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Als junger Augenarzt und Romancier kommt José Rizal 1886 nach Deutschland. Noch ist nicht abzusehen, dass er einmal Nationalheld der Philippinen werden wird. Der Archipel am Rand des Pazifiks ist eine Kolonie des Spanischen Weltreichs. Die Kolonialherren erlauben Bildung nur in den eng gesteckten Grenzen jesuitischer Klosterschulen. Und nur die spanische Sprache gilt als Kultur. Weil Rizal in Madrid mit liberalen Ideen hervorgetreten ist, warnt sein Bruder vor der Heimkehr nach Manila. Er empfiehlt die sichere Existenz in Deutschland. Aber er könne etwas für sein Volk tun: In Heidelberg und…mehr

Produktbeschreibung
Als junger Augenarzt und Romancier kommt José Rizal 1886 nach Deutschland. Noch ist nicht abzusehen, dass er einmal Nationalheld der Philippinen werden wird. Der Archipel am Rand des Pazifiks ist eine Kolonie des Spanischen Weltreichs. Die Kolonialherren erlauben Bildung nur in den eng gesteckten Grenzen jesuitischer Klosterschulen. Und nur die spanische Sprache gilt als Kultur. Weil Rizal in Madrid mit liberalen Ideen hervorgetreten ist, warnt sein Bruder vor der Heimkehr nach Manila. Er empfiehlt die sichere Existenz in Deutschland. Aber er könne etwas für sein Volk tun: In Heidelberg und Leipzig übersetzt Rizal den »Wilhelm Tell« von Friedrich Schiller in seine Muttersprache Tagalog. Die Landschaft verschiebt sich: Auf einer tropischen Insel erheben sich die Alpen. Aus Protest gegen die Untaten Gesslers, gegen die Intriganz der katholischen Kirche werden diese Berge als Vulkane ausbrechen. Am Vierwaldstättermeer kämpfen eingeborene Bauern gegen fremde Vögte, gegen Arbeit in Knechtschaft. Rizals Aufenthalt in Deutschland wird zu einer Reise des Übersetzens. Die Fortbildung in Augenheilkunde an der Heidelberger Klinik, seine Begegnungen mit studentischen Burschenschaften oder Kneipenmädel, seine Gespräche mit Philologen in Berlin oder einem Pfarrer im Odenwald - all dies Neue und Fremde wird verglichen mit der Heimat. Worte müssen gefunden werden in Tagalog, oder Analogien gebildet, wenn die Sachen nicht von einem Ort an den anderen verpflanzt werden können. Übersetzen wird zu einer Arbeit der Hoffnung, dass der Aufstand gegen die Kolonialherren kommt, und zur Entdeckung der Angst, dass Gewalt jede Ordnung vernichtet. Der historische José Rizal kehrt heim. Der Aufstand findet statt. Rizal wird 1896 in Manila wegen Anstiftung zur Rebellion und zum Verrat verurteilt und hingerichtet. Der Roman verwebt Rizals Reisen, seine Begegnungen in Madrid, Paris, Heidelberg, Leipzig und seine Erinnerungen an die philippinische Heimat mit der Geschichte des Schweizer Freiheitshelden Tell, in der Version Schillers und in der Rizals. Dichtung und Dokument werden von Sprache zu Sprache flüssig, eine Flut. Annette Hug, geboren 1970 in der Schweiz, hat in Zürich und Manila Geschichte und Women and Development Studies studiert. Nach Tätigkeiten als Dozentin und Gewerkschaftssekretärin lebt sie heute als freie Autorin in Zürich. Wilhelm Tell in Manila ist ihr dritter Roman.
Autorenporträt
Annette Hug, geboren 1970 in der Schweiz, hat in Zürich und Manila Geschichte und Women and Development Studies studiert. Nach Tätigkeiten als Dozentin und Gewerkschaftssekretärin lebt sie heute als freie Autorin in Zürich. Wilhelm Tell in Manila ist ihr dritter Roman.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hans Christoph Buch freut sich über den Roman von Annette Hug. Die mit philippinischer Kultur und Sprache vertraute Autorin begibt sich darin auf die Spuren des philippinischen Nationaldichters José Rizal (1861-1896), der in Heidelberg Medizin studierte und in Berlin einen Roman schrieb, heute Pflichtlektüre an philippinischen Schulen, und "Wilhelm Tell" übersetzte. Wie sich Kultur in einem fremden Kontext entwickelt, macht die Autorin dem Rezensenten auf zweifache Weise deutlich. Indem sie Rizals verschlungenem Lebensweg folgt und indem sie laut Buch weder soziologisch noch historisch, sondern mitreißend sinnlich und literarisch in die Sprache, Kultur und Geschichte der Philippinen einführt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.05.2016

Die Avocado ist gefallen
Genau gezielt: Annette Hug erzählt, wie ein junger philippinischer Arzt
Schillers Wilhelm Tell in den Freiheitskampf seines Landes holte
VON TOBIAS LEHMKUHL
Was ist das für ein Boot, das Tell da durch den Sturm steuert? Eine Dschunke? Eine Paraw? Und das auf dem Vierwaldstätter See?! Aber wie sonst sollte man sich in Manila ein Bild von den Vorgängen machen. Auch mit einer Lawine kann man wenig anfangen inmitten der Tropen. So schreibt Rizal also: Überschwemmung. Schwieriger wird es bei den Wörtern „Landvogt“, „Handlanger“, „Flurschütz“. Auch weiß er nicht, was er mit der „Reichsunmittelbarkeit“ anfangen soll.
  José Rizal ist Anfang zwanzig, als er in Heidelberg und Leipzig an der Übersetzung von Schillers Freiheitsstück arbeitet. Eine knifflige Angelegenheit nicht nur, weil die Bildwelten auf den Philippinen zuweilen andere sind als in Deutschland, weil es für viele deutsche Begriffe im Tagalog keine Entsprechung gibt. Schwierig ist die Arbeit auch, weil im „Wilhelm Tell“ Dinge angesprochen werden, die einen in Manila den Kopf kosten können.
  Wir schreiben das Jahr 1886, und noch sind die Philippinen spanische Kolonie. José Rizal selbst ist zum Studium nach Madrid gekommen um Augenarzt zu werden, aber die repressive Atmosphäre an der dortigen Universität treibt ihn bald nach Paris, dann ins Kaiserreich, an den Neckar und in die Gulden Bierbrauerei. Er lernt Deutsch, flickt die Narben der säbelschwingenden Studenten und schreibt an seinem ersten und zugleich letzten Roman. Den kennt man in Deutschland so wenig wie seinen Autor; auf den Philippinen dagegen ist Rizal ein Nationalheld. Mit gerade einmal 35 Jahren wurde er von den Spaniern in Manila hingerichtet – kurz bevor sie ihre Kolonie verloren und die USA den Traum von der Republik brutal zunichte machten.
  Annette Hugs kleiner, faszinierender Roman nun konzentriert sich gleichwohl auf José Rizals Zeit in Deutschland, oder genauer auf seine Zeit mit „Wilhelm Tell“. Ferne Heimat, deutsche Gegenwart und Schweizer Freiheitskampf schieben sich hier in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder übereinander. Da sind nicht nur die Dschunken, die den Vierwaldstättersee kreuzen, da sieht man plötzlich auch Rudolph Virchow einen „Kopf der Igoroten“ in den Händen halten. Und als Melchthal, einer der Rütli-Verschwörer, seinen von den Habsburgern geblendeten Vater zu Gesicht bekommt, sieht Rizal die leeren Augenhöhlen aus den Operationsstuben seiner Lehrmeister vor sich.
  Für die einen muss er Schillers Drama verständlich machen und der philippinischen Wirklichkeit anpassen, andere müssen vom Verstehen ausgeschlossen werden. Die spanischen Mönche etwa, die das Tagalog erst spät gelernt haben, verwenden nur die einfachsten Verbformen und werden, bei der Aufführung in der ersten Reihe sitzend, nicht verstehen, „was mit ,totoo‘ passiert, wo die Wahrheit herkommt, wie sie sich verbreitet und laut wird, das Wort wird sich auswachsen und Ruodi wird ,makapagpapatotoo‘ sagen“.
  Der Übersetzer muss also ein Meister von Verschleierungs- wie von Aufklärungstechniken sein, und das Tagalog scheint ihm alle Mittel zur Verfügung zu stellen. Schon Wilhelm von Humboldt hatte befunden, das malaiische Verb sei in der tagalischen Sprache „zur formenreichsten Entfaltung gediehen“. Ja mehr noch: Durch inneres Geschick sei den Tagalen mit ihrer Sprache eine Gabe zugefallen. Und sei ihre Rasse auch in Trägheit und Schwäche versunken, so werde sie sich einst an ihrer Sprache selbst aus diesem Zustand hervorarbeiten können.
  So erscheint José Rizals Arbeit an der Sprache in Annette Hugs eben auch sehr klugem Roman als revolutionärer Akt per se, denn immer wieder gerät dem Übersetzer das Spanische in die Quere: Die spanischen Worte konsequent zu vermeiden, das ähnelt hier der Weigerung, Gesslers Hut zu grüßen. Wer aber nicht mehr genau weiß, wer Gessler war, wer Melchthal, und wieso überhaupt Wilhelm Tell den Apfel vom Kopf seines Sohnes schoss, dem wird, indem er Rizal durch seine ineinander verwobenen deutschen, tagalischen und schillerschen Welten begleitet, das ganze klassische Drama vom ersten bis zum letzten Akt noch einmal vor Augen geführt.
  Annette Hugs Prosa ist dabei so fein und gewitzt, wie es ihrem Gegenstand angemessen ist: „Wenn ihm die deutschen Sätze besonders gut gefallen, kann er sie nicht direkt übersetzen, es muss sich zuerst eine Stille zwischen die Sprachen legen, erst dann hört er die andere, höhere, leicht singende Stimme.“ Ein Echo dieser fernen Stimme meint man auch in den deutschen Sätzen dieses Romans zu vernehmen.
Das Spanische zu vermeiden,
wäre, als würde man sich weigern,
Gesslers Hut zu grüßen
            
  
  
  
  
Annette Hug: Wilhelm Tell in Manila. Roman. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2016. 192 Seiten, 19,80 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Wer nicht mehr weiß, was es mit Wilhelm Tells Apfelschuss auf sich hatte, kann auch das hier erfahren.
Foto: Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2016

Mit Schiller gegen die Kolonialherren
Ein "Tell"-Übersetzer wird zum philippinischen Nationalhelden

"Wilhelm Tell für die Schule" heißt ein 1971 erschienenes Buch von Max Frisch, das die Textvarianten der Tell-Sage mit dem Drama von Schiller vergleicht und die Frage aufwirft, wie viel historisch-politische Realität sich in der patriotischen Legende spiegelt. Es lohnt sich, den fast vergessenen Band zur Hand zu nehmen, um sich dem ganz anders gearteten Buch einer 1970 geborenen Schweizer Autorin zu nähern, die den Fernwirkungen des Rütli-Schwurs nachgegangen ist bis nach Manila, ans andere Ende der Welt.

José Rizal (1861 bis 1896), der Nationaldichter der Philippinen, ist hierzulande nur Experten ein Begriff, obwohl er in Madrid, Paris, Leipzig und Heidelberg Medizin studierte und 1886 nach Berlin ging. Dort hielt er etwa einen Vortrag über die in der Gegend um Manila gebräuchliche Sprache Tagalog, die damals noch kaum kodifiziert, geschweige denn literarisch erprobt worden war. Vor allem aber vollendete er in Berlin seinen Roman "Noli me tangere", der 1887 dort im spanischen Original erschienen und bis heute Pflichtlektüre an philippinischen Schulen ist.

"Wenn du in deinem Buch gelogen hast, wirst du Erfolg haben", warnte ihn sein in Manila zurückgebliebener Bruder, "und wenn nicht, dann werden sie dich verleumden. So wird es wohl kommen." So kam es denn auch, und nach seiner Rückkehr aus Europa wurde Rizal als angeblicher Agent Bismarcks, Freimaurer und revolutionärer Aufwiegler verhaftet, zum Tode verurteilt und erschossen, obwohl er den Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft weder angezettelt noch gebilligt, wohl aber geistig vorbereitet hatte. 1898 verlor Spanien schließlich auch noch die letzten Außenposten seines Weltreichs, Kuba und die Philippinen, und in beiden Fällen versuchten die Vereinigten Staaten mit mehr oder weniger Erfolg, die Lücke zu füllen, um sich die frei werdenden Territorien einzuverleiben.

Doch wie ist es zu erklären, dass Rizal das Hauptwerk der philippinischen Literatur ausgerechnet in Berlin geschrieben hat? Nach dem Sieg über Frankreich wurde das unter preußischer Ägide geeinte Deutschland zum Mekka der Wissenschaft: Universalgelehrte wie Theodor Mommsen und Hermann von Helmholtz, Koryphäen der Medizin wie Robert Koch und Rudolf von Virchow, bei dem Rizal studierte, zogen Intellektuelle aus Kolonialgebieten an, deren Streben nach kultureller Selbstfindung, Freiheit und Unabhängigkeit sich an deutschen Vorbildern orientierte, unter ihnen der japanische Arzt und Dichter Mori Ogai und der nordamerikanische Bürgerrechtler W. E. B. Dubois.

"Bei Humboldt", so schreibt Annette Hug in ihrem Buch "Wilhelm Tell in Manila", fand Rizal den Gedanken, dass das tagalische Verb ein "Kunstwerk" sei, geschaffen "ausgerechnet dort, wo die alten javanischen Handelslinien ausgefranst waren, wo nur Holzhütten standen, kein einziger Tempel auf siebentausend Inseln". Die Beschäftigung mit dem Tagalischen blieb nicht die einzige, mit der sich der Autor seiner fernen Heimat zuwandte. Parallel zur Arbeit an seinem Roman "Noli me tangere", der das spanische Kolonialregime demaskiert, übersetzte Rizal "Wilhelm Tell" auf Tagalog und legte die revolutionäre Sprengkraft von Schillers Drama frei, das in Europa als Rührstück aus der Rumpelkammer des Feudalismus galt, auf den Philippinen aber von aktuellem Interesse war - nicht nur, weil es dort wolkenverhangene Berge gibt.

Den Prozess, bei dem abgesunkenes Kulturgut in einem fremden Kontext seine politische Brisanz offenbart, macht Hugs Buch nun direkt nachvollziehbar: Nicht in Form einer soziologischen Feldstudie oder einer historischen Dokumentation, sondern in einem klug komponierten, mitreißend geschriebenen Roman, der sinnliche Anschaulichkeit mit Gelehrsamkeit verbindet, ohne mit dem Fachwissen der Autorin zu protzen.

Annette Hug, die heute als freie Autorin in Zürich lebt, hat lange Zeit auf den Philippinen verbracht und deren Sprachen, Kultur und Geschichte gründlich studiert. Und so erkennt man in der folgenden Passage nicht nur den Stil von Rizal, den Hug charakterisiert, sondern auch die eigene Schreibkunst, die ihr Buch so lesenswert macht: "Was ihn wirklich begeistert, sind Romane von Eugène Sue und Alexandre Dumas: Zeitsprünge und Ortswechsel, auf zehn Seiten einmal um die Welt, jedes Kästchen hat einen doppelten Boden, jeder Flur eine Falltür - im Überfluss der Stadt Paris genießt er auch seinen eigenen: José Potasio Rizal Mercado y Alonso devenu Joseph Rizal, écrivain de Manille."

HANS CHRISTOPH BUCH

Annette Hug: "Wilhelm Tell in Manila". Roman.

Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2016. 192 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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