Vorgeblättert

Christian Buckard: Arthur Koestler. Ein extremes Leben. Teil 3

03.08.2004.
Am 15. Juli 1944 besprach Koestler mit Michael Foot und Moshe Shertok die Neuigkeiten über die "Brand-Gestapo Verhandlungen" und empfand die neuen Nachrichten "erschreckender, als man es in Worte fassen" könne. Briten und Amerikaner waren noch nicht einmal bereit, zum Schein auf den (vermeintlich ernst gemeinten) "Blut gegen Ware"-Handel Eichmanns einzugehen. Stattdessen wurde Brand verhaftet und in Kairo interniert. Koestlers Bemühungen, die ungarischen Juden unter britischen Schutz stellen zu lassen, scheiterten schließlich auch daran, dass die Mission Brands durch die Indiskretion eines Journalisten bekannt wurde. Abgesehen davon, dass die Alliierten befürchteten, durch Lieferungen an die Deutschen den Krieg zu verlängern, hatten sie offenbar ohnehin kein starkes Interesse daran, den von der Deportation nach Auschwitz bedrohten ungarischen Juden zu helfen. Zudem mochte man auf britischer Seite befürchten, dass es den geretteten ungarischen Juden womöglich einfallen könne, nach Palästina auszuwandern. So lehnte Lord Moyne, der britische Kolonialminister im Mittleren Osten, den Handel mit Eichmann denn auch kategorisch ab: "Was soll ich mit einer Million Juden anfangen?" 

Seit dem 6. März 1929 besaß Koestler einen palästinensischen Pass. 1943 hatte er sich bei den zuständigen britischen Behörden nach seinem gegenwärtigen Status erkundigt und am 6. November 1944 schließlich die Nachricht erhalten, dass er nun wieder ein "Palestine citizen resident" sei. Koestlers Interesse an einer Erneuerung seines palästinensischen Passes hatte auch praktische Gründe: So hatte er im April 1944 vergebens "hektische Bemühungen" angestellt, um ein Visum für Palästina zu erhalten, wo er ein Buch über die Struma-Tragödie schreiben wollte. In erster Linie war sein Wunsch nach einem gültigen palästinensischen Pass jedoch Ausdruck seiner Solidarität mit dem Yishuv, der unbedingten Loyalität gegenüber seinem Volk.
Diese Haltung äußerte sich auch in seinem Engagement für das "Anglo-Palästinensische Komitee", der wichtigsten zionistischen pressure group in Großbritannien. Sie bestand seit Anfang 1944. Ihre hochkarätige Mitgliederliste umfasste neben Koestler u. a. Weizmann, das Oberhaupt des Marks & Spencer Clans Israel Sieff, die Labour-Politiker Michael Foot und Richard H. S. Crossman, David Astor, Kingsley Martin und Guy de Rothschild. Das Ziel der Gruppe war die diskrete Werbung um Unterstützer sowie die gezielte Einflussnahme auf maßgebliche Regierungsstellen und die Presse. Das Programm der Gruppe war erstaunlich bescheiden: Es bestand nicht kompromisslos auf der Gründung eines jüdischen Staats, sondern schloss prinzipiell auch die Möglichkeit einer Föderation nach dem Schweizer Modell nicht aus. Das Programm war moderat, weil es bei der eventuellen Teilung des Landes nicht auf das ganze ursprüngliche Mandatsgebiet - einschließlich Transjordaniens - abzielte. Es war optimistisch, weil es davon ausging, dass eine prozionistische Lösung der Palästina-Frage mit Einverständnis der Briten und ohne militärischen Druck möglich sei und dass sich die Araber angesichts einmal geschaffener Tatsachen und eingedenk des Ökonomischen Fortschritts mit einem jüdischen Staat oder aber einer Föderation letztlich abfinden würden. Weizmann scheint die Gruppe mit seinem Optimismus und dem Glauben an ein objektives Interesse der Briten an einem jüdischen Bündnispartner in der Region stark beeinflusst zu haben. Doch auch der gutwillige und hoffnungsvolle Weizmann wusste, dass er für die Realisierung seines minimalistischen Programms nicht nur die Zustimmung der Briten und der kompromissbereiten Araber brauchte - er benötigte auch die Einwilligung jener beiden jüdischen Untergrund-Organisationen in Palästina, die sich derart minimalistischen Lösungen bislang militant widersetzt hatten: "Irgun" und "Lechi". Hier kam Koestler ins Spiel.

In jenen Tagen verstand ich mich sehr gut mit Weizmann, ohne jedoch meine Sympathien mit den Revisionisten zu verhehlen. Im Jahr 1944 sagte er eines Tages: "Warum gehst Du nicht nach Palästina und bringst diesen Meschuggenen etwas Vernunft bei?" Mit "Vernunft" meinte er maximalen Druck hinter minimalen Forderungen. Er dachte, dass er die Briten dahin bringen könnte, der Teilung zuzustimmen. Und wenn die aufgezwungenen Grenzen unakzeptabel wären, dann würde es später eben Verbesserungen geben, sei es mittels Gewalt oder auf dem Verhandlungsweg. Das war also meine Botschaft. Weizmann wusste von meinen Verbindungen zur Irgun. Aber ich durfte [Menachem] Begin nicht sagen, dass ich Weizmanns Unterhändler war.

Koestler sagte sofort zu. In privater Hinsicht fiel ihm sein Abschied von London ohnehin nicht allzu schwer, da sein "Lebensplan" mit Daphne im Sommer 1944 "in sich zusammengestürzt" war. Und ob er und Mamaine Paget ihre Anfang 1944 begonnene Affäre fortsetzen würden, war zu diesem Zeitpunkt weder ihm noch ihr ganz deutlich. Die 1916 geborene Mamaine war eine der so schönen wie brillanten Paget-Zwillinge. Da ihre Mutter kurz nach der Geburt der Zwillinge und der Vater zwölf Jahre später gestorben war, waren Mamaine und ihre Schwester Celia früh auf sich selbst gestellt. Sie gingen in der Schweiz zur Schule, studierten in Italien Musik und Philosophie und sprachen fast perfekt Französisch und Deutsch. Bei Kriegsausbruch hatten sie zunächst in einem Londoner Krankenhaus gearbeitet. Danach hatte Mamaine im "Ministry of Economic Warfare" eine Beschäftigung gefunden. Koestler hatte sie auf einer von Cyril Connolly veranstalteten Party kennen gelernt. Was den Abschied von Mamaine erleichterte, war, dass sie - im Gegensatz zu den meisten ihrer Freunde mit ähnlichem Hintergrund - "von ganzem Herzen" mit Koestlers zionistischen Ansichten sympathisierte.
Für Koestler war nun ohnehin nichts wichtiger, als einen eigenen Beitrag zur Errichtung des jüdischen Staates zu leisten. Er wollte einen Palästina-Roman schreiben, der die britische und amerikanische Leserschaft davon überzeugen würde, dass es keine Alternative zur Gründung eines jüdischen Staates gebe. Ihn selbst würde der Roman - so hoffte er zumindest - von seinen Schuldgefühlen gegenüber seinem Volk befreien und ihm für einige seiner "Sünden" Absolution verschaffen.
Der offizielle Vorwand für seine Reise war eine Akkreditierung der Londoner Times. Da die Zeitung bisher nicht gerade durch große Sympathie für die zionistische Sache aufgefallen war, musste Koestler es als einen Glücksfall betrachten, dass man gerade ihn - dessen politische Ansichten hinlänglich bekannt waren - zum Sonderkorrespondenten ernannt hatte, der über den jüdisch-arabischen Konflikt berichten sollte. Als er sich am 20. Dezember 1944 in Liverpool auf der S. S. Exeter nach Alexandria einschiffte, hatte Koestler allen Grund, dem Wiedersehen mit Eretz Israel mit großen Erwartungen entgegenzusehen. Er befand sich wieder auf dem "Kriegspfad für Zion".

Mit freundlicher Genehmigung des Beck-Verlages

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