Boris Lurie

Haus von Anita

Roman
Cover: Haus von Anita
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
ISBN 9783835338876
Gebunden, 298 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort von Joachim Kalka. Zum ersten Mal auf Deutsch: Der Roman von Boris Lurie verbindet die Gewalt der KZs mit der zerstörerischen Energie der Kulturindustrie. Bobby ist in New York regelmäßig zu Gast - oder sollte man besser sagen: gefangen? - im "Haus von Anita" und lässt sich dort zusammen mit drei weiteren Männern von den Gebieterinnen des Hauses zur sexuellen Befriedigung quälen und misshandeln. Was auf der Oberfläche wie ein pornographischer S/M-Roman wirkt, ist auf einer anderen Ebene die provokante Darstellung der Nazigräuel. Ruth Klüger hat in der detailgenauen Darstellung der Lager die Gefahr einer "Pornographie des Todes" gesehen. Wie ein auf die Spitze getriebener Beweis ihrer provokanten These liest sich dieser Text, an dem Boris Lurie mehr als 40 Jahre arbeitete. Auch er war ein Überlebender der Shoah und er war Mitbegründer der NO!art-Bewegung, die sich vor allem gegen die Pop Art und eine selbstgefällige Konsumgesellschaft wendet. Die industrielle Zerstörung der Körper in den Lagern wird hier bis zur Unerträglichkeit mit ihrer kulturindustriellen Vernutzung durch Konsum, Kommerz und Pornographie verschränkt. Lurie verarbeitet in diesem Buch nicht nur seine Erfahrung der KZs, sondern fragt auch mit schockierender Eindringlichkeit nach der Bedeutung der Kunst nach der Shoah. Eine Lektüre, die erlitten und nicht genossen werden will.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.07.2021

Rezensent Reinhard J. Brembeck rät, sich einzulassen auf Boris Luries "sprachlich ungelenken", aber wie Schläge auf den Kopf wirkenden Text, diese "jüdische Selbstfindungsgeschichte" mit der Wucht eines Dampfhammers. Wie der Autor ohne Pathos, ohne Beschönigung einführt in ein Sadomaso-Underground-Manhattan, nach dem de Sade sich die Finger lecken würde, das trägt laut Brembeck alle Insignien der No!Art. Das Buch liest er als Autobiografie des Autors, als Auseinandersetzung mit den Schuldgefühlen eines Holocaustüberlebenden. Dass Lurie einen Ausweg aus der Schuld findet, indem er Gewalt, Kunst, Sex und Kapitalismus mischt und seinen Helden auf eine "imaginäre Reise" schickt, findet der Rezensent bemerkenswert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.07.2021

Rezensent Kevin Hanschke warnt vor dem Roman des Neodadaisten Boris Lurie. Keine leichte Kost ist für ihn Luries über 40 Jahre entstandenes Prosawerk mit seinem sadomasochistischen, von Fäkalsprache geprägtem Auftakt, seinem dystopischen Ende und seiner Collage aus Holocausterfahrungen, Pornografie und Eindrücken aus der Massenkultur der 1960er. Die im Text steckende Gesellschafts- und Kunstbetriebskritik muss sich der Leser hart erarbeiten, meint Hanschke.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.05.2021

Rezensent Jens Uthoff ist erst einmal verstört von Boris Luries fragmentarisch nachgelassenem, nun auf Deutsch erschienenem Roman. Anschließend an seine Collagen-Werke, in denen der NO!-Art-Künstler und KZ-Überlebende Fotos der Massenvernichtung mit pornografischem Bildmaterial kombinierte, erzählt auch der Roman von einem New Yorker Etablissement, in dem sich drei Dominas Lustsklaven, darunter auch ein Kapo, halten und sie erniedrigen. Von Fetisch-Boxen mit Haarbüscheln vernichteter Juden und Sätzen wie "Schwanz-Jude-friß-friß-friß" rettet sich der Rezensent zu vereinzelten liebevollen Passagen, in denen sich der Erzähler (nach dem Tod der Domina, in der nachfolgenden Traumhandlung) an seine Jugendliebe erinnert. Aber Uthoff weiß und betont, dass Luries Kunst eben weit über bloße Schockeffekte hinausgehe und im Kontext von Primo Levis Ästhetik zu verstehen sei: Dass für die Gräuel der Judenvernichtung letztlich keine Sprache gefunden werden könne, dass nicht die Kunst, sondern die Gesellschaft pervers sei, zeigen Luries Werke, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.03.2021

Boris Lurie überlebte als Jugendlicher vier Konzentrationslager. Nach seiner Emigration in die USA 1945 wurde er Künstler und begründete 1959 die "No!Art"-Bewegung mit, die sich gegen die Kulturindustrie auflehnte, erzählt Rezensent Ingo Arend. In seiner Kunst verband Lurie immer wieder Pinups mit Bildern aus Konzentrationslagern. Auch "Haus von Anita" macht da keine Ausnahme, erfahren wir: Sex, Gewalt und Sperma in einem Apartment, in dem drei Dominas ihre Sklaven zurichten - davon erzählt der Roman, der zugleich ein vehementer Protest ist gegen die "andauernde Obszönität aus Kapitalismus, Gewalt und Sexismus", die auch das 21 Jahrhundert noch prägen, meint der Rezensent.