Post aus Kopenhagen

Säkulare Heiligkeit?

Die Dänen und ihr Verhältnis zur Monarchie. Von Marc-Christoph Wagner
17.01.2002. Bloße Dekoration oder säkulare Heiligkeit? Die Dänen lieben ihr Königshaus. Aber warum? Ein paar Überlegungen anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Regentschaft Margarethe II..
Ein Jubiläum. Ein royalistisches zumal. Welch' Auftakt für eine Kolumne. Es zu ignorieren aber hieße, sich einen Zugang zur Seele des modernen Dänen zu verstellen. Im Sinne Siegfried Kracauers: "Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozess einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst. Diese sind als Ausdruck der Zeittendenzen kein bündiges Zeugnis für die Gesamtverfassung der Zeit. Jene gewähren ihrer Unbewusstheit wegen einen unmittelbaren Zugang zu dem Grundgehalt des Bestehenden." So gesehen haben auch kleinstaatliche Kuriositäten einen ernsten Kern.

Dreißig Jahre war es zu Beginn dieser Woche her, dass Margrethe II. den dänischen Thron bestieg - als erste Frau seit Margrethe I., deren Name mit der Kalmarer Union, der Einung des europäischen Nordens im Jahr 1397, verbunden bleibt. Er schien unter keinem guten Stern zu stehen - dieser 14. Januar 1972. Ein bitter kalter Wintertag; das Land, vor allem Margrethe selbst, gezeichnet vom Tod König Frederik IX, ihres Vaters. Als die erst 31 Jahre alte Regentin - unsicher und nervös - zusammen mit Ministerpräsident Jens Otto Krag - ein Mann, über den im Laufe des Frühjahrs noch zu sprechen sein wird - auf den Balkon vom Schloss Christiansborg, dem Sitz des dänischen Parlaments, trat, um ihre auf dem Vorplatz wartenden Landsleute zu grüßen, ließ sich die eine der beiden Flügeltüren nicht öffnen. Ein Missgeschick, sicher. Eines jedoch, das irgendwie symbolisch schien. Allgemein nämlich gab man der neuen Königin keine langen Aussichten. In studentenrevolutionären Zeiten standen die Zeichen auch in Dänemark mehr auf Marx als auf Monarchie. Die Sozialdemokratie, in diesem Teil Europas - damals zumindest - eine Art Staat im Staate, bekannte sich in ihrem Programm zur Republik. Es schien allein eine Frage der Zeit, bis man der Institution noch aus vor-bürgerlicher Zeit ein Ende bereiten würde.

Wie sich die Zeiten doch ändern. Während der Sozialismus zu Grabe getragen scheint, erfreut sich das dänische Königshaus einzigartiger Popularität. Neun von zehn Dänen bekennen sich zur Monarchie. Und das, obwohl das dänische Königshaus weder über politische Macht, noch - anders als zum Beispiel in Spanien oder Belgien - über eine eigentliche Aufgabe verfügt. Weder ist die Demokratie des Landes durch spät-faschistische Militärs gefährdet, noch die Gesellschaft sprachlich, konfessionell oder sonstwie gespalten. Woher also kommt dieser einmütige Monarchismus? Just im ansonsten jedweder Autorität skeptisch gegenüberstehenden Dänemark drängt sich diese Frage geradezu auf.

Ein Teil der Erklärung mag gewiss mit der Jubilarin selbst zusammenhängen. Aus dem unsicheren, mitunter belächelten Mädchen ist ein souveränes Staatsoberhaupt geworden. Eine geradezu ideale Regentin, wie es immer wieder heißt - volksnah und bescheiden, intelligent und künstlerisch begabt, streng und mit dem nötigen Ernst, wenn es darauf ankommt. Tatsächlich scheint es bemerkenswert, dass das Haupt eines Königshauses weniger durch Arroganz und Skandale, denn durch künstlerisches Wirken auf sich aufmerksam macht. Ob Malerei, Buch-Illustrationen oder Kostümbilder für Theater, Oper und Ballet - mit ihrem Engagement für die Kunst hat sich die dänische Monarchin über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Auch beherrscht sie die Macht der Rede wie kaum einer ihrer Glücksburger-Vorfahren. Bereits heute legendär sind ihre Neujahrsansprachen. Kaum ein Däne, der am Silvesterabend nicht pünktlich um 18:00 Uhr mit einem Glas Champagner in der Hand vor dem Fernseher oder dem Radio sitzt, um Ihrer Majestät zu lauschen.

Immer wieder hat Margrethe II. dieses Forum genutzt, um ihren Landsleuten auch unbequeme Wahrheiten ins Stammbuch zu schreiben - wider Nationalismus, wider Intoleranz, wider - man höre - eine übertriebene Skepsis vor dem Prozess der europäischen Integration zu mahnen. Und auch dieses Mal, wenige Wochen nach einem an Fremdenfeindlichkeit und Populismus kaum zu überbietenden Wahlkampf, sprach die Monarchin ernste Worte: "Die offene Gesellschaft ist unser Stolz. Doch gerade aufgrund ihrer Offenheit ist sie verletztlich. Genauso, wie wir uns von extremen Standpunkten in aller Deutlichkeit distanzieren, dürfen wir nicht die Augen verschließen vor den Umständen, die solchen Ansichten ursächlich zugrunde liegen. Wir müssen zuhören, auch wenn wir die Meinungen, die artikuliert werden, ganz und gar nicht teilen. Zu den Werten, auf die unsere Gesellschaft sich seit Generationen stützt, müssen wir uns mit allem Nachdruck bekennnen; Auffassungen, die wir nicht teilen können, müssen wir entgegentreten."

Doch reicht die Persönlichkeit Margrethes für sich genommen aus, um die allgemeine Verbundenheit der Dänen mit ihrem Königshaus zu erklären? Ja und nein, klärt uns der dänische Historiker Claus Björn nun auf. Natürlich, schreibt er in seinem jüngst im Fremad-Verlag erschienenen Buch "Blot til pynt? Monarkiet i Danmark" (dt. "Bloße Dekoration? Die Monarchie in Dänemark"), könne man von den Personen der Königsfamilie nicht ganz und gar abstrahieren. Doch habe die royale Verbundenheit der Dänen eben so viel mit ihnen selbst zu tun. Sie sei Ausdruck "ziviler Religiösität", will heißen: In der globalisierten und medialisierten Welt mit ihren sich zunehmend verflüssigenden Werten biete das traditionsreiche Königshaus eine Art Halt und Orientierung und decke somit ein religiöses Bedürfnis der säkularisierten Gesellschaft. Ähnlich dem christlichen Gottesdienst beschreibe beispielsweise die Neujahrsansprache der Königin, wie sich die Gemeinde "Dänemark" in ideeller Weise zu verhalten habe.

Gott ist tot, es lebe die Königin? So jedenfalls ließe sich, folgt man der Argumentation Björns, die Einstellung vieler Dänen mit Blick auf ihr Königshaus zusammenfassen. Was wiederum den bereits erwähnten Siegfried Kracauer wohl dazu veranlaßt hätte, die Dänen als ein Volk von "Kurzschluss-Menschen" zu bezeichnen. Denn: Charakteristisch für den modernen Menschen, schrieb er in dem 1922 erschienenen Aufsatz "Die Wartenden", sei der "horror vacui", die Angst vor dem Schrecken der Leere, das metaphysische Leiden an dem Mangel eines hohen Sinnes in der Welt. "Bewusst oder unbewusst erstreben sie (die Menschen) die Rekonstruktion der zertrümmerten Welt von einem geglaubten hohen Sinn aus, die Aufhebung ihrer schlechten Individualität und die Erweckung einer Ordnung, die ihnen übergeordnet ist und der sie sich einfügen können." Der Kurzschluss-Mensch aber mache - im Unterschied zur Person des Wartenden - in seinem Verlangen, der Öde des Daseins zu entfliehen, einen fundamentalen Fehler: Er verwechsle das Weilen im Glauben mit dem Willen zum Glauben - und betrüge sich dadurch selbst. Gewiss, im Königreich dürfte man solcherlei nicht gerne hören. Andererseits braucht man sich um die Zukunft der Monarchie wohl vorerst nicht mehr sorgen.