Spätaffäre

Mundphantom

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
13.02.2014. Robert Wienes frisch restaurierter Stummfilmklassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari" ist nicht nur in der Retrospektive der Berlinale, sondern auch bei Arte zu sehen. Manfred Quiring erinnert anlässlich der Winterspiele in Sotschi an den vergessenen Völkermord an den Tscherkessen. Und Juri Andruchowytsch berichtet von der Rolle der Schriftsteller bei den Protesten in der Ukraine.

Für die Augen

Die Berlinale (hier unser Festivalblog) geht gemächlich ihrem Abschluss entgegen. Für die Zuhausegebliebenen holt Arte das Festival unterdessen in die Wohnstuben. Zum Beispiel mit der neu restaurierten Fassung von Robert Wienes Stummfilmklassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari", die vor wenigen Tagen beim Festival uraufgeführt wurde (77 Min.):


Passend dazu präsentiert der Kultursender einen vom Filmkritiker Rüdiger Suchsland erstellten Dokumentarfilm darüber, wie mit Caligari "der Horror ins Kino kam" (52 Min.).


Im Jahr 2002 ging der Goldene Bär an das packende Nordirland-Drama "Bloody Sunday" des damals noch weitgehend unbekannten britischen Regisseurs Paul Greengrass (der anschließend so großartige Filme drehte wie den zweiten und dritten Teil der Bourne-Reihe, die 9/11-Rekonstruktion "United 93" und zuletzt "Captain Phillips"). Auf Youtube ist "Bloody Sunday" legal und in voller Länge bei netzkino zu sehen (133 Min.).

Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

Britta Bürger unterhält sich sich auf Deutschlandradio Kultur mit dem ehemaligen Russland-Korrespondenten Manfred Quiring über einen vergessenen Völkermord im Kaukasus, der "ersten ethnische Säuberung in Europa". Dort, wo heute in Sotschi die Pisten sind, war vor 150 Jahren ein Schlachtfeld: Russische Truppen vertrieben hunderttausende Tscherkessen (10 Min.). Bei Cicero ist dazu das Video "Skifahren auf Massengräbern" zu sehen. (6 Min.)

Im SWR gibt es ein ausführliches Radiogespräch mit dem umtriebigen Kulturwissenschaftler und Reinhold Schneider Preisträger 2014 Klaus Theweleit. Mit ihm unterhält sich Eggert Blum. Hier der Download (44 Min.).

Beim Deutschlandfunk finden wie einen Radioessay der Literaturwissenschaftlerin Judith Klein über Brücken: "Was ist - über ihre unmittelbar praktische Zweckbestimmung hinaus - die Bedeutung der Brücken, ob es sich nun um uralte Balken- und Bogenbrücken oder um hochmoderne Hänge- und Schrägseilbrücken handelt? Woher kommt ihr ästhetischer Wert, woher ihr metaphorisch-symbolisches Potenzial? Worin besteht ihre politische Funktion?" (29 Min.)
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Für Sinn und Verstand

Bernd Leukert führte ein Gespräch mit dem ukrainischen Schriftsteller Juri Andruchowytsch. Er war am 5. Februar 2014 zusammen mit seinen Kollegen Tanja Maljartschuk, Jurko Prochasko und Serhij Zhadan bei einem Leseabend an der Frankfurter Goethe-Universität. Sie kamen dirket aus den Auseinandersetzungen auf dem Majdan in Kiew. "Die Oppositionspolitiker brauchen uns natürlich ab und zu", sagte Juri Andruchowytsch. "Die sind darauf angewiesen, solche Leute in der Nähe zu haben, die in der Gesellschaft als öffentliche Persönlichkeiten bekannt sind. Und ab und zu kommunizieren wir auch miteinander. Aber das ist immer so ein Moment, wo diese Grenze, nach der man plötzlich zum Politiker wird, überschritten werden kann. Das ist sehr gefährlich." Er sei kein Politiker, aber er sei "in der Politik! (Er sei) die ganze Zeit involviert." Politiker sei nicht nur der, "der ein Parteimitglied ist und etwas im Parlament macht".

Michel Houellebecq gab dem "Magazin für politische Kultur" Cicero ein kurzes Interview über Kino, Hass & Demokratie. Anlass war die Premiere des Films "L' enlèvement de Michel Houellebecq" von Guillaume Nicloux, in dem er gekidnappt wird (hier unsere Besprechung). Houellebecq spielt sich selbst. "Kino ermöglicht eine visuelle Beschreibung deiner Umwelt. Aber ich gehe nicht oft ins Kino. Ich gehe nicht gerne aus dem Haus, sondern bleibe lieber zuhause. Doch der Film eröffnet grundsätzlich andere Möglichkeiten, beispielsweise, Dinge zu tun, die man ich echten Leben nicht machen würde," merkt dazu der Selbstdarsteller an und fügt hinzu: "Depressiv, besoffen und autistisch ist nichts Schlechtes. Diese Klischees sind Teil meiner selbst, Aspekte meiner Identität." - Eine Kritik des Films ist u. a. auch im Blog intellectures.de zu lesen.

Weltschmerz, Zeitgeist, Schadenfreude, Fahrvergnügen - die erfolgreichsten Exporte der deutschen Sprache sind Komposita. Der britische Autor Ben Schott hat sich für die New York Times eine Reihe von Begriffen ausgedacht, die nur auf Deutsch so prägnant ausgedrückt werden können - so beschreibt beispielsweise "Mundphantom" das Gefühl im Mundraum nach oralem Fiebermessen.