Anne Weber

Besuch bei Zerberus

Cover: Besuch bei Zerberus
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783518416068
Gebunden, 112 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Kann es sein, daß der Hölleneingang auf der Karte Frankreichs eingezeichnet ist? Tausende durchqueren Cerbere - Zerberus - auf dem Weg nach Süden, kaum jemand macht hier halt. Wer die Küstenstraße am Mittelmeer bis nach Spanien hinein weiterfährt, kommt nach Port Bou, einen Ort, der für den Übergang zwischen Leben und Tod, zwischen Lebenwollen und Aufgeben, zwischen Flucht nach vorne und endgültigem Innehalten steht. Die Reisende, die hier von sich erzählt, bleibt in Cerbere - der kleinen Vorhölle. Sie fühlt sich an einem schonungslos Bilanz fordernden Endpunkt angelangt, steht sich selbst als einer Unbekannten gegenüber. Da erreicht sie eine Nachricht aus der deutschen Heimat: Der Vater, der bis dahin wie unantastbar, körperlos und somit unsterblich erschien, ist lebensgefährlich erkrankt

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.04.2004

Kristina Maidt-Zinke geht nicht sehr nett mit Anne Webers Roman um, und ihre Schläge treffen umso genauer, als sie den Text selbst für - und damit vor allem gegen sich - sprechen lässt. Weber beschreibe eine Winterlandschaft als "ein sorgfältig angefertigtes, sauberes Häkeldeckchen, wie man sie sonst nur noch auf Flohmärkten oder in Großmutters Wäscheschrank findet", und die Rezensentin fügt an: Ja genau, damit habe sie ihre eigene "preziöse Prosa" treffend beschrieben. "Anne Weber", lästert Maidt-Zinke, "hat sich auf das Flirten mit Wörtern kapriziert, vor allem aber auf die Endlosrepetition eines gänzlich erlösungsfernen und leider nur mäßig fesselnden Themas: der Schreibprozess und seine Mühen". Sie führt Zitate an, um zu belegen, welch unsägliche Verbindung ein "hochgeschraubter Kunstwille" und der "Hang zum Putzigen" in diesem Roman eingehen, und stößt dann im hinteren Teil des Romans, nach viel Tändelei mit Worten, doch noch auf eine "Art Geschichte" - eine "schwierige Vater-Tochter-Beziehung". Aha, folgert die Rezensentin - der Text ist also der "Versuch einer auf Distanz gehaltenen Tochter, durch Klugdenken und Schönschreiben die Aufmerksamkeit des großen Abwesenden zu erringen." Und sie wünscht sich, dass die Tochter schweigen möge.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.03.2004

Dieses Buch, behauptet Jochen Jung, lässt sich nicht nacherzählen. Für ihn ist das ein Pluspunkt. Anders gesagt: bei diesem Roman handelt es sich um eine "philosophische Abhandlung mit poetischen Mitteln". Erstaunlich und schön, wundert sich Jung, dass das Philosophische so leichtgewichtig daherkommen kann. Ihn erinnert Anne Weber an Thomas Bernhard. Ein weiblicher Thomas Bernhard natürlich, versichert Jung, jünger und nicht ganz so grantig. Aber eine insistierende Stimme, so Jung, die mal mädchenhaft klein, kokett, überdreht, gelassen klinge, kindlich und klug zugleich, eine Stimme, die die Kunst des Monologs beherrsche und überzeugend die eigenen Themen mit Weltfragen zu verknüpfen wisse. Das Entwaffnende an Anne Weber ist, gesteht Jung, dass alles so selbstverständlich und leicht klingt. Als hätte man nur mit Sprunghaftigkeit und Hakenschlagen noch eine Chance in dieser Welt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

"Wer reist, verlässt einen Ort, aber selten sich selbst. Wer in der Fremde ankommt, ist schon längst bei sich." In diesem Sinne ist Anne Weber für den Rezensenten Carsten Hueck eine "leidenschaftliche Reiseschriftstellerin". Auch "Zu Besuch bei Zerberus" erzähle von "wiederholten Grenzüberschreitungen", sowohl "geografisch", als "mythologisch", als "literarisch". Folgerichtig sei der Text keiner Textsorte zuzurechnen, sondern bewege sich da, wo sich "Gattungsgrenzen" auflösen. Webers "sprudelnder, strudelnder Erzählfluss", in dem sich ein "sprachtheoretische Reflexionen" mit "lyrischen Stimmungsbildern" bis hin zur "kindlichen Blödelei" aufs anregendste verbinde, schicke den Leser mit auf ihre eigene Reise in die "Verwandlung und Läuterung". Der Blick aus dem Fenster gleite vom Rhein bis hin zum imaginierten "Eingang der Hölle", in den Grenzort Cerbere. Darin sieht der Rezensent eine Geistesverwandtschaft zur Romantik, in ebendieser "Empfindung der Welt als Unort", aus der heraus das "Totenreich" zur Verheißung werde. Anne Weber, so groß ihre Lust am Spiel, am Fabulieren auch sein mag, erzählt von einer "Verstörung", aus der es nur die "Rettung in literarische Gegenwelten" geben kann, schreibt der Rezensent. Und der Leser begleite sie dahin gerne.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.03.2004

Wer nach einem zusammenhängenden Plot sucht, einer Geschichte, um deren Kontinuität die Verfasserin sich scherte, der muss, da gibt es für den Rezensenten Martin Krumbholz kein Vertun, sogleich alle Hoffnung fahren lassen. Die Sprachartistin Anne Weber macht hier Worte, aber aus den Worten keine Welt. Jedenfalls nicht die als Alltagswirklichkeit vertraute, sondern eine eigene, aus Abschweifungen und Assoziationen, Sprachspielen und Verneinungen geborene. "Wortverliebt, wortsüchtig" findet Krumbholz das, und er macht auch wenig Hehl daraus, dass er ein bisschen mehr Bezug auf Wirklichkeit so schlecht nicht gefunden hätte. Die große Kunst der Autorin als ganz eigene will er jedoch keinesfalls leugnen.