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Ausgehend von aktuellen Forderungen nach einem "moralischen Kapitalismus" fragt Ute Frevert nach dem historischen Verhältnis von Kapitalismus und Moral. Verstand und versteht sich der Kapitalismus selber als "moralische Ökonomie"? Oder wurde ihm die Moral von außen verordnet, mit welchen Folgen? Moralische Interventionen, so die These, haben den Kapitalismus fortlaufend verändert - und sein Überleben gesichert. Ute Frevert spannt den Bogen von Robin Hood über Karl Marx bis zu Papst Franziskus und Bernie Sanders, von der Genossenschaftsbewegung über die Steuerprogression bis zu den…mehr

Produktbeschreibung
Ausgehend von aktuellen Forderungen nach einem "moralischen Kapitalismus" fragt Ute Frevert nach dem historischen Verhältnis von Kapitalismus und Moral. Verstand und versteht sich der Kapitalismus selber als "moralische Ökonomie"? Oder wurde ihm die Moral von außen verordnet, mit welchen Folgen? Moralische Interventionen, so die These, haben den Kapitalismus fortlaufend verändert - und sein Überleben gesichert. Ute Frevert spannt den Bogen von Robin Hood über Karl Marx bis zu Papst Franziskus und Bernie Sanders, von der Genossenschaftsbewegung über die Steuerprogression bis zu den französischen Gelbwesten. Moralische Gefühle - Empathie, Solidarität, Fairness, Gerechtigkeit - werden hier zur politischen Antriebskraft, die die kapitalistische Ordnung herausfordert und transformiert.
Autorenporträt
Ute Frevert, geboren 1954, zählt zu den prominentesten deutschen Historikern. Sie lehrte Neuere Geschichte in Berlin, Konstanz und Bielefeld. Von 2003 bis 2007 war sie Professorin an der Yale University, seit 2008 leitet sie den Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sie wurde 1998 von der DFG mit dem renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet und erhielt 2016 das deutsche Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Zuletzt erschienen: "Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht" (2017), zuletzt bei Residenz "Märkte und Moral" (2019).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.09.2019

Der gute Mensch
und das Geld
Ute Frevert über den Kapitalismus
und die Vermarktung der Moral
Ein großes Thema: das Verhältnis von Moral und Kapitalismus. Für viele steht fest, dass der Kapitalismus maßlos und skrupellos ist, der Antipode jeglicher Moral. Ute Frevert jedoch sieht es differenzierter, ihr neues Buch würdigt sogar die Moral als „kritische Antriebskraft und Korrekturquelle des Kapitalismus“. Dazu widmet sich die Historikerin angenehm sachlich und mit anschaulichen Beispielen verschiedenen Versuchen der letzten zweieinhalb Jahrhunderte, den Kapitalismus zu zähmen, indem man seine Akteure dazu verpflichtet, nicht nur nach Gewinnmaximierung zu streben, sondern sich genauso um humanitäre Werte sowie den gesellschaftlichen Frieden zu kümmern.
Lange waren es etwa soziale Konventionen, die dafür sorgten, dass Arme – oft unter kirchlicher Obhut – Almosen von den Wohlhabenden erhielten. Später regelten Instanzen wie der Sozialstaat, die Steuergesetzgebung oder die Mitbestimmung der Arbeitnehmer die Aufteilung von Gewinnen. Zuverlässig erwiesen sich moralische Empfindungen als genügend stark, um den Kapitalismus in seine Schranken weisen zu können. Doch sind sich Markt und Moral immer wieder noch auf andere Weise begegnet, die Frevert viel kritischer beurteilt. So können moralische und soziale Ideale selbst zur Ware werden. Sie beschreibt das etwa am Beispiel des Freikaufs vom Militärdienst, einer im frühen 19. Jahrhundert vor allem in Frankreich verbreiteten Praxis. Der hehren Pflicht, dem eigenen Land zu dienen, konnte man auch dadurch nachkommen, dass sich ein Ersatzmann fand, dem man eine Prämie zahlte.
Wer diese finanzielle Leistung erbrachte, galt nicht als Drückeberger, sondern war gesellschaftlich genauso anerkannt wie jemand, der zum Militär ging. Während wohlhabendere Bürger also allein dank ihres Geldes moralisch gerechtfertigt waren, mussten Ärmere viel dafür tun, sogar ihr Leben riskieren. Freverts Vorwurf: Soziale Ungleichheit werde durch solche Formen von Ablasshandel gesteigert, die gesellschaftlich-moralischen Werte selbst würden „untergraben“.
Das aber gilt erst recht für die Gegenwart, in der Frevert einen „medial hochgejazzten Marktpopulismus“ am Werk sieht. Er suggeriert, alles lasse sich auf den Markt bringen, jeder Wert sei käuflich. Man braucht also nicht einer NGO beizutreten oder eine Bürgerinitiative zu gründen, um ein soziales oder ökologisches Problem anzugehen, vielmehr genügt es, Produkte der „richtigen“ Marken zu kaufen, um sich als engagierter, gar als besserer Mensch fühlen zu dürfen. Doch, so Freverts Befürchtung, „wenn man sich vom Schutz der Umwelt oder der Hilfe für Flüchtlinge freikaufen kann, löst sich die moralische Substanz eines Gemeinwesens Stück für Stück auf“. Moralisches Handeln lässt sich gerade nicht delegieren, Konsum ist bestenfalls ein Handlungsersatz, könnte man zur Begründung ihrer Kritik sagen. Sie selbst führt das leider nicht weiter aus und bringt nicht einmal Beispiele.
Vor allem aber stehen Freverts Warnungen zu losgelöst von ihrem sonst vorherrschenden Optimismus hinsichtlich der sozialen Verträglichkeit des Kapitalismus. Dabei hätte sie an dem Material, das sie liefert, durchaus zeigen können, was genau die Gegenwart von früheren Phasen unterscheidet – und wie brisant das ist. So betraf die regulative Funktion der Moral lange Zeit allein die Infrastruktur der Wirtschaft; sie schlug sich in Gesetzen und Konventionen nieder. Fordert die Öffentlichkeit heute Transparenz, die Einhaltung von Standards oder „Fair Trade“, dann vermarkten die Unternehmen ihre entsprechenden Anstrengungen, womit die Moral, die ihnen abverlangt wird, als Warenangebot an die Konsumenten wiederkehrt. Und wenn diese es annehmen, also kaufen, haben sie die Moral für sich erworben.
Mehr denn je gilt daher, dass die ökonomischen Möglichkeiten darüber entscheiden, wie gut sich jemand als moralische Persönlichkeit qualifizieren kann. Vor allem aber verliert die Moral erstmals ihre Funktion als Bremsfaktor des Kapitalismus. Sie wird im Gegenteil sogar zu einem weiteren starken Motor für ihn. Da viele Menschen kaum etwas attraktiver finden als ein gutes Gewissen und ein gutes Image, können sich Märkte für mit Werten aufgeladene Produkte beliebig entfalten. Grenzen des Wachstums sind hier jedenfalls noch nicht zu erkennen – so verhilft paradoxerweise gerade die Moral dem Kapitalismus zu seinem weiteren, noch größeren Siegeszug.
WOLFGANG ULLRICH
Ute Frevert: Kapitalismus, Märkte und Moral. Residenz Verlag, Salzburg 2019. 152 Seiten, 20 Euro.
Die Moral hat ihre
Funktion als Bremsfaktor
des Kapitalismus verloren
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