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Robert Menasse reist nach Brüssel und erlebt eine Überraschung nach der anderen: offene Türen und kompetente Informationen, eine schlanke Bürokratie, hochqualifizierte Beamte und funktionale Hierarchien. Kaum eines der verbreiteten Klischees vom verknöcherten Eurokraten trifft zu. Ganz im Gegenteil, es sind die nationalen Regierungen, die die Idee eines gemeinsamen Europa kurzsichtigen populistischen Winkelzügen unterordnen. Damit werden sie zu Auslösern schwerer politischer und wirtschaftlicher Krisen in der EU. Menasses furioser, dem Geist Georg Büchners verpflichteter Essay fordert nichts…mehr

Produktbeschreibung
Robert Menasse reist nach Brüssel und erlebt eine Überraschung nach der anderen: offene Türen und kompetente Informationen, eine schlanke Bürokratie, hochqualifizierte Beamte und funktionale Hierarchien. Kaum eines der verbreiteten Klischees vom verknöcherten Eurokraten trifft zu. Ganz im Gegenteil, es sind die nationalen Regierungen, die die Idee eines gemeinsamen Europa kurzsichtigen populistischen Winkelzügen unterordnen. Damit werden sie zu Auslösern schwerer politischer und wirtschaftlicher Krisen in der EU. Menasses furioser, dem Geist Georg Büchners verpflichteter Essay fordert nichts weniger als "die Erfindung einer neuen, einer nachnationalen Demokratie".
Autorenporträt
Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und studierte in seiner Heimatstadt sowie in Salzburg und Messina Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft. Er lebt als Romancier und Essayist zumeist in Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Hölderlin-, Doderer-, Breitbach-, Feuchtwanger-, Kaschnitz-, Fried-Preis, Österreichischer Kunstpreis. 1999 ist im Deuticke Verlag Der mächtigste Mann in Zusammenarbeit mit Kenneth Klein, Elisabeth und Eva Menasse erschienen. Für seinen viel diskutierten Essay Der Europäische Landbote (Zsolnay 2012) erhielt er u.a. den Friedrich-Ebert-Preis und den Heinrich-Mann-Preis. 2013 erschien bei Zsolnay sein Theaterstück Doktor Hoechst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Alles bestens in der Zentrale

Ehrenrettung einer oft verdammten Bürokratie und Ausblick auf ein postnationales Europa: Robert Menasse bietet politische Aufklärung in Reinform.

Von Nils Minkmar

Dieses schlanke Buch über den aufsteigenden europäischen Traum ist phönixgleich die Folge eines krachenden Scheiterns: Robert Menasse wollte einen Roman über Europa im Abendlicht schreiben, dessen Protagonist ein Beamter der Kommission sein sollte. Womöglich schwebte ihm ein Sittengemälde aus Anlass der Krise vor, ein bittersüßes Euroepos. Bislang wurde nichts aus der Sache, doch die Recherche hat den Autor auf so brisante Ideen gebracht, dass er sie in diesem Band versammeln musste. Menasse hegte zunächst die geläufigen Vorurteile und Klischees: Ein undemokratisches und bürokratisches Labyrinth seien Rat und Kommission, die Krise Europas vor allem und eigentlich eine Krise der Kultur in der europäischen Hauptstadt.

Doch er fand ganz andere Menschen dort, eine ganz andere Stadt. Hier waren keine grauen Geheimniskrämer und keine parteipolitisch beförderten Hofschranzen wie in den allermeisten anderen Hauptstädten, sondern freundliche, auskunftsfreudige Zeitgenossen, die ihre Berufung einer harten Auswahl zu verdanken haben. Und nach einer ganzen Reihe solcher überraschenden Urteile kam ihm die Einsicht, dass alles anders sein könnte: Die Krise entsteht nicht am Schauplatz der Gipfel, sondern in den Staaten. Nicht die EU ist das Problem, sondern die vielen Nationalstaaten, die wie abgestorbene Bäume den Weg versperren.

Menasse redet keinem Brüsseler Superstaat das Wort, er ist auch ein Verfechter der regionalen Selbstverwaltung. Denn in der Region, die durch Landschaft, Geschichte, Dialekt und Bräuche definiert ist, fühlt sich der Bürger wirklich zu Hause, der Saarländer aber mitunter fremd in Hamburg. Die nationale Identität ist auch eine historisch reversible. Und das viel beklagte europäische Demokratiedefizit rührt auch nur daher, dass wir einen unangemessenen Begriff von Demokratie haben, dem noch die historisch gewachsene Verbindung von Nationalstaat und parlamentarischer Repräsentanz zugrunde liegt. Doch es lässt sich ja auch eine ganz neue Form der Demokratie denken, eine nachnational verfasste, in der die Entscheidungen regional getroffen werden oder eben europäisch. Kritisch ist aber in diesem Zusammenhang die Rolle der Medien zu bewerten, obwohl Menasse sie nur am Rande würdigt: Tatsächlich operieren nationale Medien und nationale Regierungen Hand in Hand. Würde man in den Fernsehanstalten der Einzelstaaten mal europäischer denken und sich trauen, Gäste aus Nachbarstaaten zu Wort kommen zu lassen, Europa würde gleich spannender.

Man kann alles ganz anders denken, dann wird die Krise, dieses lähmende und wuchernde Symptom, zur Phase beim Durchschreiten eines Irrgartens. Menasse hat den Ausweg entdeckt. Und weil das sehr wichtig ist, schreibt er schnell und intensiv. Er überträgt dabei die Prinzipien der Molekularküche auf die Argumentation: Statt eines komplizierten Mischgetränks serviert er pures Koffein zur sofortigen Injektion. Der Autor will den Leser zur Aktion gewinnen und ihn also packend überzeugen: Europa ist ganz anders. Der Leser aber muss dazu erst einmal die Bereitschaft entwickeln, etwas über das vom Autor entdeckte Europa zu lernen, denn in all den Jahren haben sich doch erhebliche kognitive Widerstände gegen das Thema formiert.

Man kann das bei der Lektüre selber testen: Auf kaum zwei Seiten referiert Menasse die Entstehungsgeschichte der EU, und man ertappt sich selbst beim immer flüchtigeren Lesen, ja beim nur noch Scannen der Seiten - bis es schließlich auf der Seite steht: Kaum erzähle man die Geschichte Europas, fingen alle an, sich zu langweilen. Dieser Ausstieg ist fatal, denn er überlässt das Feld einer paneuropäischen Passivität, in der nur noch die erregten Eurogegner zu hören sind. Dabei kommt es gerade auf die detaillierte Bestandsaufnahme an.

Menasses Buch ist zunächst einmal eine Ehrenrettung der so oft gescholtenen Brüsseler Bürokraten, die er wie ein Ethnologe aufsucht, beschreibt und würdigt. Und er ist selbst davon überrascht, wie gut die ihm gefallen. Es herrscht in Brüssel intellektuell und sozial ein ganz anderes Klima als in den nationalen Verwaltungen, deren Protagonisten ja meist aus ähnlichen Regionen und Milieus kommen. Ein britischer Beamter schildert, dass in seiner Heimat Besprechungen auf höchster Ebene in einem Kreis von gleich gebildeten, gleich gekleideten und gleich gesinnten Menschen stattfinden und nicht nur von bestechender Langeweile seien, sondern auch oft schlicht unproduktiv. In Brüssel sei man hingegen herausgefordert, auch noch die Grundlagen und die Begriffe zu klären, wenn Basken und Finnen zueinanderfinden sollen.

Peinlicherweise ist das einzige Ressort, in dem Menasse abgeblitzt ist, jenes für Kultur. Er berichtet von einem nach vielem Drängen erst zustande gekommenen Termin bei Themis Christophidou, der Vizekabinettschefin für Kultur. Die Dame ist dem Vorhaben einer literarischen Verarbeitung des Europa-Themas aber alles andere als gewogen ("Ich habe nicht die geringste Lust, von meiner Arbeit zu erzählen!") und komplimentiert den Schriftsteller schnell wieder hinaus, womit klar wird, dass es eben auch in Brüssel Fehlbesetzungen gibt. Dagegen steht, dass sich an den langen Brüsseler Abenden die Kommissare auch schon mal bei Lesungen treffen.

Brüssel scheint auch solche Politiker, die auf nationaler Ebene nicht oder nicht mehr so interessant waren, wieder zu inspirieren. Diskussionswürdig sind Menasses Ausflüge in die Psychologie Angela Merkels, der er eine alles überschattende Begeisterung für das nationale Projekt unterstellt, schließlich war ja die Wiedervereinigung ihr Lebensglück. Dem könnte man entgegnen, dass die Kanzlerin doch immerhin seit Jahren jeden Standpunkt aufgibt, der sie in Konflikt mit europäischen Partnern bringen könnte, und fleißig dafür sorgt, dass in erheblichem Maße auch Mittel fließen. Davon sind in ihrer politischen Familie ja nun auch nicht alle begeistert. Aber Angela Merkel versteht es nicht, ihrem europäischen Engagement eine besondere, über den Tag hinausweisende Dimension zu verleihen oder ein entsprechendes Empfinden überzeugend auszudrücken. Das heißt aber nicht, dass es nicht vorhanden ist.

Die Leküre dieses Buches lässt niemanden kalt, was auch an seiner Form liegt: Menasse hat es in numerierte Abschnitte unterteilt, die jeweils ganz unterschiedliche und eigensinnige Argumente oder Beschreibungen bringen. Es gibt keine einzige langweilige Passage, man liest kondensierte Aufklärung. Übrig bleibt ein Aufgabenheft: Jede Leserin, jeder Leser wird für sich viel sehen, was weiterzudenken ist und an die eigene Tat- und Urteilskraft appelliert. Menasse erkennt in Europa die Möglichkeit zu etwas ganz Neuem, und nach der Lektüre ist man von dieser Möglichkeit elektrisiert. Gut, dass es dieses Buch gibt; gut auch, dass es eine Dimension und eine Form hat, die es vielen ermöglichen, es zu lesen, einzustecken und zu tauschen. Das wird auch geschehen, denn es ist ein wichtiges Buch, vielleicht der Beginn von etwas.

Robert Menasse: "Der europäische Landbote". Die Wut der Bürger und der Friede Europas.

Zsolnay Verlag, Wien 2012. 112 S., geb., 12,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Robert Menasse hat einen eigenwilligen Blick auf Europa und einen eigenwilligen Blick auf die Krise, berfindet Christian Thomas. Der Autor leugnet in "Der Europäische Landbote", dass es überhaupt eine Krise gibt, erklärt der Rezensent, den Schulden stehe Menasse zufolge Guthaben gegenüber. Was Robert Menasse fordert: mehr Demokratie in der EU, eine Stärkung des Parlaments und eine Schwächung des Rates aus nationalen Regierungschefs. Thomas ist das zuviel blinder Europa-Patriotismus; er findet nicht, dass die Souveränität der Nationalstaaten so leicht ausgehebelt werden darf. Menasse arbeitet an einem Roman, der sich des Brüsseler Panoramas bedienen wird, verrät der Rezensent. Thomas mutmaßt, dass der Landbote dann als Arbeitsjournal herhalten wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein anregender Text, meinungsstark und flott zu lesen. Wie gern würde man sich mitreißen lassen vom visionären Überschwang dieser Streitschrift. Allerdings, während der Lektüre wird man das Gefühl nicht los: Dieser Mann ist seiner Zeit um etwa 150 Jahre voraus." Günter Kaindlstorfer, Bayerischer Rundfunk "Kulturwelt", 24.09.12

"Durch Menasses Essay strahlt die schöne, große Tradition des österreichischen Weltbürgertums, durchsetzt von einem gesunden Hass auf die "Piefkes" und auf den Geist der Renationalisierung." Konstantin Sakkas, Deutschlandradio, 03.10.12

"Menasse demontiert viele gängige Irrtümer über die EU und entwirft ein Europa im Sinne der Vereinigung als Friedensprojekt, der Auflösung der Nationen und als 'nachnationale Gemeinschaft'." Beat Ammann, Neue Zürcher Zeitung, 04.10.12

"Menasse ist Erzähler und Polemiker, kühler Geschichtsdenker ebenso wie visionärer Schwärmer, der, bevor er abhebt, sich der Fakten vergewissert. Und er ist ein Verführer,der kraft seiner Sprache Überzeugungsarbeit leistet." Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten, 10.11.12

"Eine so wunderbare wie polemische, in manchem sicher auch streitbare Liebeserklärung an die Gemeinschaft." Raoul Mörchen, WDR5 Scala, 27.03.13