Bücherbrief

Kosmopolitische Kompetenz

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
31.10.2007. Lange dauert es nicht mehr, dann haben wir unsere Bücher der Saison bestimmt. Bis dahin wird gemobbt, begradigt, von Verrat gezwitschert und die Hässlichkeit besungen. Einen beschaulichen November mit den besten Büchern des Monats!
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"

Übrigens: Die Literaturbeilagen zur Frankfurter Buchmesse sind komplett ausgewertet!


Buch des Monats

Annette Pehnt
Mobbing
Roman



Annette Pehnt ist eine der besten deutschen Gegenwartsautorinnen, wenn man den Lobeshymnen auf ihr neues Buch Glauben schenken darf. Nach ihrem Altenheim-Roman "Haus der Schildkröten" nimmt Pehnt sich nun in "Mobbing" die Arbeitswelt vor. Ein Mann wird gemobbt, die Krise schlägt auf die Ehe durch, die Ehefrau erzählt die Angelegenheit aus ihrer Sicht - und zwar an einem einzigen Valentinstag. Subtile Rafinesse, Einfühlungsvermögen, perfekte Wahl des Ausschnitts, dialogische Genauigkeit, bissiger Witz, Lakonie und Sprengkraft: FAZ, FR, NZZ und Zeit loben Unterschiedliches, meinen aber dasselbe - Annette Pehnt ist so gut wie nie und besser als die meisten anderen.


Literatur


Eugeni Xammar
Das Schlangenei
Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922-1924



Als Nachlese zum diesjährigen Katalonien-Trubel empfehlen die Kritiker ein achtzig Jahre altes Juwel eines beinahe vergessenen Kollegen. Eugeni Xammar war von 1922 bis 1924 Deutschland-Korrespondent einer katalanische Tageszeitung. Er war dabei, als der putschende Hitler im Münchner Bürgerbräu-Keller hollywoodreif in die Decke schoss, er schildert mit Nonchalance und gelassener Distanz Inflation, Militärtribunale und Besetzungen. Das liest sich heute noch so frisch wie damals, staunt die NZZ, und die Zeit verwendet Xammars Reportagen als aufschlussreiches Gegenstück zu Sebastian Haffners Erinnerungen.

Gerhard Roth
Das Alphabet der Zeit



Eine beispiellose Verzahnung von Leben und Werk ist hier zu betrachten, ein Vaterroman zu lesen, ein Generationen-Buch zu bestaunen. In diesen 860 Seiten aus Erinnerung und Fiktion steckt viel mehr als man denkt, stellt die FAZ fest. Die SZ versinkt freudig in der überwältigenden Menge an Details aus den 50er, 60er und 70er Jahren, die der obsessive Sammler Roth hier versammelt. Nur die NZZ hätte den mäandernden Erzählfluss gerne begradigt und beschleunigt. Zur Ergänzung empfiehlt sich Roths "Atlas der Stille", fast ethnografische Aufnahmen aus der Südsteiermark, die dem Autor einen Platz in der österreichischen Fotografie sichern werden, wie die SZ versichert.

Michael Krüger
Unter freiem Himmel
Gedichte



Michael Krüger hat ein Händchen für die Natur. Hier zwitschern selbst die Vögel noch so dramatisch von Selbstverteidigung, Verrat und Krieg, dass die entflammte NZZ gleich an Homer denken muss. Ebenso preist sie Krügers Talent, sich in den Rhythmus seiner Umwelt hineinzuversetzen und so begnadete Momente der Reflektion zu schaffen. Nicht besonders erwähnt werden muss, dass Krüger auch Historisches nahtlos in seine Naturbetrachtungen einzuflechten versteht.


Sachbuch

Kwame Anthony Appiah
Der Kosmopolit
Philosophie des Weltbürgertums



Eine gewisse Kompetenz, was Kosmopoliten betrifft, traut man dem in den USA lehrenden Philosophen Kwame Anthony Appiah mit englisch-ghanaischer Abstammung sofort zu. Diese Erwartungen werden laut SZ in diesem scharfsinnigen und gut geschriebenen Essay nicht enttäuscht. Besonders Appiahs Vorstellung einer universellen moralischen Sprache, die Verständigung über alle Unterschiede hinweg möglich macht, gefällt ihr. Die FR versteht das Buch als Lob der Peripherie, die NZZ lobt die deutliche Absage an einen gleichgültigen Multikulturalismus. FAZ und taz dagegen halten Appiahs Schlussfolgerungen in seltener Eintracht für unzureichend. Eine Leseprobe finden Sie hier in "Vorgeblättert".

David Blackbourn
Die Eroberung der Natur
Eine Geschichte der deutschen Landschaft



Auf so ein Buch trifft man nicht alle Tage, staunt die FAZ. Und um die Landschaft gehe es nur vordergründig. Vielmehr behandelt der Harvard-Historiker David Blackbourn anhand von literarischen, amtlichen und statistischen Quellen unser eigentümlich deutsches Verhältnis zur Natur. In glänzender Prosa erfährt die NZZ, wie die Deutschen einerseits Moore trockenlegen, Flüsse begradigen und Wälder stutzen, sich andererseits aber in romantischer Naturverbundenheit verzehren. Sind die Deutschen damit ein Sonderfall? In der nächsten Runde wünscht sie sich das Ganze nun auf europäischer Ebene.

Ralph Dutli
Nichts als Wunder

Essays über Poesie



Eine Hohelied auf die Poesie vernimmt die FAZ aus den Essays des Schweizer Lyrikers und Lyrikübersetzers Ralph Dutli. Die Texte über Brodsky, Mandelstam oder Jessenin kann sie besonders empfehlen. Und auch Dutlis Eintreten für Grenzüberschreitung und Sinnlichkeit stößt bei ihr auf offene Ohren. Die NZZ preist die Überlegungen des Landsmanns schlicht als mit das Beste, das in den vergangenen Jahren über Lyrik geschrieben wurde.

Umberto Eco
Die Geschichte der Hässlichkeit



Ein bisschen Entdeckermut muss man schon mitbringen, um in diese prunkvolle Geschichte des Hässlichen einzutauchen, rät die SZ. Das überbordende Kompendium sei zudem eher was für intensive Kurz-Expeditionen und weniger geeignet fürs Durchlesen. Die reiche Auswahl an Texten und Bildern will maßvoll genossen werden. Dann aber mausert sich die Hässlichkeit unter Leitung des taktvollen Umberto Eco peu a peu von der bloßen Abwesenheit des Schönen zu einem ganz eigenständigen Phänomen. Eine "Geschichte der Schönheit" gibt es von Eco ja schon.


Hörbuch


Jurek Becker
Jakob der Lügner
1 CD



Näher als in dieser kostbaren, wundersam schlüssig gekürzten einstündigen Variante von "Jakob der Lügner" wird man Jurek Becker nicht kommen, beteuert die Zeit. Melancholisch und unaufgeregt, nie trostlos und doch nicht beschönigt, erzählt Becker hier von einem Juden im Warschauer Ghetto, der sich Geschichten über seine Rettung ausdenkt. Eigentlich könne man das nur so wie Becker im Jahr 1976 vorlesen, weiß die Zeit jetzt. Die SZ ist von dieser Wiederveröffentlichung ähnlich beeindruckt, sofort verfällt sie Beckers Vokal-Singsang und seinem Hochdeutsch mit Berliner Pastellfärbung.


Bildband


Andrew Zuckerman
Wild Animals



Materialität, Essenz, Wesensart. Die Seele. Um all das geht es dem amerikanischen Fotografen Andrew Zuckerman in seinen Tierbildern, und all das kann man in den hyperdetaillierten Totalen und Detailansichten erkennen, wie die hingerissene SZ zu Protokoll gibt. Zuckerman hat Leoparden, Elefanten oder Tausendfüßler in sein Studio gebeten und sie allesamt vor dem gleichen reinen Weiß abgelichtet, ohne Landschaft, ohne Artgenossen. Aber eben mit Seele.