Vom Nachttisch geräumt

Hitchcock ganz sauber

Von Arno Widmann
20.12.2018. Thilo Wydra macht in seinem Fotoband "Hitchcock's Blondes" Blondinen aus Karin Dor, Shirley Maclaine und Julie Andrews. Und lässt wenig übrig von Hitchcock.
Der Band heißt "Hitchcock's Blondes" und zeigt auf dem Umschlag Cary Grant und Grace Kelly Wange an Wange in "Über den Dächern von Nizza". Es ist ein schöner Band mit hervorragenden Fotos. Autor Thilo Wydra weiß natürlich auch, dass nicht alle Hitchcock-Blondinen blond sind. Shirley Maclaine ("Immer Ärger mit Harry") hat rote Haare, Julie Andrews ("Der zerrissene Vorhang") ist brünett. Aber das ist manchmal doch nicht so wichtig. Denn was sagte der Meister über Karin Dor? "She is blonde inside."

Ich muss gestehen, mir sind die berühmten Hitchcock-Frauen nie attraktiv erschienen. Sie bevölkerten nicht meine Träume. Wydra schreibt, sie hätten etwas Überirdisches. Ich habe das nie so empfunden. Sie erschienen mir im Gegenteil immer als Zerrissene, als schrecklich kompliziert und extrem reparaturbedürftig.

Janet Leigh und John Gavin in Psycho, 1960

"Marnie" ist vielleicht darum einer meiner Lieblingsfilme. Die Heldin ist eine Kleptomanin. Dem unfassbar männlichen, niemals die Übersicht verlierenden Sean Connery gelingt es, sie zu heilen. In einem anderen meiner Lieblingsfilme, "Ich kämpfe um Dich", ist es umgekehrt. Hier ist Gregory Peck der Kranke. Ingrid Bergman ist eine liebesunerfahrene Psychoanalytikerin, die Peck heraushilft aus seinen Schuldgefühlen. Der ist überzeugt davon, er habe Dr. Edwardes, für den er sich ausgibt, ermordet. Sie hilft ihm mit Wissenschaft und Liebe. Gleichermaßen. Und mit vielen Streichern. Thilo Wydras "Hitchcock's Blondes" ist unmöglich. Zwischen "Schuldgefühlen" und "Sie" habe ich mir im Internet den Film angesehen. So kommt man nicht weiter. Nicht im Buch und nicht im Leben.

Hitchcock ist Dramatiker. Er nutzt Freuds "erinnern, wiederholen und durcharbeiten" ästhetisch. Leitmotive, die immer lauter, immer mächtiger werden. Sein Drehbuchautor war bei diesem Film Ben Hecht. Nein, ich kann jetzt nicht anfangen, über Hitchcocks Ästhetik nachzudenken und darüber, warum sie mich so ergreift. Es geht ja um einen Hinweis auf Hitchcocks Blondinen. Wydra schreibt: Hitchcock überfiel seine Hauptdarstellerinnen nicht, er machte ihnen nicht das Leben zur Hölle. Er war ein aufmerksamer Freund, der darauf achtete, dass es entspannt zuging beim Drehen. Der Horror fand ausschließlich in Hitchcocks Filmen statt. So beschreibt Thilo Wydra die Geschichte. Leider lässt er auch den Horror der Filme aus. Er erzählt ausschließlich ihre Geschichten nach. Da bleibt wenig übrig von Hitchcock, von seiner Einzigartigkeit. Wysra ist zu sehr damit beschäftigt, die Person Hitchcock reinzuwaschen, um sich mit dem Künstler beschäftigen zu können.

Thilo Wydra: Hitchcock's Blondes, Schirmer/Mosel, München 2018, 232 Seiten, 83 Abbildungen in Farbe und Duotone aus 19 Filmen , 39,80 Euro