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"Jeden Tag entscheiden wir, ob wir die weiße Flagge der Kapitulation aus dem Fenster hängen oder den von kühnen Farben strotzenden Gobelin eines Gedichts", sagt Zagajewski. Asymmetrie ist das Leitmotiv seiner neuen Gedichte, ob in der Beziehung zwischen früher und heute, Frieden und Krieg, Polen und Deutschen, Lebenden und Toten. Einige seiner schönsten Gedichte erzählen von der Asymmetrie zwischen dem Sohn und seiner lange verstorbenen Mutter. "Das Wunderbare ist schüchtern geworden, es ist schwer zu finden, schwer zu erinnern, festzuhalten." Adam Zagajewski findet das Wunderbare im Alltäglichen und macht daraus große Poesie.…mehr

Produktbeschreibung
"Jeden Tag entscheiden wir, ob wir die weiße Flagge der Kapitulation aus dem Fenster hängen oder den von kühnen Farben strotzenden Gobelin eines Gedichts", sagt Zagajewski. Asymmetrie ist das Leitmotiv seiner neuen Gedichte, ob in der Beziehung zwischen früher und heute, Frieden und Krieg, Polen und Deutschen, Lebenden und Toten. Einige seiner schönsten Gedichte erzählen von der Asymmetrie zwischen dem Sohn und seiner lange verstorbenen Mutter. "Das Wunderbare ist schüchtern geworden, es ist schwer zu finden, schwer zu erinnern, festzuhalten." Adam Zagajewski findet das Wunderbare im Alltäglichen und macht daraus große Poesie.
Autorenporträt
Adam Zagajewski, 1945 in Lemberg geboren und 2021 in Krakau gestorben, studierte Psychologie und Philosophie in Krakau. Er lehrte regelmäßig an der University of Chicago. Adam Zagajewski ist Autor zahlreicher Lyrik- und Essaybände sowie mehrerer Romane und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Eichendorff-Literaturpreis (2014), dem Heinrich-Mann-Preis der Berliner Akademie der Künste (2015), dem Leopold Lucas-Preis (2016), dem Jean-Améry-Preis für Essayistik (2016), dem Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur (2017) und dem Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (2019). Seit 2015 war Adam Zagajewski Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei Hanser erschienen zuletzt Verteidigung der Leidenschaft (Essays, 2008), Unsichtbare Hand (Gedichte, 2012), Die kleine Ewigkeit der Kunst (Tagebuch ohne Datum, 2014), Asymmetrie (Gedichte, 2017) und Poesie für Anfänger (Essays, 2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2018

Ins Licht der Asymmetrie gesetzt
Neue Gedichte des polnischen Lyrikers Adam Zagajewski

Der Zweifel an der Poesie gehört zur modernen Lyrik. Genügend Dichter, von Paul Celan bis Tadeusz Rózewicz, haben sich von ihm inspirieren lassen. Aber welcher Verseschreiber hätte je die Qualität seiner Produkte wirklichen Zweifeln ausgesetzt? Ein einziger tut es: Adam Zagajewski. "Ich weiß nicht, wie es meinen Dichterkollegen und -kolleginnen geht, aber ich weiß genau, dass ich selbst sehr oft nicht an meine Gedichte glaube", schreibt er in "Die kleine Ewigkeit der Kunst", einem "Tagebuch ohne Datum". Ausgerechnet hier, wo er die Kunst gegen eine entzauberte Welt verteidigt, setzt der Dichter das Messer des Zweifels an die eigene Kehle.

Zagajewski ist ja kein Verkannter oder Zurückgesetzter, der das tut. Er gehört in die Tradition der großen polnischen Poesie, in die Reihe der Szymborska, Herbert und Rózewicz. Seinen internationalen Rang hat unlängst der Prinzessin-von-Asturien-Preis bekräftigt. Umso ernster darf man seine Zweifel nehmen. Sie bewahrten ihn in jungen Jahren davor, einem "Weltentwurf aus dem Schmierheft" zu verfallen, dem Kommunismus. Sie hinderten den reifen Dichter daran, ein Opfer von Prominenz und Selbststilisierung zu werden. Skepsis und Zweifel sprechen aus der kalkulierten Abfolge seiner Veröffentlichungen, so auch aus den knapp fünfzig Gedichten seines neuen Gedichtbandes, den Renate Schmidgall präzis übersetzt hat. Er heißt "Asymmetrie", ebenso wie der polnische Originaltitel "Asymetria".

Ein solcher Titel verneint jegliche Philosophie harmonischer Welten, er negiert das heile Ebenmaß, sei es in der Welt, sei es im Blick auf sie. Wo der Zwang zu Ordnung und Klassifikation entfällt und die Erklärbarkeit der Welt schrumpft, vermag ihre Fülle zu wachsen. Gleich das erste Gedicht des Bandes, das am Tag nach dem Begräbnis von Zagajewskis Vater spielt, erinnert an die von Benn überlieferte Weigerung Chopins, seine Notturnos zu begründen. Benns Zeilen - so Zagajewski - erfüllen ihn mit einem fast so großen Glück wie Chopins Musik: "Eines wusste ich: Auch die Nacht muss man nicht / begründen, noch den Schmerz, nirgendwo."

Begreiflich also, dass Zagajewski auf Definition und Begründung des Begriffs Asymmetrie verzichtet. Er lässt ihn nur einmal aufscheinen, nämlich in einem von schmerzlicher Ironie getränkten Gedicht über seine Mutter. "Abiturientenball" beginnt wie aus dem Nichts mit den Zeilen: "Oder wie Mama vor dem Abiball zu dem Treffen kam, / wo wir das künstlerische Programm des Abends besprachen." Die ambivalenten Gefühle gegen die Mutter, die auch ihr Verhalten im Krieg betreffen, bezeichnet Zagajewski als Asymmetrien, die ihn daran hindern, die Mutter zu erkennen - "und wie diese Asymmetrie, diese starke Asymmetrie / viele Jahre, sogar Jahrzehnte lang, / mir nicht erlaubte, sie zu sehen - im scharfen Licht der Wahrheit." Das ist ein Schlüsselgedicht des Bandes - biographisch wie poetologisch. Zagajewski sucht, quasi mit asymmetrischem Blick, nach der Wahrheit, die in einem "unerreichbaren und herrlichen Licht" sichtbar werden könnte.

Diese Licht- und Wahrheitssuche kann auch in der alltäglichen Trivialität stattfinden. In dem Gedicht "Der Koffer" ist der Dichter ein Europa-Reisender, der sich in einer Hadeswelt sieht, als "einer von tausend Schatten, die durch / die großen Flughäfen ziehen", und bekennt zum Schluss: "Ich bin nur ein unachtsamer Tourist, / doch ich liebe das Licht." Ebendieses Licht hat seine eigene Asymmetrie. Der "Sommer 1995" zeigt den Touristen nicht bloß die "grünen Blätter des Ligusters" und das junge schwarze Kätzchen, "das uns so intelligent vorkam" - es ist auch der Sommer, "da in Srebrenica / Männer und Jungen getötet wurden".

In Zagajewskis Welt geht es um den Menschen, der wacht und in die Welt hineinruft. Oder wenigstens um den, von dem "religiöse Schriftsteller sagen: Plötzlich wurde ich ein anderer Mensch." Der Autor, versteht sich, hält sich nicht für einen religiösen Schriftsteller. Er ist ein liebender Skeptiker, der seine Figuren sympathetisch begleitet. Er schreibt die Porträts seiner Eltern, das eines Frisörs und einer jungen Jüdin, er charakterisiert Heisenberg oder Martha Argerich. Er lässt sich vom "Cousin Hannes" die Leidenschaft vorwerfen, unverständliche Gedichte zu schreiben. Und natürlich bekommt der allzu prominente Brecht den österreichischen Pass vorgerechnet und seine mangelnde politische Konsequenz: "Du warst ein vorsichtiger Revolutionär - doch kann ein Oxymoron die Welt retten?" Sicher nicht. Aber die Welt braucht das Oxymoron. Sie braucht das Gedicht, das ein Oxymoron wider die Asymmetrie ist.

Zagajewski besingt also das "erblühende Poem". Jedes Gedicht, selbst das kürzeste, könne sich in ein erblühendes Poem verwandeln, das die Herrlichkeiten der Welt befreit: "Leider sind wir / nicht aufmerksam genug, unsere Münder sind / schmal, und die Bilder kommen sparsam heraus / wie beim Geizigen von Molière." Zagajewski, der die Maske des Geizigen wählt und den Zweifel zu seiner Muse, ist ein Dichter, der von uns verlangt, dass wir seine Poeme unter achtsamen Augen erblühen lassen.

HARALD HARTUNG

Adam Zagajewski: "Asymmetrie". Gedichte.

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Carl Hanser Verlag, München 2017. 71 S., geb., 16,- [Euro].

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"Zagajewski ist ist Alchemist und Flaneur. (...) Drängender denn je fragen die Gedichte dieses Bandes nach dem, was bleibt und was wir von uns und anderen überhaupt sagen können." Carsten Hueck, Lesart, 18.08.17