Magazinrundschau

William Pfaff: Mit Sarkozy wird es aufregend

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
05.06.2007. du fährt vom Schwarzwald ans Schwarze Meer - immer auf der Donau. Die New York Review of Books freut sich, dass Frankreich endlich wieder aufregend wird. Für die London Review of Books ist Fritz Stern perfekt - für die Deutschen. In De Groene Amsterdammer verteidigt Boudewijn Chabot den "guten Tod". In Plus-Minus erklärt Cristian Mungiu, warum die Osteuropäer seinen Film "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" lieben. Im Economist warnt Tony Blair vor der Raffinesse des islamistischen Terrors. Elet es Irodalom erzählt von ungarischen Schriftstellern in Berlin. Die New York Times weiß, was Jesus beim Abendmahl aß: Fliegenpilze.

DU (Schweiz), 01.06.2007

Ein großartiges Heft über die Donau! Andrzej Stasiuk fährt von seinem Dorf in den Karpaten über zwei Hügel zur Donau und dann immer weiter nach Süden und denkt in dem verlassenen Dorf Kopacevo an das dreißig Kilometer entfernte Vukovar: "Ich konnte mir mühelos die Leichen im seichten Wasser vorstellen. So ist die Donau: Sie entspringt im Schwarzwald, wälzt ihr Wasser durch Wien, und dann führt sie Leichen. Am nächsten Tag verließ ich sie, weil ich weiter in den Süden fuhr. Aber selbst in Bosnien kann man nicht aufhören, an sie zu denken, denn die Mehrzahl der Gewässer dieses Landes fließen in den Flussbetten von Sava, Vrbas, Bosna und Drina Richtung Donau. Den gleichen Weg floß das Blut. Und so sollten unsere Gedanken fließen, wann immer wir in Budapest, Bratislava oder Wien eine Brücke überqueren. Zumindest das können wir tun."

Online lesen dürfen Sie außerdem - wie bei du üblich immer untereinander - über Irene Mettlers Fahrt auf einem Frachtschiff von Wallsee zum Wiener Handelskai. Und Zsuzsanna Gahse erzählt, wie der Donaukenner die Donau überall erkennt, egal, wo er sich gerade befindet und obwohl die Donau nicht überall gleich heißt: "Nicht unbedingt die Donau, weiblich ist sie halt auf deutsch. In Ungarn ist dasselbe Wasser geschlechtslos beziehungsweise hat der Strom alle nur denkbaren Geschlechter (weil man in Ungarn - grammatikalisch - von Geschlechtern nicht spricht; man hat sie), weiter unten im slawischen Bereich ist der Fluss männlich."

Nur im Print erzählt Karl-Markus Gauß von seinem Großvater, einem Donauschwaben aus dem Gebiet der heutigen Wojwodina. Andreas Nentwich erkundet die Flüsse, die zur Donauquelle werden und trifft im Schwarzwald auf einen Berliner Gastwirt: "Postkaten ham wa nich, Postkaten jibtet bei da Post. Wat Sie wolln, is'ne Ansichtskate. Ansichtskaten ham wa." Eva Demski lässt sich von Mircea Dinescu eine Zigeunerstadt zeigen - "Mauern in Silber, bedeckt mit dunklen Zeichen und Mustern, Türmchen, Erkern und Zinnen, die Türme trugen goldene Spitzen." Sibylle Lewitscharoff erzählt, wie der Bulgare Rumen Apostoloff den Erzengel Michael rettete. Zlatko Krasni beobachtet amerikanische Touristen in Belgrad: "Und vielleicht auch befindet sich unter ihnen einer der Piloten, die Belgrad im Jahr 1944 bombardierten".
Archiv: DU

New York Review of Books (USA), 14.06.2007

Frankreich mag einige ökonomische Schwierigkeiten haben, aber keine, die man nicht lösen könnte. Die Wahl Nicolas Sarkozys zum Präsidenten behebt in den Augen William Pfaffs ein viel gravierendes Problem: "Kurz vor den Studentenrevolten im Mai 1968, schrieb Le Monde bekannterweise, dass das Land sich langweile - 'La France s'ennuie'. In den Jahren vor dieser Wahl war die Langeweile nach Frankreich zurückgekehrt. Das ist entscheidend für das Verständnis dessen, was sich ereignet hat. Der Präsidentschaftswahlkampf hat Frankreich von seiner Langeweile befreit. Niemand kann behaupten, dass Sarkozy langweilig sei, oder Segolene Royal. Auch Frankreich ist nicht mehr langweilig, es könnte sogar richtig aufregend werden."

Jonathan Freedland betrachtet die außenpolitisch verfahrene Lage der USA und sieht das Land vor der Entscheidung stehen, entweder wie Rom das Imperium zu erhalten und damit die Republik zu verlieren, oder wie die Briten das Empire aufzugeben, um die Demokratie zu retten.

Außerdem liest Ian Buruma neue Bücher über Leni Riefenstahl von Steven Bach und Jürgen Trimborn, James Lardner sichtet Neuerscheinungen zum amerikanischen Buchmarkt, Lee Smolin liest Einstein-Biografien von Walter Isaacson und Jürgen Neffe, und John Leonard schließlich stellt Michael Chabons Roman "The Yiddish Policemen's Union" vor.

London Review of Books (UK), 07.06.2007

Recht scharf geht Thomas Laqueur mit den Erinnerungen des Historikers Fritz Stern - "Five Germanys I Have Known" - ins Gericht. Praktisch jedes hohe Tier, dem Stern je begegnet ist, wird aufgezählt, stöhnt er. Und all die Vorlesungen, die referiert werden! Verdächtig findet er, dass Stern in Deutschland sehr viel mehr Anerkennung findet als andere jüdische Historiker, die sich auf mindestens ebenso hohem Niveau mit der deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt haben: "Eine der faszinierendsten Fragen, die sich bei Lektüre dieses Buches stellen, ist die nach den Gründen für die Akzeptanz, die Stern in Deutschland erfuhr." Laqueur vermutet: "Deutschland brauchte die zurückgekehrten jüdischen Flüchtlinge seiner moralischen Legitimität wegen, aber nicht jeder passte. Stern war perfekt. George Mosse - homosexuell, schüchtern, seiner neuen Heimat in Israel und England verpflichtet - kam nicht in Frage. Ebenso wenig der Kommunist Eric Hobsbawm, einer der größten Historiker des 20. Jahrhunderts, der - obgleich Österreicher - in Berlin lebte, als er ausgewiesen wurde."

Weitere Artikel: Peter Campbell befasst sich in der "At the National Gallery"-Kolumne mit der Darstellung von Händen in der Porträtmalerei. Mark Greif bespricht zwei neue Bücher zu Walt Disney und eines, das sich mit den Zeichentrick-Gewerkschaften befasst. Bee Wilson rezensiert eine Lola-Montez-Biografie. Kein gutes Haar lässt Geoffrey Wheatcroft an des designierten britischen Premierminister Gordon Browns Buch "Courage: Eight Portraits".

Groene Amsterdammer (Niederlande), 03.06.2007

Die Niederländer sind Vorreiter bei der Sterbehilfe, seit fünf Jahren gibt es dort ein "Euthanasie-Gesetz", ist aktive Sterbehilfe legal. Zu Recht, erklärt der Psychiater und Sterbehilfe-Befürworter Boudewijn Chabot im Interview: "Die meisten Menschen assoziieren einen 'guten Tod' mit dem Dahinscheiden am Ende eines langen Lebens, gewaltlos und im Familienkreis." Folge man dieser Definition, sagt Chabot, verhelfe Sterbehilfe zu einem "guten Tod": "Zudem wächst in den letzten Jahren bei vielen der Wunsch, so lange wie möglich bei Bewusstsein zu bleiben. Und das erreicht man entweder, indem man den 'sozialen Tod' so lang wie möglich hinauszögert, was zum Beispiel in der Palliativmedizin geschieht, oder indem man den 'biologischen Tod' beschleunigt, eben durch die (Auto)-Sterbehilfe. Die Menschen wollen nicht tage- oder wochenlang ohne Bewusstsein und völlig wehrlos, unter Verlust ihrer Würde, zu ihren Vorfahren geschickt werden."

Außerdem: Janneke Koelewijn porträtiert Patricia Highsmith, der im Magazin ein ganzes Special gewidmet ist, und enthüllt die intime Passion der Autorin zu Schnecken. "Als sie von England nach Frankreich zog, so berichtet ihr Biograph Wilson, schmuggelte sie ihre 'pet snails? (die in Frankreich nicht eingeführt werden duften) 'unter ihren Brüsten ins Land'. Das glaube ich gern, doch die Biologin in mir fragt sich: Haben die Schnecken die ganze Zeit totenstill unter ihren Brüsten geschlummert? Sie bewegen sich träge - aber sie bewegen sich."

Folio (Schweiz), 04.06.2007

Eine sehr verdienstvolle Ausgabe hat das NZZ-Folio diesmal zusammengestellt. Die Frage ist, wie man mit Grips reich werden kann: Anja Jardine hat sich von der Expertin für gute Partien, Ginie Sayles, coachen lassen und in Zürichs Widder-Bar versucht, einen Millionär aufzugabeln. "Altes Geld sei ihr am liebsten, sagte Ginie, diese Spezies sei am feinsten entwickelt. Außerdem sei ihr eigener Marktwert in der Begegnung mit Erben von altem Geld am höchsten, da sie frischen Wind in deren verstaubte Welt bringe. Neues Geld hingegen sei ihr zu ähnlich: aufgestiegen aus armen Verhältnissen, immer hart gekämpft, ehrgeizig. In diesem Moment erklimmt in der 'Widder-Bar' ein älterer Herr, gestützt von einer 25-Jährigen, einen Barhocker. Bei allem Respekt vor den Evolutionspsychologen - die aktive Jagdzeit dieses Mannes liegt doch ein bisschen sehr lange zurück. Der Gelockte an meiner Seite hat sich mittlerweile offensiv mir zugewandt, und mich erfasst eine gewisse Mutlosigkeit. Das ist der Zeitpunkt, die Toilette aufzusuchen und mich 'meiner Fruchtbarkeitskurve zu vergewissern'. Das geht so: Mit den Fersen an die Wand stellen, Brustkorb aufrichten, so dass Hinterkopf, Schultern, Po und Waden die Wand berühren, dann tief durchatmen und das Mantra murmeln: Ich bin wundervoll, Männer sind wundervoll, Sex ist wundervoll!"

Peter Haffner denkt über wirklich brauchbare Dinge nach, die ihn reich machen könnten. Eine Idee wäre der Pitrosto - ein Pinkeltropfenstopper. "Denn wie man ihn schüttelt, dreht und windet - mirakulös löst sich ein Tropfen, sowie er zurück in der blendend weißen Unterhose ist, die nun, da man eine Vitamin-B-Tablette geschluckt hat, einen leuchtend gelben Fleck aufweist, der einen im Fitnessstudio und bei Frauen zum kleinen Calvin erniedrigt. Vielleicht ein Schwämmchen, wie beim Teekannenschnabel?"

Weiteres: Christof Moser porträtiert den Schweizer Kebabkönig Erdogan Gökduman, früher Tellerwäscher, heute Millionär: "Es ist ein harter Kampf, der hier mit Schlachttiererzeugnissen ausgefochten wird, und der Schlachtruf der Sieger ist auch auf der Straßenseite des Verlierers nicht zu überhören: 'Mit alles, scharf?' Der Mann von 'McDonald's' lächelt gequält." Christoph Plate schlägt vor, nur in solche Länder zu investieren, in denen es nur besser werden kann: Seine derzeitigen Favoriten sind Simbabwe und Syrien. Der Unternehmensberater Heinrich Christen ist unzufrieden mit den Schweizer Jununternehmern - hervorragend ausgebildet sind sie, aber es fehlt ihnen "der Biss". Und Luca Turin geht für die "Duftkolumne" zu einer Privataufführung von "Das Parfum".
Archiv: Folio

Gazeta Wyborcza (Polen), 02.06.2007

Für einiges Aufsehen sorgte in Polen letztens der Fall eines Internetservices von Amateur-Übersetzern, die polnische Untertitel für alte und neue Filme zur Verfügung stellten. Filmverleihe, darunter die polnische Gutek-Film, klagten; jetzt wurde der Service durch rabiates Eingreifen der Polizei still gelegt. Für Jaroslaw Lipszyc reiht sich das Ereignis ein in eine weltweite Kampagne, bei der Urheberrechte immer rigider interpretiert und mit Polizeigewalt durchgesetzt werden. Außerdem offenbare der Fall "die Frontlinie im Kampf um die Gestalt der Informationsgesellschaft. Es geht hier nicht um die Einhaltung des Gesetzes, und auch nicht um die Veröffentlichung von Untertiteln - es geht um die Sprache, in der wir die Prinzipien der Informationsweitergabe formulieren werden. Die Information als solche".

Der Literaturkritiker Andrzej Werner bedauert, dass immer weniger Filme nach literarischen Werken gemacht werden: "Die Allianz von Literatur und Film ist zu Ende. Man braucht nur auf die Zahlen schauen: Filme, die von zeitgenössischer Literatur inspiriert wurden - insbesondere Filme junger Autoren, die junge Literatur verwerten - sind die Ausnahme." Den Grund dafür sieht Werner darin, dass die aktuelle polnische Prosa über die Wirklichkeit nicht viel zu sagen hat. Stattdessen geht es immer mehr um die eigene Subjektivität des Autors und um die Sprache als Ziel der Darstellung. "Natürlich soll die Literatur niemandem dienen, aber gerade ein Zusammengehen beider Erzählweisen wäre von Vorteil für die ganze Kultur. Und wenn es in der Kultur an authentischen Debatten über die Realität fehlt, was darf man dann von Politik und Gesellschaft erwarten?"
Archiv: Gazeta Wyborcza

New Yorker (USA), 11.06.2007

In dieser Ausgabe sind sieben Texte von Schriftstellern über Sommerfilme zu lesen. Dabei geht es um Filme, die im Sommer spielen, oder um Erinnerungen an ein Kinoerlebnis im Sommer. Jeffrey Eugenides schreibt über einen australischen Film mit dem Titel "Walkabout", den er im Yachtklub von Detroit sah. Eugenides beginnt mit der Überlegung: "Irgendwie komisch, dass es so was wie 'den Sommerfilm' geben soll. Die temperaturgesteuerte Zeitlosigkeit von Kinos spricht eigentlich gegen jahreszeitliche Kategorien. In den Tage des Autokinos, als man noch das Fenster runterkurbelte, um den krächzenden Lautsprecher in den Wagen zu hängen, konnte man die Luftfeuchtigkeit spüren. Außerdem kroch unweigerlich ein Insekt über die Projektorlinse und erschien vergrößert auf der Leinwand. Ein derartig großer Käfer erinnerte einen daran, dass Sommer war. Aber in einem Kino konnte jede Jahreszeit sein."
Die anderen Sommerfilm-Beiträge stammen von Dave Eggers, Marisa Silver, Gary Shteyngart, Roger Angell, Charles D?Ambrosio und Miranda July.

Weiteres: D.T. Max stellt das Harry Ransom Humanities Research Center, das literarische Archiv der University of Texas in Austin und seinen findigen Direktor Thomas Staley vor und geht der Frage nach, weshalb die Archive so vieler berühmter Schriftsteller ausgerechnet dort landen. Edwidge Danticat erzählt die Geschichte von Marie Micheline, die elternlos in Haiti aufwuchs und 1988 dort in einer Auseinandersetzung gegnerischer Militärtruppen erschossen wurde. Zu lesen ist außerdem die Debüterzählung "Sweetheart Sorrow" von David Hoon Kim und Lyrik von Dana Goodyear und Yehuda Amichai.

Elizabeth Kolbert rezensiert zwei neue Biografien, die nach der "wahren" Hillary Clinton suchen: "A Woman in Charge" von Carl Bernstein (Knopf) und "Her Way: The Hopes and Ambitions of Hillary Rodham Clinton" von Jeff Gerth und Don Van Natta Jr. (Little, Brown). Dan Chiasson porträtiert den Lyriker Les Murray. Peter Schjeldahl führt durch die große Ausstellung von Richard Serra im MoMA. Sasha Frere-Jones stellt das "pingelige" neue Album der Band Spoon vor. Hilton Als bespricht das autobiografische Musical "Passing Strange" des Musikers und Sängers Stew über Migration. Und David Denby sah im Kino den Thriller "Mr. Brooks" von Bruce A. Evans mit einem ausgezeichneten Kevin Costner, den Dokumentarfilm "Crazy Love" von Dan Klores und das Sequel "Ocean?s Thirteen" von Steven Soderbergh.
Archiv: New Yorker

Plus - Minus (Polen), 02.06.2007

Cannes-Gewinner Cristian Mungiu sagt im Interview über seinen Film "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage": "Er berührt die Osteuropäer sehr. Das heißt, dass unsere rumänischen Probleme so anders nicht waren, als die der Polen, Bulgaren oder Ostdeutschen. Der Kommunismus birgt viele menschliche Tragödien, über die man bis heute nicht laut spricht." Er stehe aber auch für die Wiedergeburt des rumänischen Kinos: "Wir finden langsam einen eigenen Weg. Nach dem Fall des Kommunismus waren wir zu sehr im alten Denken verfangen. Und wir wollten gleich mit allem und allen abrechnen. Es entstanden oberflächliche und schwer verdauliche Filme. Jetzt werden wir diesen Makel los."

"Israel muss das Problem der palästinensischen Flüchtlinge lösen", schreibt in einem Beitrag Amos Oz. Nur: nicht durch ein Rückkehrrecht. "Dann hätten wir nämlich zwei palästinensische Staaten und keinen jüdischen. Die Lösung des Problems liegt in unserem Interesse, denn so lange Hunderttausende in Lagern vegetieren, werden wir keinen Frieden haben. Es ist an der Zeit, unsere Mitverantwortung für diese Tragödie anzuerkennen und an der Wiederansiedlung der Flüchtlinge außerhalb der in einem Friedensvertrag festgelegten Grenzen Israels mitzuarbeiten."
Archiv: Plus - Minus
Stichwörter: Oz, Amos, Rumänisches Kino

Economist (UK), 01.06.2007

Der noch amtierende Premierminister Tony Blair veröffentlicht im Economist unter dem Titel "Was ich gelernt habe" eine in die Zukunft gerichtete Bilanz seiner Amtszeit. Unter anderem warnt er nachdrücklich davor, den islamistischen Terrorismus zu unterschätzen: "Dieser neue Terrorismus hat eine Ideologie. Er beruht auf einer kompletten Pervertierung des eigentlichen islamischen Glaubens. Er profitiert aber von einem in der muslimischen Welt verbreiteten Gefühl der Trauer und dem Empfinden, ein Opfer zu sein. Viele kritisieren seine Methoden. Aber zu viele stimmen mit einigen seiner Zielsetzungen überein. Sein Weltbild ist restlos reaktionär. Aber sein Verständnis für das, was Terrorismus in der globalisierten Welt bedeutet, welche Macht er hat, ist von erschreckender strategischer Raffinesse."

Weitere Artikel: Der Economist berichtet von Anstrengungen, afrikanische Wissens- und Bücherschätze in Bibliotheken im Timbuktu zu sammeln und zu konservieren: Es geht dabei um "mehr als 150.000 Manuskripte, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen und von Schlachten, Astronomie, Naturwissenschaft und der Musik ihrer Zeit berichten." heftig kritisiert wird in gleich zwei Artikeln die Schließung des oppositionellen venezolanischen Privatsenders RCTV. Einander gegenübergestellt werden Christopher Hitchens' Buch "Gott ist nicht groß: Wie Religion alles vergiftet" und Francis Collins Streitschrift pro Gott "Die Sprache Gottes: Ein Wissenschaftler liefert Beweisstücke des Glaubens". Besprochen werden auch eine Amsterdamer Ausstellung mit Werken Max Beckmanns und ein Buch des Ungewissheitsforschers Nassim Nicholas Taleb über unsere Unfähigkeit, mit dem Zufall zu rechnen. In seiner Rezension von Gordon Browns Buch über acht seiner Helden (Titel: "Mut: Acht Porträts") vermisst der Economist in der Porträtgalerie Kämpfer gegen den Kommunismus. Die Titelgeschichte widmet sich den Maßnahmen von Unternehmen und Wirtschaft gegen den Klimawandel.
Archiv: Economist

Elet es Irodalom (Ungarn), 04.06.2007

Peter Esterhazy, Imre Kertesz, Peter Nadas - fast alle wichtigen ungarischen Schriftssteller haben mindestens ein Jahr auf Einladung des DAAD in Berlin verbracht. Der Berlin-Aufenthalt prägte ihr Leben und Schreiben entscheidend, wie sie in der Anthologie "Berlin, meine Liebe. Schließen Sie bitte die Augen" schreiben. Berlin habe eine Offenheit gegenüber Osteuropa, die man in Paris oder Wien vergeblich suchen würde, schreibt Rezensent Tamas Jozsef Remenyi. "Der Berlin-Aufenthalt bedeutete die Möglichkeit, den intellektuellen Akku aufzuladen, international sichtbar zu werden und frei atmen zu können. Letzteres hatten ungarische Autoren nicht nur vor 1989 dringend nötig. Freies Atmen ist nicht nur eine politische Kategorie, sondern auch ein Gefühl der kulturellen Weite, Ruhe und existenziellen Sicherheit. Es ist absurd, dass etablierte ungarische Autoren erst im Ausland in Ruhe arbeiten können. Das ist nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern auch der Aufmerksamkeit und Anerkennung. Budapest sollte seine Schriftsteller lieben lernen. Wir sollten uns schämen, dass Deutschland unseren Autoren eine Unterstützung gewährt, die sie von uns vergeblich erwarten. Sind deutsche Leser neugieriger auf uns - und auf ihr eigenes Spiegelbild in unserer Literatur -, als wir auf uns selbst?"

Weiteres: Das Buch wird alles überleben, sagte der Schriftsteller Andras Forgach in seiner Rede, mit der die Ungarische Buchwoche, die größte ungarische Buchmesse am Wochenende in Budapest eröffnet wurde. Der Literaturwissenschaftler Gabor Gango versucht herauszufinden, warum das kulturelle Erbe der Habsburger Monarchie nur noch für die Ungarn wichtig ist. Auf der Homepage der Onlineausgabe zeigt das ES-Magazin in einem kurzen Video, wie man seine Wertschätzung gegenüber jedem Buchstabe zum Ausdruck bringen kann.

Times Literary Supplement (UK), 01.06.2007

Chris Patten, letzter Gouverneur von Hongkong, hat Elizabeth Roberts spannende Geschichte Montenegros "Realm of the Black Mountains" gelesen und gibt seine Einschätzung der Lage: "Selbst für europäische Standards ist Montenegros Geschichte erstaunlich turbulent und brutal. Man wäre schlecht beraten, sich mit einem Montenegriner anzulegen. Ihren Kampf um die Macht führten die Kriegsherren, Fürstbischöfe und Könige durch Enthauptungen, Vergiftungen und Blendungen. Ein Herrscher ließ seinen Bruder ans Kreuz nageln und in zwei Hälften zersägen. Köpfe rollten und wurden als Fußball benutzt oder geschenkverpackt dem Sultan geschickt. Zum Islam übergetretene Menschen wurden massakriert. (...) Kein Wunder, dass der Carnegie-Report über die regionalen Kämpfe während des Ersten Weltkriegs den Gebrauch von Terror gegen die Zivilbevölkerung festhielt, mit dem nationalistische Ideologen die Menschen von ihrem Land vertrieben. Diese erbärmliche Taktik hat sich in den Balkankriegen in den neunziger Jahren fortgesetzt. Montenegrinische Manieren haben sich offenbar nicht sonderlich gebessert."

Weiteres: Für Bharat Tandon bezeugt die Anthologie junger amerikanischer Autoren "Granta 97" vor allem den Aufstieg der "Deadly Earnests": "Viele Geschichten kommen in einem wenig ermutigenden Sinn als gekonnt daher, sie machen ihr Ding, ohne sich schlecht oder innovativ genug zu benehmen, um einen wirklich zu treffen - abgesehen vielleicht von ihrem ausgewiesenen Mangel an Komik." Besprochen werden außerdem neue Bücher über Risiken und Nebenwirkungen von Schwangerschaften und eine Auswahl von Ted Hughes' Lyrik-Übersetzungen.

Figaro (Frankreich), 01.06.2007

Wird die Wissenschaft den Atheismus widerlegen? Diese Frage diskutieren der Philosoph Andre Comte-Sponville (mehr hier) und der Mathematiker, Paläontologe und Gründer der Universite interdisciplinaire de Paris, Jean Staune ("Notre existence a-t-elle un sens?", Auszug) in einem lebhaften Gespräch. Mit Verve widerspricht Comte-Sponville darin der These Staunes, die Philosophie lasse sich ohne Wissenschaft gar nicht denken. "Das ist eine Platitüde oder ein Irrtum! Aristoteles und Epikur sind unendlich erhellender als mein Freund Jean Staune. Schlicht, weil es auf der Ebene der Metaphysik keinen Fortschritt gibt. Das heißt, die großen Metaphysiker sind per Definition unüberschreitbar. Die Wissenschaft des Vergangenen ist eine überlebte Wissenschaft. Die großen Philosophien werden niemals von der Wissenschaft widerlegt werden: Sie bleiben lebendig." Staune hält dagegen: "Aber die Wissenschaft wirft all die philosophischen Konstruktionen über den Haufen, die auf der Vorstellung basieren, das Universum sei 6000 Jahre alt oder die Erde sei das Zentrum der Welt. Meiner Auffassung nach gilt das auch für die Philosophien, die auf der ausschließlichen Selbsterhaltung der Materie basieren, was sowohl die gegenwärtigen als auch vergangenen Systeme in Frage stellt."
Archiv: Figaro

Prospect (UK), 01.06.2007

In der Titelgeschichte berichtet Shiv Malik über seine monatelangen Recherchen im zu Leeds gehörenden Stadteil Beeston, wo Mohammed Sidique Khan, der Anführer der Londoner Selbstmordattentäter lebte. Malik lernte den Bruder des Attentäters kennen und erfuhr, dass ein mit religiösen Differenzen verbundener Generationenkonflikt in der pakistanischen Gemeinschaft für die Radikalisierung die wichtigste Rolle spielte - und spielt: "Viele Journalisten, die nach dem 7. Juli hier ankamen, sahen die Armut des Bezirks und nahmen an, dass da ein direkter Zusammenhang zu den Bombenanschlägen bestehen muss. Je mehr wir aber über Beeston und die Attentäter erfuhren, desto klarer wurde uns, dass diese Hypothese eine falsche Fährte ist. Obwohl Armut und Ausgrenzung Themen sind, die sich durch die Leben der Attentäter ziehen, sind es viel eher Spannungen innerhalb der traditionellen pakistanischen Gemeinschaft in Großbritannien, die die Radikalisierung, die den Tod von 56 Menschen zur Folge hatte, am ehesten erklären."

Weitere Artikel: In einem Essay erläutert Jonathan Ree, warum der Roman und der Essay natürliche Verbündete der Demokratie sind. Bella Thomas erzählt von einer Reise nach Kuba - und zeigt wenig Verständnis für anhaltende Versuche, Fidel Castros sozialistische Diktatur zu romantisieren. Nur im Netz gibt es den Nachruf von Geoff Mulgan auf die im Alter von 86 Jahren verstorbene Anthropologin Mary Douglas.
Archiv: Prospect

New Republic (USA), 04.06.2007

Auf der Website der New Republic schreibt Paul Berman (Autor eines Buchs über Joschka Fischer) ein längeres Porträt über Bernard Kouchner, den neuen französischen Außenminister und ehemaligen "Arzt ohne Grenzen", den er als eine Parallelfigur zu Daniel Cohn-Bendit aufbaut. Die beiden haben 2004 gemeinsam ein Buch gemacht. Kouchner war für den Irak-Krieg, Cohn-Bendit dagegen, Stoff für eine lange Debatte. Das Buch hieß "Wenn du Präsident wirst." "Vaclav Havel hat einmal über den 'postmodernen Politiker' geschrieben, einen Politiker, der seine eigene Macht nicht allzu ernst nimmt, der sich von den Illusionen seiner Position nicht verführen lassen will. 'Der Staat bin nicht ich' ist das Motto eines postmodernen Politikers. Nach diesem Standard waren Kouchner und Cohn-Bendit ideale Postmoderne. Das Buchcover zeigte sie gleich als Lachende - Cohn-Bendit mit seinem Engelsgesicht und immer noch rotem Haar, Kouchner mit starker Nase und gemeißeltem Kinn. Beide saßen auf comichaft überpolsterten Sesseln, die seltsamerweise auf einer schütteren Rasenfläche aufgestellt waren."
Archiv: New Republic

al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 04.06.2007

Ähnlich wie in Deutschland zeigte man sich auch in der Türkei verärgert über den Ausgang des jüngsten Eurovision Song Contest in Helsinki. Samir Saliha berichtet über die türkische Kritik: "Viele Staaten folgten bei ihrer Stimmenvergabe leider immer wieder engstirnigen Überlegungen, die dem Geist des Wettbewerbs und dessen eigentlicher Intention - nämlich die europäischen Staaten einander kulturell, medial und künstlerisch näherzubringen - zuwiderlaufen. Als Beleg verweist so mancher Türke darauf, dass Ankara den größten Teil seiner Punkte über lange Jahre ohne Zögern und ohne Hintergedanken an Griechenland, Griechisch-Zypern, an Armenien und an Israel gegeben habe - während diese Staaten mit ihrer Erwiderung und Wertschätzung sehr geizten. Im vergangenen Jahr gab die Türkei Armenien 10 Punkte, in diesem Jahr sogar 12, von armenischer Seite aber kam gar nichts. Und dies obwohl der türkische Wettbewerber ein professioneller Künstler ist, dem die Zuhörer und die europäische Öffentlichkeit Bewunderung entgegenbrachten und der mit 163 auf den vierten Platz kam."

In einem Interview beschreibt der in Frankreich lebende tunesische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb sein Verhältnis zu den französischen Intellektuellen Alain Finkelkraut und Bernard-Henri Levy. Obwohl er deren Kritik am Islamismus voll und ganz teile, möchte er doch an einem festhalten: "Ein anderer Islam ist möglich."

New York Times (USA), 03.06.2007

Wurden Jesus beim letzten Abendmahl Fliegenpilze aufgetischt? Wilde Blüten der Kulturgeschichtsschreibung entdeckt Dick Teresi in Andy Letchers Buch über halluzinogene Pilze ("Shroom"): "Pilz-Mythologen wie Terence McKenna bedienen sich der zweifelhaften Logik der Neo-Darwinisten: Was immer geschehen sein könnte, ist auch geschehen. Daher die Annahme, unsere steinzeitlichen Vorfahren hätten in Viehmist gezogene Psilocybe (Gattung der Kahlköpfe) verspeist und dadurch einen schärferen Blick und einen evolutionären Vorteil erhalten. In mittlerer Dosis beförderten die Pilze die Fortpflanzungsfähigkeit, hohe Dosen brachten die Protomenschen zum Sprechen. Ihre ersten Worte lauteten wohl: Oh, wow!" Mit solchen Märchen, meint Teresi, räumt Letcher auf, ohne allerdings die Lust auf einen Mushroom-Trip zu schmälern.

Weiteres: Jonathan Lethem schwärmt von Ian McEwans Fähigkeit, den Horror des Alltäglichen zu beschwören - in seinem neuen Roman " On Chesil Beach" (Auszug, Autorenfeature). Christgau findet Chris Salewiczs' Biografie über den "Clash"-Frontmann Joe Strummer gut gemeint, aber etwas schwerfällig (Auszug "Redemption Song"). Dick Cavett liest Jeff Wiltses Sozialgeschichte der Badeanstalt (Auszug "Contested Waters") auch als Geschichte des Rassismus in den USA. Und die Times empfiehlt Sommerlektüre: Reiseliteratur, Comics und Kochbücher.
Archiv: New York Times