John Banville

Caliban

Roman
Cover: Caliban
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2004
ISBN 9783462033649
Gebunden, 378 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Wie der düstere, grobe Caliban in Shakespeares "Sturm" ist Axel Vander ein eher rüder Zeitgenosse. Als bedeutender Literaturwissenschaftler und Verfasser großer Werke über Nietzsche verbringt er seinen Lebensabend in Kalifornien. Überraschend trifft ein Brief aus Europa ein, in dem die Schreiberin andeutet, Geheimnisse zu kennen, die Vander seit Jahrzehnten, seit seiner Jugend als Jude im von den Nazis besetzten Belgien verborgen hat. Um herauszufinden, was die Unbekannte über ihn weiß, reist Vander nach Turin, wo er sie am Rande eines Nietzsche-Kongresses trifft. Es ist Cass Cleave, eine junge Irin, verführerisch, intelligent und zugleich von einer schweren Nervenkrankheit gezeichnet. Zwischen dem alten Mann und der jungen Frau entspinnt sich eine Liebesbeziehung, die Cass immer tiefer stürzen lässt, während Vander sich zum ersten Mal der Wahrheit stellt, seine Rolle als Opfer und Täter begreift. Inspiriert durch die Lebensgeschichte von Paul de Man und Louis Althusser hat Banville in diesem Roman das bewegend erschreckende Bild eines Mannes in seiner Zeit entworfen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.09.2004

David Thomas' großer Artikel ist das John-Banville-Rundum-Glücklich-Paket: Eine kleine Werkschau des Autors, Bericht von einem Besuch in Dublin, Auszüge aus einem dort mit Banville geführten Interview - und natürlich die Besprechung des neuesten Romans. Zu erfahren ist, dass der Vorgänger "Sonnefinsternis" und das aktuelle Werk ursprünglich als ein einziger Roman geplant waren. Kein Wunder, dass eine der Hauptfiguren, Cass Cleave, dem Banville-Leser schon bekannt ist. Sie ist hier diejenige, die die Nazi-Vergangenheit des Protagonisten Axel Vander aufgedeckt hat und ihm nun in Turin begegnet. Es entspinnt sich - ganz und gar unwahrscheinlicher Weise - eine Liebesgeschichte zwischen den beiden. Oder auch nicht, denn wie die Dinge genau liegen, das wird nach Auskunft des Rezensenten bis zum Ende nicht ganz klar. Kein Wunder, denn als wahrer Autor des Buchs entpuppt sich Vander selbst, dessen Credo zu allerlei Zweifeln Anlass gibt: "Lügen ist meine zweite, nein, meine erste Natur". Der Roman ist, wie Thomas fasziniert feststellt, "von der suggestiven Kraft eines grossartigen Traums".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2004

Rezensent Ulrich Baron ist sehr angetan vom "meisterhaften" neuen Roman des "Poeta doctus" John Banville. Den "hohen Ansprüchen", die der vorige Roman "Sonnenfinsternis" gesetzt habe, sei Banville hier mehr als gerecht geworden, so befindet Baron. Hauptfigur ist der "berühmte und selbstherrliche" Literaturwissenschaftler Axel Vander. In dieser Figur hat Rezesent Baron deutliche Anspielungen auf Paul de Man und Louis Althusser ausmachen können. Und wie der Dekonstruktivist Paul de Man, nach dessen Tod bekannt wurde, dass er in Jugendjahren im von Deutschen besetzten Belgien Artikel für die "kollabierende Presse" schrieb, hat auch der Protagonist Vander ein Jugendgeheimnis. In einem Brief droht ihm die "psychisch labile" Cass genau dieses Geheimnis zu enthüllen, beide treffen sich darauf in Turin, es kommt zu einer Liebesaffäre "zwischen dem alten Grobian und der jungen Frau", die einen tödlichen Ausgang für Cass findet. Die Passagen allerdings, in denen Vanders Geheimnis dann gelüftet wird - er hat nämlich die Identität eines deportierten jüdischen Freundes angenommen -, fand Rezensent Baron nur bedingt überzeugend. Besser hat ihm der Reichtum an vertrackten Anspielungen gefallen: So ist zum Beispiel der Originaltitel, wie Baron aufklärt, "Shrouds", was eigentlich Schleier bedeutet. Nun finde sich im Buch eine Passage, in der Cass das als Reliquie verehrte Turiner Grabtuch - "englisch:'Turin Shroud'"- zu sehen wünscht, was Vander mit Spott über die gefälschte Reliquie abweist. Das nun gerade dieser "Fälscher seines Lebens" sich über eine Fälschung "lustig" macht, das setzt nach Barons Befinden der Ironie nun wirklich "die Dornenkrone auf".
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.04.2004

Der Literaturtheoretiker Paul de Man hat schon manchen Autor zu einem Roman inspiriert, erzählt Sebastian Domsch: Gilbert Adairs "Der Tod des Autors" oder Lars Gustafssons "Die Sache mit dem Hund" waren eine Auseinandersetzung mit de Man, der erklärt hatte, dass die Bedeutung eines Textes niemals eindeutig sei - was an Universitäten gern gehört wurde, bis sich herausstellte, dass de Man während der Besetzung Belgiens durch die Nazis in Zeitungsartikeln verteidigt hatte. Auch der Held in John Banvilles Roman erinnert an de Man, so Domsch. Axel Vander ist ein pensionierter Literaturwissenschaftler, dem eine junge Wissenschaftlerin in einem Brief droht, ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit aufzudecken. Dem Erzähler Vander sollte der Leser besser nichts glauben, meint Domsch, denn Vander ist ein "geborener und selbst erklärter Lügner", der alles daran setzt, sein Geheimnis zu verschleiern. Banville macht daraus eine "auf interessante Art herausfordernde Lektüre", versichert der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.03.2004

Michael Rutschkys Besprechung liest sich wie eine Perlenkette von Referenzen, sei es aus der Weltgeschichte, sei es aus der Literatur, so dass man als Leser nicht weiß, ob dies John Banvilles Vorgehensweise ist, oder ob man um die Eigentümlichkeit des besprochenen Romans gebracht wird. Banvilles Protagonist, die gealterte akademische Koryphäe Axel Vander, der eine windige, dekonstruktivistische "Methodologie des Denkens" begründet hat und nach Turin zu einem Nietzsche-Kongress fährt (in Turin glitt Nietzsche bekanntlich in die geistige Umnachtung), trifft sich dort auch mit einer jungen Frau, die Artikel aus seiner belgischen Jugendzeit ausfindig gemacht hat, in denen er das Hitler-Regime willkommen heißt. Darin sieht der Rezensent offensichtliche Parallelen zu Paul de Man. Doch Banville lasse es nicht dabei bewenden, er treibe das Ganze ins "Unwahrscheinlichste", indem er aus dem alten Axel Vander nicht den mache, für den man ihn hält, sondern einen jüdischen Freund des jungen Vanders (des tatsächlichen Verfassers der antisemitischen Artikel), der nach dessen Tod seine Identität angenommen habt um sich vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. In dieser verdrehten Identität des Professors vernimmt der Rezensent wiederum ein Echo aus Highsmiths "Der talentierte Mr. Ripley" und Tim Roths "Der menschliche Makel". Aber weiter: Vander überwältige die junge, "verwirrte" Frau mit seiner "explodierenden Alterslibido" und stürze sie, als sie schwanger wird, ins Meer. Eher überraschend wirkt dann das Fazit des Rezensenten, wonach Banvilles "Netz von literarischen Anspielungen und Assoziationen" durchaus "starke ästhetische Reize" besitzt, die ihm eine "ungetrübte Lesefreude" bereitet haben.