Im Kino

Sanft ist sie nicht

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
07.11.2007. Die aufregende Isild le Besco spielt in "Pas douce" eine Krankenschwester, die scharf zu schießen versteht. Joe Wrights Ian McEwan-Verfilmung "Abbitte" beginnt furios und ist am Ende von allen guten Geistern verlassen
Frederique (Isild Le Besco) ist eine junge Frau, die unter einer inneren Spannung steht, die sich als äußere Ruhe tarnt. Frederique ist eine Krankenschwester, der nichts etwas ausmacht, sie ist eine Scharfschützin, die immer trifft. Was sie umtreibt, ob es etwas Bestimmtes ist oder nur eine fundamentale Wut auf die Welt, das erfahren wir nicht. Der Film, der Frederique überallhin folgt, bewahrt ihr Rätsel, lässt sie unaufgelöst und unauflösbar, opak in ihren Motiven, unberechenbar in ihren Taten. Frederique geht in eine Bar, schleppt zwei Männer ab, schläft mit ihnen beiden, nicht gleichzeitig, sondern hintereinander. "Du bist nicht sanft, pas douce", sagt der eine beim Sex, ja, sagt sie, ich bin nicht sanft, und in der Tat, sanft ist sie nicht. Dabei hat Isild Le Besco, die aufregendste französische Schauspielerin ihrer Generation, das Gesicht eines verstockten, verletzlichen, ein wenig bösartigen Engels.

Frederique geht in den Wald, das Gewehr in der Hand, mit der Absicht, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Dann hört sie Kinder, ein Schulausflug, sie beobachtet einen Jungen, der mit der Zwille auf Vögel schießt. Sie legt auf ihn an, sie schießt ihm ins Bein, von ihrem Selbstmordplan nimmt sie Abstand. Was in Frederique sitzt, was in Frederique fährt: Regisseurin Jeanne Waltz zeigt die Folgen, sie zeigt, was Frederique tut, aber Erklärungen dafür bietet sie nicht. (Wie sollte etwas, das einem widerfahren ist, auch erklären, was in einen fährt, später, im Wald, das Gewehr in der Hand. Es gibt Andeutungen, das zerrüttete Verhältnis zum Vater zum Beispiel, aber was genau vorgefallen ist, ob überhaupt etwas vorgefallen ist, das erfahren wir nicht. Was in Frederique sitzt, ist ein so tiefes Unglück, ist eine so große, aber sprachlose - und vielleicht ja vor allem deshalb so große, weil sprachlose, weil auch ihr selbst nicht erklärliche - Wut, da muss auch der Film, muss auch die Kamera, die das alles zeigt, prinzipiell ratlos bleiben.)

Marco (Steven de Almeida), der Junge, auf den Frederique zielte, landet in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, ja, auf ihrer Station. Das ist kein Wunder, denn der Schauplatz von "Pas Douce" ist ein kleiner Ort tief in der Schweiz, an der Grenze, in den Bergen, ein enger Ort (wenn nicht die Enge selbst), in dem fast alle einander kennen, in dem Frederique später auch dem einen, der ihr beim Sex mangelnde Sanftheit vorwarf, wieder begegnet.

Frederique, die unerkannte und verstockte Täterin, und ihr ahnungsloses, nicht weniger verstocktes Opfer, bekommen es miteinander zu tun. Die Geschichte dieser in jeder Hinsicht asymmetrischen Beziehung, in der sich Schuld, Fürsorge, Trotz, Vorwurf, Verzeihen mischen, erzählt, ganz lakonisch und ohne fernsehspielähnliches Annäherungs-Gemenschel, der Film. Natürlich läuft das nicht einfach so auf eine Versöhung und ein Ins-Reine-Kommen hinaus. Ein bisschen hat sich der Film mit dieser Konstellation aber trotzdem eine Falle gebaut, in der das Erbauliche, so sehr er es zu meiden sucht, nicht ganz ausbleiben kann.

Am Ende hat Frederique ein Lächeln im Gesicht. Sie fängt, vielleicht darf man das sagen, als eine andere und sie selbst noch einmal von vorne an.

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Der junge britische Regisseur Joe Wright versteht es, sein Publikum zu verführen. Mit seinem Spielfilmdebüt "Pride & Prejudice" gelang ihm eine der frischsten Jane-Austen-Verfilmungen der letzten Jahre. Mit dem Zweitling, der Ian Mc-Ewan-Verfilmung "Abbitte", durfte er als jüngster Regisseur aller Zeiten in diesem Jahr gar das Festival von Venedig eröffnen. Sieht man den Beginn, weiß man, warum. Der Film beginnt furios, mit einer Einstellung auf das Schloss, auf dem sich zutragen wird, was das Schicksal (und Schicksal schreibt sich hier mit ganz großem S) der Beteiligten im weiteren bestimmen soll. Der erste Blick auf das Schloss erweist sich jedoch, als die Kamera zurückfährt, als perspektivischer Trug: Es war nur ein Miniaturmodell. Das Furiose und darum auch dieser Eröffnungszug, sind ganz typisch für den Regisseur, denn er ist, so weit man das nach zwei Spielfilmen sagen kann, einer, der die Zuschauer nicht nur zu verführen, sondern gelegentlich auch zu verwirren liebt. Dabei aber, womöglich ist das dann auch schon seine große Schwäche, bleibt er stets darum besorgt, die Zügel fest in der Hand zu halten.

Zwischen Kunst und Kunsthandwerk liegt, mit einem Wort, der schmale Grat, auf dem er sich bewegt. Auf den furiosen Beginn folgt eine erste Hälfte des Films voll Brio und Übermut, mit klug dosierten Beschleunigungen, abrupten Bremsmanövern und jedenfalls einem hervorragenden Sinn für Timing. Raffiniert werden so die Erzählelemente perspektivisch gegeneinander verschoben, ineinander gefaltet. Das Szenario ist dies: Auf dem Schloss, dem richtigen, dem großen (aber ganz und gar richtig und groß wird es nie, wohl deshalb, weil Regisseur Wright selbst, metaphorisch gesprochen, so atemberaubend souverän den Schlossherrn gibt), lebt die schöne Cecilia Tallis (Keira Knightley), die sich in den auch nicht hässlichen Schlossangestellten Robbie Turner (William McAvoy) verliebt. Aus Versehen lässt Robbie von zwei Briefen nicht den züchtigen, sondern den überaus unzüchtigen - den vom ES, nicht den vom ICH geschriebenen - an die schöne Cecilia schicken. Es ist sein Glück und sein Unglück. Sein Glück, weil Cecilia eben auch nichts Dringenderes im Sinn hat, als mit Robbie zu schlafen, und sei es an Ort und Stelle der dafür eigentlich nicht gemachten Schlossbibliothek.

Und es ist sein Unglück, denn die Überbringerin des fatalen Briefchens ist Cecilias kleine, schriftstellerisch ambitionierte Schwester Briony (Saoirse Ronan). Natürlich liest sie den Zettel und ertappt dann die Schwester und ihn noch beim Beischlaf auf der Bibliotheks-Bücherleiter. Als dann später ein kleiner Junge verschwindet und alle ausschwärmen, nach ihm zu suchen, kommt es draußen im Freien zu einer Vergewaltigung. Briony sieht den Täter, aber sie erkennt ihn nicht, oder sie erkennt ihn falsch, in jedem Fall denunziert sie ihn und behauptet aus Gründen der Eifersucht und der Bosheit und der Lust am schriftstellerischen Sachenbehaupten und Schicksalspielen, es habe sich beim Vergewaltiger um Bobbie gehandelt. Der kommt daraufhin erst in den Knast, dann in den Krieg. Um die Liebe nicht, dafür aber um den Film ist es damit geschehen.

In allen Kritiken ist zu lesen, dass "Abbitte" in eine gelungene erste und eine mindestens zerfahrene, womöglich aber auch richtig schlechte zweite Hälfte zerfällt. Das wird leider nicht falsch dadurch, dass es fast jeder behauptet. Denn wirklich fällt dieser zweite Teil sehr auseinander, aber nicht so, dass man denkt, es sei dies Zerfallen auch die Absicht von Christopher Hamptons Drehbuch und Joe Wrights Regie. Man hat nämlich den Eindruck, dass Wright einer ist, der nicht loslassen will, wo es besser wäre, loslassen zu wollen. Der Regisseur tut in diesem zweiten Teil immer noch souverän, nur sind das plötzlich nur noch Gesten wie die eines von allen guten Geistern verlassenen Königs im Exil.

So gibt es im Krieg, in den Robbie ziehen muss, ein richtig teuer aussehendes Regisseurs-Angeberbravourstück: eine minutenlange Plansequenz - also eine Einstellung ohne Schnitt - durch die von der Szenenbildnerin sehr aufwendig da hingeschichtete, Hieronymus-Bosch-inspirierte rauchende Kriegstrümmerlandschaft am Strand. Das ist eindrucksvoll, aber doch nur ein eindrucksvolles Trumm, das in einen anderen Film zu gehören scheint. Und während die Romanvorlage von Anfang an auf die manipulativ-fabulatorische Fantasie der Schriftstellerin Briony gestützt ist, entzieht der Film der bei allen Perspektivverschiebungen doch behaupteten Objektivität seiner Bilder zuletzt noch, mit dem Auftauchen der alten Briony (Vanessa Redgrave), die Grundlage. Der Twist, der am Ende kommt, hat so kaum die Kraft, noch viel zu bewirken. Außer das eine: noch dem virtuosen ersten Teil etwas von seiner Überzeugungskraft zu rauben.

Pas Douce. Frankreich / Schweiz 2007 - Regie: Jeanne Waltz - Darsteller: Isild Le Besco, Steven Pinheiro de Almeida, Lio, Yves Verhoeven, Philippe Vuilleumier, Christophe Sermet, Jocelyne Desverchere, Bernard Nissile, Michel Raskine

Abbitte. Großbritannien 2007 - Originaltitel: Atonement - Regie: Joe Wright - Darsteller: Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Vanessa Redgrave, Patrick Kennedy, Benedict Cumberbatch