Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
15.03.2005. Im Guardian beschreibt der Dichter Henry Schukman äußerst anschaulich, welche Folgen das Verspeisen einer kräftigen Portion Ayahuasca für den Verstand hat. Al Ahram porträtiert den ägyptischen Schriftsteller Gamal al-Ghitani. Die Gazeta Wyborcza beschreibt, wie der Geheimdienst in Polen Schriftsteller bespitzeln ließ. Das TLS lobt eine Studie, die den spanischen Bürgerkrieg neu bewertet. In Le Monde diplomatique beschreibt der Reporter Stephen Grey, wie der CIA ausländische Staatsbürger entführt und in Folterstaaten bringen lässt. Im Nouvel Obs fordert der Dichter Adonis den sofortigen Abzug der Syrer aus dem Libanon. Nepszabadsag erinnert daran, dass der Schlacht um Budapest vor 60 Jahren keine Befreiung folgte. In der New York Times überprüft Francis Fukuyama die "Protestantische Ethik" von Max Weber.

Guardian (UK), 12.03.2005

Natürlich nicht aus schnöder Neugier, sondern aus Verpflichtung gegenüber schriftstellerischer Tradition hat der Dichter Henry Shukman unter Anleitung kundiger Amazonas-Schamanen Ayahuasca ausprobiert, eine noch der Erforschung harrende halluzinogene Pflanze: "Zuerst erschienen aus dem Nichts geometrische, vielfarbige Muster, die sich zur Musik formten. Ich konnte sie sehen, egal ob meine Augen geöffnet oder geschlossen waren. Sie waren peinlicherweise richtig hippie-mäßig kaleidoskopartig, aber so waren sie. Das Auge der Seele öffnete sich und sah im Dunkel. Plötzlich verschwand alles. Keine Gesang mehr, kein Kaleidoskop, kein Nichts. Ich fühlte, wie ich aus meinem Körper herausschoss und durch einen schwarzen, silbernen Raum schwebte. Es war lautlos und still, und ich war völlig ruhig. Ich brauchte nichts, hatte nie etwas gebraucht und würde nie wieder etwas brauchen."

In einem sehr schönen Text erklärt der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk seiner Heimatstadt Istanbul seine Liebe und beschreibt, warum er die Stadt nie verlassen hat: "Conrad, Nabokov Naipaul - das sind Schriftsteller, die es geschafft haben, zwischen Sprachen, Kulturen, Ländern, Kontinenten, sogar Zivilisationen zu wandern. Ihre Fantasie wurde durch das Exil genährt, eine Nahrung, die sie nicht durch Wurzeln, sondern durch Wurzellosigkeit zu sich genommen haben. Meine Fantasie erfordert einfach, dass ich in der gleichen Stadt, in der gleichen Straße, im gleichen Haus bleibe, mit immer dem gleichen Blick. Istanbuls Schicksal ist mein Schicksal. Ich bin an diese Stadt gefesselt, denn sie hat mich zu dem gemacht, was ich bin."

Außerdem singt Iain Sinclair eine Hymne auf Patrick Hamilton und sein jahrzehntelang völlig verkanntes Meisterwerk "Hangover Square" (hier ein Auszug aus der deutschen Übersetzung).
Archiv: Guardian

Nouvel Observateur (Frankreich), 10.03.2005

Im Debattenteil fordert der libanesische Lyriker syrischer Herkunft Adonis (mehr) den sofortigen Abzug Syriens aus dem Libanon. "Die gegenwärtige Situation im Libanon beweist, dass sich seine Einzigartigkeit innerhalb der arabischen Länder als Gefahrenquelle erweist. Denn die Vielschichtigkeit des Libanon, die Grundlage seiner Dynamik und seines Reichtums, könnten zur Ursache einer fatalen Spaltung und Beschädigung werden. Jede Einmischung von außen, ob arabischer oder anderer Natur, sowie jede Störung des inneren demokratischen Gleichgewichts - gleich, ob auf einer symbolischen oder der Wirklichkeitsebene - nähren diese fatale Spaltung und Beschädigung. Jegliche äußere Einmischung stellt für den Libanon eine Gefahr dar, weil er das Gleichgewicht des Zusammenlebens und der gegenseitigen Anerkennung der libanesischen Bevölkerungsgruppen erschüttert."

Im Titeldossier geht es um Frauen im Islam, genauer gesagt die richtige Lesart des Koran zu diesem Thema. Was sagte der Prophet wirklich? Was haben seine Exegeten hinzugefügt oder anders interpretiert? Zu lesen ist dazu ein Interview mit Adel Rifaat und Bahgat Elnadi, die unter dem Pseudonym Mahmoud Hussein bei Grasset die Textsammlung "Al-Sira", eine weitere Gründungsschrift des Islam (mehr dazu hier), herausgegeben haben (Besprechung hier). Und der Anthropologe, Psychoanalytiker und Islamexperte Malek Chebel schreibt über das rege Liebesleben des Propheten Mohammed. Der Literaturteil beschäftigt sich mit zeitgenössischer russischer Literatur, die auf dem diesjährigen Salon du Livre den Schwerpunkt bildet. Zu lesen ist schließlich ein Hintergrundsartikel über das neue israelische Kino, das derzeit äußerst erfolgreich zu sein scheint.

Nepszabadsag (Ungarn), 08.03.2005

Nach langen Monaten ging vor 60 Jahren die verheerende Schlacht um Budapest zu Ende. Es war jedoch keine "Befreiung", schreibt Jozsef Debreczeni, Publizist der größten ungarischen Tageszeitung. 1945 bedeutete für Ungarn, dass das kleine Land aus der Herrschaft eines totalitären Staates unter die Herrschaft eines anderen totalitären Staates rutschte: "Die Einnahme Budapests verzögerte sich enorm. Als Erklärung meldete die sowjetische Heeresleitung eine wesentlich größere feindliche Armee nach Moskau, als es sie in Wirklichkeit gab. Nach dem Sieg wurden deshalb mehrere tausend Budapester Bürger nach Russland verschleppt, um genügend Kriegsgefangene vorführen zu können. Aufgrund der neuesten Forschungsergebnisse des Historikers Ignac Romsics wurden 1945 alleine aus Ungarn etwa 110.000 Zivilisten nach Sibirien deportiert. In dieser Größenordnung liegt auch die Zahl jener Menschen, die ihr Leben dem Sieg über die Nazis verdanken oder die das Kriegsende aus einem anderen Grund als Befreiung erlebten."

Die offizielle Meldung aus Kiew, dass der ehemalige ukrainische Innenminister Juri Krawtschenko kurz vor seiner Zeugenaussage Selbstmord begangen habe, erinnert den Kolumnisten der Nepszabadsag an einen beliebten Witz, der vor der Wende in Ungarn nur leise erzählt werden durfte: "Was waren die letzten Worte Majakowskis vor seinem Selbstmord? - Liebe Genossen, schießt bitte nicht!"

Interessant noch ein Interview mit dem tschechischen Filmemacher und Oscarpreisträger Jiri Menzel vom 11. März, in dem er erklärt, dass er eine zunehmende "Allergie gegen Theaterstücke" habe, "deren Hauptfigur ein überflüssiger Mensch ist. Thomas Bernard schreibt solche Stücke. Er mochte irgendwie die Menschen nicht." Dagegen ist Woody Allen wegen seines feinen, sarkastischen Humors für Menzel "der Tschechow von heute". Auf die Frage, ob er Allen vielleicht persönlich kennt, lautet die Antwort: "Der Typ ist ein Pechvogel. Er kennt mich nicht."
Archiv: Nepszabadsag

Gazeta Wyborcza (Polen), 12.03.2005

Was geschah mit bekannten Schriftstellern, die der kommunistische Geheimdienst anzuwerben versuchte oder beobachten ließ? Dieser Frage gehen in der polnischen Gazeta Wyborcza Anna Bikont und Joanna Szczesna nach. Viele Literaten, die anfangs das neue, sozialistische System gut geheißen haben, wurden später zu Regimekritikern - und gerieten somit ins Blickfeld der Stasi. Was erfährt man aus den Geheimdienstakten? "Die Inhalte eignen sich keineswegs für einen Spionage- oder Kriminalroman. Es sind meistens langweilige Zusammenfassungen von abgehörten Gesprächen oder Berichte von Treffen mit IM's die mit den beobachteten Personen gesprochen haben. Es ist alles dabei: Wichtiges und Unwichtiges, Gerüchte und Absurditäten, naive Aufsätze der Agenten über das Schaffen der Schriftsteller und Zitate aus Abhörprotokollen. Der Stasi gelang es höchstens, diesen Menschen das Leben schwer zu machen. Sie zu beeinflussen, misslang aber."

"Unsere verarbeitende Industrie ist bereits in China, unsere Dienstleistungen in Indien und unsere Wissenschaftler in Amerika. Frage an die europäischen Wohlfahrtskapitalisten: wie viel vom Wirtschaftswachstum wollt ihr opfern, um eure Sozialmodelle zu retten?". In einem Auszug aus seinem Buch "Freie Welt" analysiert der Brite Timothy Garton Ash die Ziele und das Selbstverständnis der EU: "Eine Weltmacht zu sein ist moralisch nicht vertretbarer, wenn eine Gemeinschaft Europa dahinter steht. Ein europäischer Nationalismus ist nicht besser als ein französischer, deutscher, britischer oder amerikanischer"; und plädiert für eine große Freihandelszone mit den Anrainerregionen: "Entweder wir nehmen mehr von ihren Waren auf oder von ihren Menschen."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 11.03.2005

Der britische Journalist Stephen Grey schildert am Beispiel von vier Menschen - einem ägyptischen Asylbewerber in Schweden, einem Australier, einem in Syrien geborenen Kanadier und einem Deutschen arabischer Herkunft, wie die CIA "systematisch" ausländische Staatsbürger, die als Terroristen verdächtigt werden, entführt und in Länder bringen lässt, wo gefoltert wird. Grey zitiert einen ehemaligen hochrangigen CIA-Mitarbeiter, Michael Scheuer: "Scheuer versichert, jede 'Auslieferungs'-Operation sei von Juristen gebilligt worden: 'Innerhalb der Central Intelligence Agency gibt es eine große juristisch Abteilung, die mit der rechtlichen Interpretation der nachrichtendienstlichen Arbeit befasst ist. Und auch beim National Security Council des Präsidenten gibt es ein Team von Juristen. Und bei all diesen Entscheidungen sind diese Juristen auf die ein oder andere Weise beteiligt. Sie haben unser Vorgehen abgesegnet. Die Vorstellung, hier handle es sich um eine Schurkerei, die sich irgendjemand mal so ausgedacht hat, ist schlichtweg absurd.' Scheuer erinnert sich, dass er solche Operationen früher - als Chef der Bin-Laden-Einheit - nur organisieren konnte, wenn sie vom Direktor der CIA oder von dessen Stellvertreter autorisiert waren: 'Die das abzeichnen, sind die Nummer eins und die Nummer zwei des Geheimdienstes.'"

Weitere Artikel: Christian Caujolle, Gründer und Direktor der Fotoagentur und Galerie VU in Paris, denkt darüber nach, was es für Pressefotografen bedeutet, wenn unmittelbar nach Katastrophen hunderte von Amateuraufnahmen die Geschehnisse dokumentieren. Marc Pellas beschreibt die halbherzigen Demokratisierungsversuche in Bahrain: Dort hat der Emir seinem Volk demokratische Rechte und ein Parlament versprochen, mit Hilfe der neuen Verfassung ließ er sich jedoch erst einmal zum König krönen. Vicken Cheterian beschreibt den deprimierenden Zustand der zentralasiatischen Republiken Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisien und Kasachstan. Und es gibt ein großes Dossier zum Thema Wasser.

New Yorker (USA), 21.03.2005

In dieser Woche gibt es Nachhilfe in Sachen aktueller Entwicklungen auf dem Popsektor. Sasha Frere-Jones bringt uns die neue britische Musikgattung grime bei. Gut aufgepasst: "Grime entstand aus der Rave-Kultur der späten Neunziger und wird für die meisten Amerikaner nach HipHop mit englischem Akzent und ziemlich schnellen Raps klingen. Nun ist selbst der raueste HipHop Tanzmusik. Im Gegensatz dazu klingt Grime wie fürs Boxstudio konzipiert, und zwar für eines, in dem jede Menge herumgedroschen werden muss, aber kaum Platz genug ist, sich zu rühren."

Weiteres: Jeffrey Goldberg beschreibt das Ringen der Demokraten um ein außenpolitisches Profil. In einer Glosse mokiert sich Frank Gannon über - Sie. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Men of Ireland? von William Trevor.

Besprechungen: Weit ausholend rezensiert Joan Accocella eine Studie über die Pest, die "verheerendste Plage aller Zeiten"; in den Kurzbesprechungen geht es unter anderem um eine Biografie des zweiten amerikanischen Präsidenten John Adams. Peter Schjeldahl führt durch eine Diane-Arbus-Retrospektive im Metropolitan Museum. John Lahr stellt Theaterstücke über Peggy Guggenheim, Orson Welles und Primo Levi vor, Anthony Lane war in London in einem Ballett über das Leben von Lady Di Und David Denby sah im Kino den neuen Film von Woody Allen "Melinda and Melinda" ("Stellen Sie sich vor, Neil Simon und Arthur Miller seien in eine hitzige Debatte verwickelt: Ist das Leben Komödie oder Tragödie? Ist unsere ,innere Wirklichkeit? ein Witz oder eine Katastrophe? Das ist die Idee des Films.")

Nur in der Printausgabe: eine Untersuchung der "romantischen Verwicklungen" des amerikanischen Schriftstellers Nathaniel Hawthorne, der Bericht über die Debatte, die ein Lehrer mit seiner Klage losgetreten hat, als Christ diskriminiert zu werden (online dazu ein aktuelles Interview über die "Grauzone" zwischen Staat und Kirche), ein Artikel über etwas rätselhaft bleibende Neuaufbrüche in Hollywood und Lyrik von Linda Gregg, Donald Hall und Dana Goodyear.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 17.03.2005

Umberto Eco wundert sich, dass die katholische Kirche in der Frage, wann das menschliche Leben beginnt, nicht auf ihren Kirchenlehrer Thomas von Aquin hört, der überzeugt war, dass Embryonen das menschliche Proprium, den rationalen Geist, noch nicht von Anfang an besitzen. "Die aktuellen neofundamentalistischen katholischen Positionen sind nicht nur im Urprung protestantisch (was das kleinere Übel darstellen würde), sondern tragen auch einen Zug von materialistischen und pantheistischen Überzeugungen in sich, sowie Formen des orientalischen Panpsychismus, nach dem einige Gurus mit einem Tuch vor dem Mund umherreisen, um keine Mikroorganismen umzubringen, indem man sie einatmet."

Weitere Artikel: Leonardi Clausi findet die britischen Rapper Goldie Looking Chain aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Zum einen parodieren sie das Genre bis aufs Blut, zum anderen haben sie eine Diskussion über die wachsende Ungleichheit der Klassen in England in Gang gesetzt. Der Espresso übernimmt Debra L. Wallaces Interview mit Uma Thurman, in dem die Schauspielerin über figurfreundliche Regisseure und ihren neuen Film "Be Cool" spricht. Aus gegebenem Anlass rühmen Primo Di Nicola und Gianni Perrelli in der Titelgeschichte die Arbeit der fünfundvierzig italienischen Geheimdienstmitarbeiter im Irak. Überschrift: "007 Mission Bagdad".
Archiv: Espresso

London Review of Books (UK), 17.03.2005

"Man kann 'Goodbye Lenin!' drehen, aber 'Goodbye Hitler!' ist undenkbar. Warum?" Das fragt sich Slavoj Zizek, nachdem - als Reaktion auf eine im EU-Parlament ausgesprochene Forderung zum radikalen Verbot sämtlicher Nazi-Symbole - die Forderung laut wurde, auch sämtliche kommunistischen Symbole zu verbieten. Zizek warnt davor, die Spezifizität des NS-Terrors zu vertuschen, indem man Nationalsozialismus und Stalinismus zu strukturell identischen Gebilden erklärt, die sich lediglich in der Besetzung ihres jeweiligen Feindbildes (Juden beziehungsweise Klassenfeind) unterscheiden. Zizek zeichnet den deutschen Historikerstreit nach und kommt zu dem Ergebnis: "Es ist notwendig, Partei zu ergreifen und den Faschismus als fundamental 'schlimmer' als den Kommunismus zu bezeichnen. Die Alternative, die Auffassung, es sei möglich, die zwei Totalitarismen rational miteinander zu vergleichen, legt - explizit oder implizit - die Schlussfolgerung nahe, dass Faschismus weniger schlimm war, eine verständliche Reaktion auf die kommunistische Bedrohung."

"Susan, verzweifelt gesucht", heißt es bei Terry Castle und gemeint ist Ihre Majestät Susan Sontag, der Castle eine regelrechte Liebeserklärung macht. In einer Welt, in der die sogenannten "Großen Männer" (respektive Frauen) aus der Mode gekommen sind, "war sie unsere ganz eigene Große Frau. Hätte es jemals ein 'Smart Woman Team' gegeben, hätte Sontag zugleich Kapitän und Bester Spieler sein müssen."

Weitere Artikel: Sean Wilsey hat sich von Robert Sullivans Leidenschaft für Ratten ("Rats: A Year with New York's Most Unwanted Inhabitants") auf sehr erheiternde Weise anstecken lassen. In den Short Cuts wundert sich Conor Gearty, warum die für die britische Geheimdienstarbeit für tauglich befundenen Mitschnitte von Telefongesprächen für eine Verwendung bei Gericht wiederum zu unsicher sein sollen. Schließlich begegnet Peter Campbell der leicht gealterten Modernität eines Joseph Beuys (in der Tate Modern) oder eines Jannis Kounellis (in der Modern Art Oxford). Und doch: "Die Botschaft verblasst, der Stil bleibt."

Al Ahram Weekly (Ägypten), 14.03.2005

Als "wertlos" bezeichnete der ägyptische Schriftsteller Sonallah Ibrahim den Preis, den ihm die Offiziellen der zweiten Arab Novel Conference im Jahre 2003 verleihen wollten - und lehnte die Entgegennahme der Auszeichnung nebst Preisgeld ab. Die kürzlich in Kairo ausgetragene dritte Auflage ging halbwegs glatt über die Bühne, wie Mona Anis berichtet, vor allem weil sich zur Sicherheit alle Teilnehmer hatten verpflichten müssen, eine eventuelle Auszeichnung anzunehmen. Die Vergabe des Preises an den sudanesischen Altmeister Tayyeb Salih war wohl als Mittel zur Rehabilitierung der Veranstaltung gedacht, allerdings bemerkt Anis, nutzte Salih seine Dankesrede, um dem Publikum ein "recht persönlich zusammengestelltes Mahl aus säkularen, oppositionellen Sichtweisen zu kredenzen".

Einer der Kritiker der Konferenz war der Schriftsteller Gamal El-Ghitani, der 1970 mit "Seini Barakat" den ersten arabischen Roman verfasste, der ins Englische übersetzt wurde. Gamal Nkrumah portätiert den Giganten: "El-Gitani besitzt die markanten, grob geschnittenen Gesichtzüge der Oberägypter. Er ist ein dunkelhäutiger, bebrillter Mann mit schütterem grauem Haar und einem atemberaubenden Blick. Als er über seine Faszination für die antiken Ägypter und den Einfluss ihrer bemerkenswerten Zivilisation auf seine Arbeit spricht, sieht er auf verblüffende Weise wie einer von ihnen aus."

Dazu kommt ein kleiner Themenschwerpunkt zum Internationalen Frauentag in der vergangenen Woche. Fatma Khafagy warnt vor politischen Bemühungen aus einer exklusiv feministischen Perspektive: "Das wirkliche Hindernis für Demokratie in arabischen Ländern", schreibt sie, "ist nicht die Diskriminierung von Frauen, sondern die Tatsache, das die gesamte Bevölkerung lediglich über eingeschränkte politische Rechte verfügt." Und Dena Rashed war auf einer Diskussionsveranstaltung, bei der die Frage, ob das Problem der Machtlosigkeit von Frauen der islamischen Gesetzgebung per se oder lediglicher ihrer Auslegung geschuldet sei, zu "erhitzten, ja kampflustigen Wortgefechten" führte.

Außerdem: Der DAAD-Chef Christian Bode, Schirmherr der privat finanzierten Deutschen Universität in Kairo, spricht mit Rania Gaafar über akademische Standorte, wirtschaftlichen Nutzen, Elitenförderung und darüber, wie es um Humboldts Ideale in Ägypten bestellt ist. Und Lubna Abdel-Aziz befindet, dass Terry Georges Film "Hotel Rwanda" in diesem Jahr eher einen Oscar verdient gehabt hätte als jeder andere Film.
Archiv: Al Ahram Weekly

Plus - Minus (Polen), 12.03.2005

In der Wochenendbeilage der Tageszeitung Rzeczpospolita spricht der Theaterregisseur Peter Brook über seine Erfahrungen mit Werken von Shakespeare (er arbeitete in den fünfzigern u.a. mit Laurence Olivier und John Gielgud zusammen), seine Reisen nach Afrika auf der Suche nach einer organischen Schauspielkunst, seine Bewunderung für die Methoden des polnischen Avantgardisten Jerzy Grotowski und über sein andauerndes Interesse daran, Theater zu machen. "Es geht darum, Dinge zu erforschen, die ich nie erforscht habe. Dorthin zu gehen, wo ich noch nie war. Nur neue Erfahrungen interessieren mich ... und ich kann aus der heutigen Sicht sagen, dass ich dasselbe beispielsweise als Bildhauer erfahren hätte."

Das Magazin berichtet außerdem, dass ein Cousin von Marek Hlasko, einem der bekanntesten polnischen Schriftsteller im 20. Jahrhundert, in diesem Jahr eine Biografie Hlaskos veröffentlichen wird, in der einige Dokumente und Fotos zum ersten Mal gezeigt werden. Der berüchtigte Lebemann, den man auch den "polnischen James Dean" nannte, erscheine hier in einem anderen Licht. Den Biografen bekümmert das: "Als ich Mareks legendäres Halunkenleben untersuchte, fand ich heraus, dass er in Wirklichkeit recht fleißig und geordnet war. Kein Weiberheld, kein Trunkenbold, kein Störefried. Wie stehe ich nun als Autor einer solchen Biografie da? Wie ein Langweiler!".
Archiv: Plus - Minus

Times Literary Supplement (UK), 11.03.2005

Antony Beevor, Autor von "Stalingrad" und "Berlin 1945" feiert das Buch des amerikanischen Historikers Stanley G. Payne "The Spanish Civil War, the Soviet Union and Communism" als "luzide und wichtige Neueinschätzung des großen Mythos, nach dem der spanische Bürgerkrieg ein Kampf zwischen Demokratie und Faschismus gewesen sei": "Der wichtigste Aspekt von Stanley Paynes Buch ist die abschreckende Mahnung, dass viele linke Führer die Aussichten auf einen Bürgerkrieg begrüßt haben. Sie glaubten irrtümlich, dass ein Konflikt zu einem wesentlichen schnelleren Sieg der Revolution führen würde als der russische Bürgerkrieg, vor allem weil sie annahmen, dass sie Hilfe von außen bekämen. Waren sie gedankenlos gegenüber dem erwartbaren schrecklichen Leiden, oder war es revolutionäre Besessenheit? Auf jeden Fall war es eine schreckliche Fehleinschätzung, die zu einer fundamentalen Unehrlichkeit führte. Der Krieg in Spanien war nie ein Kampf zwischen liberaler Demokratie und Faschismus... Es gab nur zwei Möglichkeiten: eine stalinistische Diktatur, die all ihre Rivalen innerhalb der Linke zerschmettert hätte, oder das grausame - reaktionäre, militärische und klerikale - Regime mit oberflächlich faschistischem Putz, das der siegreiche Franco zusammenbrachte."

Recht unwirsch bürstet Michael Maar Nicholas Murrays Kafka-Biografie als oberflächlich ab. Und mit Reiner Stachs Arbeit "Kafka", die allein die "Jahre der Entscheidung" zwischen 1910 und 1915 auf fast siebenhundert Seiten behandelt, meint Maar, könne sie schon gar nicht mithalten: "Zu kurz behandelt Murray das Werk selbst und seine Verbreitung zu Kafkas Lebzeiten, zu kurz auch den Erfolg nach seinem Tod. Murrays Stärke ist soziologisch; für Kafkas Metaphysik hat er wenig Gespür. Kafkas Humor, der selbst durch die gequältesten Briefe an Felice Bauer durchschimmert, registriert Murray nur am Rande. Stach ist schärfer sowohl in der Analyse als auch in der Beschreibung der ständigen Nähe zum Wahnsinn, die auf Kafka lastete."

Weiteres: Joyce Carol Oates stellt Steven Mintz' Geschcihte der amerikanischen Kindheit "Huck's Raft" vor. Und von Dan Jacobson ist seltsamerweise nur der zweite Teil der "Alan Marre Maccabbeans Centenary"-Lecture zu lesen, die er im November am University College London gehalten hat.

Economist (UK), 11.03.2005

Er war ein Aufständischer, der doch seinen Gegnern überraschend ähnlich war. Die Rede ist vom ermordeten tschetschenischen Rebellenführer Aslan Maschadow, dem der Economist ein einfühlsames und differenziertes Porträt widmet: "Putin hat versprochen, dass die Täter eine großzügige Belohnung erwartet. Doch wenn er Maschadow früher begegnet wäre, hätte er vermutlich einen konventionelleren Sowjetbürger als er es selbst war vorgefunden. Altmodische Tugenden wie die Offiziersehre lagen ihm am Herzen, und er berief sich auch weiterhin auf sie, als er im ersten modernen Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996) gegen seine frühere Kameraden kämpfte. Einige seiner russischen Gegner fühlten, dass sie es mit einem von ihnen zu tun hatten: Während einer Verhandlungsphase im Jahr 1995 kamen sich Maschadow und der russische General Anatoli Romanow so nahe, dass sie fast Freunde wurden - bis der General von einer mysteriösen Bombe verwundet wurde."

Weitere Artikel: Es wird viel über die "digitale Kluft" zwischen Arm und Reich geredet, doch das Vorhaben der UNO, mit ihrem neu geschaffenen "Digitalen Solidaritätsfond" arme Länder mit Computern auszustatten, erklärt der Economist für völlig sinnfrei und empfiehlt stattdessen, die Mobilfunknetze auszubauen - denn so werde tatsächlich Entwicklung gefördert. Ganz Manhattan greift zum Taschentuch, berichtet der Economist und ist selbst ganz ergriffen von Billy Cristals Broadway-Show "700 Sundays".

Außerdem: prophezeit wird der baldige Niedergang der neokonservativen Doktrin, befürchtet wird anlässlich des erzwungenen Rücktritts von Boeing-Chef Harry Stonecipher das Ende der Liebe am Arbeitsplatz, erklärt wird, dass die Zukunft der technischen Innovation in den Händen ihrer Nutzer liegt - und ganz besonders der Alpha-Nutzer, begutachtet wird die Architektur im boomenden China, wo die durchschnittliche Lebensdauer eines Gebäudes schlappe zehn Jahre beträgt!
Archiv: Economist
Stichwörter: Broadway, UNO, Tschetschenienkrieg

New York Times (USA), 13.03.2005

Einen überraschenden Auftritt in der Literaturbeilage hat der rührige Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit einem Essay über Max Webers "Protestantische Ethik" (hier Webers Text als RTF), die vor 100 Jahren erschienen ist. Die Moderne kommt laut Fukuyama auch ganz gut ohne Säkularisation und Rationalismus aus, die Weber noch als Kennzeichen der menschlichen Entwicklung ansah. Die Spitze des Fortschritts, die für Fukuyama immer noch in den USA zu Hause ist, sei vielmehr tief religiös. "Überraschenderweise trifft die Webersche Vision einer Moderne, die sich durch 'Spezialisten ohne Geist, sinnliche Menschen ohne Herz' auszeichnet, mehr auf das moderne Europa zu als auf das gegenwärtige Amerika. Heute ist Europa ein friedlicher, wohlhabender, durch die EU rational verwalteter Kontinent, der durch und durch säkular ist. Die Europäer benutzen vielleicht Begriffe wie 'Menschenrechte' und 'Menschenwürde', die in den christlichen Werten ihrer Zivilisation wurzeln, aber nur wenige könnten schlüssig erklären, warum sie immer noch daran glauben. Die Geister abgestorbenen Glaubens suchen Europa weitaus mehr heim als Amerika."

In einem Brief aus Peking verschafft uns Mike Meyer einen Überblick über den chaotischen, explodierenden und weltgrößten Buchmarkt. "Nach einem Jahrzehnt in China dachte ich, alles gesehen zu haben: Mord, Knast, Aliens, Rodeo. Aber nichts davon hat mich auf dieses Verlagswesen in der Hochpubertät vorbereitet." Das chinesische Buchgeschäft ist abenteuerlich. Eigentlich dürften nur die 568 staatseigenen Verlage ISBN-Nummern herausgeben und damit Titel herausbringen. "Aber wie in so vielen anderen Sektoren der chinesischen Wirtschaft hat sich unter den geschätzten 30.000 privaten Verlagshäusern ein eigener, inoffizieller Markt mit ISBN-Nummern gebildet. Sie firmieren als 'Kulturhaus' oder 'Buchverkäufer' und agieren wie Abpackbetriebe: sie suchen Titel, kaufen die Rechte und verkaufen sie an staatseigene Verlage, die eine ISBN-Nummer zur Verfügung stellen, gegen eine Gebühr von 1.250 bis 2.500 Dollar. Dann wird das Buch im Namen des Staates herausgegeben. Es ist ein offen illegales System und wird bis zu einem gewissen Punkt toleriert."

Aus den Besprechungen: Ohne Zögern überreicht Henry Alford zwei Hollywoodinsidern für ihre Romane aus dem Zentrum des Filmgeschäfts zwei neugeschaffene Auszeichnungen. Bruce Wagner erhält für "The Chrysanthemum Palace" (erstes Kapitel) den "Schulen-Komiker-Preis", Peter Lefcourt darf sich für "The Manhattan Beach Project" (erstes Kapitel) über den "Koyotenkot-Preis" freuen. Jonathan Ames liest Julian Fellowes' ersten Roman "Snobs" als Führer durch die aussterbende englische Oberschicht: "Ein gutes, kein großes Buch, aber mit vielen großartigen Passagen". Fellowes kennt sich in seinem Sujet aus, er hat das Drehbuch zu Gosford Park verfasst. Harold Evans hat dank Steve Frasers "gründlicher" Untersuchung zur kulturellen und pyschologischen Rolle der Wall Street im Werden der USA (erstes Kapitel) mehr über die Protagonisten des Geldflusses gelernt, ist aber froh, dass Fraser bescheiden bleibt und zur Entwicklung des Dow nur bemerkt: "Er wird fluktuieren."

Im New York Times Magazine versucht James Bennet herauszufinden, ob Mahmoud Abbas es schaffen wird, den Palästinensern zu einem eigenen Staat zu verhelfen. "Sein Stil ist nicht der eines charismatischen Führers, sondern der eines Unterhändlers, und sowohl Palästinenser als auch die Israelis argwöhnen, er sei zu weich. Er hat die oberflächliche Milde eines Unterhändlers, nicht die durchdringende Leidenschaft eines Politikers- vielleicht ein großer Nachteil für den Führer einer Freiheitsbewegung. Aber seine Milde sollte nicht als Unsicherheit missverstanden werden, so wie Arafats aufbrausende Art für Entscheidungsfreude gehalten wurde."

Außerdem stellt Roger Lowenstein die Ideen des Harvard-Ökonomen David Cutler vor, der die Misere des amerikanischen Gesundheitssystems unorthodox mit mehr statt weniger Geld lösen will. Er will Ärzte, die gute Arbeit abliefern, auch besser bezahlen. Langfristig nützt das Wirtschaft und Patienten, glaubt er.
Archiv: New York Times