Joachim Lerchenmueller

Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS

Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Gedenkschrift 'Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland'
Cover: Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS
Dietz Verlag, Bonn 2001
ISBN 9783801241162
Gebunden, 320 Seiten, 34,77 EUR

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.12.2001

Über die Verstrickungen der Geschichtswissenschaft mit dem Nationalsozialismus wurde lange genug geschwiegen, findet der Historiker und Rezensent Peter Schöttler und freut sich dass dieses Thema von Joachim Lerchenmüller in seinem Buch aufgegriffen wird. "Erschreckend, aber auch unfreiwillig komisch" findet Schöttler die um den Historiker Hermann Löffler kreisende Dokumentation über die Historiker im SD und ihre "Utopie einer reinen NS-Historie". Offensichtlich, schreibt Schöttler, sei es dabei vor allem um den Schacher mit Lehrstühlen gegangen. Kritisch anzumerken hat Schöttler, dass der Autor eine weitreichende Kontextualisierung vermissen lasse. Geschwollene "Parteilyrik" sowie Kollegen-Bewertungslisten gerieten so zum "Horrorkabinett einer kleinen fanatischen Mehrheit", zur "Verharmlosung" also. Und wenn der Autor nach "solchem Aufwand" bilanziert, die SD-Wissenschaftspolitik sei auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft gescheitert, so glaubt Schöttler gar, sich verlesen zu haben: Schließlich sei es "diesen Leuten" nach dem Krieg gelungen, sich gegenseitig auf Lehrstühle oder in einflussreiche Stellungen zu hieven. "Wer ist da wohl gescheitert?"

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.10.2001

"Verdienstvoll" nennt Hans-Erich Volkmann Lerchenmuellers Studie, eine Vokabel, in der Distanz immer schon mitklingt. Verdienstvoll sei, dass Lerchenmueller mit den edierten Dokumenten dazu beiträgt, "das Beziehungsgeflecht zwischen hauptamtlichen SS- und Hochschulhistorikern" aufzuzeigen, die in der NS-Zeit versuchten, "verbindliche historische Interpretationsmuster zu entwickeln und ideologierelevante Problemfelder (...) zu bearbeiten", um diese Themen anschließend "sukzessiv in die Hochschulen einzuschleusen". Verdienstvoll findet er auch, dass Lerchenmueller damit "die tieferen Schleifspuren" aufzeigt, die in der Geschichtswissenschaft auch noch nach 1945 wirkten. Volkmann referiert ausführlich, wie Lerchenmueller "das Leben und Wirken aller namhaft zu machenden SD-Historiker" rekonstruiert und damit zeigen kann, wie einzelne Wissenschaftler aus diesem Kreis - etwa über die Ranke-Gesellschaft, die Wissenschaftliche Buchgemeinschaft oder an den Hochschulen selbst - "das Geschichtsbild der Nachkriegszeit durch Verharmlosung und Tabuisierung des 'Dritten Reiches' mitgeprägt" haben. Doch Lerchenmuellers abschließendes Beurteilung, ihre Bedeutung und ihr Einfluss seien "unwesentlich" gewesen, bezeichnet Volkmann höflich als "zurückhaltend". Er widerspricht diesem Urteil deutlich und glaubt vielmehr, dass "sie die Neuorientierung einer weitgehend nationalistischen Historiographie nachhaltig behindert haben und (...) einer kritischen öffentlichen Reflexion jüngster deutscher Vergangenheit im Wege waren". Auch Lerchenmuellers zur Diskussion gestelltes Beurteilungskriterium eines "Gesinnungswandels" der ehemaligen NS-Vordenker weist Volkmann mit dem Hinweis zurück, dass keiner der SS-Historiker je politische Selbstkritik geübt habe. So offensichtlich notwendig, überfällig und eben auch verdienstvoll Volkmann die Beschäftigung der Historiker mit ihren NS-Verstrickungen findet, leidet die Zunft für ihn immer noch "unter den Defiziten geschichtlicher Selbsterkenntnis".
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