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Kurz vor Weihnachten bemerkt die zwölfjährige Jas, dass der Vater ihr Kaninchen mästet. Sie ist sich sicher, dass es dem Weihnachtsessen zum Opfer fallen wird. Das darf nicht passieren. Also betet Jas zu Gott, dieser möge ihren älteren Bruder anstelle des Kaninchens nehmen. Am selben Tag bricht ihr Bruder beim Schlittschuhlaufen ins Eis ein und ertrinkt. Die Familie weiß: Das war eine Strafe Gottes, und alle Familienmitglieder glauben, selbst schuld an der Tragödie zu sein. Jas flieht mit ihrem jüngeren Bruder Obbe und ihrer Schwester Hanna in das Niemandsland zwischen Kindheit und…mehr

Produktbeschreibung
Kurz vor Weihnachten bemerkt die zwölfjährige Jas, dass der Vater ihr Kaninchen mästet. Sie ist sich sicher, dass es dem Weihnachtsessen zum Opfer fallen wird. Das darf nicht passieren. Also betet Jas zu Gott, dieser möge ihren älteren Bruder anstelle des Kaninchens nehmen. Am selben Tag bricht ihr Bruder beim Schlittschuhlaufen ins Eis ein und ertrinkt. Die Familie weiß: Das war eine Strafe Gottes, und alle Familienmitglieder glauben, selbst schuld an der Tragödie zu sein. Jas flieht mit ihrem jüngeren Bruder Obbe und ihrer Schwester Hanna in das Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein, in eine Welt voll okkulter Spiele und eigener Gesetze, in der die Geschwister immer mehr den eigenen Sehnsüchten und Vorstellungswelten auf die Spur kommen.
Was bedeuten Familie, Glaube, Zusammenhalt? Wie kann man anderen beistehen, wenn man mit den eigenen Dämonen zu kämpfen hat? Marieke Lucas Rijneveld hat einen gewagten, einen kräftigen und lebendigen Roman geschrieben, der unsere innersten Gewissheiten hinterfragt.
Autorenporträt
Marieke Lucas Rijneveld, 1991 in Nordbrabant geboren, gilt als die wichtigste junge niederländische Stimme. 2015 veröffentlichte er den preisgekrönten Lyrikband Kalbskummer, 2019 folgte Phantomstute. Für seinen Debütroman Was man sät erhielt Rijneveld 2020 den International Booker Prize, sein zweiter Roman Mein kleines Prachttier stand monatelang auf der Bestsellerliste. Rijneveld lebt in Utrecht. Helga van Beuningen, geboren 1945 in Obergünzburg, studierte Englische und Niederländische Sprache in Heidelberg, wo sie anschließend 15 Jahre lang Niederländisch lehrte. Seit 1984 lebt sie als freie Übersetzerin in Bad Segeberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Ein Herz aus Hackfleisch

Wenn Gott nur noch grollt: Marieke Rijneveld erzählt vom Zerbrechen einer calvinistischen Familie.

Von Anna Vollmer

Ein Wintermorgen, zwei Tage vor Weihnachten. Der erste Schnee ist gefallen, der See zugefroren, doch das Eis ist noch dünn. Matthies, der mit seinen Freunden zum Schlittschuhlaufen aufgebrochen ist, wird von seinem Ausflug nicht zurückkehren. Mit seinem Tod beginnt "Was man sät", der Debütroman der niederländischen Schriftstellerin Marieke Lucas Rijneveld.

Geboren 1991, wuchs sie in Nordbrabant auf, einer ländlichen Provinz im Süden der Niederlande. Mit vierundzwanzig veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband "Kalfsvlies" und wurde gleich von der Tageszeitung "de Volkskrant" als größtes literarisches Talent des Landes gefeiert. "Was man sät" löste vor zwei Jahren ähnliche Begeisterung aus. Und tatsächlich ist es ein ungewöhnliches, besonderes Buch. Düster, fast apokalyptisch, anziehend und abstoßend zugleich.

Die zwölfjährige Jas, genannt Jacke, weil sie ihre Jacke auch drinnen nicht mehr ausziehen möchte, wächst mit ihren drei Geschwistern auf einem Bauernhof in der niederländischen Provinz auf. Die Familie ist Teil der strenggläubigen orthodox-calvinistischen Gemeinde im niederländischen Bibelgürtel. Außenstehende nennen sie abfällig "Schwarzstrümpfe". Die Eltern mahnen mit Versen aus dem Alten Testament; das Leben auf dem Hof scheint aus der Zeit gefallen.

Als Matthies stirbt, ändert sich alles. "Tote werden immer mehr vermisst als Lebende", weiß Jas, und in der Tat scheinen ihre Eltern über den Verlust des Sohnes die drei lebendigen Kinder zu vergessen. Die Mutter isst nichts mehr, der Vater widmet sich seinen Kühen. Am Tisch steht ein Stuhl, auf dem niemand mehr sitzen darf. Ein leerer Haken wartet auf eine Jacke, die nie mehr zurückkommen wird: "Der Tod hat hier eine eigene Garderobe." Überall scheint er zu lauern. Wie wird der Nächste sterben? "Autounfall oder in Brand geraten?", "Ermordet oder Krebs?", "Vom Futtersilo gesprungen oder ertrunken?". Es sind diese Art Spiele, in denen sich die Geschwister verlieren, weil sie auf die Liebe der Eltern verzichten müssen und doch deren Verschwinden fürchten. Jas, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, ist gefangen in ihrer eigenen klaustrophobischen Welt aus Grausamkeit und aufkeimender Sexualität, die sie nicht versteht. Ihre Schwester Hanna, die jünger ist und doch oft erwachsener wirkt, ist der einzige Trost.

Es passiert wenig und gleichzeitig so viel: Eine Familie zerbricht an ihrer Trauer, drei Kinder werden langsam und schmerzhaft erwachsen. Der Glaube kann nicht helfen, im Gegenteil. Für die Familie ist Matthies' Tod eine Strafe Gottes, und jeder einzelne fühlt sich auf seine Weise verantwortlich. So lebt Jas in der Furcht, Gott ein weiteres Mal zu verärgern, und kann doch nicht recht an ihn glauben: "Oma sagt manchmal, dass Beten das Herz weniger schwer macht, aber meins wiegt immer noch dreihundert Gramm. Genauso viel wie eine Packung Hackfleisch."

Rijnevelds Bilder sind einfallsreich und poetisch, geprägt von dem immer noch kindlichen Blick ihrer Protagonistin: "Sie hat Gänsehaut, es fühlt sich an wie eine Lego-Platte, ich könnte mich auf ihr festklicken und nie mehr loslassen." Wie in den Bibelversen, die den ganzen Roman durchziehen, sieht Jas in allem, was sie umgibt, stets einen Hinweis. Eine andere, höhere Bedeutung. Die Schwestern hoffen, errettet zu werden, zu entkommen, und träumen von "der anderen Seite" des Sees, des Lebens. Jenem Ort, zu dem ihr Bruder hinausfuhr und an dem er ertrank.

Bei aller Symbolik ist Rijnevelds Sprache drastisch und direkt: "Oma lächelte mir zu. Ich wollte, dass sie mit diesem Lächeln aufhörte, dass Vater mit einer Gabel über ihr Gesicht fuhr und alles durcheinandermatschte, wie er es bei einem Pfannkuchen machte." Es geht um Gewalt, Sex und Fäkalien. Zuweilen ist der Roman abschreckend, fast verstörend. Dass nichts je besser, sondern alles nur schlimmer wird, ist kaum zu ertragen. "Dies ist eine Einweihung", sagt Jas einmal zu Hanna, während sie ihr Gesicht in ein Kissen drückt: "Wer hier wohnen will, muss spüren, wie es ist, wenn man beinahe erstickt, wie Matthies, wenn man beinahe stirbt, nur dann werden wir Freunde." So fühlt sich zuweilen auch das Lesen an, als wolle Rijneveld einen ersticken. Doch gerade, weil sie ihre Leser aus der düsteren Vorstellungswelt ihrer Protagonistin entlässt, weil wir immer mehr hineingezogen werden in Jas' Eindrücke und Phantasien, lässt man all das über sich ergehen. Nichts wird erklärt, und alles ist dadurch umso klarer. "Was man sät" ist sicher keine aufbauende Lektüre. Aber eine lohnende.

Marieke Lucas Rijneveld: "Was man sät". Roman.

Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 317 S., geb., 22,- [Euro].

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»Von einer Wucht und Schönheit, wie sie nicht häufig vorkommen.« Claudia Vogt DER SPIEGEL 20211108