Spätaffäre

Paradiesartiges Commonwealth

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19.03.2014. Arte zeigt Patrice Chereaus Inszenierung der "Elektra" letzten Sommer in Aix. Das New York Magazine fragt, was macht Sotheby's künftig ohne Chefauktionator Tobias Meyer? Und für's Dradio Kultur lassen sich Irm Hermann, Bruno Ganz, Otto Sander und Elisabeth Trissenaar in der Villa Massimo ermorden.

Für die Augen



Arte präsentiert eine Aufzeichnung von Patrice Chéreaus Inszenierung der "Elektra" (Dirigent: Esa-Pekka Salonen) im Grand Théâtre d'Aix-en-Provence 2013. Mit Evelyn Herlitzius (Elektra), Waltraud Meier (Klytämnestra), Adrianne Pieczonka (Chrysothemis), Mikhail Petrenko (Orest) und Tom Randle (Aegisth). Reinhard J. Brembeck feierte die Aufführung in der Süddeutschen seinerzeit als "aufrüttelndsten und packendsten Opernabend" der Saison. (111 Min.)

In der Reihe "Stunde des Bösen" mit Thrillern von jungen Filmemachern ist in der ZDF-Mediathek "Die Frau hinter der Wand" von Grzegorz Muskala sehen, ein eindrucksvolles Debüt, das an Hitchcock, Lynch und den Coens geschult ist, aber dabei einen ganz eigenen düsteren Schrecken entwickelt. Ausgestrahlt wurde "Die Frau hinter der Wand" erst nach Mitternacht, was für Jan Wiele in der FAZ einmal mehr "Anlass zu der Überlegung gibt, was im Vergleich dazu im 'großen Hauptprogramm' läuft". In der Mediathek kann der Film wegen seiner FSK16-Freigabe leider nur zwischen 22 und 6 Uhr gesehen werden. (90 Min.)
Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

In einem Feature für den Deutschlandfunk befasst sich Burkhard Reinartz mit der Kunst der Compilation. Aus dem Programmtext: "Das Münchner Trikont-Label veröffentlicht zum Beispiel Compilations aus Musikbereichen, die ein Schattendasein führen. Besonders raffiniert wird seit über drei Jahrzehnten im Wuppertaler Pina-Bausch-Ensemble kompiliert. Die Soundtracks der Tanzstücke haben eine enorme Bandbreite: von japanischen Muschelflöten über Igor Stravinsky bis zu Drum-and-Bass-Beats. Heute ist es üblich, alle Arten von gelungenen oder entgleisten Zusammenstellungen 'Compilation' zu nennen, auch die Doktorarbeit des Karl-Theodor zu Guttenberg." Hier zum Nachhören (54 Min.)

Bizarre Morde in künstlerischer Vollendung. Die Opfer: Malerin Schmatz, Architekt Herbich und Schriftsteller Samler in einer eine nicht unbekannten Villa für Kunst-Stipendiaten der unterschiedlichsten Genres. Die Krimi-Kunst-Groteske von Ingomar von Kieseritz produzierte Deutschlandradio Kultur 1996 als Hörspiel "Mord in der Villa Massimo" in der Regie von Karin Bellingkrodt u. a. mit Irm Hermann, Bruno Ganz, Otto Sander, Vadim Glowna, Elisabeth Trissenaar, Christian Brückner (55 Min.)
Archiv: Für die Ohren

Für Sinn und Verstand

In imposanter Länge untersucht Andrew Rice im New York Magazine die Umstrukturierungen bei Sotheby's, nach Pinaults Christie's das größte Auktionshaus der Welt und laut Rice in recht wackeliger Position, seit Chefauktionator Tobias Meyer vergangenes Jahr ausschied. Ursache scheint der Mehrheitsaktionär bei Sotheby's, der Investor Daniel Loeb zu sein, der die altehrwürdige Firma fleißig abzuspecken versucht, um die Aktionäre glücklich zu machen, zu denen er ja selber zählt. "Wie ein Außenstehender fragt er etwa recht frech, wieso die Firma sich immer wieder von Verkäufern um die eigentlich fixe Kommission bringen lässt. Anstatt Vergünstigungen zu gewähren, um an große Werke zu gelangen, sollte Sotheby's lieber wie ein cleverer Sammler agieren oder wie eine Kunsthändler-Bank, die Beratung und Finanzierung anbietet. Loeb möchte, dass stärker direkt in die Kunst investiert wird … In diese Richtung geht es bereits. Im Januar hat Sotheby's angekündigt, seine Finanzdienstleistungen um 450 Millionen Dollar zu erweitern. Das soll der Firma erlauben, ihre Rolle als einer der ersten Adressen im Geldmarkt für große Händler und Sammler auszubauen. Der Kunstsammler Peter Brant und Jeff Koons haben bereits von Sotheby's-Krediten Gebrauch gemacht, Letzterer, indem er eigene Arbeiten verpfändete." Das wiederum scheint gar nicht so neu. Martin Kippenberger, den auch Daniel Loeb sammelt, vermachte bekanntlich der Paris Bar Bilder und erhielt dafür lebenslang freie Kost.

Außerdem in der Ausgabe: Kevin Roose überlegt, ob San Francisco das neue New York ist (was die Mieten angeht, schon). Und Carl Swanson spricht mit Charlotte Gainsbourg über ihre Arbeit mit Lars von Trier.

Dass Putin für seine Gegenrevolution so viel Unterstützung in der russischsprachigen Welt bekommen hat, erklärt sich James Meek in einem langen Report der LRB auch mit der jahrelangen und letztlich erfolgreichen Verklärung der sowjetischen Vergangenheit: "Viele der wortgewandtesten und geistreichsten Russen und Ukrainer mittleren Alters, die noch die Wirklichkeit des sowjetischen Lebens kannten und später in der postsowjetischen Welt erfolgreich waren, sind ins Ausland oder in die Wirtschaft gegangen oder eingeschüchtert worden: Auf jeden Fall haben sie die politische Arena verlassen. In Russland und der russischsprachigen Ukraine haben neosowjetischen Populisten die Bühne übernommen, die sich die UdSSR als paradiesartiges Commonwealth vorstellen, über das Moskau gütig herrschte, ein natürliche Kontinuum des Zarenreichs, das allein von den eindringenden Nazi gestört wurde, deren Erbe der Westen angetreten hat und somit einziges Hindernis auf dem Weg zu dessen Wiederbelebung ist. Wer nach 1985 geboren ist, hat keine erlebte Erinnerung, um die Falschheit dieser Version zu bemessen."