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104 Kundenbewertungen

Ein Café und seine Menschen. Ein Mann, der seiner Sehnsucht folgt. Robert Seethalers neuer Roman.
Wien im Jahr 1966. Robert Simon verdient sein Brot als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt. Er ist zufrieden mit seinem Leben, doch zwanzig Jahre nach Ende des Krieges hat sich die Stadt aus ihren Trümmern erhoben. Überall wächst das Neue, und auch Simon lässt sich mitreißen. Er pachtet eine Gastwirtschaft und eröffnet sein eigenes Café. Das Angebot ist überschaubar, und genau genommen ist es gar kein richtiges Café, doch die Menschen aus dem Viertel kommen, und sie bringen ihre…mehr

Produktbeschreibung
Ein Café und seine Menschen. Ein Mann, der seiner Sehnsucht folgt. Robert Seethalers neuer Roman.

Wien im Jahr 1966. Robert Simon verdient sein Brot als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt. Er ist zufrieden mit seinem Leben, doch zwanzig Jahre nach Ende des Krieges hat sich die Stadt aus ihren Trümmern erhoben. Überall wächst das Neue, und auch Simon lässt sich mitreißen. Er pachtet eine Gastwirtschaft und eröffnet sein eigenes Café. Das Angebot ist überschaubar, und genau genommen ist es gar kein richtiges Café, doch die Menschen aus dem Viertel kommen, und sie bringen ihre Geschichten mit - von der Sehnsucht, vom Verlust, vom unverhofften Glück. Sie kommen auf der Suche nach Gesellschaft, manche hoffen sogar auf die Liebe, und während die Stadt um sie herum erwacht, verwandelt sich auch Simons eigenes Leben.

Das Café ohne Namen ist ein Roman über den menschlichen Drang zum Aufbruch. Mit einem Reigen unvergesslicher Figuren und seiner besonderen Aufmerksamkeit für die Details des Lebens erzählt Robert Seethaler davon, wie eine neue Welt entsteht, die wie alles Neue ihr Ende schon in sich trägt.
Autorenporträt
Robert Seethalers Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Mit seinem Roman Ein ganzes Lebenstand er auf der Shortlist des International Booker Prize. Er lebt in Berlin und Wien.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Mit "hochprozentiger Nostalgie" haben wir es laut Rezensent Oliver Jungen in Robert Seethalers Buch zu tun. In das Café von Robert Simon, dem Wirt eines Wiener Cafés und Protagonist dieses Buches, stolpern nämlich die vielen melancholischen Gestalten, die vom Aufbruch des Wiens der sechziger Jahren nicht profitieren, fasst Junge zusammen. Simon versucht diesen individuell zu helfen. Dabei kommen die Figuren allerdings manchmal nicht über das Klischee des strebsamen aber glücklosen "Proletariers" hinaus, findet Jungen. Die Ereignisse scheinen kaum für den Fortgang der Handlung relevant, sind im Einzelnen aber durchaus unterhaltsam für den Rezensenten. Jungen fühlt sich bei diesem Schema ein wenig an alte Fernsehserien erinnert: die einzelnen Folgen sind durchaus vergnüglich, so ganz "satt" macht das aber nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2023

Der Gott des Gefühls kleiner Leute

Robert Seethaler schaut in seinen Romanen

wie durch ein Mikroskop auf Milieus. "Das Café ohne Namen" porträtiert die Wiener Leopoldstadt der Sechzigerjahre.

Geht das auf?

Von Sandra Kegel

Wenn auf dem Friedhof die Toten miteinander sprächen, was wäre ihr Thema? Natürlich das Leben. Robert Seethaler schnitzte aus dieser Konstellation 2018 seinen Roman "Das Feld", der aus neunundzwanzig Perspektiven von den Schicksalen einer fiktiven Kleinstadt erzählt: "Als Lebender über den Tod nachdenken. Als Toter vom Leben reden. Was soll das? Die einen verstehen vom anderen nichts", heißt es da über eine Welt, in der es keine Transzendenz und keinen Glauben an ein Jenseits mehr zu geben scheint.

Seethaler hat das Talent, Charaktere und Landschaften ganz ohne Geschwätz oder Schwerfälligkeit zu erzeugen in der für ihn so typisch entschlackten und schnörkellosen Sprache. Wie schon in seinem Bestseller "Ein ganzes Leben", der 2014 auf der Shortlist des Internationalen Booker Prize stand, verbindet er realitätsgesättigte Präzision gern mit stilistischer Enthaltsamkeit. Auf nur 150 Seiten porträtiert er da tatsächlich das ganze Leben eines hinkenden Tagelöhners, der kaum je sein Tal verlassen hat. Wie durch ein Vergrößerungsglas schaut der 1966 in Wien geborene und seit vielen Jahren in Berlin lebende Schriftsteller auf die Mikrokosmen solch vermeintlich kleiner Welten.

Nach seinem jüngsten literarischen Ausflug mit Gustav Mahler auf einem Ozeandampfer nach New York ("Der letzte Satz", 2020) kehrt Seethaler in seinem neuen Roman räumlich und stofflich zu seinen Anfängen zurück. Die Zeit ist zwar eine andere als in seinem frühen Überraschungserfolg "Der Trafikant" von 2012 über die fiktive Begegnung eines Landburschen aus dem Salzburgischen mit Siegmund Freud im Wien der Wendejahre 1937/38. "Das Café ohne Namen" spielt in der Wiener Nachkriegszeit, doch der literarische Kniff ist ähnlich. Denn so, wie "Der Trafikant" nicht zuletzt daraus Effekte erzielt, dass er auf das historische Bewusstsein des Lesers spekulierend gar nicht erst groß auf den Horror zu sprechen kommt, auf den Wien, Europa und ja die ganze Welt zusteuert, hält sich auch der allwissende Erzähler im "Café ohne Namen" mit Anspielungen auf diese hier noch so beißend nahe Vergangenheit zurück.

Mit dem Wiener Kaffeehaus freilich hat das titelgebende Café nichts gemein. Es ist ein schlichtes, in die Jahre gekommenes Gasthaus, das neben Kaffee, Tee und Himbeersoda vor allem Alkohol und Schmalzbrote kredenzt. Und auch die Kundschaft ist so weit entfernt vom bürgerlichen Wiener Kaffeehausbesucher, der als Romanschreiber oder Ministerialrat über die Welt philosophiert, wie jedenfalls damals noch der erste vom zweiten Wiener Gemeindebezirk, wo der Roman angesiedelt ist.

Seethalers Charaktere sind seit je wortkarg, die sich oftmals keinen Reim auf sich und die Geschicke ihres Lebens machen können. Dabei steht ihnen hier aufs Neue auf die Stirn geschrieben, wie sehr sie noch immer unter dem traumatischen Eindruck stehen von dem, was gerade einmal zwanzig Jahre zurückliegt. Dreh- und Angelpunkt des "Trafikanten" war die von einem Kriegsinvaliden (des Ersten Weltkriegs) geführte Tabaktrafik. Hier ist das Café zentraler Schauplatz und Kreuzungspunkt bisweilen irrlichternder Figuren. Eröffnet hat es der Gelegenheitsarbeiter Robert Simon 1966 am Karmelitermarkt, damals eine der ärmsten und schmutzigsten Gegenden Wiens, in der die Schutthalden des Kriegs noch immer nicht abgetragen und Vierteltelefonanschlüsse eine Seltenheit sind. Der einunddreißigjährige Simon, Untermieter einer Kriegerwitwe, spürt "das Pochen in seinem Herzen", als er den staubigen Gastraum mit den welken Tapeten zum ersten Mal betritt. Doch ist er keiner, der den Ehrgeiz hätte, am wirtschaftlichen Aufschwung jener Jahre zu partizipieren, der sich in den Baustellen und Neubauten manifestiert, die an jeder Ecke in die Höhe schießen. Auch, dass die Zeitungen prophezeiten, "aus dem Sumpf der Vergangenheit" werde sich nunmehr eine "strahlende Zukunft erheben", geht an Simon wie spurlos vorbei. Er steht vielmehr Tag und Nacht hinterm Tresen, wischt seine Gläser und kümmert sich um geplatzte Bierschläuche oder Lieferantenrechnungen.

Seethaler porträtiert hier ein bestimmtes Wiener Milieu in jener diffusen Zwischenzeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs und vor dem Fall der Mauer, ehe diese viel zu große Stadt für ein klein gewordenes Land aus dem Schatten des Eisernen Vorhangs wieder hervortrat. Für die Leute hier wird indes der Einsturz der Reichsbrücke 1976 zum Symbol für die Zeitenwende. Als ein Mann, gefragt, warum er weine, antwortet, weil es nun mit dem alten Österreich für immer vorbei sei, glaubt er zwar, dass nun bessere Zeiten anbrächen, aber eben auch andere, und daran müsse man sich erst gewöhnen. In den Roman verpackt hat der Autor eine staubige Liebeserklärung an den zweiten Bezirk. Die sogenannte Leopoldstadt zwischen Augarten und Lusthaus, die sich inzwischen so tiefgreifend verwandelt hat, dass sie vom vornehmen ersten Bezirk gegenüber dem Donaukanal kaum mehr zu unterscheiden ist, war damals ein Armeleuteviertel. Rund um den Wurstelprater mit seinem ikonischen Riesenrad und den niedrigen Mieten siedelten Arbeiter, Bettler, Kriminelle und Künstler.

Um sie, die vermeintlich einfachen Leute, die es in Simons Café zieht, ist es Seethaler zu tun. Der Wirt, der als Kriegswaise in einem Heim aufwuchs und "zu verwirrt, um richtig traurig zu sein", noch als Erwachsener von grundlegender Verunsicherung gezeichnet ist: "Ich meine, wer bin ich denn schon?" Mit fast schon argloser Menschenliebe empfängt er Schichtarbeiter, Markthändler und Fabrikmädchen, deren innere Monologe sich in Einschüben immer wieder unter die Erzählung mischen: Der Fleischermeister, der nicht mehr weiß, wie er die Familie unterhalten soll, oder René Wurm, der Ringer vom Heumarkt, der es mit Gegnern wie dem "georgischen Bären" zu tun hat, wenn er sich nicht gerade als Kartenverkäufer im Prater verdingt, der Fischhändler Wessely oder Blaha, dem ein Granatsplitter ehedem das Auge ausgeschlagen hat, der aus Russland stammende Künstler Mischa Troganjew oder die arbeitslose Mila, Simons rechte Hand, sie alle finden sich wieder unter diesem Café-Mikroskop.

Die Seethaler'sche Minimalisierung aber stößt irgendwann an ihre Grenzen. Denn so beschädigt das Personal durch die Kriegserfahrung auch ist und so umstürzend die Ära der Sechziger- und Siebzigerjahre, kommt das in diesem Roman kaum je vor, allenfalls als stichwortartiges Hintergrundrauschen, wenn das Bauvorhaben der UNO-City Erwähnung findet oder einmal der Name Bruno Kreisky fällt, der immerhin für eine ganze Generation in Österreich zum Inbegriff wurde für Modernisierung und Weltoffenheit. Urbane Mobilität wird mit der neuen U-Bahn angerissen, soziale Mobilität mit geäußerter Angst vor "Chinesen im Anmarsch". Doch kommen diese Partikel vor allem als Zeitkolorit daher, wie man das aus Fernsehfilmen kennt, wenn mit einem einzelnen Requisit oder einer Dialogzeile der Anschluss an die große Historie gelingen soll. Das geht meist schief.

Nun kann man dem Autor zugutehalten, dass er ja gerade das zeigen will. Dass Zeitgeschichte für seine Protagonisten tatsächlich keine Rolle spielt, allenfalls als Stammtischgeraune. Dann aber stellt sich die Frage umso drängender, was eigentlich "Das Café ohne Namen" erzählen will, das weder wie "Ein ganzes Leben" sich bis in die kleinsten Verästelungen eines Bewusstseins vertieft noch eine polyphone Erzählung ist wie "Das Feld". Die Mittellage birgt das Problem, dass den Figuren zu häufig nicht der Sprung aus der Schublade gelingt. Zu häufig stemmen hier Frauen ihre Arme resolut in die Seite oder muss der Gastwirt mit "Schürze und Bleistift hinterm Ohr" insgeheim "lächeln", wenn er an "die verlorenen Seelen dachte, die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden". Der Ringer René muss gar Sätze sagen wie: "Ich bin nicht der Schlauste und hab kaum mehr als zwei Paar Schuhe im Schrank. Aber ich hab Muskeln und kann was wegstecken, außerdem bin ich ein guter Kerl, oder?"

Seethalers Fähigkeit, ins Innere von Menschen zu schauen und so etwas wie das Innere einer Zeit zu destillieren, ist einer hölzernen Zeichnung gewichen, die allzu oft im Gemeinplatz hängen bleibt. Sicher, es gibt Sätze, die in ihrer vermeintlichen Harmlosigkeit verräterisch sind, so etwa, wenn ein Cafébesucher vor sich hin säuselt, noch einmal jung sein zu wollen, denn da habe "ein Kuss unter der Laterne noch genügt für ein ganzes Glück. Im Rückblick sieht alles besser aus." Da taucht einer, dem der Kriegsschlager "Lili Marleen" noch im Kopf hängen geblieben ist, seine Jugend in ein goldenes Licht, deren Gegenwart tatsächlich das millionenfache Töten war. Geschichtsblindheit wird mit Sprüchen wie dem eines Vaters illustriert, der seinem Sohn sagt: Bloß nicht zurückschauen, das Leben liege doch vor ihm. "Aber was soll ich ständig noch vorn schauen", wendet der Sohn ein, "wenn da nichts mehr ist?"

Mit solch aufschließenden Momenten geizt der Roman. Einmal erfahren wir von einem, dass er "Nazi" war, einmal marschieren schwarze Stiefel, aber dann ist es nur ein Traum während eines Feuers, und die Stiefelträger sind Feuerwehrleute. Vielleicht würde es den Roman überfrachten, Österreichs Verstrickung in den NS-Terror zu thematisieren, die zu dieser Zeit an die Oberfläche drängte, während man zugleich am Mythos vom überfallenen Land festhielt. Dass aber der Roman der Leopoldstadt und ihren Bewohnern gewidmet ist und außen vor lässt, wie sehr der Holocaust gerade hier, im ehemals größten Judenviertel der Stadt, gewütet hat - von den 60.000 Juden dort haben die wenigsten überlebt -, bleibt unerklärlich.

"Am besten man sucht sich ein schattiges Platzerl im Leben und hält still", sagt einer im Roman und soll wohl für diese Haltung stehen: Die Nazis, das sind immer die anderen. Auch wenn es im "Feld" hieß, als Lebende über den Tod nachzudenken sei sinnlos, hängt er den Menschen ja doch im Genick. Georg Kreislers bitteres Wiener Lied "Tauben vergiften" führt vor, wie das geht: die Feigheit der Leute, die auch rückwirkend gilt, in verstörende Bilder zu packen. Auch bei Seethaler kommen Tauben vor, aber hier werden sie vergiftet von den Wirtsleuten.

Robert Seethaler: "Das Café ohne Namen". Roman.

Claassen Verlag, Berlin 2023. 288 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2023

Wenn schon scheitern, dann mit ihm
Robert Seethaler hat mit „Das Café ohne Namen“ wieder einen
Robert-Seethaler-Roman geschrieben. Ist das eine gute oder schlechte Nachricht?
Das nach Belieben Wunderschöne oder Enttäuschende an dem erfolgreichen Autor Robert Seethaler ist seine stilistische Verlässlichkeit. In der Sprache der Werbung ließe sich sagen, Seethalers Bücher haben – beginnend beim Cover, dort aber nicht endend – ein konsequent durchbuchstabiertes Look and Feel, und sie kommen stets in den Handel mit einem klaren Produktversprechen: Du, Leser, wirst a bissel weinen und a bissel lachen, Du wirst grundsätzlich und dabei doch beiläufig über das Leben und den Tod nachdenken, auch diesmal übrigens, ohne eine Lösung zu finden oder auch nur ein Ende, weil das gibt es nicht und darum geht es nicht und das weißt Du auch. Du wirst, vor allem, wieder a bissel wehmütig sein, dies aber ohne befürchten zu müssen, dass sogleich die Welt vergeht.
Vergleichsweise nachrangig ist bei Seethaler dementsprechend, wo genau er seine meditativen Rosenkränze betet. Mal tut er dies in einem Trafik am Vorabend von WKII („Der Trafikant“), mal in endgültiger Weise unter Tage auf einem Friedhof („Das Feld“). Zuletzt ging es in „Der letzte Satz“ mit dem siechen Gustav Mahler auf das Sonnendeck eines Schiffsdampfers für eine palliativtouristische Überfahrt, in deren Verlauf Mahler den Schiffsjungen fragt, ob er denn nicht Karriere machen wolle. Darauf der Junge: „Ich weiß gar nicht, ob ich das will. Wer weit geht, kommt später an.“ Mahler ist da schon ziemlich weit gegangen ohne je angekommen zu sein – er solle sich ausruhen, hatte ein Arzt ihm vor Jahren schon gesagt, „am besten ein Leben lang“.
Seethalers neuer Roman heißt „Das Café ohne Namen“ und spielt am Karmelitermarkt in der Wiener Leopoldstadt. Ausgehende sechziger, beginnende siebziger Jahre, arme Gegend, einfache Leute. Mit der Übersichtlichkeit jeder Retrospektive deutet sich hier die beginnende Moderne zwar an in erstem Spekulantentum, in technischen Neuerungen oder auch der bloßen Erwähnung des Namens von Bundeskanzler Bruno Kreisky. Andererseits klebt der Staub der großen Katastrophe noch an den Kellerfenstern und lässt sich das Milieu erfassen über die im Text angeführten Berufe. Es treten auf: Heumarktringer, Schaufer, eine Mörtelmischerin. Gerüstbauer, Asphaltierer, Gaswerkskassier. Weinhauer, Ausbeiner, eine Aushilfe in der Blechstanzerei.
All dies: Kulisse. Denn Seethaler dreht keine Kostümfilme, er will nicht mithilfe von Menschen eine Zeit beschreiben, sondern zeitlos Menschliches. Diesmal gilt das Interesse dem Gelegenheitsarbeiter Robert Simon, der sich mit seinem Schöpfer kaum zufällig die Initialen teilt. Simon ist Waise und die blauen Augen „waren das einzig wirklich Schöne an ihm“. Mit 15 geht der Junge von der Schule „ohne das geringste Bedauern“ und hat doch nicht viel zu befürchten, weil er verlässlich ist und fleißig. Äußerlich geht dieser Robert Simon bald erfolgreich ins Risiko und eröffnet ein Café, das eher ein Gasthaus ist und zum sozialen Zentrum der Nachbarschaft wird. Innerlich empfindet er offenbar eine größere Fremdheit nicht nur der Welt gegenüber, sondern auch sich selbst. Nicht mal seine Einsamkeit aber scheint ihn weiter groß zu interessieren. Spät erst schießt eine Erinnerung ein an eine Frau, die ihm in sehr jungen Jahren eine Frage ins Ohr flüsterte: „Was willst du eigentlich in dieser Welt?“
Zu einem Spa für Grübler, Sinn- und Seelensucher werden die Bücher von Robert Seethaler, weil zwar viele seiner Figuren in einer solchen Weise gebrochen, verloren und einsam sind, weil sie aber nicht allein gelassen werden von ihrem Erzähler. Dieser lässt ja nicht einmal René Wurm fallen, den großen Ringer und noch größeren Trinker – eine Art Mickey Rourke aus regionalem Anbau. In der Obhut Seethalers bleibt für diesen von Sucht und Verfall bedrohten Wurm hin und wieder die Welt kurz stehen, etwa, wenn in einem Letzte-Chance-Kampf der Kontrahent Wurms diesen zur Gegenwehr auffordert und mitteilt, welches Stündchen andernfalls gleich geschlagen habe und für wen: „Jetzt du“, flüsterte Bernie Preston mit böhmischem Akzent: „Sonst zu spät.“
Im Schatten solchen Personals wird Robert Simon zu einem Wirt, wie er im Buche und zwar nur in diesem Buche steht. Und wie es sich für ein gut geführtes Gasthaus gehört, gibt es über diesen Wirt lange weniger zu erfahren als über seine Gäste. Zu bezeugen ist, wie der muskelmassive René Wurm schüchtern bei der Kellnerin Mila vorstellig wird und fragt, ob man nicht mal spazieren gehen wolle, „ich bin vielleicht nicht der Beste unter den Besten ... aber ich bin ein guter Kerl. Das sagen alle ... und mit der Linken kann ich zwei normalgewachsene Männer umhauen“. Zu bezeugen ist später auch, wie selbiger René Wurm sich gegen seinen Willen größte Mühe gibt, wirklich alles kaputtzusaufen. „Fickt euch alle, ihr Schweine“, schreit er heraus und man denkt: Korrekt, aber das wird es dann ja wohl jetzt gewesen sein.
Es ist jedenfalls, wie einem echten Café, viel Betrieb, ein ständiges Kommen und Gehen, es plätschert dabei nun etwas mehr als es selbst in einem Seelen-Spa nach Seethaler sollte und wenn einem das beim Lesen unterwegs nicht immer auffällt, dann wegen der sehr schönen kleinen Beiläufigkeiten, die der Autor zwischenspielend verbaut. Da gibt es zum Beispiel Harald Blaha, dessen Ansinnen, mit seinem Glasauge auf dem Tisch Murmeln zu spielen, jäh von Aufschreien des Ekels unterbunden wird. Es sei immer dasselbe, beklagt sich daraufhin Blaha, „wenn jemand was für die Stimmung macht …“. Da gibt es die Käsehändlerin Heide und den Maler Mischa, die selten wissen, ob sie mit oder ohne einander besser könnten. Als Mischas Bilder brennen, sagt er: Sie war’s. Und als er von ihr einen Tritt kassiert, ruft er schon wieder Ich-liebe-Dich!, während er in seinem Mund noch nach verlorenen Zähnen tastet. Und da gibt es nicht zuletzt einen Alleinunterhalter, der auf Schrebergartenfesten, Altenheimjubiläen und dem großen Abschiedsfest des Cafés ohne Namen auftritt mit dem ja wohl nicht weniger als sensationellen Künstlernamen Heartbreakin’ Kurt.
Der Trost liegt hier einmal mehr im Scheitern, er liegt in der Erinnerung an die ewige Wahrheit, ach, guck, die anderen kriegen es ja auch nicht hin. Sie finden die Liebe nicht oder trauen sich nicht einmal, nach ihr zu suchen. Sie eilen keuchend von dort nach da und werden irgendwann erschlagen von der Frage, wo all die Jahre ihres Lebens nur geblieben sind.
Niemand muss Robert Seethaler lesen, um zu begreifen, dass das Scheitern die zentrale Erfahrung des Lebens ist. Aber man liest davon bei Seethaler nach wie vor lieber als anderswo, weil er so behutsam davon zu erzählen versteht, ohne größere Ausflüchte oder Umwege. In der in diesem Sinne richtigen Stimmung gelesen ist auch „Das Café ohne Namen“ nach Art der Vorgänger ein gleichsam rezeptfreies Medikament, Seethaler forte sozusagen. Wobei, jetzt kommt die Packungsbeilage, etwas mehr Zeit zum Lesen da immer gut ist, man dürfe, so sagte es Dörte Hansen einmal unter Verwendung des einzig dafür passgenauen Verbes, einen Seethaler nicht „reinrüsseln“.
Andere Medikamente gibt es schon – was es hingegen nicht gibt und nie geben wird, ist eine ernsthafte Alternative, in die ewig offenen Fragen der eigenen Lebensführung und in den damit verbundenen Schmerz immer wieder gezielt hineinzugehen. So formuliert eine namenlos und auch sonst angenehm verborgen bleibende, mutmaßlich ältere Frau in Robert Simons Café ohne Namen, ihr Vater habe immer gesagt, „Schmerzen sind bloß kleine Bosheiten des Lebens. Richtig schlimm wird es erst, wenn du sie nicht mehr spürst.“
CORNELIUS POLLMER
Als die Bilder des Malers
in Flammen stehen, denkt er an
seine Frau und sagt: Sie war’s
Spa für Grübler, Sinn- und Seelensucher: die Bücher von Robert Seethaler.
Foto: Urban Zintel
Robert Seethaler: Das Café ohne Namen. Claasen 2023. 288 Seiten. 24 Euro
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«Niemand muss Robert Seethaler lesen, um zu begreifen, dass das Scheitern die zentrale Erfahrung des Lebens ist. Aber man liest davon bei Seethaler nach wie vor lieber als anderswo, weil er so behutsam davon zu erzählen versteht, ohne größere Ausflüchte oder Umwege.» Cornelius Pollmer Süddeutsche Zeitung 20230427
Auf die Romane von Robert Seethaler kann man sich verlassen, findet Rezensent Cornelius Pollmer, und auch sein neues Buch wartet mit dem Gewohnten auf. Es spielt in der Wiener Leopoldsstadt zu Beginn der siebziger Jahre, lesen wir, die Hauptfigur Robert Simon ist ein junger Mann, früh geht er von der Schule ab und gründet ein Café, dass bald zum Sammelpunkt für die Nachbarschaft wird. Diese besteht aus typischen Seethaler-Figuren, so der Rezensent, sie hadern mit sich selbst und der Welt und kämpfen gegen die Einsamkeit. So wird auch dieses Buch zum "Spa für Grübler, Sinn- und Seelensucher", meint der Kritiker ein bisschen ironisch. Doch die Behutsamkeit, mit der hier erzählt wird, die "schönen kleinen Beiläufigkeiten" und der tröstende Blick des Erzählers machen, dass der Kritiker nirgendwo so gern vom "Scheitern als zentraler Erfahrung des Lebens" liest, wie hier.

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