäufer übel aus - die Mordermittler hatten Bruno Polaroidfotos gezeigt: Kopf und Hände aufgeschrammt von Flusskieseln, der Rücken zerschnitten von Schiffsschrauben. Anhand der Fingerabdrücke hatten ihn die Kollegen der Klever Kripo identifiziert. Seit dem frühen Morgen lag Silberkuhl in der Düsseldorfer Rechtsmedizin.
Die Fragen der Mordermittler drehten sich im Kreis. Becker kritzelte Notizen, obwohl ein Bandgerät mitlief. Schmallippen-Fischer nervte mit seinem Gesieze. Ela Bach blickte Bruno finster an. Pickelkinn Wiesinger trommelte mit den Knöcheln auf den Tisch, bis Ela ihn deshalb anschnauzte. Nach einer Stunde zogen alle vier wieder ab, zu einer Besprechung oder um Bruno ganz einfach schmoren zu lassen.
An einer Pinnwand hingen Ansichtskarten. Nichts als nackte Frauen am Strand. Pralle Brüste, sandige Hintern. Bruno fragte sich, wer so ein Zeug verschickte und welcher Idiot das aufhing.
Allmählich konnte er wieder klarer denken. Es hatte mit Kästner zu tun. Der Kahle hatte plötzlich Brunos Angaben widersprochen. Nicht um zehn hätten er und sein Partner in der Mordnacht die Kriminalwache verlassen, sondern mindestens zwanzig Minuten eher. Und Kästner hatte noch eins draufgesetzt: Sein Partner habe ihn zur Falschaussage gedrängt. Um ein Alibi gefleht. Doch Kästners Gewissen lasse nicht locker. 
Der Kahle war ein Scheißkerl, wie er im Buche stand.
Zwanzig Minuten machten den entscheidenden Unterschied. Die Mordermittler hielten es offenbar für möglich, dass Bruno sowohl die Klees als auch Silberkuhl getötet hatte. Dass er die Fingerabdrücke des Exknackis auf die Gartenschere gedrückt hatte, um eine falsche Spur zu legen. Die Kollegen tappten seit Mittwochabend im Dunkeln. Jede neue Entwicklung musste ihnen als Silberstreif am Horizont erscheinen.
Bruno wartete. Er fror. Das Mobiltelefon schrillte.
Es war Ritter. "Wie geht?s deinem Magen? " 
"Besser", antwortete Bruno. "Besser, du fragst nicht."
"Ich wollte nur hören, ob du heute Nacht wieder fit bist."
"Weiß ich noch nicht."
"Stimmt es, dass die Mordkollegen dich verdächtigen?"
"Sieht fast so aus. Das hab ich Kästner zu verdanken. Er hat ihnen eingeredet, ich hätte die Klees auf dem Gewissen." 
"Werden sie dich suspendieren?" 
"Dir geht?s nur um den Dienstplan, was? Dass mein eigener Partner mir einen Mord anhängen will, kümmert dich nicht?"
"Ich weiß, du siehst das anders, aber ich hab die ganzen letzten Monate zu dir gehalten. Es war nicht einfach, die anderen dazu zu bewegen, mit dir auf Tour zu gehen. Das kann ich dir flüstern. Kästners Hin und Her gefällt mir auch nicht. Aber es steht Aussage gegen Aussage und da misch ich mich nicht ein. Verlang bitte nicht von mir, dass ich dir aus Gefälligkeit ein Alibi gebe!"
"Ich verlange nur, dass ihr ehrlich seid!"
Stille im Äther. Ritter hatte aufgelegt. 
Bruno knallte sein Handy auf den Tisch. Er fegte Formulare von der Platte und trat den Papierkorb um. Er harrte weiter aus. Immer wieder traf sein Blick die Urlaubsgrüße an der Wand - Titten und sandige Weiberärsche. 
Die Tür wurde aufgestoßen, Ela Bach rauschte in das Büro, Becker und Fischer im Schlepptau. Der Kaffeebecher in ihrer Hand dampfte. Ela stutzte, als sie Bruno sah. 
"Was macht der noch hier?", fragte sie ihre Begleiter.
Fischer kniff die schmalen Lippen zusammen. Becker sagte nichts. Ela starrte auf den Papierkorb, der gegen eine Hydropflanze gerollt war. 
Becker stellte ihn auf. Der Blondschopf bückte sich nach der Unordnung auf dem Boden und sammelte den Müll ein. 
"Dein Büro ist das also?", fragte Bruno. "Hübsche Ansichtskarten hast du da."
Ela sagte: "Mach, dass du nach Hause kommst, Wegmann! Halt dich zu unserer Verfügung. Wir sind noch längst nicht fertig mit dir." 
"Was soll das heißen? Beschuldigt ihr mich des Mordes? Wollt ihr mich observieren? Mein Telefon anzapfen?"
Die Mordermittler ignorierten ihn. Sie blätterten in Unterlagen.
"Ich werde mir einen Anwalt nehmen, wenn ihr mir nicht sofort sagt, was los ist!"
Ela drehte ihm den Rücken zu und nippte von ihrem Kaffee.
Bruno rannte hinaus. Er kannte keinen Anwalt, zumindest keinen guten.


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