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Das mysteriöse Leben und die fantastische Schöpferkraft von Patricia Highsmith unterhalten noch heute ihre Leser:innen. Minuziös recherchiert und außergewöhnlich vergnüglich zu lesen, mit einem Bildteil und vielen zeitgenössischen Dokumenten im Anhang. Das Standardwerk zum Ausnahmetalent unter den Kriminalschriftstellerinnen.

Produktbeschreibung
Das mysteriöse Leben und die fantastische Schöpferkraft von Patricia Highsmith unterhalten noch heute ihre Leser:innen. Minuziös recherchiert und außergewöhnlich vergnüglich zu lesen, mit einem Bildteil und vielen zeitgenössischen Dokumenten im Anhang. Das Standardwerk zum Ausnahmetalent unter den Kriminalschriftstellerinnen.
Autorenporträt
Joan Schenkar, geboren 1942 in Seattle, war eine amerikanische Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie hat Literatur und Kunsttheorie studiert und war Gründerin und künstlerische Leiterin von Force Majeure Productions, New York, die Filme und Theaterstücke produzieren. 2001 erschien ¿Truly Wilde¿, eine Biografie über Oscar Wildes Nichte Dorothy. Bekannt wurde sie durch ihre Biografie ¿Die talentierte Miss Highsmith¿, welche 2009 veröffentlicht wurde. Joan Schenkar starb 2021 in Paris.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jochen Schimmang ist sich nicht ganz sicher, woran Joan Schenkar in ihrer Highsmith-Biografie letzten Endes mehr gescheitert ist: an ihrem Ehrgeiz oder an ihrer Unfähigkeit, die selbstverschuldete Materialfülle zu bewältigen. Schimmang gibt sich als großer Verehrer der Thriller-Autorin zu erkennen, und was die Biografin Schenkar über die Highsmith zusammengetragen hat, will er schon wissen: Dass die Highsmith eine echte Südtstaaten-Rassistin gewesen ist, auf dümmliche Art antisemitisch, snobistisch, hartherzig, geizig, und so weiter. Aber auf 900 Seiten? Und dann auch noch, ohne etwas Substanzielles über ihre Werke zu liefern? Das ist Schimmang die Mühe nicht wert: Denn so gut Schenkar recherchiert hat, so löblich ihr Versuch ist, motivisch und nicht chronologisch zu erzählen, so wenig hat sie dem Rezensenten am Ende mit diesem Trumm von einer Biografie die Highsmith nähergebracht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015

Die Fremde im Zug
Obwohl Patricia Highsmith Tausende Seiten Tage- und Notizbücher hinterlassen hat, weiß man über das Leben der großen
amerikanischen Kriminalschriftstellerin wenig. Eine neue Biografie zum zwanzigsten Todestag beleuchtet die Person hinter dem Werk
VON VERENA MAYER
Dass man Patricia Highsmith nicht als Krimi-Autorin abtun kann, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Bücher der Amerikanerin sind Studien über den Menschen und seine Moral, über Verbrechen und Strafe, und zu Recht werden ihre Romane in einem Atemzug mit Camus, Dostojewski oder Poe genannt. Denn auch wenn das Böse bei Highsmith oft banal daherkommt, ist das Böse bei Highsmith eine Spielart kreativen Denkens.
  Ihre Mörder, die Architekten, Buchhändler oder Journalisten sind, fühlen sich nicht nur von Berufs wegen den schönen Künsten zugetan, im Grunde ihres Herzens sind sie selbst Künstler; das Verbrechen ist ihr Weg, sich auszudrücken und der Welt etwas von Bedeutung zu hinterlassen. Genau das macht die Abgründe so tief und Highsmiths Figuren so verstörend. Denn wenn Mörder wie etwa ihr berühmtester Romanheld, der talentierte Mr. Ripley, interessante Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sind, dann heißt das im Umkehrschluss, dass alle von uns zu Mördern werden können.
  Während Highsmiths Werk in der Literaturgeschichte den Platz hat, der ihm zusteht, ist über Highsmiths Leben wenig bekannt. Die einzige in die Tiefe gehende Biografie stammt aus dem Jahr 2003, als der Journalist Andrew Wilson Leben und Werk der 1995 verstorbenen Autorin zusammenführte. Das ist erstaunlich, weil es an unzähligen Orten Material und Zeitzeugen gibt. Patricia Highsmith, die in New York, Frankreich, Italien und der Schweiz lebte, war ähnlich viel unterwegs wie ihre Figuren, die ständig auf Reisen sind oder einander mit obsessiver Rastlosigkeit nachstellen. Man denke nur an die beiden Männer aus Highsmiths bekanntestem und von Hitchcock verfilmtem Roman „Zwei Fremde im Zug“.
  Vor allem aber hat die Autorin Tausende Seiten Tage- und Notizbücher hinterlassen. Darin hielt sie, seit sie fünfzehn war, alles fest, ihre Arbeitsweise und Lektüren genauso wie Träume oder ihre Faszination für Schnecken, die nicht nur in ihren Texten verkommen, sondern die sie auch auf Partys mitnahm. Als sie nach Frankreich zog, wo die Einfuhr der Tiere verboten war, schmuggelte sie die Schnecken an ihren Brüsten über die Grenze.
  Und erst ihre Beziehungen zu Frauen! Da war die exzentrische Mutter, hin- und hergerissen zwischen der New Yorker Künstlerszene und einem Leben als Hausfrau in Texas. Ihre 1921 geborene Tochter war ein ungewolltes Kind, von Highsmiths Vater ließ sie sich noch vor der Geburt scheiden, der spätere Stiefvater war auch nicht besser. Die beiden Frauen, in toxischer Abhängigkeit ineinander verklammert, schrieben sich unzählige Briefe. Immer wieder ging es um Patricia Highsmiths sexuelle Ausrichtung. Die Mutter schmähte die Tochter als Lesbe und schreckte nicht davor zurück, sie bei ihren Liebhaberinnen anzuschwärzen. Diese schrieb im Gegenzug eine Kurzgeschichte, in der ein junges Mädchen seiner Mutter eine Schere in die Brust stößt.
  Und da waren natürlich die Geliebten, sehr, sehr viele Frauen, aber auch einige Männer. Highsmiths Beziehungen stehen nun im Mittelpunkt einer neuen Biografie mit dem Titel „Die talentierte Miss Highsmith“. Wenige Autorinnen hätten sich so von der Liebe inspirieren lassen, schreibt die Verfasserin Joan Schenkar, geboren 1952, die selbst Schriftstellerin ist. Und so widmet sie einen Großteil ihres Buches den Frauen, die für Highsmith entweder Mäzeninnen oder Musen waren. „Ich bin immer verliebt“, schrieb Highsmith 1954 in ihr Tagebuch, anders könne sie sich „als Schriftstellerin nicht weiterentwickeln und manchmal nicht einmal leben“.
  Eine wichtige Rolle spielte die Soziologin Ellen Hill, mit der vor allem Highsmith unterwegs war, in Nizza, Cannes, Florenz, Mallorca oder Paris, Schauplätze, die sich später in den Ripley-Romanen wiederfinden sollten. Die Beziehung dauerte vier Jahre, die beiden Frauen liebten und quälten sich und setzen einander mit ihrer Eifersucht zu. Ellen Hill drohte, sich umzubringen, oder ging mitten in der Nacht mit Fäusten auf die Freundin los. Patricia Highsmith war nicht viel netter und verewigte das Elend in dem Roman „Der Stümper“, in dem ein Anwalt alles daransetzt, seine Frau zu ermorden.
  Großen Raum nimmt in dem Buch die sexuelle Identität der Autorin ein. „Ich muss arbeiten wie ein Mann und brauche eine Frau“, schrieb die junge Highsmith. Schenkar versucht nachzuweisen, dass Highsmith zumindest zeitweise gern ein Mann gewesen wäre. Eine Zerrissenheit, die sie beim Schreiben auf ihre Figuren übertrug, die ständig auf der Flucht sind oder auf der Suche nach einem Befreiungsschlag, der dann oft ein Verbrechen ist. Schenkar fühlt sich in Highsmiths Psyche ein, dröselt in neun, lose thematisch geordneten Kapiteln Obsessionen auf, beschreibt Alkoholkonsum und Altersisolation und zeichnet die vielen Versuche Highsmiths nach, die wahre Liebe und einen Platz in der Welt zu finden.
  Das schlug mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. So war Highsmith auf sprühende Art lebendig, wenn sie Frauen verführte oder ihre Weiblichkeit leben konnte. Wie auf dem Aktbild, das ein befreundeter Fotograf machte, und auf dem sie selbst in der Verletzlichkeit des Nacktseins etwas Überlegenes hat. Auf der anderen Seite war sie fast pathologisch menschenscheu, konnte sich selbst in den Ländern, in denen sie länger lebte, kaum verständigen, und zog sich zunehmend zurück. Highsmith war es, die einerseits 1952 die erste populäre Darstellung einer erfüllten lesbischen Liebe verfasste. Der Roman „Salz und sein Preis“, in dem sich eine junge Verkäuferin in eine Kundin verliebt, verkaufte sich hunderttausendfach. Andererseits unterzog sie sich einer Psychoanalyse – mit dem erklärten Ziel, sich von ihrer Homosexualität heilen zu lassen.
  Durchwachsen waren auch Highsmiths Erfahrungen in Deutschland. Die Autorin, laut Schenkar „so amerikanisch wie Klapperschlangengift“, zog mit einer viel jüngeren Performance-Künstlerin durch Berlin, verliebte sich auf das unglücklichste in München, kannte Wim Wenders und Peter Handke, und einer ihrer Romane wurde von Hans W. Geißendörfer verfilmt. Detail reiht sich in dem Buch an Detail, Schenkar wertet nicht, sondern beschränkt sich darauf, aus den Quellen Highsmiths psychische Verfassung und ihren lebenslangen seelischen Ausnahmezustand zu rekonstruieren. Higshmith sei „wie das Negativ eines alten Fotos, bei dem alles Schwarze weiß und alles Weiße schwarz war“, heißt es im Vorwort.
  Damit bleibt Highsmith zwar das Schicksal vieler Schriftstellerinnen erspart, zu einer Schmerzensikone weiblichen Schreibens stilisiert zu werden, Zuschreibungen, wie sie bis heute an Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann pappen. Doch leider fallen dabei Werk und Rezeption unter den Tisch. Über die literarischen Einflüsse, vom europäischen Existenzialismus bis zur amerikanischen Popkultur, liest man nichts. Highsmiths Leben darf weder für eine historische Epoche stehen, die immerhin einen Weltkrieg umfasste, noch für einen literarischen Grenzgang, mit dem viele nichts anfangen konnten. „Was war Highsmith noch gleich? Eine Krimiautorin mit Anspruch?“, fragte Norman Mailer.
  Und auch die Geschichte einer lesbisch lebenden Frau in einem männlich dominierten Kulturbetrieb wird erzählt, als sei dies das Alltäglichste auf der Welt. Das ist ärgerlich, weil Schenkar die damit verbundene Diskriminierung, an der Highsmith litt, vollkommen ausblendet. Nicht umsonst hat Highsmith ihren Roman über ein Frauenpaar, „Salz und sein Preis“, erst unter Pseudonym veröffentlicht und dann ein Leben lang verleugnet. Und so hat die Erkenntnis, auf die dieser 1000-Seiten-Ziegel hinausläuft, etwas fast schon Schmähendes: dass jemand, der über Mörder und Psychopathen schreibt, selbst nicht ganz richtig im Kopf sein kann. 
„Was war Highsmith
noch gleich?“, fragte nicht nur
der Kollege Norman Mailer
Patricia Highsmith als Aktmodell mit Anfang zwanzig und 1990, vor ihrem Werkzeug-Arsenal posierend. Fotos: Schweizerisches Literaturarchiv, Sammlung Richard Schroeder
Festung der Einsamkeit: Die „Casa Highsmith“ in Tegna, Tessin während des Baus in den Jahren 1988/89.
Foto: Schweizerisches Literaturarchiv
                
Joan Schenkar: Die
talentierte Miss Highsmith.
Biographie. Aus dem
Englischen von Renate
Orth-Guttman, Anna-Nina Kroll, Karin Betz. Diogenes Verlag, Zürich 2015.
1072 Seiten, 29,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2015

Die Frau hinterm Fenster

Patricia Highsmith war eine große Autorin und zugleich voller Ressentiments und Vorurteile. Wie wird man ihr in einer Biographie gerecht? Joan Schenkar versucht es mit monumentaler Detailfülle.

Patricia Highsmith war, obwohl sie seit Mitte der sechziger Jahre außerhalb Amerikas lebte, eine Rassistin nach guter alter Südstaatenart. Sie war antisemitisch, genauer gesagt: antijüdisch in besonders kruder und dümmlicher Manier. Sie war eine Alkoholikerin, die es schaffte, sich arbeitsfähig zu halten, wenn nicht der Alkohol überhaupt das Schmiermittel war, das die Arbeitsfähigkeit erst herstellte. Sie war, was vielleicht auch auf ihre familiären calvinistischen Wurzeln zurückzuführen ist, eine ausgefuchste Geschäftsfrau, die bei Verträgen um jedes halbe Prozent feilschte, und dazu extrem geizig, woran auch einzelne Anfälle von Großzügigkeit und Wohltätigkeit nichts ändern. Sie war ein Snob. Sie liebte es, ständig mehrere Affären mit Frauen zugleich zu haben, wobei sie keineswegs die Fäden immer in der Hand hatte, sondern in einzelnen Fällen durchaus abhängig, ja hörig war. Sie lebte fast ihr ganzes Leben lang in einer quälenden Konkurrenz zu ihrer Mutter, von der sie sich nicht lösen konnte, auch wenn sie durch Ozeane getrennt von ihr entfernt lebte. Sie war auf ihr Erscheinungsbild in der Rezeption ihres Werkes sehr bedacht und versuchte durchaus, darauf Einfluss zu nehmen. Sie war eine Amerikanerin, die eine typische "Expatriot" wurde, also mehr als drei Jahrzehnte ihres Lebens in Europa lebte und den Kontakt zu ihrem Geburtsland mehr und mehr verlor, was sich in ihren Büchern, soweit sie noch in Amerika spielten, bis in die Sprache hinein immer stärker niederschlug. Sie war im persönlichen Umgang nach vielerlei Zeugnissen alles andere als angenehm, auch wenn es einzelne Gegenstimmen gibt. Sie lebte zurückgezogen und abgeschottet, wovon ihr letztes Haus in Tegna im Tessin schon architektonisch ein beredtes Zeugnis ablegt, ging aber im Alter dennoch Nachbarn gern stundenlang auf die Nerven und spannte sie außerdem für Hilfsdienste aller Art ein.

Das und einiges mehr sind Befunde, die man aus Joan Schenkars monumentaler Highsmith-Biographie herausdestillieren kann, die im Jahr 2009 in Amerika erschien und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Bild vom Destillieren ist hier bewusst gewählt, denn das Problem dieser Biographie ist es, dass sie ihre Materialfülle nicht bewältigt, was den Leser zu Schwerstarbeit zwingt. Schenkar hat jahrelang überaus fleißig recherchiert, und ihr standen im Gegensatz zu früheren Biographieversuchen auch die umfangreichen privaten Tagebücher und die "Cahiers" genannten Arbeitshefte von Patricia Highsmith zur Verfügung. Sie hat eine Vielzahl von Archiven und Bibliotheken durchforstet und mit einer noch größeren Zahl von Menschen gesprochen, die Highsmith gekannt oder eine Zeitlang auf ihrem Weg begleitet haben. Schenkars Danksagung am Ende des Buches umfasst allein fünf Seiten. Mangelnde Sorgfalt kann man dieser Autorin ganz gewiss nicht vorwerfen. Sie versucht, so nah wie möglich an Patricia Highsmith, die sie fast durchängig nur "Pat" nennt, heranzukommen. So nah, dass Jonathan Lethem in seiner Besprechung des amerikanischen Originals für die "Washington Post" davon ausgegangen war, Joan Schenkar und Patricia Highsmith hätten einander persönlich gekannt, was nicht der Fall ist.

Aber Schenkar schafft es nicht, das gesichtete Material so zu organisieren, dass sie uns Patricia Highsmith näherbringt. Das liegt unter anderem daran, dass sie es sich mit dieser Biographie methodisch viel komplizierter als nötig macht. Gerade im angelsächsischen Sprachraum gibt es die gute Tradition einer rein positivistischen Biographie, die detailliert, sich bei Interpretationen aber zurückhaltend, ein Leben erzählt. Ein Paradebeispiel dafür hat vor Jahrzehnten Quentin Bell, der Neffe von Virginia Woolf, mit einer Biographie über seine Tante abgeliefert, die bis heute von ihrer Frische und Lesbarkeit nichts verloren hat. Was die Akribie bei den Fakten betrifft, kommt Schenkar ihm mühelos nah, aber ihre Ambitionen verderben ihr den richtigen Umgang mit diesen Fakten. Schon der Gedanke, der Chronologie zu folgen, ist ihr ein Greuel. Deshalb packt sie diese in Form einer ausführlichen Zeittafel in den Anhang des Buches und versucht, sich bei der eigentlichen Darstellung an durchgängigen Motiven in Highsmiths Leben zu orientieren. Methodologische Überlegungen dieser Art nehmen unter den Überschriften "Ein Wort zu Biographien", "Wie fange ich an?" und "Ein simpler Akt der Fälschung" die ersten 113 Seiten des Buches ein, die man tunlichst überschlagen sollte, um zu etwas wesentlicheren Inhalten zu kommen. Man fängt also bei "La Mamma" an und arbeitet sich dann über sechs weitere umfangreiche Kapitel, von denen mit 259 Seiten das "Les Girls" betitelte das umfangreichste ist, bis zum Schluss vor. Andere Kapitel heißen "Alter Ego" (befasst sich mit Highsmiths Arbeit in der Comicbranche, die die Autorin immer schamhaft verschwiegen hat) oder "Sozialkunde".

Das Ganze ist aber trotz dieser Versuche, nach Motiven zu ordnen, ein Etikettenschwindel, denn von dem Kapitel "La Mamma" an (warum eigentlich nicht "Die Mutter"?) erzählt Schenkar entgegen den methodologischen Skrupeln und Überlegungen im Großen und Ganzen Patricia Highsmiths Leben chronologisch - mit Vor- und Rückblenden natürlich, was in jeder biographischen Darstellung üblich und legitim ist. Es fängt dann also doch mit der Kindheit an und hört mit dem Tod auf. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dabei arbeitet Schenkar all das, was anfangs genannt wurde, und einiges mehr heraus respektive überlässt es dem Leser, es aus der Fülle der Fakten herauszulesen. Es entsteht also dieses Bild eines nicht besonders angenehmen Menschen, der aufgrund seiner merkwürdigen Kindheit (ein fast unbekannter Vater und ein Stiefvater, dem Patricia Highsmiths ganze Abneigung galt, eine als Modezeichnerin erfolgreiche Mutter, die viel unterwegs war) voller Ressentiments und Vorurteile ist und im weiteren Leben, neben dem Ruhm und dem Reichtum, vor allem Schutz sucht. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass der Ruhm und der Reichtum primär dazu da sind, diesen Schutz zu bieten. Vieles von diesem Bild haben wir schon gekannt, vieles Faktische war noch unbekannt, und man dankt einerseits der Autorin, dass sie es zutage gefördert hat, fragt sich andererseits aber auch, ob wirklich alle diese Fakten ausreichende Relevanz haben, um auf 879 Seiten (ohne Anhang!) ausführlich ausgebreitet zu werden.

Denn außer dass sie Alkoholikerin, Antisemitin, Rassistin und so weiter war, ist Patricia Highsmith natürlich die Autorin von etwa einem halben Dutzend Romanen, die eventuell einmal zum Kanon des zwanzigsten Jahrhunderts gehören werden. Dazu gehören das Debüt "Zwei Fremde im Zug" und der erste Ripley-Roman ebenso wie "Der Stümper", "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn", "Der Schrei der Eule", "Die gläserne Zelle" und der fast ereignislose Roman "Das Zittern des Fälschers", bei dem der "Mord" - man müsste wohl eher von Totschlag sprechen - mit Patricia Highsmiths primärem Arbeitsmittel begangen wird, einer Schreibmaschine. Über diese Bücher erfahren wir in Schenkars Biographie, wann sie entstanden sind und veröffentlicht wurden, was den Anstoß zu ihnen gab und wie sie lebensgeschichtlich verknüpft sein könnten. Und Joan Schenkar scheut auch nicht den Versuch, diese Bücher vom Rang her einzuordnen und schwächere als solche zu bezeichnen, wie überhaupt ihre Biographie keinerlei hagiographische Tendenz hat. Aber was den eigentlichen Rang jener aus dem umfangreichen Werk herausragenden Romane ausmacht, darüber erfahren wir in jedem einzelnen der Nachworte, die Paul Ingendaay vor einem guten Jahrzehnt für die Highsmith-Werkausgabe des Diogenes-Verlags geschrieben hat, entschieden mehr als bei Joan Schenkar.

Also sei empfohlen, vor allem Highsmiths Romane selbst, die in der Rezeption bei uns ihre Hochzeit in den siebziger und achtziger Jahren gehabt haben, noch einmal zu lesen: die erste Vorstellung des schlackenrein amoralischen Tom Ripley, die großartige Studie über den sympathischen und kultivierten Victor van Allen, der gleichsam en passant dreimal zum Mörder wird, oder eben Howard Inghams langsames Einsinken in eine andere, völlig unamerikanische Welt im Norden Afrikas, in der man Einbrecher verscheucht wie Fliegen und dabei auch zu brachialen Mitteln greift. Sosehr Patricia Highsmith in ihrem eigenen Leben Schutz gesucht hat, so sehr bieten ihre Romane diesen dem Leser, der sich ihnen überlässt, und zwar gerade in den Abgründen, die sie so unerbittlich ausloten. Peter Handke hatte das schon 1975 punktgenau formuliert, als er von seinem Gefühl berichtete, hier "im Schutz einer großen Schriftstellerin zu sein". Diesem Schutz dürfen wir uns auch zwanzig Jahre nach ihrem Tod getrost überlassen.

JOCHEN SCHIMMANG

Joan Schenkar: "Die talentierte Miss Highsmith". Biographie.

Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttman, Anna-Nina Kroll und Karin Betz. Diogenes Verlag, Zürich 2015. 1069 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

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