Post aus der Walachei

Kino in Rumänien

Eine Wiedergeburt mit Komplikationen. Von Hilke Gerdes
27.04.2004. "Good bye Lenin" lief mit Erfolg in Rumänien. Sonst aber dominiert Hollywood. Und das rumänische Kino muss sich von der Vetternwirtschaft des Förderwesens befreien.
Als Lenin an Christiane Kerner vorbeischwebt, um auf dem Schutthaufen der Geschichte zu landen, brandet Applaus in der vollbesetzten Sala Palatului auf. Etwa 3000 Zuschauer klatschen minutenlang. Unmissverständlicher kann eine Beifallsbekundung nicht sein.

Als die Kamera über Ostberlin inklusive Karl-Marx-Allee schwenkt, fragt der Junge hinter mir seine Eltern: Ist das Moskau? Gute Beobachtung.

Das Publikum ist gemischt: junge Leute, Familien, ältere Paare. Es wird an den Stellen gelacht, an denen auch die Deutschen lachen. Die Bedeutung der Spreewaldgurken wird den meisten hier Zuschauern hier wohl entgangen sein. Macht aber nichts, denn genügend anderes ist so ähnlich auch in Rumänien: der Siegeszug von Coca Cola, hier noch extremer als in der DDR; arbeitslos werden; der alte Sozialist, der die Auswüchse des Kapitalismus heranziehen sieht; oder die Nachbarin, die sich nach den alten, überschaubaren Zeiten sehnt.

Doch es gibt Unterschiede, die beträchtlich sind und die auf der rumänischen Seite registriert werden. Hier wurden die Regale nach der Wende nicht komplett mit Westwaren gefüllt, niemand zahlt Solidaritätszuschlag, hier gab es keine Revolution mit Ablösung sämtlicher Kader, immer noch sind ehemalige Kommunisten an der Macht und der Geheimdienst besteht weiterhin, wenn auch in umstrukturierter Form.

Bukarester Kino

Nach der Premiere Anfang Dezember lief "Good bye Lenin" noch für mehrere Wochen in der Stadt. Es ist der erste deutsche Film, den wir hier seit unserer Ankunft im Sommer in den regulären Kinos sehen. Deutsche Produktionen werden ansonsten im Goethe-Institut gezeigt. Dessen Filmprogramm war in den letzten Monaten etwas mager: eine Tatort-Reihe aus den achtziger Jahren und Kurzfilme des Oberhausener Festivals.

Nach dem sehr erfolgreichen "Good bye Lenin" lief ein anderer europäischer Film an, der sich trotz seiner nicht leicht konsumierbaren Machart für Wochen im Kino hält: Lars von Triers "Dogville". Die meisten Menschen interessieren sich jedoch hier wie anderswo für die großen Hollywood-Produktionen mit berühmten Schauspielern und unterhaltsamem Plot.

Im Kinocenter Hollywood Multiplex, in der Bucarest Mall gelegen, laufen die Premieren der meisten amerikanischen Filme. Zumeist zwischen drei und sechs Monate später als in Deutschland. Dafür zahlt man Spitzenpreise: Bis zu vier Euro kostet die Eintrittskarte in den zehn hoch modernen Kinosälen. Das ist das Dreifache von dem, was man durchschnittlich in den kleineren, älteren Kinos zahlt.

Paradiesische Zustände?
Bukarest ist mit seinen gut zwei Dutzend Kinos ein Paradies für Kinogänger, die deutsche Eintrittspreise gewöhnt sind. Auch Anhänger von Originalversionen kommen hier auf ihre Kosten, denn die Filme sind so gut wie nie synchronisiert.

Verzeichnet ist das tägliche Filmangebot in den kostenlosen Veranstaltungsblättern (etwa hier), die überall ausliegen, allerdings auf Rumänisch. Auch mit Kenntnissen in anderen romanischen Sprachen ist es nicht immer leicht, die Filmtitel zu erraten. Wer kommt schon darauf, dass "Stapanul inelelor: Intoarcerea Regelui" der dritte Teil von "Herr der Ringe" ist? Hier machen sich die türkischen (und an anderen Beispielen) die slawischen Einflüsse im Vokabular bemerkbar. Doch der Ausländer muss nicht verzweifelt im Wörterbuch nachschlagen, im Register der Veranstaltungsblätter lassen sich die Originaltitel der Filme finden.

Wer genug hat vom zeitgenössischen Mainstream, dem steht zwar kein riesiges, aber dennoch interessantes Angebot an "anderen" Filmen zur Verfügung. Die rumänische Kinemathek zeigt in ihren zwei Kinosälen internationale Klassiker und rumänische Filme.

Von den ausländischen Kulturinstitutionen ist im Filmbereich besonders das Institut Français sehr aktiv. In dem ihm angeschlossenen Cinema Elvira Popescu (benannt nach der rumänischen Schauspielerin) gibt es regelmäßig Filmfestivals und Filmreihen. So konnte man vor einiger Zeit neueste koreanische Produktionen kennen lernen. Und anläßlich des hier viel beachteten Internationalen Frauentages am 8. März wurden unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Spielfilme von und mit Frauen vorgestellt. Aus Deutschland waren dabei Domink Grafs "Der Felsen" und Dorris Doerries' "Bin ich schön?".

Altbekannter Trend
Die Ausstattung der meisten Säle ist gemessen an den großen Kinokomplexen, die überall in den hoch industrialisierten Ländern aus den Boden geschossen sind, allerdings mangelhaft: Ohne Klimaanlage, Dolby-Surround-System, Popkorn- und Getränkeverkauf könne man das Gros des Publikums nicht anlocken. Und dies sei das zentrale Problem des rumänischen Filmwesens, meint Decebal Mitulescu.

Der Direktor des Centrul National de Cinematografie führt beeindruckende Zahlen an: 2003 seien in Rumänien von insgesamt 5 Millionen Eintrittskarten allein im Hollywood Multiplex in Bukarest 1,2 Millionen verkauft worden. Knapp 3300 Besucher am Tag. Gut 25 Prozent aller Kinogänger in Rumänien - kaum zu glauben.

Begeistert erzählt er, dass noch in diesem Jahr mit dem Bau von fünf neuen Multiplex begonnen werde. Jemand, der die Atmosphäre alter Kinosäle bevorzugt, kann nur feststellen: Es ist hier auch nicht anders als woanders.

Rumänische Filme werden in den entstehenden Multiplex-Kinos wohl eher selten zu sehen sein, denn Hollywood-Format haben nur wenige. Und dass diese Kinos einen Off-Bereich anbieten werden, ist zu bezweifeln.

Rumänisches Filmwesen
Viele derjenigen, die nach dem Ende der Diktatur einen Aufschwung des rumänischen Films erhofft hatten, haben diese Hoffnung inzwischen so gut wie begraben. Was macht das Filmen in Rumänien so schwierig?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich die Struktur der rumänischen Filmindustrie vor Augen halten. Es gibt so gut wie keine privaten Geldgeber, weshalb die Filmemacher abhängig sind von der staatlichen Filmförderung. Die dafür zuständige Organisation, der Centrul National de Cinematografie (CNC), untersteht dem Ministerium für Kultur, ihr Direktor wird von dem Kulturminister ernannt. Ebenso wie die jährlich wechselnde Jury, welche die zu fördernden Filmprojekte auswählt.

Diese Nähe zur Regierung ohne unabhängige Kontrollinstanzen wird insbesondere von Filmemacher der jüngeren Generation mit Misstrauen betrachtet, denn sie wissen, nach welchen Prinzipien viele rumänische Politiker bis heute agieren: Es geht weniger um die Sache, als um eigene Interessenlagen.

So lässt sich beantworten, warum Regisseure, die in Zeiten der Diktatur, zu den erfolgreichsten Filmemachern gehört haben, noch heute staatliche Gelder für historische Kostümfilme erhalten. Wie der Regisseur und Senator der regierenden PSD, Sergiu Nicolaescu, der schon Ende der sechziger Jahre mit pathetischen Filmen zur rumänischen Geschichte große Erfolge feierte. Und warum zum Beispiel das Filmprojekt von Florin Iepan über eines der traurigsten Kapitel der Ceausescu-Ära, das Abtreibungsverbot und die illegale Abtreibungspraxis, die Tausende von Frauen das Leben gekostet hat, keine Förderung von Seiten des CNC bekam. Dass dieses Projekt von ausländischen Filmanstalten (und Arte) als förderungswürdig bewertet wurde, hatte niemandem zu denken gegeben. Erst nach vehementen Protesten wurden vom CNC Gelder bereitgestellt. Mitulescu ist sich des Problems bewusst. Eine stärkere Überprüfung der Qualität eingereichter Filmprojekte sei notwendig.

Wahljahr
"Dieses Jahr sind Wahlen. Wer weiß, was dann passiert?", meint Christi Puiu, der diesjährige Berlinale-Gewinner im Kurzfilm-Bereich. Puiu, der für zwei Filme vom CNC gefördert wurde, gehört zu den jungen Regisseuren (Jahrgang 1967), die 2003 in einem Protestbrief auf die mangelnde Transparenz im Auswahlverfahren der zu fördernden Projekte hinwiesen.

Die Regierung hatte daraufhin mit einer Notverordnung regiert und eine rumänientypische Lösung parat: Wie Ende 1989 von heute auf morgen die kommunistische Partei offiziell aufhörte zu existieren, wurde Ende Juni 2003 die Abschaffung des viel kritisierten Colegiul Consultativ angeordnet.

Direktor dieses einflussreichen Gremiums innerhalb des CNC war Sergiu Nicolaescu. Offiziell hat er jetzt im CNC keine Funktion mehr... Puiu hält sogar seine Reinstallierung im CNC für möglich. Es sei kein Wunder, dass Dada und Absurdes Theater von Rumänen erfunden worden sei, meint Puiu. Hier sei das Absurde alltäglich.

Nicolaescus Name begegnet mir zufällig in anderen Zusammenhängen wieder: Er hat Bauprojekte. Auf Grundstücken, die der CNC vom Verteidigungsministerium übernommen hatte (mehr hier). So lernt man, wie die Dinge funktionieren. Es ist nichts Rumänienspezifisches, aber in seiner Offenheit verblüffend.

Bescheidene Budgets
Anders als bei so manchem Immobiliengeschäft geht es bei der Filmförderung nicht um riesige Geldsummen. Insgesamt standen dem CNC 2003 4,5 Millionen Euro an Fördergeldern zur Verfügung. Von dieser Summe kamen weniger als eine Million Euro direkt vom Staat; der Rest wurde durch die prozentualen Einnahmeabgaben im Videohandel, in der Fernsehwerbung und dem Verkauf von Kinokarten finanziert.

Spielfilme erhalten eine maximale Förderung von 250.000 Euro. Verzichtet man auf aufwändige Technik, Filmausstattung und teure Locations, lässt sich damit schon ein Spielfilm realisieren. Doch das sagt ein Produzent nicht, wenn er sich um die Förderung bewirbt. Denn es ist Gesetz, dass nur 65 Prozent der Produktionskosten des Filmes vom CNC finanziert werden, bei Debütanten 80 Prozent.

Man bläst seine Kalkulation künstlich auf, um die gesamten Kosten gefördert zu bekommen. Womit wir an einem weiteren wunden Punkt im System des rumänischen Filmwesens angelangt sind: die Produzenten.

Hoffnung?
Filmkritiker wie Valerian Sava attestieren den Produktionsfirmen mangelnde Seriosität. Dass viele weniger am Film als an der Einnahme der Fördergelder interessiert sind, musste auch Cristi Puiu erleben. Puiu hatte seinen 2001 in Cannes erfolgreichen Film "Marfa si Banii" (Koks und Kohle) fast nicht zu Ende bringen können, weil der Produzent, eine staatliche Filmproduktion, die Hälfte des Geldes von der staatlichen Filmförderung unterschlagen hatte.

Die beiden großen Produktionsfirmen, Mediapro Pictures und Castel Film, seien nicht am rumänischen Film interessiert, sagt auch der Direktor des CNC freimütig. Sie kooperieren mit ausländischen Firmen. So konnte Castel Film die Produktion von "Cold Mountain", mit dem die diesjährige Berlinale eröffnet wurde, ins Land holen, was finanziell mehr bringt.

Doch Mitulescu ist hoffnungsvoll; je mehr gut ausgestattete Kinos entstehen, desto attraktiver werde der Markt auch für rumänische Produktionen. Seit dem Tiefstand im Jahre 2000, in dem kein rein rumänischer Film entstanden ist, sei man heute mit 18 Spiel- und 17 Kurzfilmen doch schon erheblich weiter. Und es sei zudem eine zuverlässige Produzentenklasse am Entstehen. Jüngere Regisseure sehen das anders.

Alternativen
Sie versuchen ihre Gelder aus anderen Ländern zu bekommen oder selbst eine Produktionsfirma aufzubauen, wie Christi Puiu.

Die Forderung nach Abkoppelung des CNC vom Kulturministerium wurde bisher abgelehnt. Erst müsse die Privatisierung aller staatlichen Filmeinrichtungen abgeschlossen sein, heißt es. Warum? Darüber lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Der Kulturminister Razvan Theodorescu war bis vor kurzem als Rektor an der Privatuniversität Mediapro tätig. Sie gehört Adrian Sirbu. Er besitzt auch die gleichnamige Produktionsgesellschaft, einen TV-Sender und die ehemals staatlichen Filmstudios in Buftea. Reicht das?