Ralf Dahrendorf

Liberal und unabhängig

Gerd Bucerius und seine Zeit
Cover: Liberal und unabhängig
C.H. Beck Verlag, München 2000
ISBN 9783406464744
Gebunden, 301 Seiten, 24,50 EUR

Klappentext

1906 geboren, erlebte Bucerius das Scheitern der Weimarer Republik und die Zerstörung der bürgerlichen Freiheiten im Dritten Reich. Der mit einer Jüdin verheiratete Anwalt trat mutig für die Rechte Verfolgter ein. Diese Erfahrungen machten ihn als Politiker, Verleger und Publizisten zum aktiven Gestalter und zugleich wachsamen Kritiker des politischen Neubeginns nach 1945. Der CDU-Abgeordnete, ab 1949 im Bundestag, wurde vom Bewunderer zum schärfsten Kritiker Adenauers, blieb jedoch ein Anhänger Ludwig Erhards. Als er seine Unabhängigkeit als Verleger in Frage gestellt sah, legte er 1962 sein Abgeordnetenmandat nieder und verließ die CDU. Der Verleger formte nun die von im 1946 mitbegründete Wochenzeitung "Die Zeit" wie auch das 1951 erworbene Magazin "Stern" zu Instanzen einen unabhängig-kritischen Journalismus.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.11.2000

Lob von Rudolf Walther für die sachliche und dennoch spannende Biografie des "Zeit"-Verlegers Bucerius, der neben Henri Nannen, Axel Springer und Rudolf Augstein zu den herausragenden Zeitungsverlegern der Bundesrepublik zählte. Bucerius abwechselungsreiches Leben als Anwalt, Politiker, Kaufmann und Verleger biete Stoff für einen ganzen Gesellschaftsroman, meint Rudolf Walther, der Autor habe sich stattdessen für eine nüchterne, fast trockene, aber nie langweilige Darstellung entschieden, worin er biografische Momente mit Zeitgeschichte geschickt zu verknüpfen wisse. Der Rezensent schildert die Stationen des 1995 verstorbenen "Zeit"-Verlegers: von Haus aus Anwalt, in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet, erwarb er 1946 mit zwei Partnern die Lizenz für die "Zeit". Das Blatt blieb bis in die 70er Jahre defizitär; Bucerius stieg beim "Stern" ein, prozessierte hart und geschickt und konnte mit diesen Gewinnen die "Zeit" über die Runden bringen. Redaktionell habe er nie versucht, die politische Linie des Blatts zu bestimmen, führt Walther aus, obwohl er selbst als Abgeordneter für die CDU tätig war. Er war, so fasst der Rezensent die Beschreibung von Dahrendorf zusammen, eben ein Liberaler alter Schule, der andere Meinungen gelten lassen konnte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

Roderich Reifenrath preist die `respektvolle`, aber nicht `lobhudelnde Hommage` Ralf Dahrendorfs an den 1995 verstorbenen Verleger, Politiker und Eigentümer der `Zeit`, Gerd Bucerius. Trotz des widersprüchlichen Charakters des CDU-nahen Machers einer eher SPD-nahen Zeitschrift halte Dahrendorf die Distanz des Reporters. Dafür biete er eine Fülle an Informationen, obwohl es nach Angaben des Autors äußerst schwierig gewesen sei, hinter die Kulissen zu blicken. Reifenrath erwähnt die `Gründerzeit` nach 1945, in der Bucerius gemeinsam mit Springer, Nannen und Augstein als junger Mann seine Lizenz erhalten hat. Mit seinem von Zuneigung getragenen Porträt des früheren Rechtsanwalts werde Dahrendorf `bei Verlagsangestellten und Redakteuren späterer Generationen dennoch ungläubiges Staunen auslösen`, hofft Reifenrath und bedauert gleichzeitig, dass es so spärliche Details über den Umgang Bucerius` mit der Redaktion gebe. Eine gewisse berufsbedingte Lust am Voyeurismus ist dem Rezensenten durchaus anzumerken.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

In Zeiten der Krise sind Rückblicke auf goldene Jahre beliebt. Derzeit ist das Verlagswesen dran, und Matthias Wegner berichtet eher lang als eindringlich über zwei Biografien.
1) Ralf Dahrendorf: `Liberal und unabhängig`
Der deutschstämmige Lord Ralf Dahrendorf, zudem Soziologe und Publizist, erzählt bewundernd aber nicht distanzlos die “Bilderbuchkarriere” des Zeit- und Sternverlegers Gerd Bucerius (1906-1995), findet Wegner und bemüht dazu einen abgedroschenen Superlativ nach dem anderen für Leben, Werk und Biograf. Als liberal-konservativer Politiker (CDU, Bausenator Hamburg und MdB) ein “tollkühner Freigeist” konzentrierte sich Bucerius seit 1957 ganz aufs Verlegerische und Publizistische und verband sich später mit dem Verleger Reinhard Mohn (Bertelsmann). Wegner bescheinigt der Biografie, den “Vollblutunternehmer in seinen staunenswerten Facetten und oft verblüffenden Widersprüchen” zu porträtieren.
2) Wolf Jobst Siedler: `Ein Leben wird besichtigt`
Wolf Jobst Siedler hat über sich selbst geschrieben. Mit Bucerius teilt er einen liberal-konservativen Hintergrund, überschaubare Schwierigkeiten im Nationalsozialismus und in späteren Jahren die Verbindung mit den Bertelsmännern. Anders als Bucerius ist er weniger Querulant als vielmehr Schöngeist und “Hommes des Lettres”, informiert Wegner. Erst Ullstein-Chef, dann Leiter eines Verlags mit seinem Namen, hat er u.a. mit Fests Hitler-Biographie und den FJS-Memoiren einige Renner verlegt. Nebenbei trauert er bis heute dem großbürgerlich-aristokratischen Berlin nach und mag die moderne Literatur nicht. Wegners Superlativ-Delirium lässt hier etwas nach, aber “jenen Typus des konservativen, aber zugleich radikal individuellen Connaisseurs” und sein Buch mag er auch gern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2000

Daniel Koerfer hat vor allem die ersten beiden Drittel dieser Biographie mit Gewinn gelesen. Die Skizzen derer, die `einen der publizistischen Gründerväter der Bundesrepublik` auf seinem Weg begleiteten (Dönhoff, R. Mohn, H. Schmidt u.a), blieben `dagegen bisweilen etwas blass`. Koerfer steigt selber tief in `Bucs` Lebensgeschichte ein, die auch ein Stück Geschichte dieser Republik ist. Ein Leben, dass nach Rezensentenansicht `romanhafte Züge` trägt, weswegen der ehemalige `ZEIT`-Herausgeber in Dahrendorf, dem `Sohn eines Hamburger SPD-Reichstagsabgeordneten und Widerstandskämpfer, heute Baron of Clare Market in the Coty of Westminster` eigentlich einen passenden Biografen gefunden habe, weil dessen Leben ja ebenfalls reichlich romanhaft verlaufen sei. Dass nun die Früchte dieser Begegnung nicht so reich waren wie erhofft, wird nur einmal fast beiläufig angesprochen und ansonsten ziemlich vornehm übergangen. Aber man spürt es doch.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.09.2000

Eine erstaunlich unscharfe Kritik des Chefredakteurs der "Zeit", Roger de Weck, an einer, so vermutet man, womöglich ebenso unscharfen Biografie des "Zeit"-Gründers Gerd Bucerius. Man erfährt, dass die Biografie von Dahrendorf "mit jener Liebe und Distanz geschrieben (ist), die sich einstellt, "wenn ein Liberaler über einen Liberalen schreibt und ein Hamburger über einen Hamburger", dass Bucerius sowohl ein "Freiheitsfreund" war als auch einer, dessen Lebensweg mit Prozessen (Nannen, Springer, Augstein) gepflastert war, dass der "Zeit"-Gründer rücksichtslos sein konnte, wenn es um seine Zeitung ging, und gern ätzende Briefe an seine Chefredakteure schrieb. Aber weder erfährt man etwas über den Journalisten Bucerius, außer, dass er einmal eine Bergwerksreportage schrieb, noch über Herkunft, Kindheit und Jugend, nichts über sein Schicksal in der NS-Zeit. Und auch nichts über den Privatmann Bucerius, außer dass Großmutter und Frau jüdisch waren. Hat Dahrendorf nichts dazu geschrieben? Weiß jeder "Zeit"-Leser das alles sowieso schon? Und was hebt der Biograf hervor, was überfliegt er nur kurz, wie gewichtet er das Leben seines Helden? Hat ihn wirklich nur die Verlegerpersönlichkeit, der "deutsche Patriot", "Liberale" und "Hamburger" interessiert? Oder ist es so, dass sich Roger de Weck nur dafür interessiert? Kaum zu glauben.