Außer Atem: Das Berlinale Blog

Hält spielerische Halbdistanz: Serpil Turhans Porträtfilm 'Rudolf Thome – Überall Blumen' (Forum)

Von Lukas Foerster
17.02.2016. Keine Hommage. Serpil Turhans Porträtfilm über Rudolf Thome zielt auf die Differenz zwischen Dokumentarischem und Fiktionalen, nicht auf die großen, letzten Enthüllungen.


Seine Filme und sein Bauernhof sind über die Jahre miteinander verwachsen, meint Rudolf Thome an einer Stelle. Erstanden hat er das Anwesen im brandenburgischen Nierndorf kurz nach der Wende, weil er dank des Box-Office-Überraschungserfolgs von "Das Mikroskop" Geld übrig hatte. Seither sind alle Übeschüsse in die Renovierung geflossen. Heute, beziehungsweise im Jahr 2014, durch das der Film den Regisseur begleitet, ist der Hof in Schuss, im Garten blühen Blumen (die teilweise einem benachbarten Wald entwendet sind), nur das Wasser im Teich muss immer mal wieder ausgewechselt werden (was Geduld erfordert, für allem, wenn man am Rand sitzt und zuschaut; ein geduldiger Mensch ist Rudolf Thome nicht immer).

Mit den Filmen ist es dagegen erst einmal vorbei. Die Degeto, jahrelange Hauptfinanzierungsquelle des Thome-Kinos, hat den Geldhahn zugedreht (und dadurch ihre Existenzberechtigung endgültig verspielt). Nicht ganz unwahrscheinlich, dass "Ins Blaue", eine raffinierte, leichtfüßige Metafiktion, in der der Regisseur ein weiteres Mal eine filmische Italienreise unternimmt, sein Abschiedsgeschenk ans Kino sein wird. Wobei man sich da bei Thome nie sicher sein kann; abgeschrieben war er, für den Mainstream der Branche und der Kritik, im Verlauf seiner Karriere oft genug, bislang hat er noch stets eine Möglichkeit gefunden, weiter zu arbeiten. Im Verlauf des Porträtfilms, den Serpil Turhan über ihn gedreht hat, plant er ebenfalls ein neues Projekt, against all odds und vielleicht ja mithilfe von Crowdfunding: "Überall Blumen" soll es heißen, im Drehbuch geht es unter anderem (aber eben nicht nur) ums Altwerden.

Turhan hat für Thome erst für drei Filmen vor der Kamera gestanden, und ihn anschließend bei einigen weiteren in wechselnder Funktion unterstützt. "Rudolf Thome - Überall Blumen", ihr zweiter eigener langer Film (nach einem Studium an der Karlsruher Akademie der Künste bei Thomas Heise), ist in jeder Einstellung durchdrungen von der Vertrautheit und Zuneigung der jungen Filmemacherin zum alten Filmemacher; gerät aber nicht für einen Moment in die Gefahr, in eine Huldigung umzuschlagen. Turhan entscheidet sich für eine spielerische Halbdistanz, die in einer Szene früh im Film bei der Morgenrasur explizit wird: Der Badezimmerspiegel ist ungeputzt, das Haar nicht gekämmt, schließlich ist das hier ein Dokumentarfilm; aber einen Bademantel zieht sich Thome trotzdem an.



Die Fragen, die Turhan aus dem Off an Thome richtet, zielen zwar durchaus darauf ab, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken, aber auch das hat stets zuerst etwas Spielerisches, zielt oft auf die Differenz zwischen Dokumentarischem und Fiktionalen - und sicher nicht auf die großen, letzten Enthüllungen - das wäre auch gar nicht notwendig, Thome führt seit Jahren ein Internettagebuch, in dem er seine Gedanken offenherzig vor der Welt (bzw vor täglich mal 297, mal 288 Lesern) ausbreitet. Zwischendrin liest Turhan einige dieser Texte, die so klar und schön und ehrlich sind wie die Bilder in Thome-Filmen.

Besonders toll ist, dass der Film sich jedem Zug ins Nostalgische konsequent verweigert (ohne deshalb die Tränen zu übersehen, die dem Regisseur kommen, wenn er an seinen Lieblingsschauspieler Marquard Bohm denkt). Kein bisschen ist das die Best-of-Thome-Revue, zu der ein solches Projekt angesichts eines umfangreichen Backkatalogs aus 28 Lang- und einer Handvoll Kurzfilmen leicht hätte werden können. Der mit Abstand bekannteste (und zwar sehr schöne, aber keineswegs beste) Film "Rote Sonne" wird nur zwei-, dreimal im Vorbeigehen erwähnt. Die Filmausschnitte beschränken sich auf eine Bohm-Szene aus dem Frühwerk "John erschießt Jane, weil er sie mit Ann betrügt"; sowie ausgerechnet auf eine in der Postproduktion verhauene Einstellung aus "Supergirl", einem Film, für den Thome beim Release ausschließlich Verrisse geerntet hat und für den er sogar um ein Haar verprügelt worden wäre.

Viel mehr Raum als die alten Filme (die, das ist ein Skandal für sich, in der Scheune des Bauerhofs vor sich hin rotten) nehmen kleine Videoclips von Vögeln oder Schmetterlingen ein, die Thome heute nebenbei dreht; oder die nie endende Arbeit am Blog (der nicht nur sein Leben im malerischen Brandenburg begleitet; sondern zum Beispiel auch im Verlauf mehrerer Ägyptenaufenthalte den arabischen Frühling und die Folgen dokumentiert hat); oder Skypegespräche mit der Tochter Joya, die inzwischen ebenfalls Filme macht. Dass das mögliche Ende seines Filmschaffens eben doch kein totaler Bruch im Leben des Regisseurs ist: Auch das zeigt Serpil Turhans zärtlich-schöner Porträtfilm. "Lest einfach mein Blog in den nächsten Tagen", empfiehlt Thome heute auf moana.de.

Rudolf Thome - Überall Blumen. Von Serpil Turhan. Deutschland 2016, 84 Minuten. (Vorführtermine)