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In kurzen, aber gleichmäßig aneinander stoßenden Passagen entfaltet sich das Panorama einer Endzeit. Man bekommt noch einmal den morbiden Geruch des Ostens der achtziger Jahre in die Nase, sitzt in Zugabteilen, läuft durch Leipzig oder Ost-Berlin, hört die Stimmen sparsamer Gespräche und versteht, dass es Heidemarie Härtl in ihrem großen Schluss-Text "Puppe im Sommer" um einen langen Abschied geht.

Produktbeschreibung
In kurzen, aber gleichmäßig aneinander stoßenden Passagen entfaltet sich das Panorama einer Endzeit. Man bekommt noch einmal den morbiden Geruch des Ostens der achtziger Jahre in die Nase, sitzt in Zugabteilen, läuft durch Leipzig oder Ost-Berlin, hört die Stimmen sparsamer Gespräche und versteht, dass es Heidemarie Härtl in ihrem großen Schluss-Text "Puppe im Sommer" um einen langen Abschied geht.
Autorenporträt
Härtl, Heidemarie
Heidemarie Härtl, geboren 1943 in Oelsnitz, studierte ab 1967 am Becher-Literaturinstitut in Leipzig. Zusammen mit ihrem Mann Gert Neumann und Wolfgang Hilbig wurde sie 1970 wegen "unbotmäßiger Rede" zwangsweise exmatrikuliert. 1988 gründete sie den illegalen "bergen Verlag". Ihr einziger Prosaband "Ach, ich zog den blauen Anzug an" wurde 1977 veröffentlicht. Im Jahr 1989 wurde die Ehe mit Gert Neumann geschieden. Nach der Offenlegung der Stasi-Vergangenheit ihres Geliebten Ibrahim Böhme, wurde Heidemarie Härtl in die Psychiatrie eingeliefert. Sie starb 1993 nach einem Krebsleiden.

Geipel, Ines
Ines Geipel, auch Ines Schmidt ( 7. Juli 1960 in Dresden), ist eine ehemalige deutsche Leichtathletin und heute Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin. Sie betätigt sich als Schriftstellerin und Publizistin, besonders in der Aufarbeitung ihrer Erfahrungen als Opfer der DDR-Diktatur, vor allem des staatlich verordneten Dopings im DDR-Leistungssport. Als Themenfeld ergab sich in der DDR unterdrückte Literatur. Sie war maßgeblich daran beteiligt, die Schriftstellerin Inge Müller (1925-1966) bekannt zu machen.

Walther, Joachim
Joachim Walther ( 6. Oktober 1943 in Chemnitz; gest. 18. Mai 2020 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2006

So trostlos war die DDR
Wiedergutmachung: Heidemarie Härtls "Puppe im Sommer"

Die in der Edition Büchergilde erscheinende "Verschwiegene Bibliothek" ist ein Versuch der Wiedergutmachung an Autoren, denen die DDR besonders übel mitgespielt und beinahe jede Veröffentlichung unmöglich gemacht hatte. Die Wiedergutmachung ist an eine Bedingung geknüpft: Die Texte - fünf sind es bisher - müssen eine poetische Kraft besitzen, durch die sie auch heute noch bestehen.

Eine der großen Gefahren bei der Beurteilung von Kunst unter den Bedingungen einer Diktatur liegt darin, daß alles Kritische schon als qualitätvoll gilt, es aber beileibe nicht ist. Heidemarie Härtls Erzählung "Puppe im Sommer" besteht diesen Test auf atemberaubende Weise. Nur der Titel ist verändert. Frau Härtl hatte ihre Erzählung "ohne aber" überschrieben. "Puppe im Sommer" ist besser. Zwei Haupthelden treiben durch den Alltag der späten DDR. Christian Gerber ist Invalide, weil schwer an Asthma erkrankt. Sonja Schumann hat gerade abgetrieben. Das Kind war, wie sie allerdings erst nach und nach erfährt, von einem Zuträger der Staatssicherheit gezeugt. Sonja will ihr Leben ändern. Auf einem Zettel hat sie notiert, was dafür zu tun ist. Weit kommt sie nicht. Die DDR hat überall ihre Grenzen. Gerber hat solche Gedanken längst aufgegeben. Am Schluß begegnen sich beide, weil sie auf derselben Arbeitsstelle gestrandet sind.

Optimisten mögen darin eine Hoffnung sehen, weil diese Liebe an sich schon Widerstand wäre. Realisten sehen auch das anders. Über Gerber heißt es: "Er tat nichts. Er bekam immer recht, einfach, indem er nichts tat." Das ist die trostlose Wahrheit der ostdeutschen Diktatur, erzählt in zwei Sätzen. Auch eine Ich-Erzählerin tritt hier auf: "Ich will in Relevanz leben. Begegnungen ohne Liebe sind für mich irrelevant." Damit hebt der Text an. Man wagt wohl nicht zuviel, wenn man darin auch die Autorin selbst hört.

"Puppe im Sommer" ist ein dichter, fulminant geschriebener Text. Er wirkt für sich. Aber er wird noch wirkungsvoller, wenn man das leider etwas geschwätzige Nachwort der Herausgeberin Ines Geipel liest, das über die Autorin berichtet. Heidemarie Härtl stammte aus einer linientreuen Familie, ihr Vater war Offizier. Sie studierte am Literaturinstitut in Leipzig und lernte dort Gert Neumann kennen, einen Sohn der zwar durch ihre freie Lebensweise, nicht aber durch ihre Literatur aufgefallenen Neubrandenburger Schriftstellerin Margarethe Neumann. Härtl und Neumann wurden von der Hochschule verwiesen, heirateten und lebten schließlich in Leipziger Abrißhäusern eine schwierige Künstlerexistenz.

Die Überwachung durch die Staatssicherheit war umfassend, bis hin zur "Einleitung von Sonderentleerungen" des Briefkastens. Zu den subtilen Zersetzungsmethoden gehörte auch, das Paar auf eine Lesereise in die Bundesrepublik zu schicken. Dort zerbrach die Ehe dann, die Partner kehrten, auf jeweils unterschiedlichen Wegen, in die DDR zurück.

Heidemarie Härtl, wie wachgerüttelt durch diese Erfahrung, schrieb "ohne aber". Sie tat dies ohne die geringste Chance auf eine Veröffentlichung. Denn es kam dann der Untergang der DDR. Frau Härtl vertrat in diesem Zusammenhang sehr linke Positionen. Sie wurde die Geliebte von Ibrahim Böhme, dem zeitweiligen Ost-Star der SPD, der bald als Zuträger der Staatssicherheit entlarvt und vernichtet war. Heidemarie Härtl landete in der Psychiatrie. 1993 starb sie an Krebs, fünfzig Jahre alt. Ihr Buch schlägt man am Ende mit zitternden Händen zu und wird es so schnell nicht vergessen.

FRANK PERGANDE

Heidemarie Härtl: "Puppe im Sommer". Die verschwiegene Bibliothek. Herausgegeben von Ines Geipel und Joachim Walther. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2006. 150 S., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zitternd hat Rezensent Frank Pergande das Buch beendet. Atemberaubend findet er den Text und schwört, dass er seine Faszination zuallererst durch sich selbst erhält, nicht durch die im "etwas geschwätzigen" Nachwort erzählte Biografie der Autorin Heidemarie Härtl. Pergande lobt die Lakonie der Erzählung, in der die ganze Trostlosigkeit der DDR Platz findet. "Dicht" und "fulminant" nennt er sie und kommt doch immer wieder zurück auf Härtls eigenes Schicksal. Dass die von der Stasi verfolgte Autorin das Buch schreiben konnte, ohne Aussicht auf Publikation, ihr frühes, leidvolles Ende - all das lässt ihn nicht los.

© Perlentaucher Medien GmbH