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Auf Herbergssuche zwischen China und Burma: die vom Krieg vertriebenen Ta'ang in Wang Bings Doku (Forum)

Von Nikolaus Perneczky
18.02.2016. Von der Nachrichtenlage überrascht und gänzlich unvorbereitet begleitet der Dokumentarfilmer Wang Bing Mitglieder der Ta'ang an der zu China auf ihrer Flucht vor dem Krieg mit dem burmesischen Militär.


Als Wang Bing in die burmesische Kokang-Region an der Grenze zu China kam, wo Angehörige der dort ansässigen Ta'ang-Minorität seit den frühen 1960er Jahren einen langwierigen und gerade wieder akuten bewaffneten Konflikt mit dem burmesischen Militär austragen, wusste der chinesische Dokumentarfilmer, dessen Dokumentation über das Ende der Schwerindustrie im Tiexi-District unvergessen ist, nicht, worauf er sich einließ. Weder war er mit der Geschichte der Region vertraut, noch wusste er um den schwelenden Krieg im Grenzland, der vor allem Frauen und Kinder zur Flucht nach China veranlasst. Wang war mit einem anderen Projekt in der Gegend beschäftigt, als ihn die Nachricht von dem wiedererstarkten Flüchtlingsstrom aus Myanmar erreichte. Er beschloss, sich die Situation vor Ort anzusehen.

Der Ausgangspunkt ist für unbedarfte Zuschauer mithin derselbe wie für den Filmemacher. "Ta'ang" beginnt mit tentativen, sogar fahrigen Kameragesten, die es uns erlauben Wang dabei zuzusehen, wie er sich allmählich im improvisierten Flüchtlingslager zurechtfindet. Dieser für Wang untypische Auftakt fühlt sich ungemein großzügig an, lässt uns teilhaben an den ersten, noch desorientierten Sondierungen im Feld. Immer wieder lässt sich Wangs Blick aus der Ruhe bringen, folgt er abrupt in die Szene eindringenden Handlungsvektoren. Oft ist es unbändiges Kinderspiel, das von Arbeit und Sorgen der Erwachsenen buchstäblich ablenkt. Überhaupt gehört "Ta'ang" über weite Strecken den Kindern. Auf ihrer Augenhöhe sehen die Notunterkünfte anders aus - nicht gerade wie ein Abenteuerspielplatz, aber doch anders als aus der erschöpften, ausgelaugten Perspektive ihrer (vornehmlich weiblichen) Hüterinnen. Natürlich weiß man nicht, was wirklich in den Kinderköpfen vorgeht. Ihre evidente Belastbarkeit und Aufnahmefähigkeit noch unter extremen Bedingungen macht es indes unmöglich, nicht an die einschlägige Polemik von Max Goldt zu denken: "Warum sollen denn nun Kinder ausgerechnet unter einem Krieg mehr leiden als Ältere?"



Die erste Orientierungsphase in Flüchtlingslagern auf beiden Seiten der Grenze, miteinander vernetzt durch allgegenwärtige Mobiltelefone, wird abgelöst von einem beschwerlichen Trek nach China, den Wang Bing einfach mitgelaufen sein muss. Zwar geht es Wang, vor allem im dunkel-somnambulen Mittelteil von "Ta'ang", der eine Gruppe von Frauen und Kindern erst um ein Lagerfeuer und dann um eine durch Windstöße gefährdete Kerzenflamme versammelt, oft einfach ums lediglich minimal bewegte Mitsein - um gemeinsames Warten, Zeitvertreiben, Einschlafen mit den Gefilmten. Solche Momente der Ruhe können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Menschen auf der Flucht und also in Bewegung sind. Auch wenn sie hier vorübergehend ausharren, erinnern die aus den umliegenden Bergketten herüberhallenden Panzergeschosse und Maschinengewehrsalven unentwegt daran, dass es weiter gehen muss.

"Ta'ang" beginnt scheinbar planlos, verwandelt sich über seine zweieinhalb Stunden Laufzeit aber in eine konzise Abfolge von Bewegungen: auf einen langen Tag der Arbeit folgt eine ebenso lange Nacht der Einkehr. Im letzten Abschnitt ist Wang Bing dann wieder zu Fuß unterwegs, auf schlammigen Serpentinen einer kleinen Gruppe hinterher. Ihr Dorf wurde unvorbereitet von den Kampfhandlungen erfasst, weshalb sie nur das Allernotwendigste bei sich führen und in manchen Fällen nicht einmal das. Bevor es dunkel wird eine Unterkunft für die Nacht zu finden - "Gottseidank regnet es nicht" - ist das vordringliche Ziel. Ob ihre Herbergssuche einen guten Ausgang nimmt oder nicht: Wang Bing wird dabei sein, geduldig und unaufdringlich.

Ta'ang. Regie: Wang Bing. Dokumentarfilm. China 2016, 148 Minuten.
(Vorführtermine)