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Das Abenteuer Hafen ist universell. Wasser, Schiffe und Handel. Das gab es in Schanghai, Antwerpen, Hong Kong, Liverpool, Alexandria oder New Orleans, verzweigt auch in Duisburg, Basel oder Budapest. Aber hier wird es in deutscher Sprache abgehandelt und darum Hamburg als Schauplatz gewählt. Wir erleben, wie ein eigentümlicher Kosmos aus hochspezialisierten Berufen, ausgetüftelten Werkzeugen, (heutzutage) rätselhaften Wörtern und noch rätselhafteren Gegenständen einen Menschenschlag geprägt hat, Lebensformen, eine ganze Stadt dargeboten in einem kulturhistorischen Zeitraffer. Allein schon die…mehr

Produktbeschreibung
Das Abenteuer Hafen ist universell. Wasser, Schiffe und Handel. Das gab es in Schanghai, Antwerpen, Hong Kong, Liverpool, Alexandria oder New Orleans, verzweigt auch in Duisburg, Basel oder Budapest. Aber hier wird es in deutscher Sprache abgehandelt und darum Hamburg als Schauplatz gewählt.
Wir erleben, wie ein eigentümlicher Kosmos aus hochspezialisierten Berufen, ausgetüftelten Werkzeugen, (heutzutage) rätselhaften Wörtern und noch rätselhafteren Gegenständen einen Menschenschlag geprägt hat, Lebensformen, eine ganze Stadt dargeboten in einem kulturhistorischen Zeitraffer. Allein schon die Berufe! Kornumstecher, Quartiersleute, vereidigte Dispatcheure, Stauervizen...
Wir begreifen, was die Menschen jahrhundertelang beherrscht haben und noch vor zwei Generationen. Seither lag das im Dunkeln, bis dieses Buch uns, was Welt war, als Literatur zurückgibt.
Zwei Seiten des Lebens, für gewöhnlich meilenweit getrennt (in Büchern, die nie zueinander finden), schweißt Schuldt wieder zusammen: hier die Welt der Arbeit mit ihren Gerätschaften und Praktiken, dort die bürgerferne Welt der Arbeiter jenseits der Arbeit: Feierabend, verlässliche Kameradschaft, das Aufkeimen eigener sozialer Strukturen.
Für das Ohr der Heutigen ist es eine ungewohnte Freude, wie Schuldt volkstümliche Sprache, Dialekt, Einsprengsel des Fremden, Hochdeutsch, Essayistik und ausschweifende lexikalische Schilderungen von leichter Hand zusammenführt und die übliche Aufspaltung der Sprachebenen verächtlich beiseite wischt.
Von dem prallen Leben der Arbeiter und Matrosen berichtet Schuldt, von ihren Vergnügungen und Spielen, den unwiederbringlichen Kneipen, von der mütterlichen "Filzlaus", von Chansonettentitten, Kakerlaken-Wettessen und einem Schiff voller Fliegerbomben. Und von der Zärtlichkeit, mit der gerade die ärmsten Teufel einander begegneten.
Autorenporträt
Schuldt, geboren 1941 in Hamburg, ging bald zu fremden Völkern und Sprachen. Zugleich wurden die Künstler und Schriftsteller der Hitler-Emigration seine Universität. Er schrieb und veröffentlichte auf Deutsch, Englisch und Französisch, schuf in China wandgroße Bilder "aus Schriftzeichen und Verfall". Nach Ausstellungen in New York, Shanghai und Moskau lebt er heute wieder in Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2019

Ein Straßenschild
für Quiddjes Tanz
Der Künstler und Autor Schuldt
inspiziert Hamburgs „HafenCity“
Krähwinkel möchte Weltstadt spielen, findet Schuldt. Das regt ihn auf. Denn Schuldt hat die Hamburger HafenCity – genauer: ihre Straßennamen – einer kritischen Tauflektüre unterzogen. Und weil er als Künstler auch ein Korrektor ist, und zwar kein milder, jucken Schuldt an Namen wie „Shanghaiallee“ die falschen Federn. Warum putzt sich die Stadt mit der englischen Schreibweise einer Straße heraus, die keine Allee ist und nirgendwo den „Blick über das Meer“ hergibt, was „shang hai“ übersetzt bedeutet? „Globalisierungsattrappen“ nennt Schuldt sehr zu Recht diese euphemistischen Straßenschilder in einem traditionslosen Neubaugebiet, das den „Hafen“ im Namen trägt, obwohl hier niemand mehr mit dem Schiff nach Schanghai fährt – oder nach Osaka, Korea, Buenos Aires und Singapur, den weiteren Namensgebern baumlose Asphaltstrecken.
Dann doch lieber richtig Krähwinkel, sagt sich der Autor – dessen schlichter Name so frei vom Verdacht heraldischen Brunftröhrens ist, dass er für seine lexikalische Aufgabe bestens präpariert scheint. So beginnt Schuldt, der als Hörspielautor schon 1970 die WDR-Empfänger gegen sich aufbrachte, indem er einfach Straßennamen im Radio vorlesen ließ, mit der Überschreibung dieser Adressangeberei. Für die „Skizze eines Anthropotops“ sammelt und erfindet er bessere Namen, die „in der Arbeit und Sprache des Ortes verankert sind.“
„Vörn Beatschuppen“, „Dröge Kuhle“, „Groot Vergeten“ oder „Quiddjes Tanz“ lauten Schuldts Vorschläge, wie man mit ein paar Wegschildern den Renditerausch globaler Geschichtsvergessenheit ein wenig stören könnte. Seine Begriffserläuterungen zu den plattdeutschen Reminiszenzen erzählen von Schauerleuten und Landratten, leichten Schuten und einem Tropenausrüster, von der Hackordnung in der Casablanca-Bar und Jakobsleitern an Überseeschiffen, vom Nutzen der Apfelsinenkisten und von Proberäumen in brach gefallenen Hafenschuppen als Vorläufer der Immobiliensense auf den Kaianlagen.
Diese mal sachlichen, mal polemischen Faktenerzählungen zu aussterbenden Begriffen und Erinnerungen sind recht frei von Sentimentalitäten. Gerade in seiner kunstvollen Sachlichkeit macht Schuldts Wörterbuch des proletarischen Hafens schmerzhaft bewusst, dass die Umwandlung des Hamburger Zollfreigebiets in eine Stadt der astronomischen Quadratmeterpreise keine Spuren übriglässt von den Geschichten und Begebenheiten eines wasserseitigen Warenumschlagplatzes händischer Arbeit. Schuldt, selbst Spross eines norddeutschen Reederstammbaums, wenn auch eher als „schwarzes Schaf“, wie er sagt, nennt seine „Hamburgische Schule des Lebens und der Arbeit“ daher im Untertitel: „Die vergehende Wahrheit.“
Was ihm aus dem Wutanfall zur „Shanghaiallee“ über die alten Zeiten eingefallen ist, die er als 1941 geborenes deutsches Kriegskind selbst noch erlebt hat, später nicht nur in Hamburg, sondern auch in New York und China, das handelt nicht von großen politischen Weltereignissen. Es handelt von speziellen Handgriffen und schlechter Sicht, von Magellan (der für einen Platz in der HafenCity herhalten musste), Klaus Störtebeker oder der Beerdigung des Freundes Marcel Broodthaers in Brüssel. Französische Deserteure in der berühmten Hamburger Kneipe „Palette“, die nicht in den Algerienkrieg ziehen wollten, tauchen auf, und die beliebtesten Zigarettenmarken des Jahres 1949.
All dieses Material aus Schuldts virtuosem Leben ergibt eine Partitur des Verstummten in den vielen Tonarten der Maloche. Oder ein Porträt des Ortes aus einer Zeit, als sich das Fotografieren von Arbeit noch gelohnt hat, wie Schuldt mit Blick in die gläsernen Bürotürme der HafenCity sarkastisch feststellt. Ja, da kommt dann doch etwas trauernde Nostalgie vorbei anlässlich der Erinnerung an eine abgründige Vergangenheit ohne moderne Geschmacksglätte, die man aber leider nicht unter Denkmalschutz stellen konnte.
Der eigensinnige Herr Schuldt, der in den sieben Jahrzehnten seines neugierigen Lebens als Dichter und Künstler wirkte, Fahrräder baute, Tischler lernte, Radio machte und Salat (für den Autor dieser Rezension), und der gerade an einem großen Wörterbuch der Sprachschludrigkeit arbeitet, formuliert mit seiner „Schule des Lebens“ wie nebenbei einen energischen Einspruch gegen die „privatwirtschaftlichen Entgleisungen“ einer überschleunigten Welt. Aber diese Systemkritik erscheint nie im Protestgewand der Parole, sondern allein durch Wissen und zielgenaue Lakonie. So erzählt Schuldt, der als öffentlicher Kulturmensch nie einen Vornamen führte, in teils knappen, teils weitschweifigen Protokollen vergangener Hafenwirtschaft vom bedenkenlosen Verlust des Lokalen in der Moderne. Und man muss nicht in einer Hafenstadt leben, um in diesen Fanggründen kultureller Vielfalt fündig zu werden mit der Einsicht, dass früher nicht alles schlimmer war. Und dann hat einen der Autor erfolgreich geschangheit – was zu verstehen man dann vielleicht doch mal dieses Buch lesen sollte.
TILL BRIEGLEB
Schuldt: Hamburgische Schule des Lebens und der Arbeit. Berenberg Verlag, Berlin 2019. 136 Seiten, 25 Euro.
Man muss nicht in einer
Hafenstadt leben, um in Schuldts
Fanggründen fündig zu werden
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