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Richard Wagners Werk ist ein europäisches Politikum, Indiz und Impuls für die gesellschaftlichen Umbrüche der Moderne. Breite weltanschauliche Wirkung entfaltet etwa seine "Judenthum"-Schrift (1850/1869) als Triebkraft des europäischen Antisemitismus. Die Verbreitung einer "jüdischen Musik" hat der Komponist damit allerdings gerade nicht verhindert. Vielmehr hat er ihre Entfaltung unfreiwillig befördert.Richard Wagner unterstellt den künstlerisch "unfruchtbaren" jüdischen Komponisten seiner Zeit, "Gefühle" musikalisch ohne eigenes Vorstellungsvermögen und daher nur aus zweiter Hand auf den…mehr

Produktbeschreibung
Richard Wagners Werk ist ein europäisches Politikum, Indiz und Impuls für die gesellschaftlichen Umbrüche der Moderne. Breite weltanschauliche Wirkung entfaltet etwa seine "Judenthum"-Schrift (1850/1869) als Triebkraft des europäischen Antisemitismus. Die Verbreitung einer "jüdischen Musik" hat der Komponist damit allerdings gerade nicht verhindert. Vielmehr hat er ihre Entfaltung unfreiwillig befördert.Richard Wagner unterstellt den künstlerisch "unfruchtbaren" jüdischen Komponisten seiner Zeit, "Gefühle" musikalisch ohne eigenes Vorstellungsvermögen und daher nur aus zweiter Hand auf den Hörer übertragen zu können. Im Hintergrund stehen dabei Vorurteile gegen die Wirkung des mosaischen Bilderverbots, das die künstlerische Kreativität "der Juden" lähme. Dem angeblichen Mangel an Einbildungskraft stellt Wagner die Ideologie einer "deutschen Innerlichkeit" entgegen, die allein anschauliche Vorstellungen im Hörer erzeugen könne, um die Fasslichkeit der flüchtigen Kunstform Musik zugewährleisten.Das Buch versteht diese Frage nach der Bildlichkeit des Hörens als einen Brennpunkt der modernen Musikästhetik. Zwischen den Opern "Königin von Saba" (Carl Goldmark, 1875) und "Moses und Aron" (Arnold Schönberg, 1930) entfaltet es die deutschnationale Frage nach der "Innerlichkeit" als Kampfplatz zwischen Anpassung und Selbstbehauptung einer "jüdischen Musik": zunächst in Reaktion auf Wagners Judenfeindschaft, dann in Konkurrenz und fruchtbarer Abgrenzung von ihr. Wagners Schmähung des Bilderverbots wird so am Ende des Zeitalters der "Innerlichkeit" zum Motor eines kraftvollen, ja visionären Kunstanspruchs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2020

Ich kann dich ja nicht leiden, vergiss das nicht so leicht
Matthias Schmidt spürt den Voraussetzungen und Nachwirkungen von Richard Wagners Auslassungen über das Judentum in der Musik nach

Richard Wagners "Das Judentum in der Musik" ist ein von Hass triefender Text. Wagner veröffentlichte ihn 1850 und in erweiterter Form 1869, um seine Idee der Ausgrenzung jüdischer Musik und Musiker aus der deutschen Kultur zu verbreiten. Der in Basel lehrende Musikforscher Matthias Schmidt fragt nach den Voraussetzungen dieses Texts und seinen Einflüssen auf die Moderne um 1900. Er behandelt dabei einige Fragen: Woher stammt Wagners Hohelied auf die deutsche Innerlichkeit, die Kraft der musikalischen Imagination, als deren Prophet er sich sah und die er den jüdischen Musikern absprach? Wie verhielt sich seine Haltung zur zeitgenössischen Auffassung von einer behaupteten "Fremdheit" des Jüdischen? Und vor allem: Wie reagierten die derart ab- und ausgegrenzten Komponisten?

Schmidt will die "breite Denkpraxis" des Antisemitismus durchleuchten und unterzieht sich dafür der Prozedur, Wagners Argumenten Satz für Satz nachzugehen. Er ergänzt dessen Äußerungen um weitere Materialien: 1881 kamen beim Brand des Wiener Ringtheaters vierhundert Menschen um; Wagner "scherzte", er sähe gerne "alle Juden" in einer Aufführung von Lessings "Nathan der Weise" verbrennen.

Mit lediglich kurzen Rückblenden auf die Zeit vor 1850, dafür umso tieferen Einblicken in die Musikpresse und in zahlreiche Ego-Dokumente der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelingt Schmidt ein ebenso facettenreiches wie deprimierendes Bild einer Gesellschaft, die Innerlichkeit als faktisch unbegründbares und vielleicht auch deshalb so nachhaltig wirkendes Motiv deutscher Leitkultur sehen wollte; ein Denkmodell, dem sich auch Thomas Mann nicht entziehen konnte (F.A.Z. vom 29. Mai). Innerlichkeit wird zum künstlerischen Erfolgskonzept erklärt, die angeblich jüdische Oberflächlichkeit als Abwertungs-, Ausgrenzungs- und schließlich Vernichtungsargument parallel mitgeführt. Freilich wusste niemand im neunzehnten Jahrhundert (wie auch noch heute), was denn "jüdisches" Komponieren überhaupt sei. So gelang Wagner und seinen Adepten die Konturierung des "Jüdischen" in der Musik nur, indem sie den Juden die Fähigkeit zu deutschem Komponieren pauschal absprachen.

Auf diese Weise konnte Wagner auch mit einem Streich den unliebsamen Konkurrenten Felix Mendelssohn und den verhassten Kritiker Eduard Hanslick ausschalten. Deutsch komponierte Wagners Ansicht nach, wer zur Innerlichkeit und romantischen Bildermacht in der Musik fähig sei - zwei Eigenschaften, die seine Kunst, so meinte er, in idealer Weise auszeichneten. "Jüdisch" komponiere, wer dazu nicht fähig sei und obendrein dem jüdischen Bilderverbot unterliege: Denn wer aus religiösen Gründen keine äußeren Bilder haben darf und keine inneren entwickeln könne, der sei kein Christ und kein Deutscher und kein Künstler. Aus diesem Teufelskreis gab es für Wagner kein Entrinnen.

Schmidt geht es nicht darum, Wagner als Anstifter von Entwicklungen zu entlarven, die nach seinem Tode und außerhalb seiner Einflusssphäre lagen. Er möchte zeigen, was diese Argumente mit der Musikgeschichte um 1900 gemacht, wie sehr sie das Komponieren kontaminiert haben. Hier kommen die eigentlich neuen Perspektiven der Studie zum Tragen, vor allem im großen Kapitel zu Carl Goldmarks Oper "Die Königin von Saba" aus dem Jahr 1875.

Schmidt analysiert musikalisch und kontextuell das beinahe groteske, im Ergebnis (zwangsläufig) gescheiterte Anpassungsbedürfnis des aus einer jüdischen Familie stammenden Komponisten. So verwendete Goldmark in seiner Oper "orientalische" Klänge, um den christlichen wie jüdischen Wiener Zuschauern eine Fremdheitserfahrung von "Heidnischem" zu geben. Dass genau dies von beinahe allen Zeitgenossen als typisch "jüdisch" missverstanden, ja sogar als "orientalisch-jüdisch" genommen wurde, zeigt die beängstigende Selbstverständlichkeit, mit der Andersartiges als "jüdisch" etikettiert und zugleich abgewertet werden konnte.

Exklusion war das Verfahren der Stunde, Wagner ihr einflussreichster Fürsprecher. Noch Arnold Schönberg, der sich für das Exil entschied, litt unter den Nach- und Breitenwirkungen der von Wagner angestoßenen Ausgrenzungsdebatten. Seine künstlerischen Reaktionen changierten zwischen frühen Versuchen, den Erwartungen an assimiliertes Komponieren gerecht zu werden, wie im unvollendeten Oratorium "Jakobsleiter" (1916/17), und einem Opernfragment wie "Moses und Aron" (1932), in dem das Scheitern eines Miteinanders beider Kulturen auf die Bühne gelangen sollte. Schönbergs Rekonversion zum Judentum 1933 war die Konsequenz eines Komponisten, der den Teufelskreis längst durchschaut hatte.

Es ist nicht unproblematisch, einem solch aggressiven Text viel Raum zu geben, ihn ausführlich zu zitieren und als methodischen Ausgangspunkt zu nutzen und sich damit der Gefahr auszusetzen, in die Drift der Thesen zu gelangen - etwa jener, dass Innerlichkeit (auch in der Musik) tatsächlich mehr sei als nur eine Konstruktion der Moderne. Auch wäre zu fragen, ob Wagners (musik)politischer Einfluss - gerade im multikulturellen Wien, wo er zunächst nur mäßig Fuß zu fassen vermochte - nicht überschätzt wird. Schließlich gab es dort auch Stimmen wie jene von Johannes Brahms, der äußerte: "Antisemitismus ist Wahnsinn!" Richtig ist aber, dass Wagners Ansichten und ihre Folgen nicht vergessen werden dürfen. Matthias Schmidt ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Buch geglückt, das die deutsche Musikgeschichte um 1900 und ihre falschen Zwischentöne besser verstehen lässt.

CHRISTIANE WIESENFELDT

Matthias Schmidt: "Eingebildete Musik".

Edition text + kritik, München 2019.

346 S., geb., 36,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Matthias Schmidt ist ein wichtiges Buch geglückt, das die deutsche Musikgeschichte um 1900 und ihre falschen Zwischentöne besser verstehen lässt."FAZ, 19.6.2020"Mit seiner anspruchsvollen Studie (...) fügt Matthias Schmidt der opulenten Wagner-Philologie ein glänzendes Mosaiksteinchen hinzu."Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 1/2021"... erstaunlich weitgefächerte Studie, die zweifellos zu den besten Einlassungen zum Thema gehört"deropernfreund.de, 28.11.2019"Immer wieder erinnert das Buch eher an dramaturgische Programmhefttexte als an eine wissenschaftliche Abhandlung. Das ist in jedem Fall ein Pluspunkt, denn man kann es durchaus auch lesen, ohne sich mit diesem Thema nur zu Forschungszwecken zu beschäftigen. Ein weiterer Pluspunkt ist der Mut zur neutralen Aufklärung und Aufbereitung dieses heiklen Themas, das in weltpolitischer Hinsicht aktueller denn je ist."SWR2, "Treffpunkt Klassik", Buch-Tipp vom 11.11.2019