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Bittere "Heimkehr"
Mit "Heimkehr" setzt die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison ihren mit "Jazz" begonnenen Romanzyklus fort, in dem sie über das schwere und oft genug lebensgefährliche Leben der Schwarzen in den USA schreibt. Der alltägliche Rassismus, die Gewalt gegen Frauen, das dunkle Vermächtnis, weitergegeben von Generation zu Generation, sind die Themen, die Morrison bewegen und von denen sie erzählt. "Jazz" war im Harlem der 1920er-Jahre angesiedelt, "Heimkehr" nun spielt in den 1950er-Jahren.
Frank Money: ein schwarzer Kriegsveteran, traumatisiert und verhöhnt
Frank
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Produktbeschreibung

Bittere "Heimkehr"



Mit "Heimkehr" setzt die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison ihren mit "Jazz" begonnenen Romanzyklus fort, in dem sie über das schwere und oft genug lebensgefährliche Leben der Schwarzen in den USA schreibt. Der alltägliche Rassismus, die Gewalt gegen Frauen, das dunkle Vermächtnis, weitergegeben von Generation zu Generation, sind die Themen, die Morrison bewegen und von denen sie erzählt. "Jazz" war im Harlem der 1920er-Jahre angesiedelt, "Heimkehr" nun spielt in den 1950er-Jahren.

Frank Money: ein schwarzer Kriegsveteran, traumatisiert und verhöhnt

Frank Money, genannt "Smart", kehrt als Kriegsveteran aus Korea zurück in eine Heimat, ein Land, das ihm, dem Schwarzen, nicht nur keinen Respekt entgegenbringt, sondern ihn verfolgt und verhöhnt, knechtet und missbraucht. Rettung und Hafen sind die Selbsthilfeorganisationen der Schwarzen und die African Methodist Episcopal Church - die Solidarität untereinander. Frank ging mit zwei Kumpels aus seinem Heimatort Lotus nach Korea, allein kommt er wieder.

Morrison eröffnet "Heimkehr" mit einer Szene, in der Frank traumatisiert, vollgepumpt mit Morphium und ans Bett gefesselt in der "Klapsmühle" aufwacht. Er will, er muss fliehen, denn seine Schwester ist in höchster Not. In dem Brief, den er erhalten hat, steht: "Komm schnell, sie wird tot sein, wenn du trödelst." Doch zwei Polizisten hatten ihn einfach aufgegriffen und in den Streifenwagen gezerrt, einfach so - wegen was auch immer. Als Landstreicherei konnte schließlich auch ausgelegt werden, wenn ein Schwarzer einfach so im Freien herumstand.

Ihr habt 24 Stunden Zeit zu verschwinden, sonst ... Das "sonst" bedeutete "Tod"

Selbst wenn man sich drinnen aufhielt, im eigenen Haus, tauchen Männer auf, Polizisten oder Männer mit Kapuzen, natürlich Weiße, und vertreiben die Familien. Mit vier Jahren hat Frank das erlebt - die Männer gaben ihrem Quartier aus 15 Häusern und ihren Bewohnern 24 Stunden Zeit, sonst ... "Das "sonst" bedeutete "Tod"." Alle flohen, bis auf Crawford, einen alten Mann. Er wollte nicht fort - kurz nach Ablauf der Frist wurde er totgeprügelt und an die Magnolie gebunden, die in seinem Garten wuchs. Es war die älteste Magnolie des Countys, seine Urgroßmutter hatte den Baum gepflanzt.

Wut und Selbstekel machen die Seelen krank

Die Flucht gelingt, ohne Schuhe läuft Frank im Schnee bis zu einem Pfarramt, und hier wird ihm weitergeholfen mit Essen und ein wenig Wärme, mit ein klein wenig Geld und einem Kontakt zur nächsten Station. Denn Frank muss es bis nach Georgia schaffen; dort arbeitet seine Schwester Ycidra, genannt Cee. Frank ist schon ein Jahr zurück aus dem Krieg, doch er fühlte sich nicht stark genug für eine Begegnung mit ihr. Seine Wut, sein Selbstekel, seine Erinnerungen an Blut und feindliches Feuer - all das besetzt seine Seele und geistert durch seinen Körper.

Die junge Cee gerät an einen rassistischen Arzt, der Naziideologien vertritt

Cee ging mit 14 mit einem Typen aus Atlanta, der sich Prince nannte, von zu Hause weg. Dass der eigentlich nur scharf war auf das Auto, das ihn von Lotus weg nach Atlanta brachte, wurde ihr schmerzhaft klar, schmerzhaft und schnell. Sie stand allein da, brauchte einen Job und fand ihn bei dem weißen Arzt Dr. Beauregard Scott, Dr. Beau. Sie bewundert diesen Arzt, der vor allem Frauen und jungen Mädchen zu helfen scheint. Auch die Bücher im Praxisraum mit Titeln wie Eugenik oder "The Passing of the Great Race" sagen ihr nichts. Sie hat keine Ahnung, dass sie bei einem Rassisten gelandet ist, der Naziideologien vertritt ...

Zuerst werden Hunde aufeinander gehetzt, dann Menschen - so lange, bis einer tot war

Was Dr. Beau Cee antut, soll hier nicht preisgegeben werden. Aber Frank schafft es, sie da rauszuholen. Doch wie wird es ihnen ergehen, wie kann ihr Leben aussehen in einem Land, in dem die Weißen erst Hunde gegeneinander kämpfen lassen und dann Menschen, schwarze Menschen? Wie Jerome und seinen Vater. Sie hatten die beiden aus Alabama entführt, und sie mussten gegeneinander antreten, mit Messern kämpfen. So lange, bis einer tot war. Der Junge weigerte sich lange, seinem Vater etwas anzutun. Doch der Vater flehte ihn an: "Du musst es tun. Du musst mir gehorchen mein Sohn, nur noch dieses eine Mal. Tu es." Er hat es getan ...

Autorenporträt
Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen «Sehr blaue Augen», «Solomons Lied», «Menschenkind», «Jazz», «Paradies» und diverse Essaysammlungen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019.
Rezensionen
"Alle großen Themen der Nobelpreisträgerin sind hier vereint, prägnant und eindringlich." -- The Washington Post

"Das gefühlvollste Buch von Morrison." -- The New York Review of Books

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014

Sogar die Schatten lügen

Die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison erzählt in "Heimkehr" von einem schwarzen Geschwisterpaar, das unfreiwillig ein Verbrechen beobachtet hat.

Von Hubert Spiegel

Toni Morrison, Amerikas Literaturnobelpreisträgerin und der Stachel, den Stockholm ins Fleisch ihrer weißen Schriftstellerkollegen wie John Updike und Philip Roth gepflanzt hat, erzählt in ihren Romanen von den Dämonen, von denen das schwarze Amerika gejagt wird: Sklaverei, Diskriminierung, Armut, Hass und Gewalt. Ihre Hauptfiguren sind überwiegend weiblich, Morrisons Poetik ist feministisch, emanzipatorisch und höchst allergisch gegen jede Art von Vereinnahmung: "Schwarze haben keine Nationalität in diesem Land. Wir sind Staatsbürger und Schwarze. Ich bin keine amerikanische Schriftstellerin."

Es war daher kaum zu erwarten, dass die Autorin einen Kriegsheimkehrer zum Erzähler und zur Hauptfigur ihres jüngsten Romans machen würde. Aber Frank Money, der traumatisiert aus Korea zurückkehrt, ist beides nur auf den ersten Blick. In "Heimkehr" erzählt Toni Morrison zwar Franks Geschichte, aber im Grunde ist der junge Veteran für die Autorin nur Mittel zu einem anderen Zweck.

Als Erstes lesen wir ein Gedicht. Vielleicht ist es auch ein Liedtext, ein Bluessong. Er handelt von einem fremden Haus, einem Haus, dessen Schatten lügen: "Sag mir, sag, warum mein Schlüssel hier passt." Dann folgt eine Rückblende in die Kindheit von Frank und seiner jüngeren Schwester Ycidra, genannt Cee. Die beiden Kinder werden zufällig Zeugen eines schrecklichen Geschehens: Ein Leichnam wird verscharrt, und Frank weiß sofort, dass ihr Leben in Gefahr ist, wenn sie entdeckt werden. Fortan ist die Sorge um Cee der wichtigste Inhalt von Franks leerem Leben.

Aber Frank kann seine Schwester nicht beschützen. Das Leben in dem Hundert-Seelen-Kaff Lotus in Georgia ist sterbensöde, dumpf und von Armut geprägt: "Das Verrückte ist unser Familienname, Money. Etwas, das wir nie hatten." Die Armee erscheint Frank und seinen Freunden als Geschenk Gottes - endlich eine Gelegenheit, dem verhassten Heimatort den Rücken zu kehren. Aber Lotus war nie eine Heimat, sondern nur der Zufluchtsort, an den es die Familie Money verschlagen hatte, nachdem sie von Rassisten aus ihrem Haus in Texas vertrieben worden war.

Als Frank nach Korea aufbricht, ist er ein selbstbewusster, kraftstrotzender Bursche, der eine pogromartige Vertreibung und eine traurige Kindheit und Jugend bei einer bis zur Bösartigkeit lieblosen Großmutter hinter sich hat. Als er zurückkommt, ist er Mitte zwanzig und ein Wrack: ein Trinker, der seine Freunde hat sterben sehen, der Schreckliches nicht nur erleben musste, sondern auch selbst getan hat, haltlos, von psychischen Störungen verängstigt, ohne Job und Perspektive. Erst ein Brief aus Lotus rüttelt ihn wach: Cee ist todkrank. Frank flieht aus der psychiatrischen Anstalt, in der er eines Morgens aufgewacht ist, ohne zu wissen, wie er dort hingeraten war.

Toni Morrison erzählt die Geschichte von Frank und Cee als schwarzes Märchen aus böser Zeit. In loser Folge reiht sie Szenen von Franks Reise zu Cee und Rückblenden auf Kindheits- und Kriegserlebnisse aneinander. Das Amerika der fünfziger Jahre erscheint als ein Ort brutaler Gewalt und Willkür. Schlägereien, Übergriffe der Polizei und übelste Diskriminierung sind an der Tagesordnung. Die Schwarzen reagieren darauf mit Sarkasmus und Solidarität. Frank findet Freunde und Helfer.

All das wird geschildert aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers, aber es ist Frank selbst, der diesem Erzähler - oder dieser Erzählerin - die Grenzen aufweist. In kursiv gesetzten Passagen lässt Toni Morrison Frank selbst sprechen und das Erzählte auch kommentieren. Das erinnert an die Tradition der oral history, an die Toni Morrison in ihrem Werk immer wieder angeknüpft hat: Einer, der gut reden kann, erzählt die Geschichte eines anderen, dem die Gabe der Rede nicht zur Verfügung steht. Aber Frank ist skeptisch: "Erzähl von Erschöpfung. Erzähl von Hunger . . . Du hast keine Ahnung, was Hitze ist, solange du nicht von Texas nach Louisiana gegangen bist, über die Grenze im Sommer. Du findest die Worte nicht, die es fassen. Bäume ergeben sich. Schildkröten kochen unter ihren Panzern. Beschreib das, falls du weißt, wie."

Von Anfang an lässt Frank durchblicken, dass er seinem namenlosen Gegenüber nicht alles beichtet. Er hält etwas zurück, ein Geheimnis, das mit Cee oder mit dem Krieg zu tun haben muss. Oder mit beidem. Als er Cee findet, ist seine Schwester halb tot, missbraucht und geschändet. Er bringt sie nach Lotus, wo sie von den Frauen des Dorfes gesund gepflegt wird. Cee bleibt versehrt und gezeichnet wie ihr Bruder, entwickelt aber zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Selbstbewusstsein, auch gegenüber Frank: "In einer solchen Welt mit solchen Menschen wollte sie jemand sein, der nie wieder gerettet werden musste . . ., sie wollte diejenige sein, die sich selbst rettete." Die Heldin ist gereift, durch Schmerz gestählt, geheilt im Kreise seltsam idealisierter Frauen. Franks Mission ist erfüllt, und die Autorin lässt ihn beiläufig fallen. Der Tote, der am Anfang verscharrt wird, das schreckliche Verbrechen, das Frank in Korea begangen hat, all dies wird noch rasch aufgeklärt, und noch einmal, gegen Ende, gelingen Toni Morrison irritierende Bilder wie zu Beginn, hart und poetisch zugleich. So bleibt nur eine Frage offen: Warum hat Toni Morrison aus diesem komplexen Stoff nicht mehr gemacht, als einen kurzen Roman, dem auf den letzten dreißig Seiten spürbar die Luft ausgeht?

Toni Morrison: "Heimkehr". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014. 156 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2014

Reise ins Licht
Mit dem vielschichtigen Geschwister-Märchen „Heimkehr“ schreibt Toni Morrison
ihre Geschichte des schwarzen Amerika virtuos fort
VON ULRICH BARON
Mit der Heimkehr des traumatisierten Korea-Veteranen Frank Money hat Toni Morrison ihre 1993 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Comédie humaine des afroamerikanischen Amerika um ein weiteres Kapitel bereichert. Aus einer „integrierten“ Armee entlassen, reist Frank durch ein Land der Segregation mit getrennten Hotels, Restaurants und Waschräumen. Er hatte nicht nach Lotus, Georgia, zurückkehren wollen. Nicht ohne Freunde, deren zerfetzte Körper ihn in seinen Albträumen verfolgen. Und nicht nach dem, was mit dem kleinen koreanischen Mädchen geschehen war. Erst die Nachricht, dass seine Schwester Cee sich in Lebensgefahr befinde, hat ihn auf den Weg gebracht: „Komm schnell. Sie wird tot sein, wenn du trödelst.“
  Eine Heimat war Lotus für beide nie gewesen. Die Moneys hatten in Texas gelebt, bis Männer, „von denen manche Kapuzen trugen und andere nicht“, sie von Haus und Hof jagten. Cee war unterwegs zur Welt gekommen. Für ihre Stiefgroßmutter Leonore, deren Lebensabend die Flüchtlinge verdorben haben, ist sie das „Rinnsteinkind“. „Eine böse Großmutter gehört zum Schlimmsten, was einem kleinen Mädchen widerfahren kann“, heißt es – zumal wenn deren Eltern sich totarbeiten. Trost spendete nur ihr großer Bruder „Flank“, wenn er seine Finger auf ihren Scheitel legte: „Nicht weinen, sagten diese Finger; die Striemen verschwinden wieder. Nicht weinen; Mama ist müde, sie hat’s nicht so gemeint.“
  Frank und Cee haben ihre Großmutter nicht als überforderte, sondern als böse alte Frau gesehen: „Leonore war die böse Hexe, Frank und Cee waren Hänsel und Gretel, die verloren, einander bei den Händen haltend, durch das Schweigen irrten.“ Hier klingt ein Tonfall an, der den sozialen Realismus des Romans subtil unterläuft. Auf einhundertfünfzig Seiten hat Toni Morrison zudem eine Widmung, ein Motto und ein Vorspiel platziert, die weitere Deutungsebenen eröffnen. „Wessen Haus ist das?“ heißt es da, wohl ein Selbstzitat Morrisons: „Meins ist es nicht. / Ich hab von einem anderen geträumt, wohnlicher, heller, / Mit einem Blick auf Seen, befahren in bunten Booten, / Auf Felder, weit wie Arme, ausgebreitet für mich.“ Dieses Haus sei fremd: „Sag mir, sag, warum mein Schlüssel hier passt.“
  So fremd war auch Lotus, aber Frank hat dort eine Art Epiphanie erlebt: „Sie erhoben sich wie Männer“, hebt das Vorspiel an – der erste einer Reihe kursiver Einschübe, in denen er als Ich-Erzähler gegenüber dem allwissenden Erzähler auf seiner Sicht insistiert. Frank und Cee waren einst auf das verbotene Terrain einer Pferderanch vorgedrungen. Dort hatten sie kämpfende Hengste gesehen und das Ende eines mörderischen Spiels.
  „Das Vergraben der Leiche hab ich tatsächlich vergessen. Erinnert habe ich mich nur an die Pferde. Sie waren so schön. So brutal. Und sie standen da wie Männer“, sagt der Ich-Erzähler. „Hier steht ein Mann“, lautet der Grabspruch, den Frank dort später hinterlassen wird. Brutaler, archaischer Selbstbehauptungswille wird hier bildlich überhöht, und überhaupt ist „Heimkehr“ ein Buch, dessen Bilder sich nicht zügeln lassen.
  „Maniac moonlight doing the work of absent stars“, heißt es, als Frank am Beginn seiner Reise über die eiskalte Feuertreppe des Irrenhauses flieht, in das ihn ein traumatischer Schub gebracht hatte: „Ein manischer Mond vertrat abwesende Sterne“, übersetzt Thomas Piltz. Doch es geht hier um das Funkeln vieler Himmelskörper, deren Arbeit ein einziger leistet. Kein Wunder, dass das Mondlicht manisch wird und der Held ebenso. „Durch das Fenster mit seinem Pelzbesatz aus Schnee betrachtet“, erscheint die Welt dem Busreisenden Frank wie im Kino, aber dann erlischt ihre Buntheit: „Alle Farben verschwanden, und die Welt verwandelte sich in einen Schwarzweißfilm.“ Über Franks Albträume heißt es: „Aber der Mahr kam stets bei Nacht, nie ließ sein Hufschlag sich am Tag vernehmen.“ Hufe aber hat ein Mahr allenfalls im Englischen, wo man den „nightmare“ als feminines Kompositum aus „night“ und „mare“ missverstehen kann – als mit „ihren“ Hufen schlagende „Nacht-Stute“.
  Indem Toni Morrison ihrer dichterischen Freiheit, ihren assoziativen Bilderfolgen die Zügel bis ins Unübersetzbare schießen lässt, gelingt es ihr, die große Geschichte des schwarzen Amerika in pointillistischen Facetten virtuos zu spiegeln. Zwischen Realismus, Wahn- und Märchenbildern changierend, wird Franks Mission endlich gar zur Reise ins Licht. Als er von Straßengangstern niedergeschlagen wird, hilft ihm ein vom Schein einer Straßenlaterne eingerahmter Mann, zieht ihn empor und rät ihm: „Bleib im Licht.“
  In der Originalausgabe erinnert Frank sich an den Pferdeschwanz eines „Samariters“. Pferde sind ihm treu geblieben, als Nachtmähren wie als rettende Zugtiere providentieller Führung. Nach dem Ende einer langen Nacht befreit er seine Schwester aus den Fängen eines weißen Arztes, um mit ihr heimzukehren. Manisches Mondlicht ist da mächtigem Sonnenschein gewichen. Franks Reise hat ihn
aus dem Winter Seattles in den Sommer Georgias geführt. Hatte er im Zug nach Chicago eine „frostige und schmuddelige Landschaft“ betrachtet, so heißt es bei Chattanooga: „die junge Sonne brannte bereits
“.
  Als Hänsel und Gretel heimkehren, schmort die Hexe nach einem Schlaganfall im Fegefeuer ihrer Einsamkeit. Hinter der Stadt breiten sich „hektarweit rosa Blüten“ der Baumwolle aus und verheißen einem arbeitswilligen jungen Mann sicheres Einkommen. Unter der Fürsorge der Dorffrauen erholt sich Cee und lernt Quilts zu nähen. „Er hatte diesen Ort einst gehasst“, heißt es über Frank. Auch Cee hatte versucht, Lotus zu entkommen, doch nun sagt sie: „Ich gehöre hierher.“
  Selbst das verfallene Elternhaus weckt Heimatgefühle: „Die Bulova-Uhr war auch noch da. Ohne Krone, ohne Zeiger, passend zu der Art, wie die Zeit in Lotus verging – im Urzustand und dem Empfinden jedes Einzelnen überlassen.“ Die „Uhr ohne Zeiger“ aber ist in Carson McCullers gleichnamigem Roman auch die Totenuhr, und „Heimkehr“ hat Toni Morrison ihrem 2010 an Krebs gestorbenen Sohn Slade gewidmet. So ist das Heim, in das sie Frank und Cee entlässt, vielleicht jenes, das immer da, aber stets einen Traum weit entfernt ist. Morrisons Roman erscheint so wie ein Requiem, dessen Happy end nicht von dieser Welt ist. Doch er birgt viele Lesarten in sich. Frank und Cee beerdigen schließlich auch den Mann, der damals nur vergraben worden war. Cees erster Quilt wird sein buntes Leichentuch. Die Welt hat ihre Farben wieder, nur Weiße hat man seit Längerem nicht mehr gesehen.
Toni Morrison: Heimkehr. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. Rowohlt, Reinbek 2014. 160 Seiten, 18,95 Euro.
Frank und Cee, das sind
Hänsel und Gretel in der Zeit
der Rassentrennung
Den sozialen Realismus
der Fabel unterläuft das Buch
mit poetischen Bildern
Am Ende des Buches, in dem die Buntheit dem harten
Schwarz-Weiß des Rassenhasses weicht, ist die Welt wieder so farbig wie diese Häuserzeile
in Georgia.
Foto: Lawrence Sawyer / Getty Images
„Heimkehr“ hat Toni Morrison ihrem verstorbenen Sohn gewidmet.
Foto: Bloomberg
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader verehrt Toni Morrison sehr, und auch mit diesem Roman fügt die Nobelpreisträgerin ein neues Segment in ihre "bildstarke Gesamtschau" der afroamerikanischer Geschichte. "Heimkehr" erzählt von zwei Geschwistern am Vorabend der Bürgerrechtsbewegung, berichtet die Rezensentin: Frank Money kehrt aus dem Koreakrieg zurück, wo er "als Soldat unter Soldaten" gedient hat, mit einem traumatischen Sehfehler zurück: er sieht keine Farben mehr, sondern nur noch schwarzweiß. Seine Schwester Cee ist nach einer überstürzten Ehe in die Fänge eines obskuren Heilers geraten, der sie für üble Experimente benutzt. Ikonenhafte Momente und wuchtige Tableaus hat Schader in dem Roman gefunden, wie sie es von Morrison kennt, doch das überraschende, "naiv-nostalgisch anmutende "Ende hat die Rezensentin geradezu verstört. Solch erschreckend patente Bodenständigkeit hat Schader bei Morrison noch nie erlebt.

© Perlentaucher Medien GmbH
Hätte Amerika eine Nationalschriftstellerin, so wäre es Toni Morrison. The New York Times