Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
29.06.2003. In dieser Woche lesen Sie: Wie Harry Potter den deutschen Buchhändlern einen doppelten Kulturschock beschert hat. Wo demnächst russische Landungstruppen anlanden. Warum John Steinbecks "Jenseits von Eden" bei Amazon auf Verkaufsrang 10 geschnellt ist. Und wie der Bertelsmann Club die Branche ärgert. Von Hubertus Volmer

Börsenblatt

Das Börsenblatt berichtet vom Verkauf des neuen "Harry Potter". Hierzulande sorge ein bislang unbekannter Preiskampf für Aufregung. "Zunächst hatten Online-Anbieter wie Amazon.de und Booxtra mit immer neuen Tiefpreisen um die Kunden geworben, doch in letzter Sekunde schoss Hugendubel den Vogel ab: Mit dem Dumpingpreis von 14,80 Euro und einer bundesweiten Anzeigenkampagne sorgte der Filialist für Aufsehen und Unmut unter Kollegen." In der Anzeige hieß es: "Lieber zu Hugendubel als zu teuer!" "Peter Hinke (Connewitzer Verlagsbuchhandlung), der 'Harry' V in England eingekauft hatte und daher flexibler kalkulieren konnte, hängte noch am Samstag zähneknirschend die aus der Leipziger Volkszeitung ausgerissene Hugendubel-Anzeige mit modifiziertem Text ins Schaufenster: 'Lieber zu uns als zu Hugendubel'. Binnen weniger Stunden waren die 30 'Potter'-Exemplare der ersten Staffel zu 14 Euro (!) ausverkauft; so recht freuen konnten sich die Connewitzer darüber nicht."

Mit ihrem fünften "Harry Potter" habe Joanne K. Rowling es Zweiflern und Nörglern gezeigt, schreibt Nicola Bardola in einer Rezension. "Phantasie und Fabulierlust sind so ungezügelt und frisch wie ehedem. Trotzdem schießt Rowling nicht übers Ziel hinaus: Der bisher umfangreichste 'Potter' hat keine Längen, ist genau so sorgfältig strukturiert wie die Vorgänger und hält sich an den gewohnten Ablauf - von Ligusterweg-Qualen bis zum Showdown zwischen Lord Voldemort und Harry." Das Buch weise allerdings eine Eigentümlichkeit auf: "Harry ist nervöser, reizbarer, verzweifelter, ja jähzorniger" - eben in der Pubertät.

Russland schickt sich an, Rekorde zu brechen, meldet das Börsenblatt. "Rund 100 Autoren und 120 Verlage kommen (zur Buchmesse) nach Frankfurt. Die Russen präsentieren sich in verschiedenen Ausstellungen vom 8. bis 13. Oktober im Forum-Pavillon und haben zudem 2.500 Quadratmeter in Halle 5 gemietet. (...) Der Autor Viktor Jerofejew sprach von 'Landungstruppen', die zur Messe kommen. Jerofejew zufolge gibt es eine ganze Reihe 'russischer Literaturen'. Jede einzelne Richtung sei autonom, untereinander gebe es kaum Verbindungen."

Nach der Kooperation mit der Münchner Pinakothek nimmt DuMont nun auch die Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen zu Berlin (SMB). "Unter dem Namen SMB-DuMont werden die Partner künftig in geteilter Verantwortung sämtliche Publikationsobjekte gemeinsam erstellen und vertreiben. Die Bücher werden - wie auch beim Label Pinakothek-DuMont - in den Museen und im Buchhandel in gleicher Ausstattung und zum gleichen Preis angeboten."

Nach 14 Monaten Pause hat Oprah Winfrey ihren Bücherclub mit einem neuen Konzept wiederbelebt; sie empfiehlt nun keine Neuerscheinungen mehr, sondern Klassiker. In der Auftaktsendung ging es um "Jenseits von Eden" von John Steinbeck. "Nur wenige Stunden nach der Sendung war das Taschenbuch bei Amazon.com auf Verkaufsrang 10 geschnellt. Wie Publishers Weekly berichtet, hatte der Verlag Penguin vorab von der Empfehlung erfahren und 600.000 Exemplare nachdrucken lassen. Für gewöhnlich verkauft Penguin von dem Titel 40.000 bis 50.000 Exemplare pro Jahr."

Skonto bei preisgebundenen Schulbüchern ist unzulässig. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil zur Buchpreisbindung. "Die Richter haben damit der umstrittenen Praxis von Berliner Behörden, bei Aufträgen über preisgebundene Schulbücher Skonto zu beanspruchen, eine Absage erteilt". Geklagt hatten die Verlage Paetec und Cornelsen sowie die Bücherstube Marga Schoeller.

Weitere Meldungen: Elke Heidenreichs Büchersendung "Lesen!" beeinflusst auch die Bestsellerliste des Focus. Edith Karos verlässt den Börsenverein. Gemstar beendet nach dem Abzug aus Europa das Geschäft mit E-Book-Lesegeräten komplett; der Verkauf von Content läuft noch bis 16. Juli mit einem Rabatt von bis zu 40 Prozent. Die Bildungsmesse Didacta findet 2005 in Stuttgart statt. Klett entlässt die Geschäftsführer der ÖBV-Holding, Walter Amon und Robert Sedlaczek. Der Börsenverein weiß noch nicht, ob er umziehen will. Nach einer Untersuchung von Publishers Weekly kommen die fünf größten US-Verlagsgruppen auf einen Umsatz von 4,1 Mrd. Dollar - dies entspreche bei Kinderbüchern und allgemeiner Literatur für Erwachsene einem Marktanteil von 45 Prozent (die fünf Größten sind Random House, HarperCollins, Penguin Group, Simon & Schuster sowie AOL Time Warner). Und die französische Medienkette Fnac hat Umsatz und Verkaufsfläche gesteigert.

Außerdem liefert Christina Busse einen Lagebericht zum Lehrstellenmangel im Buchhandel: "An den Berufsschulen müssen bereits die ersten Fachklassen schließen. Dreht sich die Spirale weiter, fehlen der Branche bald gelernte Sortimenter." Stefan Brecht spricht mit Langenscheidt-Chef Rolf Müller über Wörterbücher für Schüler, E-Learning und die internationale Ausrichtung des Unternehmens. Sybille Fuhrmann berichtet von dem Plan, Ullstein Heyne List zu zerlegen und scheibchenweise der Verlagsgruppe Random House einzugliedern. Managementberater Klaus Doppler empfiehlt Unternehmen Anpassungsfähigkeit. Hardy Haimann beschäftigt sich mit Zwitter-Titeln - Bücher, die sich nicht eindeutig einer Warengruppe zuordnen lassen und daher in Buchhandlungen möglicherweise weniger erfolgreich sind; einfach, weil sie seltener entdeckt werden. Horst Cremer-Gast und Thomas Blume stellen vier Frankfurter Buchhandlungen vor, die gemeinsam 100 Jahre alt sind (Berger Bücherstube, Land in Sicht, Tatzelwurm, Ypsilon). Sybille Fuhrmann porträtiert den Zwischenbuchhändler Umbreit, der im Konzert der Großen hörbar mitspielen will. Uwe Ebbinghaus stellt Sachbücher aus den Herbst-Programmen vor (mal wieder ziemlich viel über die USA dabei). Nicola Bardola stellt Corinne Hofmann vor, "die weiße Massai", deren nächstes Buch am 17. August erscheint: "Zurück aus Afrika". Holger Heimann hat Lothar Wekel besucht, den Inhaber des MA-Verlags Fourier, Volkhard Bode schreibt über Elke Adam, Inhaberin der Berliner Buchhandlung Thaer, und Claudia Schülke über Karin Kintler, Chefin der Bad Nauheimer Antiquariatsbuchhandlung Deutsches Buch-Kontor. Ferner bringt das Börsenblatt einen Nachruf von Ex-Teubner-Verleger Heinrich Krämer auf den Hamburger Verleger Richard Meiner.

Und schließlich kündigt das Börsenblatt an, dass ab dem 3. Juli auf der Website der Zeitschrift die beste Anzeige aus dem jeweils aktuellen Heft gewählt werden kann.

In einem Extra-Teil geht es um Schaufenster-Dekoration.
Archiv: Börsenblatt

buchreport.express

Einen "doppelten Kulturschock" erlebten die Buchhändler am Erstverkaufstag des neuen "Harry Potter", so der buchreport auf seiner Titelseite. "Erstens entwickelte sich zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Buchhandels ein englischsprachiger Titel zum absoluten Verkaufsrenner. Zweitens war einen Tag lang die deutsche Buchpreisbindung praktisch ausgehebelt: Vor allem die großen Filialisten lieferten der kleinen und mittelständischen Konkurrenz mit 'Harry Potter and the Order of the Phoenix' einen heftigen Preiskampf." Gleich am ersten Tag seien schätzungsweise 450.000 Exemplare verkauft worden - der gesamte Bestand, der nach Deutschland exportiert worden waren. Damit "schießt der englische Schmöker aus dem Stand auf Platz 1" der Spiegel-Bestsellerliste Belletristik. Eigens für "Harry Potter" wurden die Kriterien für die Aufnahme in die Spiegel-Liste verändert: "Aufgenommen werden nun auch fremdsprachige Titel." Doch die Modifikation ist halbherzig: Gibt es von dem Titel eine deutsche Übersetzung, "so platziert sich die erfolgreichere der beiden Ausgaben".

Trotz des Erfolges habe Harry Potter den deutschen Buchhandel gespalten, heißt es weiter: "Denn das Rennen um die Kundengunst haben vor allem Amazon und die großen Filialisten, die das Publikum mit Kampfpreisen angelockt haben, gemacht. Nur ein Trost bleibt den kleinen Sortimentern, die im Preisrennen nicht mithalten konnten: Viel verdient haben die Großen an dem Ansturm nicht, denn der Preiskampf hat ihre Margen weitgehend aufgezehrt." Offenbar waren nur wenige Kleinsortimenter so pfiffig wie vier Offenbacher Buchhändler: Sie taten sich zu einer Einkaufsgemeinschaft zusammen, bestellten gemeinsam und boten "The Order of the Phoenix" für 15 Euro an. "Die örtlichen Filialisten Gondrom und Weltbild haben das Buch für 16,80 Euro verkauft."

Des weiteren befasst sich der buchreport mit den Potter-Lieferengpässen. Außerdem listet er die Rekordzahlen auf: In den ersten 24 Stunden nach Verkaufsstart wurde das Buch in den USA fünf Millionen Mal verkauft, in Großbritannien in den ersten 48 Stunden eine Million Mal. Amazon.com verkaufte innerhalb von 48 Stunden eine Million Exemplare. Die Aktie des britischen Potter-Verlags Bloomsbury "knackte im Juni mit 9,50 £ das 52-Wochen-Hoch".

Im Kommentar fragt sich David Wengenroth, ob die Filialisten mit "Harry Potter and the Order of the Phoenix" vielleicht auf den Geschmack gekommen sind. Künftig "könnten es die Bestseller von Donna Leon, Minette Walters, John Grisham oder Michael Moore sein, die in Deutschland als Original Furore machen". Auch an anderen Produkten könnten die Großbuchhändler "die Möglichkeiten des Preismarketings durchexerzieren. Zum Beispiel an Hörbüchern und Kalendern, die per se nicht preisgebunden sind". Die Beispiele von kleinen Buchhändlern, die etwa in Einkaufsgemeinschaften am Preiskampf teilnahmen, zeigten, dass auch der "preisbindungsfreie Konkurrenzkampf" nicht grundsätzlich ohne die Kleinsortimenter stattfinden müsse.

"Der Bertelsmann Club geht auf Konfrontation zu Börsenverein und Preisbindungstreuhänder Dieter Wallenfels", schreibt der buchreport. Bereits knappe zwei Wochen nach Erscheinen von Hillary Clintons Buch "Gelebte Geschichte" erscheint eine Club-Ausgabe. "Brisant daran: Die gebundene Clubversion mit Schutzumschlag ist deutlich billiger als die Buchhandelsausgabe des Verlages." Econ verlangt 24 Euro für die 600-Seiten-Selbstdarstellung, Clubmitglieder müssen nur 19,95 Euro hinblättern. "Noch eklatanter fällt die Differenz zum 'Gold-Preis' aus, den der Club besonders treuen Kunden offeriert: Sie zahlen für den Wälzer nur noch 15,96 Euro." Mit diesem Angebot setze sich der Club über die so genannten Potsdamer Kriterien hinweg, die nach Auffassung des Treuhänders Bestandteil des Buchpreisbindungsgesetzes sind. Wallenfels zufolge dürfen Buchgemeinschaftsausgaben normalerweise erst sechs Monate nach der deutschen Erstausgabe erscheinen. "Davon gibt es zwar eine Ausnahme für Titel mit erhöhter Aktualität. 'Wenn diese Clubausgaben aber im gleichen Monat erscheinen wie die Verlagsversion, dürfen sie höchstens 15 Prozent billiger sein', erklärt der Jurist."

Die Initiatoren der "Public Library of Science" (PloS) wollen "die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen", schreibt der buchreport. "Sie haben zwei eigene Zeitschriften gegründet ('PloS Biology' und 'PloS Medicine'), die ab Oktober online erscheinen und kostenfrei zugänglich sein werden." Nobelpreisträger Harold Varmus wolle damit beweisen, dass sich sein Modell des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Artikeln finanzieren lässt. Die Autoren zahlen 1.500 US-Dollar für eine Veröffentlichung, behalten aber ihre Urheberrechte.

Weitere Meldungen: Klett baut den ÖBV um und denkt darüber nach, Teile der Verlagsgruppe zu verkaufen. Der Niederländer Derk Haank, bislang Vorstandsvorsitzender des Wissenschaftsverlags Elsevier, wird Chef des neuen Fachverlagsriesen Springer. Bertelsmann macht Immobiliengewinne in New York. Thomas Middelhoff ist nicht mehr arbeitslos ("Jetzt investiert er wieder", titelt der buchreport). Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hat die von den Wissenschaftsverlagen bekämpften Paragrafen 52a und 53 des geplanten Urheberrechtsgesetzes übernommen. Und Oprah Winfrey hat ihren Buchclub wiederbelebt.

Hier der Link auf die Bestsellerlisten.