Emmanuel Carrere

V13

Die Terroranschläge in Paris. Gerichtsreportage
Cover: V13
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751809429
Gebunden, 275 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Claudia Hamm. September 2021: In Paris beginnt ein Jahrhundertprozess. Am Freitag, den 13. November 2015 (vendredi 13), hatten sich in der Konzerthalle Bataclan, auf den Terrassen mehrerer Cafés und vor dem Stade de France sieben IS-Kämpfer in die Luft gesprengt, dabei 131 Menschen in den Tod gerissen und fast 700 verletzt. Nach diesen Attentaten wurde in Frankreich der Ausnahmezustand ausgerufen - er blieb zwei Jahre lang verhängt -, und das Bild des Landes und der Gesellschaft veränderte sich von Polizeimethoden bis Parteienspektrum nachhaltig: ein nationales Trauma. Im von den Insidern "V13" genannten exemplarischen Prozess sollte dieses Trauma bearbeitet, sollten Hunderte von Perspektiven abgewogen und schließlich ein Urteil gefällt werden. Emmanuel Carrère besuchte den Prozess über neun Monate lang Tag für Tag, schrieb wöchentlich eine Kolumne aus dem Gerichtssaal, berichtete über Akteure, das Grauen, unverhoffte Menschlichkeit und die Maschine der Rechtsprechung. V13 ist das vielstimmige Porträt eines Prozesses, mit dem eine in ihren Grundfesten erschütterte Gesellschaft nach Heilung sucht. Die Bühne des eigens gebauten Gerichtssaals ließ alle Beteiligten zu Wort kommen, und so erzählt Carrère, was er gehört und erfragt hat: Wer waren die Opfer und die Täter? Wie entsteht Terrorismus? Warum ist passiert, was passiert ist?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 25.08.2023

In den höchsten Tönen lobt auch Rezensentin Christina Lenz das neue Buch von Emmanuel Carrère, eine Gerichtsreportage, die sich mit dem Prozess um das islamistische Attentat in Paris im Jahr 2015 auseinandersetzt. Carrère, der den Prozess knapp zehn Monate lang verfolgt, trifft in jeder Hinsicht den richtigen Ton, stellt die Kritikerin anerkennend fest: Er lässt die Opfer zu Wort kommen, gibt ihre grausamen Erfahrungen wieder ohne sie allzu oft mit philosophischen Reflexionen zu unterbrechen. Überhaupt versucht der Autor nicht Antworten zu geben, worauf es keine Antworten geben kann. Stattdessen verlegt sich Carrère aufs Zuhören, erkennt die Rezensentin an, die auch den Umgang des Autors mit den Angeklagten vorbildlich findet: Nüchtern und im nötigen Umfang skizziert Carrére sie als "persektivlose Männer mit einem Hang zur Kriminalität", deren "faschistische Ideologien" austauschbar scheinen. Beeindruckend findet Lenz zudem, wie der Autor auch die eigentliche, nahezu unbeschreibliche Tat formal wiedergibt: Atemlos, ohne Chronologie, die Zeugenaussagen aneinandereihend. Ein bewegender, erschütternder Text, den Lenz nur unbedingt empfehlen kann.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 11.08.2023

Ein brutaleres Buch von Emmanuel Carrere hat Rezensent Eberhard Falcke bisher noch nicht gelesen. Das liegt vor allem am Sujet, denn der französische Autor und Journalist widmet sich hier den islamistischen Terroranschlägen in Paris im Jahr 2015. Geradezu verstörend scheinen dem Kritiker die Aussagen von überlebenden Opfer und Zeugen, die Carrere, der Monate lang Material im Pariser Justizpalast sammelte, verkürzt wiedergibt. Nicht minder erschüttert liest der Rezensent allerdings auch Auseinandersetzung mit den Tätern. Vor allem aber lobt Falcke, dass der Autor zwar über Erklärungen nachdenkt und "spannende" Denkanstöße liefert, aber auf endgültige Antworten verzichtet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.08.2023

Ergriffen berichtet Rezensent Gustav Seibt von der Lektüre dieser Gerichtsreportage. Was ihm das Buch geradezu zur Katharsis macht, ist die niemanden ausschließende Empathie des Autors, einmal spricht der Rezensent von "selbstkritischer Allsympathie". Selbst die Täter hasse Carrère nicht, eine monumentale Leistung, wenn man bedenkt, mit welcher Akribie er laut Rezensent vor allem die Tatnacht im Bataclan beschreibt: Carrère verschweige nicht, dass man es hier mit "lachenden, ihr Tun genießenden Tätern" zu tun hatte. Ein besonders schauerliches Detail dieses sich stundenlang hinziehenden Massakers ist überdies, dass es keineswegs in einem dunklen Zuschauerraum, sondern bei grellem Saallicht stattfand. Carrères "unnachsichtiges Erbarmen" macht das Buch für Seibt vielleicht erst lesbar, seiner Tränen, so der Rezensent, muss sich hier kein Leser schämen. Und der Rezensent erhält zugleich ein Bild des grausamen Geschehens, wie auch des Prozesses, der mit seinen nüchternen rechtsstaatlichen Regeln die Katharsis seiner jetzigen Lektüre erst ermöglicht.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 03.08.2023

Dass Emmanuel Carrère einer der spannendsten französischen Schriftsteller ist, hat sich für den Rezensenten Adam Soboczynski mit diesem neuen Buch wieder bestätigt: Der Autor nimmt hier die Prozesse rund um die islamistischen Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris in den Blick. Aber nicht in der Art einer klassischen Gerichtsreportage, bemerkt Soboczynski, sondern mit Schilderungen der Opfer, der Ermittler, der Täter, von "Taten großer Menschlichkeiten", doch auch von Schreckensbildern der Todesopfer und Verletzten. Carrère schafft es auf beeindruckende Weise, sowohl die Opfer in ihrer Individualität, als auch die Terroristen in den Zusammenhängen und Entstehungsgründen des Islamismus zu fassen, lobt der Kritiker - ein aufsehenerregendes Buch, urteilt er.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 03.08.2023

"Vollends gelungen" ist dem Autor Emmanuel Carrère die Darstellung des Prozesses zu den Terroranschlägen in Paris 2015, findet Rezensentin Sigrid Brinkmann. Nicht eine Sekunde versucht er zu verschleiern, dass die monatelange Beschäftigung mit dem Fall, die Beobachtung der Verhandlung und die Urteilsverkündung tiefen Eindruck hinterlassen haben, schreibt Brinkmann. In dem Buch kommen Opfer, Eltern von Tätern und die Erinnerung an die "unbeschwerten Lebensmomente" vor, erfahren wir, aber auch, wie die Hinterbliebenen mit dem Vergangenen umgehen. Die möglichen Gründe für die Radikalisierung der Täter beleuchtet der Autor ebenfalls, so Brinkmann. Sie liest Carrères Buch auch als Plädoyer für das Vertrauen in die Justiz und den "Glauben an Gerechtigkeit".