Alexander Kluge

Russland-Kontainer

Cover: Russland-Kontainer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518428924
Gebunden, 444 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Nicht nur über eine derzeit umstrittene Pipeline, sondern auch über Jahrhunderte des Austauschs wie der Abstoßung waren und sind Rußland und Deutschland einander so fern wie verbunden. Die politische Gegenwart scheint kritisch, die Zeichen stehen auf Konflikt und Polarität. In dieser Lage macht Alexander Kluge Rußland zum ausschließlichen Thema eines neuen Großbandes. In dezidiert poetischer Weise, nicht mit dem herrischen Willen zur Synthese, nähert er sich dem unermeßlichen Terrain des größten Landes der Erde und der Mehrzahl seiner Seelen. Ihm geht es um den "ungeknechteten" Stoff, der dem Leser und den Materialien "die Freiheit lässt zu atmen". Diese Freiheit realisiert sich in polymorpher Darstellung: Aus dem historisch geprägten Blickwinkel deutscher Patrioten wie Humboldt und Kleist ebenso wie aus der erzählerischen Sicht eines Franz Kafka und eines Heiner Müller, aus der Perspektive der Bismarckschen Rückversicherungspolitik, aus der Faszination eines revolutionären Erneuerungsversuchs, aus den utopischen und heterotopischen Erwartungen des 20. und 21. Jahrhunderts, aber auch - und möglicherweise vor allem - aus der dezidiert weiblichen Empathie einer Swetlana Alexijewitsch und der Rußlandliebe seiner Schwester Alexandra: "In ihrem Auftrag schreibe ich dieses Buch."

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 15.09.2020

Für Rezensentin Brigitte van Kann ist Alexander Kluges Russland-Buch ein Füllhorn. Kluges Assoziationskunst schließt sich die Rezensentin an, folgt ihm bereitwillig via Bild und Text von der Sowjet-Raumfahrt bis in die "Frankfurter Küche", auch wenn der Autor den Bogen manchmal überspanne. Es überwiegt die Animation, versichert die Rezensentin, wenn Kluge seinen Text-Bild-Teppich webt. Sogar der Anhang mit QR-Codes zu russischen Filmen und den Erkundungen der Übersetzerin Rosemarie Tietze zu russischen Wortfeldern hat es in sich, meint sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2020

Rezensentin Kerstin Holm verliert sich kolossal in Alexander Kluges Russland-Kontainer. Wie gewohnt bietet Kluge die hohe Kunst der assoziativen, poetischen Dokumentation von Wissenschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, gekreuzt mit Tagebucheinträgen, Fotos, Filmstills und Grafiken, verrät Holm. Napoleons Russland-Feldzüge kommen vor, Stalins Terror, Gorbatschows Perestroika, Heiner Müllers Zigarre und immer wieder Kindermädchen als heimliche Lenkerinnen der Geschichte, so Holm. Dass das reiche Material im Band mit Vorsicht zu genießen ist, versteht sich von selbst, weiß Holm. Denn der Autor ist eben auch stark im Erfinden von Figuren und Geschichten.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 13.06.2020

Tobias Lehmkuhl liest diesen Band als Entsprechung zu Kluges früherem Buch mit dem erstaunlichen Titel: "Der Tag, an dem sich Hitler erschoss und die Westbindung der Deutschen begann". Hat Kluge ein Problem mit der Westbindung? Und wieso sagt er "die Deutschen"? Aber auf politische Implikationen der beiden Bücher lässt sich Lehmkuhl nicht ernstlich ein. Er muss einfach staunen über Kluges stupendes, teils im Entlegenen grabendes Wissen. Man erfährt etwas über Planquadrate, in dem Bussarde jagen, sowie über deren Körpersäfte als Zeitmesser. Es geht außerdem um die ganz großen Utopien und um deren klägliches Scheitern. Das ganze ist überdies per QR-Codes zu Filmen von Kluge verlinkt, so dass der Leser zum Zuschauer wird und sich im Labyrinth der Klugeschen Assoziationen lustvoll verlieren kann.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.06.2020

Rezensent Paul Jandl taucht mit Alexander Kluge ab in das Zirkusbecken mit den Robben und in die Geschichte der Krisen. Kluge öffnet ihm eine Wunderkammer aus 100 Episoden, autobiografischen, historischen, ikonografischen. Die darin enthaltenen Lebensgeschichten aus Russland gehorchen laut Jandl zwar nicht dem Historiker-Schema "Ursache und Wirkung", sind dafür aber voller staunenswerter Erfindungen über das Verhältnis von Mensch und Ding. Allein die Geschichte über den Lemberger Glühbirnenfabrikanten, der die sibirische Nacht abschaffte, scheint Jandl die Lektüre des Buches wert.