Thomas Hettche

Die Liebe der Väter

Roman
Cover: Die Liebe der Väter
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2010
ISBN 9783462041873
Gebunden, 224 Seiten, 16,95 EUR

Klappentext

Die Reise auf die Insel ist für den Verlagsvertreter Peter auch eine Rückkehr in Landschaften der Vergangenheit. Hier hat er die Sommer seiner Kindheit verbracht, als seine Mutter in einer Buchhandlung in Kampen arbeitete. Die Spaziergänge am Strand, die alte Kirche von Keitum, der Leuchtturm rufen Erinnerungen in ihm wach. Zum ersten Mal versucht er, seiner Tochter von sich zu erzählen. Er begegnet Susanne wieder, einer Freundin aus der Schulzeit, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und er muss erleben, dass er auf die Väter der scheinbar heilen Familien, die diese Ferien zusammen verbringen, wie ein Menetekel wirkt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.09.2010

Nicht die allerdings erstaunliche Realitätsnähe oder seine familienpolitische Aktualität ist es, was Roman Bucheli zuallererst am neuen Roman von Thomas Hettche fasziniert, sondern seine "erzählerische Dringlichkeit". Auf die verlässt sich Hettche laut Bucheli zum Glück in weiten Teilen des Buches. Suggestiv, intensiv und sprachlich virtuos erscheint dem Rezensenten die Darstellung einer existentiell problematischen Vater-Tochter-Beziehung hier umgesetzt. Ort und Zeitpunkt (Sylt zur Jahreswende) findet Bucheli gut gewählt, um Schuldmomente und die Neuordnung eines väterlichen Selbstverständnisses zu zeigen. Anrührende Bilder und ein zarter bis grimmiger Ton überzeugen den Rezensenten beinahe restlos von der "Liebe der Väter".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.08.2010

Mit einem Feuerwerk beginnen und sich dann stetig steigern, lautet die alte Journalistenregel. Rezensent Martin Lüdke sieht es bei Thomas Hettche so ähnlich: Der habe mit einem fulminanten Debüt begonnen und habe sich seit dem stetig weiterentwickelt, schwärmt Lüdke. Toll wie Hettche vor dem "schön ausgemalten" Meer dieses Drama eines ledigen und also bis vor kurzem rechtlosen Vaters niederschreibt, der zermürbt von den Schikanen der Kindsmutter, eben dieser Tochter beim Urlaub mit Freunden auf Sylt eine knallt, und dafür schlimm büßen muss: "Die Gruppe schließt ihn aus." Lüdke preist, wie genau Hettche das Beziehungsgeflecht darlegt und sich nie in der Ausbreitung von Befindlichkeiten erschöpfe. "Wahrhaft herzerwärmend" findet er dies, auf keinen Fall kitschig.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.08.2010

Mit gemischten Gefühlen liest Cristina Nord Thomas Hettches Roman "Die Liebe der Väter". Es geht um Peter, der mit seiner dreizehnjährigen Tochter Annika Silvester auf Sylt verbringt, die zu sehen ihm sowohl die gekränkte Mutter wie auch das Sorgerecht schwer machen. Die wehleidige, zuweilen unreflektierte Hilflosigkeit Peters, geht Nord zwar auf die Nerven, manchmal erinnert sie dies an die Sprache von "Väteraufbruch e.V.", aber dann ist sie sich nicht sicher, ob sie den Erzähler wirklich mit dem Autor Hettche gleichsetzen soll. Denn klar werde, dass "Bescheidwisserei" in Punkto menschlicher Beziehung gar nicht weiterhelfe. Übel nimmt die Rezensentin Hettche aber das ganze "See- und Küstenvokabular", was sie als Zurschaustellen seines literarischen Könnens ansieht. So könne man "den feinen Stoff des Alltags" bei Thomas Hettche nur für den Preis seines "literarischen Muskelspiels" bekommen, bedauert Nord.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 16.08.2010

Christopher Schmidt mag Thomas Hettches Roman "Die Liebe der Väter" nicht. Und weil Kritikerkollegen von FAS und Zeit das Buch sehr gepriesen haben, schließt er sie in seinen zornigen Verriss mit ein. Dabei ist das Thema "ledige Väter" laut Schmidt nicht durch das Sorgerechtsurteil des Verfassungsgerichts hinfällig geworden, denn das Buch hinke nicht nicht der Rechtslage hinterher, sondern der Realität. So einseitig wie Hettche den elterlichen Konflikt um den Kontakt zur Tochter zeichne, ergebe das Buch allenfalls eine tendenziöse Streitschrift, aber weder einen Roman noch eine Novelle. Der Vater, ein "sensibler Intellektueller", will auf Sylt Urlaub mit seiner Tochter machen, die Mutter verhindert ansonsten nahezu jeden Kontakt: Sie sieht Schmidt als "arbeitsscheue Schlampe" gezeichnet, die den Unterhalt verjuxt, das Kind vernachlässigt und ihre Liebhaber auch noch übergriffig werden lässt. Schmidt verübelt dem Autor neben Larmoyanz und einem "winselnden Kulturpessimismus" besonders, dass die mangelnden hausfraulichen Qualitäten der Mutter eine Rolle spielen. Wie gut der Vater das Bügeleisen schwinge, erfahre man nicht.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.08.2010

Ausgesprochen beeindruckt ist Rezensentin Sandra Kegel von diesem Roman Thomas Hettches, der sich nur auf den ersten Blick wie die einseitige Streitschrift für die (vom Bundesverfassungsgericht unterdessen verfügte) Verbesserung der Sorgerechtslage unverheirateter Väter liest. Genauer gesagt: Einseitig ist das Buch sehr wohl, nur gehört das zur Pointe der darin beabsichtigten Ambivalenzproduktion. Es möge wohl sein, dass die immer nur aus der männlichen Perspektive in den Blick kommende Ines der ihr anvertrauten Tochter Annika eine alles andere als gute Mutter ist. Nur ist auch Peter nicht nur ein exemplarisch "unzuverlässiger" Ich-Erzähler, sondern auch als durch die Gegend reisender Möchtegern-Näherdran-Vater offensichtlich nicht das Gelbe vom Ei - was dann in einer dramatischen Auseinandersetzung beim gemeinsamen Vater-Tochter-Urlaub kulminiert. Für die Rezensentin macht seine komplexe Konstruktion, die den ständigen Blick hinter den Rücken ihres Erzählers erlaubt, diesen Roman zu einem wahren literarischen "Glücksfall".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.08.2010

Als "großes Werk in Tiefe und Weite der Gedanke" feiert Jens Jessen das neue Buch von Thomas Hettche. Aus seiner Sicht ist es allerdings kein Roman, wie der Verlag das Werk klassifiziere, vielmehr handele es sich um eine klassische Novelle, die von den "Wunden und Wundern" elterlicher Liebe handele. Vordergründig, erklärt Jessen, ist der Versuch eines ledigen Vaters, mit seiner halbwüchsigen Tochter auf Sylt Silvester zu feiern, den Anlass der Erzählung. Verhandelt werde aber das vergiftete Verhältnis der Eltern, das juristische Ungleichgewicht bei der Verteilung der Rechte zu Gunsten der Mutter und die Niederschläge der Vergiftung auf die Beziehung von Vater und Tochter, die sich schließlich in einer Ohrfeige entladen. Hintergründig reißt Thomas Hettche, wie Jessen schreibt, mit dieser fatalen Ohrfeige einen Abgrund auf. Das Beziehungsgewürge der Eltern schlage sich auf die Tochter wie eine Naturbedrohung nieder, was bei Hettche Entsprechung in der Schilderung eines realen Wintersturmes finde, der Sylt ein Stück Küste entreißt, ein Bild, das den Kritiker auch als Metapher für die bedrohte Vater-Tochter-Liebe beeindrucken kann.