Vom Nachttisch geräumt

Donald Trump bei
Henry James

Von Arno Widmann
10.09.2018. In "Lady Barbarina" zeichnet Henry James das Porträt eines von der Aristokratie Beleidigten.
Eine junge Dame der englischen Aristokratie wird von einem Amerikaner bestürmt. Er hat sich in sie verliebt und will sie heiraten. Sie weiß nicht so recht. Er macht ihren Eltern klar, dass er zwar Arzt ist, aber über ein beeindruckendes Vermögen verfügt, das seiner Gattin ein Leben in jedem erdenklichen Luxus ermöglicht. Eltern und Tochter geben nach. Die beiden heiraten und ziehen nach New York. Die schöne Engländerin langweilt sich zu Tode. In New York gibt es keine Gesellschaft, in und mit der zu leben sich lohnt. In den Augen der Aristokratin ist eine offene Gesellschaft keine. Am Ende kehrt sie nach London zurück, in eine Welt, in der Gesellschaft nicht das Medium ist, in dem sich alle bewegen, sondern der Zirkel, der sich daran erfreut, die anderen draußen halten zu können.

1884 erschien Henry James' kleiner Roman "Lady Barbarina" das erste Mal. Als er vergangenes Jahr erstmals auf Deutsch erschien, schaffte er es auf die Bestenliste. Hier kein weiteres Lobeswort über den Roman, sondern nur ein kleiner Hinweis auf die Seite 79. Dort geht es um den von den Eltern von Lady Barbarina geforderten Ehevertrag. Jackson Lemon, der amerikanische Brautwerber, betrachtet das als eine Beleidigung. Nicht erst den Inhalt des Vertrages, sondern schon die bloße Tatsache, dass einer gefordert wird, zeigt ihm, dass man ihn nicht achtet, nicht respektiert. Man will ihm Bedingungen aufzwingen. Zum Beispiel soll geregelt werden, wie oft sie New York verlassen und nach England kommen werden.

John Sargent, Porträt Henry James, 1913. National Portrait Gallery, London
Darauf will er sich nicht einlassen. Henry James schildert die Gedanken von Jackson Lemon: "Er war ja bereit anzunehmen, dass sie jeden Sommer den Atlantik überqueren würden - diese Aussicht fand er keineswegs unangenehm; aber er war nicht bereit, sich, wie er selbst gesagt hätte, darauf festnageln zu lassen, oder auf sonst etwas Bestimmtes. Er hatte vor, nicht als unverhohlener Anspruch, sondern als stillschweigende Voraussetzung, mit den Eltern seiner mutmaßlichen Braut auf der Basis absoluter Gleichheit zu verhandeln; und es würde irgendwie keine Gleichheit geben, wenn er anfinge, Verpflichtungen einzugehen, die mit dem Kern der Sache nichts zu tun hatten. Sie würden ihm ihre Tochter geben, und er würde sie nehmen: Bei dieser Übereinkunft würde auf der einen Seite ebenso viel stehen wie auf der anderen. Darüber hinaus jedoch würde er nichts von ihnen verlangen; es gab nichts, was er sie bat zu versprechen, und so stünde seinen eigenen Zusagen nichts gegenüber."

Wer das liest, hat eine Chance, Donald Trump zu verstehen. Sein Beharren darauf, dass Deal für Deal verhandelt werden muss. Jackson Lemon fühlt sich über den Tisch gezogen. Er will die Frau heiraten und schon versucht man, ihn in ein Beziehungsgeflecht hineinzuziehen, ihn festzulegen auf Regelungen und Vereinbarungen, die nichts zu tun haben, mit dem, was er möchte. Man will seine Notlage, seine Empfindung, seine Liebe ausnutzen. Er ist empört. Am Ende aber gibt er nach.

Henry James: Lady Barbarina, Deutsch von Karen Lauer, Dörlemann, Zürich 2017, 223 Seiten, 21 Euro.