Außer Atem: Das Berlinale Blog

Tierbeobachtungen: 'Bestiaire' von Denis Côté (Forum)

Von Thomas Groh
12.02.2012. Anfangs schaut man Kunststudenten über die Schulter: Wie sie mit mal schnellen, mal vorsichtigen Strichen ein ausgestopftes Tier abzeichnen, das in ihrer Mitte steht. Dasselbe Tier, unterschiedliche Bilder. Wo das Tier herstammt, sieht man im späteren Verlauf in "Bestiaire", wenn Denis Côté bei einem Erkundungszug durch den Parc Safari in Quebec auch die taxidermische Abteilung in den Blick nimmt. Dieser ist zugewandt, aber gerade insoweit interesselos, dass sich eine Sphäre zwischen Emphase und kritisch-analytischer Distanz aufbaut. Ganz ohne Kommentar oder ersichtlichen Eingriff in das Geschehen zeigt Côté, was in dem Safari-Erlebnispark geschieht: Tierfütterung, Tierbehandlung, gesunde Tiere, kranke Tiere, verkrüppelte Tiere. Mittendrin dann bald, selbst ein bisschen wie possierliche Tiere: mal jauchzende, mal interessiert um sich schauende, fotografierende Parkbesucher, die irgendwann wieder im Auto sitzen, womit der Film dann schließt. Ein etwas rigoroseres Strukturkonzept - man wäre bei James Benning. Ein etwas genauerer Blick auf die Arbeitsabläufe im Park - man wäre bei Frederick Wiseman. Zwischen diesen beiden Protagonisten des vorsichtig beobachtenden Dokumentarfilms - überdies keine Unbekannten im Internationalen Forum - richtet sich Denis Côté gut und für den Zuschauer mit Gewinn ein.


Anfangs schaut man Kunststudenten über die Schulter: Wie sie mit mal schnellen, mal vorsichtigen Strichen ein ausgestopftes Tier abzeichnen, das in ihrer Mitte steht. Dasselbe Tier, unterschiedliche Bilder. Wo das Tier herstammt, sieht man im späteren Verlauf in "Bestiaire", wenn Denis Côté bei einem Erkundungszug durch den Parc Safari in Quebec auch die taxidermische Abteilung in den Blick nimmt. Dieser ist zugewandt, aber gerade insoweit interesselos, dass sich eine Sphäre zwischen Emphase und kritisch-analytischer Distanz aufbaut. Ganz ohne Kommentar oder ersichtlichen Eingriff in das Geschehen zeigt Côté, was in dem Safari-Erlebnispark geschieht: Tierfütterung, Tierbehandlung, gesunde Tiere, kranke Tiere, verkrüppelte Tiere. Mittendrin dann bald, selbst ein bisschen wie possierliche Tiere: mal jauchzende, mal interessiert um sich schauende, fotografierende Parkbesucher, die irgendwann wieder im Auto sitzen, womit der Film dann schließt. Ein etwas rigoroseres Strukturkonzept - man wäre bei James Benning. Ein etwas genauerer Blick auf die Arbeitsabläufe im Park - man wäre bei Frederick Wiseman. Zwischen diesen beiden Protagonisten des vorsichtig beobachtenden Dokumentarfilms - überdies keine Unbekannten im Internationalen Forum - richtet sich Denis Côté gut und für den Zuschauer mit Gewinn ein.

Der Prolog mit den Studenten hat freilich nicht nur heranführenden, sondern programmatischen Charakter: Es geht um das in seiner Ausgestelltheit zum Bild werdende Tier - und die dazu nötigen Vorkehrungen. Der Safaripark, der die Tiere auf ihre Visualität hin strategisch anordnet - ein Glasgang etwa geht direkt durch das Löwengehege, ein fauler Löwe aalt sich darauf, zum Vergnügen der Leute, die Fotoapparate zückend unter ihm durch den Gang laufen -, zählt hier ebenso dazu, wie das, was man bei einer zeigefingerfreundlichen Tierschau üblicherweise nicht zu Gesicht bekommt: Die teils schmerzlich anzusehenden medizinischen Behandlungen, die Situation innerhalb der Ställe und wie die Tiere morgens herausgescheucht werden. Oder die bereits angesprochene taxidermische Abteilung, in der ein Ausstopfer mit der Gleichgültigkeit eines routinierten Profis einen Entenkadaver leert, füllt, zurechtbiegt, wo es nötig ist ergänzt, nicht zuletzt als erstarrte Bewegug inszeniert. Eine empörte Anklage ist "Bestiaire" gottlob nicht: Côté vertraut auf einen erwachsenen Zuschauer, der in der Lage ist, Bilder selbst zu sortieren und einzuschätzen statt bloß nach Intensitäten für den eigenen Emotionshaushalt Ausschau zu halten.



Eine Vorrichtung zur Ästhetisierung des Tieres ist freilich auch "Bestiaire" selbst als Film: Jedes Bild, egal wie kurz, wie flüchtig sein Moment, weist in Richtung eines ästhetischen Mehrwerts. Manche Bilder sind traumhaft schön, andere einfach nur hinreißend witzig - etwa wenn ein Strauß, der klare Publikumsliebling des Films, mit einem Mal sein Gesicht über den unteren Bildrand hebt und neugierig in die Kamera schaut. Gelegentlich ergibt sich der lakonische Effekt auch erst im Umschnitt, durch einen motivischen Match Cut, der die Bilder miteinander korrespondieren lässt. Großartig auch einige bräsig in die Weltgeschichte jenseits ihres Zauns starrende Lamas.

Wir Menschen können wohl nicht anders: Wir müssen uns ein Bild vom Tier nach unserem eigenen Welt- und Erfahrungshorizont machen. Der Blick ins Gesicht des Tiers ist immer auch der Versuch, darin Spuren des Menschlichen zu finden. In seinem eigenen Sein bleibt das Tier uns zwar erklärbares, aber unzugängliches Gegenüber. Das kann im schlimmsten Fall grauenhafte Anthropomorphisierungen nach sich ziehen - oder auch so wunderbare, kleine große Filme wie "Bestiaire".

Thomas Groh

"Bestiaire". Regie: Denis Côté. Dokumentarfilm, Kanada/Frankreich 2012, 72 Minuten. Keine Dialoge. (Vorführtermine)