Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.07.2007. Die Feuilletons trauern um George Tabori, mit dem die Deutschen über sich selbst lachen lernten. Die NZZ erzählt die traumatisierende Kindheitsepisode, die Taboris  tragikomische Grundhaltung begründete. Die taz kritisiert die deutsche Filmförderung, welche nurmehr auf die großen Haufen scheißt. Die Welt plädiert im Bayreuther Erbfolgestreit für Katharina Wagner

FR, 25.07.2007

Als "Mann, der den Holocaust zu einem Märchen gemacht hat, der mit dem Witz, diesem Geisterfahrer des Gedankens, den intimsten Umgang hatte" würdigt Peter Michalzik den verstorbenen Theatermacher George Tabori. "So ist Tabori unter allen Künstlern, die nach der Vernichtung der Juden in Deutschland gelebt haben, für die Deutschen sehr wahrscheinlich der heilsamste geworden. Sie konnten mit ihm das Lachen über sich selbst lernen. Für alle, die seine Aufführungen gesehen, die seine Bücher gelesen haben, ist die Existenz dieses Mannes ein fast unglaubliches Glück gewesen. Genauso aber ist es auch ein unerträgliches Paradox, dass er, dessen Vater von den Deutschen ermordet wurde, sie auch noch mit ihrem Schicksal versöhnen sollte."

Weitere Artikel: Michael Marek stellt das Multimedia-Museumsprojekt BallinStadt - Auswandererwelt Hamburg im Hamburger Hafen vor. In einem Interview spricht der Archäologe Hermann Parzinger, zukünftiger Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), unter anderem über die kulturpolitische Bedeutung des künftigen Humboldt-Forums und den Bogen zwischen außereuropäischen Kulturen und zeitgenössischer Kunst. Und in Times mager räsoniert Harry Nutt über Grenzergebaren innerhalb und außerhalb der Schengen-Welt.

Besprochen werden der Kinofilm "Die Simpsons", eine Ausstellung über Karl Valentin im Frankfurter Filmmuseum und Robert Gernhardts letzte, zu Lebzeiten abgeschlossene Erzählungen "Denken wir uns" (mehr dazu in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

NZZ, 25.07.2007

In seinem Nachruf auf George Tabori erzählt Alfred Schlienger, wie Tabori zu seinem Credo kam, dass Theater existenziell, wahr und tragisch sein musste: "Als er vier Jahre alt war, nahm ihn der Vater mit in den Zirkus. Beim Trommelwirbel kletterte eine wunderschöne Frau im Glitzertrikot auf die Plattform, und Klein György machte sich vor Aufregung in die Hose. 'Dann nimmt sie Schwung zum Salto mortale, verfehlt das Trapez und kracht durchs Netz.' Für Jahre glaubte er, das sei jeden Abend so: Eine Frau klettert hoch, lächelt, 'die Zuschauer machen sich in die Hosen, sie schwingt los und fällt, jede Nacht, um dort unten in einer Pfütze von Blut und Sand zu liegen'."

Weiteres: Jürg Zbinden kann von dem jetzt in die Kinos kommenden Simpsons-Film gar nicht genug schwärmen. Besprochen werden eine Ausstellung zur Architektur der zwanziger Jahre in Leipzig, das Menuhin-Festival in Gstaad und Bücher, darunter Ulrich Siegs Studie über Paul de Lagarde "Deutschlands Prophet", Luc Boltanskis "Soziologie der Abtreibung" (mehr in unserer Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Welt, 25.07.2007

Manuel Brug lehnt sich ein wenig aus dem Fenster und plädiert für Katharina Wagner im Bayreuther Erbfolgestreit: "Katharina Wagner mag keine dünnlippig zugespitzte, scharf formulierende Intellektuelle sein, wie manche andere in der Familie. Aber sie weiß, wie man die Ärmel hochkrempelt und wie man ein Steuerrad dreht. Und das ist in Bayreuth stärker denn je gefragt. Den Rest der Mannschaft muss man anheuern."

Reinhard Wengierek schreibt zum Tod des Regisseurs, George Tabori, den "durchtriebenen Witzereißer und bitterernsten Philosophen". Hanns-Georg Rodek gibt Volker Schlöndorff absolut Recht, der wegen seiner Kritik an der Zweifachverwertung von Filmen für Kino und Fernsehen von seiner Produktionsfirma Constanstin gefeuert wurde. Manuel Brug berichtet vom Verbier-Festival im Schweizer Wallis: "Da sitzen jetzt alle wieder auf 1800 Metern Höhe im Vallee de Bagnes, verrichten viel Kunstarbeit, bekommen dafür wenig Geld, aber haben viel Spaß." Ernst Cramer erinnert an einen der Totengräber der Weimarer Republik, Reichskanzler Franz von Papen, der vor 75 Jahren mithalf, Hitler zu installieren. Gernot Facius analysiert noch einmal das päpstliche Sendschreiben zur Ökumene.

Besprochen werden Chuck Berrys Konzert in Berlin und die "Anatevka"-Aufführung auf der Freilichtbühne von Ötigheim.

FAZ, 25.07.2007

In seinem Nachruf auf George Tabori fragt sich Gerhard Stadelmaier auch, warum der große Theatermann bei den Deutschen so beliebt war: "Diese wunderbare Figur da droben war für sie alle eine große Erleichterung. Weil ihm deutsche Schuld und deutsche Moral egal waren. Weil er von ihnen nicht Mahnmale, sondern das direkte, tieflebendige Gefühl dafür forderte, dass Erinnerung nur Erinnerung ist, wenn sie 'mit dem Darm, dem Bauch, dem Hintern' erinnert werde." Stadelmaier erzählt auch eine letzte Anekdote aus dem Leben Taboris.

Weitere Artikel: Zum Auftakt der Festspiele in Bayreuth und Salzburg stellt sich Julia Spinola im Leitartikel für den politischen Teil Fragen nach der Zukunft der beiden Großereignisse. Im Feuilleton erkundet sie außerdem die genaueren Konditionen für die Zukunft in Bayreuth. In der Leitglosse konstatiert Heinrich Wefing, dass Knut und der Turm von Dubai immer größer werden. Andreas Rossmann verfolgte einen Keltologenkongress in Bonn. Friederike Reents erinnert aus Anlass des Moscheenstreits an einen Aufsatz des Byzantinisten Karl Dieterich aus dem Jahr 1903 über die "byzantinische Gefahr". Michael Althen schreibt zum Tod des Kameramanns Laszlo Kovacs. Gerd Roellecke berichtet über die Gründung eines "Netzwerks Alternsforschung" in Heidelberg.

Auf der Medienseite gibt der ehemalige Sat-1-Nachrichtenmoderator Thomas Kausch in einem ausführlichen Interview mit Michael Hanfeld Auskunft über die Umstände seiner Kündigung. Und "wie" berichtet über das Verbot einer spanischen Karikatur, die das kopulierende Kronprinzenpaar zeigte.

Für die letzte Seite berichtet Ruth Neumann über den Boom zweisprachiger Kindergärten. Julia Bähr stellt den deutschsprachigen Popsänger Laith Al-Deen vor. Und Felicitas von Lovenberg schildert die Erfolge des neuen Harry Potter-Bandes im Buchhandel und in der Kritik.

Besprochen werden eine Ausstellung mit ausschließlich weißen Kunstwerken im Schloss Sacrow bei Berlin, Marion Hänsels Film "Als der Wind den Sand berührte", eine Ausstellung über den Erfinder und Ingenieur Wolfgang von Kempelen in Karlsruhe und Bücher, darunter Grigori Paskos russisches Gefängnistagebuch "Die rote Zone".

TAZ, 25.07.2007

Eigentlich sollte Volker Schlöndorff bei der Verfilmung von "Die Päpstin", eine Produktion der Constantin-Film, Regie führen. Jetzt wurde ihm gekündigt, weil er sich in der SZ gegen Kinofilme ausgesprochen hat, die so gedreht werden müssen, dass sie noch zu Fernsehmehrteilern verwurstet werden können (mehr hier, hier und hier). Für Ekkehard Knörer zeigt die ganze Geschichte, dass sich seit den Siebzigern in der Filmförderung nichts zum Guten verändert hat. Damals "hatte der Autorenfilm noch eine selbstverständliche Förderquelle und Heimat im deutschen Fernsehen. Heute dagegen scheißen in der großen Public Private Partnership der Film- und Fernsehförderung fast alle am liebsten auf die jeweils größten verfügbaren Haufen - und das sind seit Jahren an vorderster Stelle die Constantin-Produktionen."

Weiteres: Katrin Bettina Müller würdigt den am Montag verstorbenen Theatermacher George Tabori. Uli Hahnemann berichtet über einen typischen Kreuzberger Kulturkampf: das Aktionsbündnis "Bäume am Landwehrkanal" zur Rettung maroder Uferbepflanzung. Besprochen wird "Die Simpsons - Der Film", den Diedrich Diederichsen als "super-kulturindustriell, hyper-arbeitsteilig und eine perfekt programmierte Fabrik selbstreflexiven Humors" bewertet.

Auf den Tagesthemenseiten gibt der Dalai Lama in einem Interview unter anderem Auskunft, warum Mönche Glückspilze sind ("Das Mönchsleben ist stabiler"). Auf der Meinungsseite erklärt Ilija Trojanow, dass er keine "Terrorangst", sehr wohl aber "Staatsangst" habe: "Wenn ich am Flughafen abgegrapscht werde, habe ich Schreckensvisionen von Uniformierten, die einen festhalten und behandeln können, wie es ihnen beliebt."

Und Tom.

SZ, 25.07.2007

Als "großen, weisen Menschenfreund" und "weltklügsten Theatermann" würdigt Christine Dössel George Tabori in ihrem Nachruf. "Seine Art, mit dem Entsetzen Scherz zu betreiben, hat Adornos Diktum, nach Auschwitz lasse sich kein Gedicht mehr schreiben, ad absurdum geführt." Und in einem sehr persönlichen Abschiedstext bekennt Claus Peymann, dankbar dafür zu sein, Taboris Spätwerk begleitet haben zu können.

Gerhard Matzig widmet sich dem Thema Wohnungsbau, dem "vermutlich konservativsten aller Märkte". "Derzeit bieten auch noch die unseriösesten Wohnberater erfolgreich ihre Dienste an. Auf den meist missverstandenen Spuren von 'Feng Shui' oder auf einer nur rudimentär verstandenen Farbpsychologie werden deutsche Wohnungen getunt wie nie zuvor. Wäre es aber nicht besser, gute Wohnungen nachhaltig zu bauen - statt dumme und hässliche Wohnungen im Nachhinein mit modischem Zubehör zu verhübschen?"

Weitere Artikel: Auf einer den Bayreuther Festspielen gewidmeten Seite erklärt Reinhard J. Brembeck, inwiefern der derzeitige Nachfolgestreit die "beste Versicherung" für spannendes Theater ist. Katharina Wagner, eine der möglichen Aspirantinnen, erläutert im Interview ihr Inszenierungskonzept für die "Meistersinger" in Bayreuth. Anlässlich des heute in Berlin beginnenden Kongresses der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung berichtet der schwedische Dozent für Rechtspsychiatrie Nils Wiklund, wie und mit welchen Begründungen Sigmund Freud einst der Nobelpreis verwehrt wurde. In einem Interview geben die Peter Maurer und Johannes Schneider Auskunft über ihr Projekt "Wörterbuch der tibetischen Schriftsprache". Fritz Göttler erinnert an den am Samstag verstorbenen Kameramann Laszlo Kovacs ("Easy Rider").

Besprochen werden der Film "Die Simpsons" - flankierend erklärt Willi Winkler das Phänomen Homer Simpson - und Bücher, darunter Ian McEwans neuer Roman "Am Strand" und der Essayband "Keiner zu Hause" von Dubravka Ugresic. (siehe hierzu unsere Bücherschau des Tages ab 14 Uhr)