Margarete Holzman (Hg.), Reinhard Kaiser

Dies Kind soll leben

Die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941-1944
Cover: Dies Kind soll leben
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783895610622
Gebunden, 384 Seiten, 22,50 EUR

Klappentext

Mit 60 Abbildungen und Karten. In drei Kladden, auf mehr als 700 Seiten hat Helene Holzman (1891-1968), Malerin, Buchhändlerin, Kunst- und Deutschlehrerin, gleich nach dem Ende des Krieges aufgeschrieben, was sie an einem der finstersten Orte des Holocaust, im litauischen Kaunas, erlebt und erlitten hat. Im Juni 1941, bei den Pogromen unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht verschwindet ihr jüdischer Mann, der Buchhändler Max Holzman, für immer. Wenig später wird ihre ältere Tochter, die neunzehnjährige Marie, verhaftet und später erschossen. Helene Holzman überwindet ihre Verzweiflung und beschließt, nicht nur die eigene jüngere Tochter Margarete zu retten, sondern mit ihr so viele andere Gefährdete und Bedrohte wie nur eben möglich - vor allem Kinder aus dem Ghetto von Kaunas. Als hellwache Chronistin berichtet sie aus einer Stadt, in der das Menschenmorden und Menschenschinden während drei Jahren zum unübersehbaren Alltag wurde. Helene Holzman selbst und später ihre Tochter haben diese Aufzeichnungen 55 Jahre lang im Stillen aufbewahrt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.02.2001

Die drei Kladden, in denen die Malerin und Lehrerin Helene Holzman kurz nach der Befreiung von den Nationalsozialisten Verbrechen, Unterdrückung und Widerstand in der litauischen Stadt Kauna (heute Kowno) festgehalten halt, sind ein Dokument der Tapferkeit und des Überlebenswillens, findet Elke Schubert. Glücklicherweise habe sich ihre Tochter Margarete Holzman Jahrzehnte später dafür entschieden, die Aufzeichnungen ihrer 1968 bei einem Autounfall verunglückten Mutter zu veröffentlichen. Und zu Recht habe das Buch den Geschwister-Scholl-Preis erhalten, meint Schubert. Denn die klugen Aufzeichnungen der "wachen Chronistin" Holzman zeigten einerseits die Gebrochenheit menschlichen Verhaltens in einem Terrorregime, andererseits aber auch die Möglichkeiten und Chancen, eben dieses Regime zu unterlaufen, resümiert die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.02.2001

Spürbar beeindruckt zeigt sich Sabine Fröhlich von diesem Band, der ihrer Ansicht nach nicht nur detailliert über das Leben in der stetigen Gefahr, entdeckt und ermordet zu werden, berichtet sondern auch von den Versuchen, sich trotz der widrigen Umstände einer "trostlosen Erstarrung" zu widersetzen und auch anderen Menschen bei ihrem Überlebenskampf zu helfen. Großes Lob sendet die Rezensentin auch an den Herausgeber Reinhard Kaiser, der die Aufzeichnungen Holzmans durch "Zeitangaben, Bilder und Dokumente ergänzt" hat, wodurch der Band nach Fröhlichs Ansicht in seiner eindrücklichen Wirkung noch verstärkt würde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.2000

Sonja Zekri zeigt sich gleichermaßen erstaunt wie anerkennend darüber, wie distanziert Helene Holzmann über die Ereignisse während des Krieges in Litauen zu schreiben imstande ist. Emotionen zeige die Autorin nur "in höchster Not". Und trotz der schrecklichen Erlebnisse, der Denunziationen und der Ignoranz gegenüber den Gräueltaten bei der litauischen Bevölkerung vermeidet Holzmann, so Zekri, verallgemeinernde Klischees, sondern betrachte immer die "persönliche Schuld". Besonders beeindruckt zeigt sich die Rezensentin von Holzmanns Schilderung besonders grotesker Szenen, etwa dort, wo sie beschreibt, dass sich deutsche Frauen jüdische Friseurinnen aus dem Getto bestellten oder jüdische Chirurgen "mit dem Gewehr aus dem Getto zur Operation" herangezogen wurden. Großes Lob sendet Zekri auch an den Herausgeber Reinhard Kaiser für seine Recherche, die "Sorgfalt" bei dieser Edition, seine Anmerkungen und gelegentlichen Korrekturen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.11.2000

Elisabeth Bauschmid hält dieses Buch für ein "notwendiges Korrektiv zur (...) offiziellen Geschichtsschreibung", auch wenn sie betont, dass Holzmann ihre Erlebnisse erst im Nachhinein festgehalten hat, anders also als Anne Frank oder Victor Klemperer. Im Mittelpunkt steht für die Rezensentin die Erkenntnis, dass es trotz der außerordentlichen Gefahr doch sehr, sehr viele Menschen gegeben hat, die sich unerschrocken für das Überleben von Juden eingesetzt haben. Da ist von einem Musiker die Rede, der Pässe gefälscht hat, von einer Gutsbesitzerin, die acht Kindern das Leben gerettet hat und vielen andern Menschen, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Mut und Unbestechlichkeit bewiesen haben. Auffallend findet Bauschmid die Sichtweise der Autorin, die - als selbst Betroffene - "kein Selbstgespräch" führt, sondern die Position einer distanzierten Beobachterin einnimmt. Auch könne der Leser (selbst ein an "Zeitgeschichte Interessierter") hier viel Interessantes über das Leben in Litauen zu dieser Zeit erfahren, wie die Rezensentin anerkennend feststellt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2000

Helene Holzman, litauische Malerin deutsch-jüdischer Herkunft schrieb 1941 bis 1944 alles auf, was sie von der Vernichtung der Juden in Litauen mitbekam, und sie bekam viel mit: Ihre ältere Tochter und ihr Mann wurden umgebracht; und sie half Juden, wo sie konnte. Über die jetzt von ihrer jüngeren Tochter und dem Schrifsteller Reinhard Kaiser herausgegebenen Aufzeichnung schreibt Volker Ullrich keine Kritik, sondern breitet das von Holzman ohne Selbstmitleid Beobachtete aus: Von den ersten Schikanen, über die Kollaboration von Litauern und Ukrainern, bis zu den heimlichen Tunnels im Ghetto von Kaunas, in denen fast alle noch Lebenden umkamen, als die SS das Ghetto auf dem Rückzug niederbrannte. Ullrich schließt mit einer undifferenzierten Schmähung Martin Walsers, dem er Holzmans Appell entgegenhält, es sei "jedes Deutschen Pflicht, ... die Schuld auf sich zu nehmen". Die Autorin erhält am 27.11.2000 posthum den Geschwister-Scholl-Preis.