Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ohne Kompass: Filme über die Inuit und vom Amazonas in der Reihe 'Natives'

Von Thekla Dannenberg
17.02.2016. "Qapirangajuq" von Ian Mauro und Zacharias Kunuka führt uns in die Welt der Inuit, findet aber keine Bilder für seine Erzählung. Ciro Guerras "El abrazo de la serpiente" erzählt dafür höchst spannend vom Kampf eines Schamanen am Amazonas gegen westliche Forscher.


Die Reihe "Native" widmet sich alle zwei Jahre dem indigenen Kino, in diesem Brückenjahr zeigt sie nur zwei Filme, Ciro Guerras spirituellen Amazonas-Trip "El abrazo de la serpiente" sowie die Dokumentation "Qapirangajuq" von Zacharias Kunuk und Ian Mauro über den Klimawandel und das Wissen der Inuit. "Qapirangajuq" gerät wie die viele Filme über das Leben der Inuit: Man sieht schäbige Ortschaften, Hundeschlitten jagen durch die Schneelandschaft, ein Eisbär lässt sich blicken und am Ende wird das rohe Fleisch erlegter Robben verteilt. Kunuk und Mauro lassen etliche, durchaus zuverlässige und überzeugende Zeugen zu Wort kommen, die berichten, wie sich das Klima im nördlichen Kanada geändert hat, in Igloolik, Pangnirtung und Resolute Bay.

Das Wetter lässt nicht mehr vorhersagen, sagen die Inuit, auf den Sturm folgt keine Ruhe mehr, dafür sei es nicht mehr so kalt wie früher. Vor allem aber wird das Eis dünner. Zu Wort kommen Jäger und Fischer, Politikerinnen und Naturwissenschaftlerinnen. Sie erzählen, pochen auf ihre Rechte, ärgern sich über die "Südländer". Sie betonen alle, das die Inuit-Kultur vor allem eine orale Tradition sei, aber in diesem Film fehlt einem das Visuelle besonders stark. Um das Schmelzen der Gletscher vor Augen zu führen, die Macht des mehrjährigen Eises oder das veränderte Fell der Seehunde. Nur selten zeigen Kunuk und Mauro etwas, meist lassen sie es nur erzählen.

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Filmisch in einer anderen Liga spielt "Der Schamane und die Schlange". Der Film ist als bester ausländischer Film für den Oscar nominiert und verbindet in erhabenem Schwarzweiß zwei Reiseerzählungen in den kolumbianischen Urwald. Der erste Strang folgt dem deutschen Forscher Theo van Martius, der in den ersten Jahren des 20. Jahrhundert ebenso schwer wie unerklärlich erkrankt ist. Sein ergebener Gefährte Manduko bringt ihm zu dem Schamanen Karamakate, dem Weltenbeweger, der nur widerwillig zu helfen bereit ist. Doch er will Theo die Geheimnisse der Yakurna-Pflanze offenbaren, wenn dieser ihn im Gegenzug zu den versprengten Überlebenden seines Volkes führt. Die beiden begeben sich auf eine Reise den Amazonas entlang, an den Kautschuk-Plantagen und Missionsstationen vorbei, die sich beide gleichermaßen als Orte des Horrors und der Grausamkeit entpuppen. Dabei verschlingen sich Theo und Karamakate immer enger und immer fataler in einem Kampf um Wissen, Macht und Glaube, um Selbstbehauptung, Bevormundung und Unterwerfung. In einer Szene demütigt Theo einen Indio, weil er ihm nicht seinen Kompass überlassen will: Im Besitz solcher Technologie würden die Amazonas-Kulturen ihr altes Wissen verlieren.

Einige Jahrzehnte später will der Botaniker Evan mit dem inzwischen gealterten Karamakate dieselbe Reise unternehmen, auch er will von der Yakurna kosten, die Rausch und Erkenntnis verheißt. Sie begegnen sich immer noch nicht auf Augenhöhe, auch nicht freundschaftlicher, nur versierter. Ihre Reise lässt kaum noch Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Sie geraten zu Orten, in denen sich das schlechteste beider Kulturen miteinander verbunden hat: In der ehemaligen Missionsstation haben sich die von den Missionaren misshandelten und zerstörten Kinder einen Kult geschaffen, der christliche und naturreligiöse Elemente aufs Grauenhafteste verbindet. Diese Szenen haben in ihrem Wahnsinn etwas Herzoghaftes, andere Szenen erinnern an das "Wiegenlied von Totschlag" oder, wenn die beiden ihre Rauschmittel finden, an die Trips von Carlos Castaneda. Echtes Siebzigerjahre-Kino, in dem jedoch Jaguare und Schlangen ebenso ihren Platz als telegene Totemtiere finden wie die Reisetagebücher der Forscher Theodor Koch-Gruenberg und Richard Evans Schultes und gelegentlich, das kann man nicht leugnen, interkulturelle Didaktik. Karamakate, in jungen Jahren von Nilbio Torres und in älteren von Antonio Bolívar geleichermaßen imposant gespielt, gerät jedoch nie zu einer Projektionsfigur, er ist zu der gleichen Grausamkeit fähig wie seine weißen Counterparts. Aber wie bitter, dass die Tagebücher von Gruenberg und Schultes die einzigen Zeugnisse sind, die von den kolumbianischen Amazonas-Kulturen erhalten sind.

Qapirangajuq: Inuit Knowledge and Climate Change. Regie: Ian Mauro, Zacharias Kunuka. Kanada 2010, 54 Minuten. (Vorführtermine)

El abrazo de la serpiente - Embrace of the Serpent. Regie: Ciro Guerra. Mit Jan Bijvoet, Brionne Davis, Nilbio Torres und Antonio Bolívar. Kolumbien/Venezuela/Argentinien 2015, 125 Minuten. (Vorführtermine)