Martin Walser

Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte

Roman
Cover: Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018
ISBN 9783498074005
Gebunden, 112 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

"Was, bitte, wäre ich lieber als ich? Alles andere als ich." Das sagt Justus Mall, der früher einmal anders hieß. Oberregierungsrat war er, zuständig für Migration, aber dann kam der Tag, an dem er etwas Unbedachtes machte, und seitdem ist er Philosoph, zuständig für alles und nichts. Doch das ist nicht das einzige Dilemma seines Lebens. Tag und Nacht liegt er im Streit mit den Umständen, zu denen er es als Liebender hat kommen lassen. Ist es vielleicht leichter, keine Frau zu haben als nur eine? Er jedenfalls liebt zwei, und weil das nicht gehen kann, beginnt er, einen Blog zu schreiben - auf der Suche nach einem Menschen, der genau das ist, was ihm fehlt. Er richtet seine Selbstgespräche an eine unbekannte Geliebte und weiß doch, sie ist nicht mehr als eine Illusion. In früheren Romanen ließ Martin Walser noch Briefe und E-Mails hin und her gehen, in "Gar alles" gibt es das nicht mehr. Hier ruft einer ins Irgendwo, ist zurückgeworfen auf sich selbst, hat für das, was er empfindet, keinen Adressaten mehr.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.06.2018

Als kleines, peinliches Malheur sei Martin Walsers letzter Roman von einigen Kritikern abgetan, so Rezensentin Iris Radisch. Doch dafür ist die Erzählung über einen typisch Walserschen Männer-Charakter, der im WWW seine Lebensgier zu befriedigen sucht, einerseits "zu gut geschrieben", andererseits scheint es die Kritikerin inhaltlich zu schütteln. Jedenfalls trieft der Sarkasmus trieft aus jeder Zeile ihrer Rezension. Zum Beispiel wenn sie wiedergibt, wie der Autor seine Figur erklären lässt, was früher alles besser war, als man sich im Umgang mit schönen Frauen noch nicht jeden Kommentar und jede kleine Hand voll verkneifen musste... Dieses Buch, vermutet Radisch, ist womöglich eines der "letzten Zeugnisse einer männlichen Wehklage". Man darf annehmen, dass sie damit gut leben kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.04.2018

Burkhard Müller kann Martin Walsers neuen Roman seinen Verächtern nicht empfehlen. Wer Walser hasst, wird ihn mit diesem Buch, einem Selbstgespräch von Walser Alter Ego nicht lieben lernen, meint er, auch wenn er etwas leichter, sogar mit Humor zu Werk geht, wie Müller feststellt. Die trotzige Frömmigkeit, die Schwärmerei eines alternden Kavaliers wiederum entdeckt er. Und dass der Autor die Form des Briefromans wählt, scheint Müller auch folgerichtig. Walser wird mit jedem Buch privater, meint er.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.03.2018

Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein antwortet Martin Walser respektive seiner Figur Justus Mall nicht mit einer Kritik, sondern mit einem Brief. Sie wahrt die höfliche Form, aber das ist auch schon das einzige Zugeständnis das sie macht. Schon dass ihr diese wenigen Briefe des verzweifelten Justus Mall als Roman verkauft werden, ärgert sie. Böse bescheidet sie ihm auch, dass es kein Anrecht darauf gibt, dass sich Leser und Leserinnen einem Buch hingeben, das zu erreichen sei Aufgabe eines Autor, und mehr noch: die Leistung großer Autoren. Und da hat Klingenstein noch gar nichts über den ärgerlichen Auftritt dieses Trump-liebenden, Frauen-begrapschenden und auch verachtenden Justus Mall gesagt, der sich gleich mit dem ersten Satz Anfangssatz gesagt ("Ich bin nicht ich") sehr praktisch aus der Verantwortung zieht. Oder über den Sprachmix, den sie als Mischung aus unbeholfenen und geschwollenen Plattitüden beschreibt. "Es graut mir vor Ihnen", beendet sie ihren Brief an den Herrn Mall.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.03.2018

Martin Oehlen hat Nachsicht mit Martin Walser und seinem Helden. Altersgeilheit möchte er ihm nicht unterstellen. Zumal der Ich-Erzähler diesen Vorwurf selbst reflektiert. Das Thema "Lustqual" behandelt Walser in seinem neuen Roman provokant, gegen das friedliche Miteinander der Geschlechter gerichtet, gewollt politisch unkorrekt, wie Oehlen feststellt. Die Form des Brief- oder hier Blog-Romans sei Walser vertraut, meint der Rezensent, ebenso die Behandlung eines konkret empfundenen Mangels. Ein Roman wie ein Schrei, so Oehlen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2018

Martin Walsers neuer Roman erscheint dem Rezensenten Roman Bucheli wie eine "nie endende Kontaktanzeige", denn der Ich-Erzähler offenbare in seinem Blog von Anfang an alles über sich, auch die unangenehmsten Wahrheiten -  ob er nun mit Trump sympathisiert oder sich permanent von "Weibsattacken" tyrannisiert fühlt. Der Rezensent warnt davor, den Köder zu schlucken, den Walser damit seiner Meinung nach auslegt: Weder sei Mall so platt, wie er sich in dem Blog präsentiere, noch könne man ihn mit Walser gleichsetzen. Wer dies tue, erliege "lediglich den eigenen reflexhaften Vorurteilen". Der Roman stellt in den Augen Buchelis damit zwar virtuos die Frage nach den Charakteren der Figur und des Autors, einen Erkenntnisgewinn hat er dem Rezensenten darüber hinaus aber nicht beschert.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 24.03.2018

Rezensentin Barbara Möller liest Martin Walsers schmalen neuen Roman als "ironisch-boshaften" Beitrag zur #MeToo-Debatte. Die Geschichte um den Weinstein-Wiedergänger Gottfried Schall, der als Münchner Oberregierungsrat für Migration einer jungen Zeitungspraktikantin zwischen die Schenkel fasst und sich in Folge wehleidig einer öffentlichen Jagd ausgesetzt fühlt, um sich schließlich mit Donald Trump zu identifizieren, erscheint der Kritikerin nicht zuletzt wie Walsers Antwort auf seine Erfahrungen nach seiner Rede in der Paulskirche. Gewohnt zwischen "Lakonie und Larmoyanz" tänzelnd, auf politische Korrektheit pfeifend und einmal mehr seine Sehnsucht nach erotischen Aufbrüchen in einen Roman gießend, nimmt die Rezensentin dem heute seinen 91. Geburtstag feiernden Walser nichts mehr übel.