Außer Atem: Das Berlinale Blog

Die Stadt ist Protagonist: Ion de Sosas 'Androids Dream' (Forum)

Von Lukas Foerster
10.02.2015. In Ion de Sosas "Androids Dream" - nach einer Vorlage von Philip K. Dick - spielen die spanische Stadt Benidorm und ihre Hochhäuser eine Hauptrolle.


Nach dem Film stehe ich mit Freunden gemeinsam vor dem Kino, fasziniert, aber auch ein wenig ratlos. Eine der Fragen betraf den Schauplatz: Wo liegt die Stadt, in der der Film spielt? Auf welchem Kontinent? Einer tippt auf Spanien, wegen des dortigen Immobilienleerstands, der sich in der sonderbar gebrochenen Melancholik des Verfalls widerspiegeln könnte, die den Film durchzieht. Ein anderer auf Buenos Aires, wegen der so ganz unmediterranen Brutalität, die immer wieder in diese Melancholie eindringt. Ich hatte während des Films lange auf Madrid getippt, aber eigentlich ironischerweise vor allem, weil ich Madrid nicht kenne (und zwar so sehr nicht kenne, dass ich nicht einmal ein Klischeebild vor dem mentalen Auge habe); aber dann meine ich in einem der letzten Bilder des Films zu erkennen, dass die Stadt direkt am Meer liegt. Im Forumskatalog ist zu lesen, dass die Produktionsfirma des Films in Berlin angesiedelt ist. Aber nein, Berlin kann"s nun wirklich nicht sein.

Imdb verrät dann: Es handelt sich um das spanische Benidorm, eine mir bislang erst recht völlig unbekannte Stadt, die aber laut Wikipedia über die größte Hochhausdichte weltweit (im Verhältnis zur Einwohnerzahl) verfügt. Über ein besonders auffälliges, auch im Film präsentes M-förmiges Hochhaus lese ich via Google: "Europe"s tallest residential building in Benidorm taken over by bad bank." Offensichtlich handelt es sich um eine hochgradig Science-Fiction-taugliche Stadt...

So oder so: Die Stadt in "Androids Dream" ist eine jener Filmstädte, von denen man immer gern sagt, sie seien nicht nur Schauplatz, sondern Protagonist der jeweiligen Filme. Fast immer ist das nicht ganz richtig: Handlungsträger, Identifikationsfigur, dynamisches Element sind die Städte in solchen Filmen nur äußerst selten. Eher könnte man sagen, dass sie all die Menschen, Tiere, Geister, Monster, die in narrativen Filmen Handlungsträger, Identifikationsfiguren, dynamische Elemente sind, diskriminieren. Zugunsten, eben: des Schauplatzes. Eines Platzes, der für einmal etwas genauer angeschaut wird.

In "Androids Dream" wird er zunächst von oben angeschaut: Ein Hochhausmeer in warmen rot-, gelb- und Ockertönen. Irgendwie sieht alles staubig aus, vielleicht liegt das aber nur daran, dass der Film auf 16mm-Material gedreht wurde und dadurch eine Körnigkeit aufweist, an die man nicht mehr gewohnt ist heutzutage. Schnitt für Schnitt nähert sich der Film der Stadt, bald sind Autos, Reklametafeln, Passanten erkennbar, und auch andere Anzeichen dafür, dass das vom Eingangstitel behauptete Jahr 2052 sich in der Oberfläche des Films nicht allzu deutlich niederschlagen wird.

"Androids Dream" ist ein Instant-Erzählexperiment, weil man sich von Anfang an fragt: Wie kommt wohl die Zukunft, wie vor allem Philip K. Dicks berühmte Vorlage "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" in den Film? Oder anders herum: Wie wird sich der Film, der schließlich ein Forumsfilm ist, den Erwartungen entziehen, die man normalerweise an eine Literaturverfilmung stellen würde? Zunächst könnte man meinen: Durch Formalismen, die vom erzählerischen Zusammenhang abstrahieren. Einstellungssorten, die in Spielfilmen für gewöhnlich erst in ihrer wechselseitigen Verweisstruktur einen Sinnzusammenhang ergeben, sortiert Ion de Sosa im ersten Filmabschnitt katalogartig hintereinander: Erst eine Serie von Stadtpanoramen, dann eine Serie von Aufnahmen architektonischer Details (abbröckelnder Putz, Steckdosen, Fensterfronten), dann eine Serie von Exekutionen (ok, jetzt sind wir bei Dick), anschließend eine Serie von Porträtaufnahmen, von Menschen, die frontal vor der Kamera aufgestellt sind (war der architektonische Beginn nur Kontext? Oder sind die Menschen die Kontextualisierung der Architektur?)

Doch kaum hat sich diese recht strikte Form etabliert, löst sie sich wieder auf. Plötzlich tauchen vier nicht-zufällige, nicht-serialisierbare Figuren auf: Ein junges Paar mit einem kleinen Kind, und - so kann man das zumindest rekonstruieren - ein Freund der kleinen Familie, der gleich bei seinem ersten Auftauchen erzählt, wie er einmal Drogen in seinem After geschmuggelt hatte. Außerdem ist er, kann man bald weiterhin rekonstruieren, ein Android; allerdings einer, der sich zur Welt der Menschen hingezogen fühlt, unter anderem, weil er gerne mit ihnen Sex hat. Dass es der glatzköpfige, stromlinienförmige Exekutor auf diese vier Individuen, und ganz besonders auf den einen besonders Individualisierten, abgesehen hat, könnte man sich auch dann denken, wenn man nicht um die Verbindung zu Dick weiß.

Wie aber verhält sich der Film denn jetzt zu Dick? Am ehesten könnte man sagen: indifferent. Androiden gehen um, eine Familie wird ausgelöscht, der Exekutor besorgt sich ein Schaf, aber die Stadt behält weitgehend ihre matte, postindustrielle Ruhe, und auch der Film behält weitgehend seinen eigenen Rhythmus - die Exekutionen rufen gelegentlich andere, weniger souveräne Einstellungsarten auf, nachträglich irritieren können sie den Bilderfluss, der sich weiterhin eher an den Texturen der Stadt als an irgendetwas Menschlichem interessiert zeigt, nicht.

Überhaupt: die Texturen. Mehr als alles andere fasziniert die brüchig-mürbe, dabei aber sehr angenehme Visualität des Films - insbesondere eine Szene in einer Waschanlage verwandelt sich in ein bezauberndes Farbspektakel. Die Bilder stellen sowohl ihre analoge Herkunft als auch ihre digitale Gegenwart - wie alle anderen Filme des Programms wird der Film als DCP präsentiert - aus; das ungefilterte Filmkorn und die gelegentlichen Zelluloidartefakte (Verfärbungen, Perforationsränder etc) werden immer wieder von durchaus invasiven Markern des Digitalen überlagert. Insbesondere harte Kanten, von denen es in Hochhauswelten naturgemäß viele gibt, werden von einer eigenartigen Schraffierung verunstaltet. Oder vielleicht eher: entformt. Schaut euch die eigentümliche Schönheit der menschlichen Zivilisation doch noch einmal in aller Ruhe an, scheint der Film einem unter den Bildern zuzuflüstern; denn bald wird das alles in sich zusammenbrechen.

Ion de Sosa: "Sueñan los androides - Androids Dream". Mit Manolo Marín, Moisés Richart, Marta Bassols, Coque Sánchez, Margot Sánchez, Óscar de la Huerga, César Velasco, Begoña Alarcón, Eva Swoboda, Begoña Jiménez. Spanien / Deutschland 2014, 61 Minuten (Vorführtermine)