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"Géza Ottliks Roman über eine Militärschulein der ungarischen Provinz der Zwischenkriegszeit, erschienen 1959, ist wieder da. Ein großartiges Buch über die Kapillaren der Macht, vollgesogen mit Freiheitshunger und Repressionserfahrung, erzählt von einem Lebenskünstler im Dialog mit dem Manuskript eines Toten." (Lothar Müller)

Produktbeschreibung
"Géza Ottliks Roman über eine Militärschulein der ungarischen Provinz der Zwischenkriegszeit, erschienen 1959, ist wieder da. Ein großartiges Buch über die Kapillaren der Macht, vollgesogen mit Freiheitshunger und Repressionserfahrung, erzählt von einem Lebenskünstler im Dialog mit dem Manuskript eines Toten." (Lothar Müller)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Einen weiteren, wieder entdeckten ungarischen Literaturklassiker zeigt Rezensent Andreas Breitenstein mit diesem wiederaufgelegten Roman von 1959 an - damals, im dritten Jahr nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes durch seine parabelhafte Beschreibung und Analyse eines wahnhaften Machtgefüges eine literarische Sensation. Allerdings fliegt aus heutiger Sicht des Rezensenten durch den Pessimmismus dieses Buchs "nicht nur der Kommunismus, sondern jeder Glaube an eine humane Ordnung in die Luft". Auch erzähle der Roman von der Unmöglichkeit, die Wahrheit über das Leben überhaupt "erzählend zu fassen", denn zwei Erzähler machen sich Breitenstein zufolge im Buch die Sicht auf die Dinge streitig. Die Handlung sei Mitte der zwanziger Jahre angesiedelt, in seinem Zentrum stehe ein Klassenjahrgang der Militär-Realschule von Köszeg, was dem Buch Vergleiche mit Musils "Törleß" eingebracht habe, so der Rezensent. Allerdings handele es sich nicht um eine gewöhnliche Internatsgeschichte. Es komme nicht zu einer dramatischen Zuspitzung, obwohl sie verheißen werde. Das Internat erscheint als ein Panorama menschlicher Grausamkeit, aus dem nach Angaben des Rezensenten zwei Wefges des Trostes gewiesen werden: das Schreiben und die Liebe zur Natur.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2009

Mit ungemein nuancierten Tritten

Überwachen und Strafen: Ein Klassiker aus Ungarn, Géza Ottliks Kadettenroman, ist in einer neuen Ausgabe wiederzuentdecken.

Was ihn als Kind bewog, Zögling einer Militärschule zu werden, vergaß Robert Musil nie: "Ich wollte hin, weil ich lange Hosen tragen wollte", heißt es lapidar in seinen späten Tagebüchern. Ein unter behütet aufwachsenden Knaben jener Zeit offenbar verbreiteter Wunsch. Auch Medve in Géza Ottliks endlich wiederentdecktem, häufig mit Musils "Törless" verglichenem Kadettenroman erhofft sich bei seiner Ankunft in der "Schule an der Grenze" vor allem eins - endlich lange Beinkleider.

Der ungarische Autor Ottlik, der selbst die Militärschule in Köszeg nahe der österreichischen Grenze absolvierte, lässt Medve und sechs weitere Zehnjährige aus wohlhabenden Budapester Familien im Herbst 1923 in eine namenlose Militär-Unterrealschule eintreten. Die Köpfe kahlgeschoren, in schwarze Waffenröcke gesteckt und noch die ahnungslosen Ratschläge der Eltern im Ohr, senkt sich schon am Tag ihrer Ankunft "undurchdringlicher Nebel" über sie, wie Benedek Bóth, Ottliks Ich-Erzähler, mehr als drei Jahrzehnte später schreibt.

Die Donaumonarchie ist längst Geschichte, aber so wie im Speisesaal noch immer ein lebensgroßes Jugendporträt des Kaisers hängt, so gelten in der Militärschule auch die "bewährten" Erziehungsmethoden weiter. Das genretypische Räderwerk aus Demütigung und Drill, Überwachung und Strafe, in dem sich die neuen Zöglinge übergangslos wiederfinden, wird von Ottlik eindrucksvoll in Gang gesetzt. In seiner präzisen Schilderung des Schulalltags erinnert der 1959 erschienene Roman streckenweise mehr an die autobiographischen "Kadettenjahre" des Soziologen Leopold von Wiese als an bekannte Schulromane wie Hesses "Unterm Rad" oder Hermann Ungars "Die Klasse". Das reicht von der Beschreibung kollektiver Bestrafungsaktionen oder ritualhaft vollzogener Duelle bis zur bizarren Sklavensprache, mit der sich die Zöglinge untereinander verständigen, einem Argot aus obszönen Flüchen und vieldeutigen Kehlkopf- und Lippenlauten.

Mit einem "Elema", "Hmp" oder "Ühum" lässt es sich sogar dann kommunizieren, wenn man beim Exerzieren oder Marschieren den Blicken der Unteroffiziere Bognár und Schulze ausgesetzt ist. Beide sind für das "große Abrichten", die "Vergatterung" der Eleven zuständig. "Im Grunde genommen kannten wir nur zwei Arten von Tagen: den Schulzetag und den Bognártag." Mit ihren mehr gebellten als gesprochenen Befehlen - "Htz!", "Herstellt!" - versetzen sie die Zöglinge in einen Dauerzustand aus Angst und Alarmbereitschaft, nebenbei leben sie ihre soziopathischen Neigungen aus. "Die Vorschriften waren darauf abgestellt, dass keiner je ganz unschuldig sein konnte", heißt es an einer Stelle. Ist einer zu langsam wie der Träumer Medve, muss das ganze Bataillon zusätzliche Schindereien erleiden - ein effizientes Mittel, die Zöglinge sich gegenseitig disziplinieren zu lassen. Schon kurz nach der Ankunft tritt Ottliks Ich-Erzähler den Kameraden Medve zum ersten Mal: "Mit unseren großzügig verteilten, ungemein nuancierten Tritten konnten wir vieles mitteilen. Ihre Botschaften in Worte zu fassen ist allerdings schier unmöglich."

Schlimmer als das Unteroffiziersgespann ist die Terrorherrschaft der älteren Zöglinge. Die Merényi-Clique quält ihre Kameraden nach Belieben; wer ihre Taten anzeigt, wird ausgestoßen oder wie der Zögling Öttevényi als Nestbeschmutzer von der Schule verwiesen. Überhaupt ist die Hackordnung unter den Schülern nur an der Spitze (Merényi) und an der Basis (die Neuen) stabil, dazwischen herrscht Unsicherheit und Angst.

Manche lernen die Gesetze schneller als andere. Ottliks Ich-Erzähler muss zwar manches einstecken, gehört aber zu den Cleveren. Mehr als drei Jahrzehnte später vermacht ihm sein alter Freund Medve postum seine Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit mit dem Hinweis, er könne damit machen, was er wolle. Benedek Bóth, den 1957 im Lukács-Bad gemeinsam mit einem weiteren ehemaligen Zögling die Frage beschäftigt, wie sie so geworden seien, wie sie sind, nimmt Medve beim Wort. Und korrigiert und ergänzt, man könnte auch sagen, verfälscht immer hemmungsloser Medves Erinnerungen, überschreibt mit seinem kühlen Zynismus die schwülstige Selbststilisierung Medves.

Ottliks Roman, allen Grundsätzen des sozialistischen Realismus abhold, hat deshalb zwei Erzähler, die verschiedener nicht sein könnten: den sensiblen Medve, der von der vollkommenen Verständigung mit seinen Mitmenschen träumt, und den besserwisserischen, kalt beobachtenden Bóth, der sich geschickt an seine Umgebung anpasst und die "alles verstehende, alles verzeihende Weisheit" feiert, die ihn die Schulzeit gelehrt habe. Die konfliktträchtige doppelte Erzählperspektive, die noch dadurch verkompliziert wird, dass der ältere Bóth mehr und mehr hinter seinem jungen, erlebenden Ich zurücktritt, hat Folgen vor allem für die Handlung. Nur vage chronologisch, ähnelt ihr Gang der einer Wendeltreppe mit Vorausdeutungen, Rückblicken und Richtigstellungen, wichtige Szenen werden mehrfach aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Aufregender als der manchmal etwas langatmige Plot ist die innere Entwicklung der beiden Erzähler: Während sich Medve nach einem gescheiterten Fluchtversuch zum furchtlosen Rebellen wandelt, wird aus Bóth ein Mitläufer.

"Die Schule an der Grenze", nur wenige Jahre nach dem Volksaufstand erschienen, ist ein Roman über die Abgründe von Freundschaften ebenso wie über Freiheit: "Freiheit war für uns keine hochtönende, abstrakte Idee, sondern der ursprüngliche Sinngehalt des Wortes: eigene Entscheidung unter vielfältigen Möglichkeiten, Abnehmen der Sklaverei, des Zwanges und der Verbote." Kein Wunder, dass der Roman des 1990 verstorbenen Autors in der Diktatur zum Kultbuch avancierte; heute beruft sich eine ganze Generation ungarischer Autoren auf Géza Ottlik: neben Péter Esterházy, der das kluge Nachwort zur Neuausgabe lieferte, Péter Nádas und Miklós Mészöly.

OLIVER PFOHLMANN.

Géza Ottlik: "Die Schule an der Grenze". Roman. Aus dem Ungarischen von Charlotte Ujlaky. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 528 S., geb., 32,- [Euro].

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'Ein großartiges Buch über die Kapillaren der Macht, vollgesogen mit Freiheitshunger und Repressionserfahrung, erzählt von einem Lebenskünstler im Dialog mit dem Manuskript eines Toten." (Lothar Müller, SWR-Bestenliste, Juni 2009) 'Wie Anpas