Vorgeblättert

Leseprobe zu Ben Hecht: Von Chicago nach Hollywood. Teil 3

17.08.2009.
Einige Zehnprozenter

Bei meiner Arbeit in Hollywood leistete mir noch eine andere Sorte von 'Kollegen' Gesellschaft. Das waren die unerfreulichen Burschen mit zu viel Energie, die als meine Agenten auftraten. Ich beschäftigte Dutzende von ihnen, und sie waren sich alle gleich. Wenn mein Stern gut stand, umschwärmten sie mich wie orientalische Höflinge, stand er schlecht, tippten sie an ihren Hut und eilten davon. Aber in guten wie in schlechten Zeiten waren sie überzeugt, ich hintergehe sie, und schikanierten mich mit ihren Vorwürfen. Denn jeder meiner Agenten vertrat die Theorie, er allein habe das Recht, mir zehn Prozent von meinen Studioschecks wegzuschnappen. Ich sah keinen Sinn in dem ganzen Agentenwesen. Aber ich unternahm auch nichts dagegen. Die meisten waren gute Kumpel, und ihre widersinnige Existenz schien in der Filmwelt irgendwie ganz natürlich.
     Der erste und wichtigste meiner Agenten war Leland Hayward. Leland hatte von meinem Schreibtisch am Beekman Place ein Manuskript stibitzt, es hinter meinem Rücken an Metro verkauft und sich auf diese Weise als Zehnprozenter bei mir eingeführt. Es handelte sich um eine Kurzgeschichte, die ich als zur Publikation ungeeignet verworfen hatte. (Später wurde sie als The Green Ghost unter der Regie von Lionel Barrymore verfilmt.)
     Lelands sofortige Forderung nach einem Anteil von fünfzehnhundert Dollar empörte mich. Es war das erste Mal, dass jemand einen solchen Raubzug in meinen Einnahmen versuchte. Verärgert eilte ich zum Metro-Büro in New York und bestand auf zusätzlichen fünfzehnhundert Dollar für meine Geschichte und schickte diesen Honoraraufschlag an Leland. Danach versöhnte ich mich damit, große Summen an Männer abzutreten, die für meine Begriffe nichts weiter taten, als Aufträge für mich an Land zu ziehen, die ich entweder nicht annehmen wollte oder bereits erledigt hatte.
     Aus einer jugendlichen Schwärmerei für Schriftsteller war Leland Agent geworden. Diese Hochachtung verging ihm schon früh in seiner Agentenkarriere. Er begann die Autoren zu verachten und wurde schnell gereizt im Umgang mit ihnen. Sie hätten ihn desillusioniert, sagte er: "Bei Gott, sie sind noch hohlköpfiger, launischer und hysterischer als Schauspieler - und undankbarer." In Wahrheit war Leland von ihnen enttäuscht, weil sie so begierig waren, ihre hohen Begabungen fortzuwerfen und sich in Filmschreiberlinge zu verwandeln. Obwohl er mit dieser Schwäche der literarischen Seelen ein Vermögen verdiente, war Lelands Charakter komplex genug, die Nase über sein Geschäft zu rümpfen. So versetzte es ihn stets in bessere Laune, wenn ich einen Auftrag ablehnte, als wenn ich ihn annahm. Und mein Ruf in Hollywood, ein schwieriger Kunde zu sein, ging zum größten Teil darauf zurück, dass es sich Leland bei kaum einer Gelegenheit entgehen ließ, den Studiobonzen fröhlich zu verkünden: "Hecht können Sie nicht kriegen. Er hat die Story gelesen und findet, sie stinkt zum Himmel. Ich habe versucht, ihn zu überreden. Aber er bleibt stur. Ich soll Ihnen bloß ausrichten, dass all Ihr Geld nicht reicht, ihn dazu zu bewegen, einen solchen Mist zu schreiben."
     Wie ein Mann im Fieber hetzte Leland zwischen New York und Hollywood hin und her, manchmal setzte er sich in sein Privatflugzeug, steuerte es selbst und blieb tagelang verschollen. Unauffindbar zu sein gehörte zu seinen Spezialitäten. Ständig war er in irgendwelche mysteriösen Unternehmen verwickelt, die ihn von seinem Büro fernhielten, und wenn er nach seinen Ausflügen zurückkehrte, bekam er hysterische Anfälle, denn er hatte völlig die Übersicht verloren, wer seine Klienten waren und was sie gerade taten. Aber inmitten all dieses Chaos, das auch seine vielen Sekretärinnen nicht entwirren konnten, gelang es Leland, jedes Jahr eine millionenschwere Ladung neuer Talente in den Studios abzusetzen. Und wenn er dann aus einem Studio kam, wo er gerade einen Deal abgeschlossen hatte, grinste er wie ein Gangster, der seine Beute im See versenkt hat.
     Eine Weile hatte Leland einen Partner, der ein noch gespenstischerer Geschäftsmann war als er selbst. Das war Myron Selznick. Ihre Partnerschaft währte jedoch nur kurz, denn nicht einmal eine Filmagentur kann zwei solche Exoten lange unter einem Dach beherbergen. Myron hatte eine andere Einstellung zu den Autoren als Leland, was aber nicht hieß, dass er sie liebte. Für Myron war der Autor eine wichtige Waffe in seinem Krieg gegen den Film.
     Myron betrachtete die Studiobesitzer als seine Feinde. Sie hatten seinen Vater, Lewis Selznick, einen der ersten großen Filmdarsteller, zu Fall gebracht, und Myron hatte bei seiner Seele geschworen, ihn zu rächen.
     Sein Rachefeldzug veränderte das Klima in Hollywood. Er verdoppelte und vervierfachte die Gehälter von Autoren, Schauspielern und Regisseuren - meine eigenen eingeschlossen. Wenn Myron einen Deal mit einem Studio abschloss, war das immer eine Szene aus Robin Hood. Er hatte sich nicht nur der Aufgabe verschrieben, die Studios in den Bankrott zu stürzen, sondern zögerte auch nicht, seine Argumente mit Fausthieben zu verstärken, wenn eine Verhandlung nicht die gewünschte Richtung nahm. Wenn Myron nach einem solchen Kampfeinsatz in einem Studio wieder in sein Zelt zurückkehrte, frohlockte er brütend: "Ich werde sie alle zugrunde richten. Ich werde dafür sorgen, dass diese Diebe und Aufschneider ins Armenhaus kriechen. Und ehe es soweit ist, werden die Künstler in dieser Stadt das ganze Geld haben. " Vor seinem frühen Tod kam Myron zu großen Reichtümern in Hollywood. Aber den Studiobossen gelang es nie, ihn auf ihre Seite zu ziehen und seinen mutigen Einsatz für die Künstler zu dämpfen.


Mit freundlicher Genehmigung des Berenberg Verlages

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