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Jehuda Amichai gilt als die poetische Stimme Israels. 1924 in Würzburg in eine fromme jüdische Familie hineingeboren, floh er 1935 ins damalige Palästina. Die Familie ließ sich in Jerusalem nieder. Der Lebensweg von Jehuda Amichai bildet die Grundmotive seines Werkes: der Dialog mit der jüdischen Tradition, die traumatische Erfahrung des Nationalsozialismus, seine doppelte Identität als Jude und Deutscher, sein Leben zwischen dem Deutschen und Hebräischen, die Stadt Jerusalem wie die Geschichte und Gegenwart Israels. Seine Gedichte wie Erzählungen sind von unmittelbarer Anschauung geprägt und…mehr

Produktbeschreibung
Jehuda Amichai gilt als die poetische Stimme Israels. 1924 in Würzburg in eine fromme jüdische Familie hineingeboren, floh er 1935 ins damalige Palästina. Die Familie ließ sich in Jerusalem nieder. Der Lebensweg von Jehuda Amichai bildet die Grundmotive seines Werkes: der Dialog mit der jüdischen Tradition, die traumatische Erfahrung des Nationalsozialismus, seine doppelte Identität als Jude und Deutscher, sein Leben zwischen dem Deutschen und Hebräischen, die Stadt Jerusalem wie die Geschichte und Gegenwart Israels. Seine Gedichte wie Erzählungen sind von unmittelbarer Anschauung geprägt und von nachhaltiger Reflexion, den gegenwärtigen Momenten, in die die Vergangenheit einbricht: »Als ich ein Kind war«, heißt es im ersten Gedicht, »standen Gräser und Masten an der Küste / und wenn ich dort lag, / unterschied ich zwischen ihnen nicht / denn alle fuhren sie hinauf in den Himmel über mir. / Bei mir waren nur die Worte meiner Mutter / wie eine Scheibe Brot in raschelndem Papier / und ich wusste nicht, wann mein Vater zurückkommt / denn jenseits der Lichtung lag noch ein Wald«.

Jehuda Amichai, dessen Bücher in über vierzig Sprachen der Welt übersetzt und die oft vertont wurden, starb im September 2000 in Jerusalem. Nach dem 1998 im Suhrkamp Verlag erschienenen Band Zeit stellt Offen, verschlossen, offen erstmals das Gesamtwerk des Dichters in einer Auswahl auf Hebräisch und Deutsch vor.
Autorenporträt
Jehuda Amichai gilt als die poetische Stimme Israels. 1924 in Würzburg in eine fromme jüdische Familie hineingeboren, floh er 1935 ins damalige Palästina. Die Familie ließ sich in Jerusalem nieder. Der Lebensweg von Jehuda Amichai bildet die Grundmotive seines Werkes: der Dialog mit der jüdischen Tradition, die traumatische Erfahrung des Nationalsozialismus, seine doppelte Identität als Jude und Deutscher, sein Leben zwischen dem Deutschen und Hebräischen, die Stadt Jerusalem wie die Geschichte und Gegenwart Israels. Die Bücher Amichais wurden in über vierzig Sprachen der Welt übersetzt und oft vertont. Er starb im September 2000 in Jerusalem. Anne Birkenhauer, geboren 1961 in Essen, studierte nach einem dreijährigen Aufenthalt in Israel Judaistik und Germanistik in Berlin. Nach Abschluss ihres Studiums zog sie erneut nach Israel, wo sie bis heute lebt. Sie ist als Übersetzerin aus dem Hebräischen sowie als Dozentin tätig und leitet außerdem im Rahmen des ViceVersa-Programms die Deutsch-Hebräische Übersetzerwerkstatt. Ariel Hirschfeld, Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, ist einer der besten Kenner der modernen hebräischen Literatur. Anne Birkenhauer, geboren 1961 in Essen, studierte nach einem dreijährigen Aufenthalt in Israel Judaistik und Germanistik in Berlin. Nach Abschluss ihres Studiums zog sie erneut nach Israel, wo sie bis heute lebt. Sie ist als Übersetzerin aus dem Hebräischen sowie als Dozentin tätig und leitet außerdem im Rahmen des ViceVersa-Programms die Deutsch-Hebräische Übersetzerwerkstatt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jakob Hessing feiert das Alltagshebräisch von Jehuda Amichai, dessen Bezug zur Tradition Hessing allerdings nicht verborgen bleibt. Die Texte werden so für den Rezensenten vielschichtig und soghaft, auch, das sich der Dichter dialogisch an den Leser wendet, etwa, wenn er von der Menschlichkeit Jerusalems erzählt oder von einem Gott, der einem die Augen zuhält. Manche Verse im Band erscheinen Hessing zunächst prosaisch, ziehen ihn dann aber in ihr Rätsel. Auswahl (Ariel Hirschfeld) und Übersetzung (Anna Birkenhauer) findet Hessing gelungen, das Nachwort informativ.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2020

Gott lässt sich raten
Ein Auswahlband stellt die Poesie des israelischen Dichters Jehuda Amichai vor

In der israelischen Literaturgeschichte gehört der Dichter Jehuda Amichai (1924 bis 2000) zur Generation von 1948. So nennt man Autoren, die nach der Staatsgründung zu schreiben begannen. In ihren Werken ist eine Ernüchterung spürbar: Man hatte den Staat wie eine Erlösung erwartet, aber die Wirklichkeit sah anders aus, und Israels Literatur hält sie wie das Erwachen aus einem Traum fest.

Auch an der Entwicklung des Hebräischen ist das zu sehen. Über Jahrtausende war es die Sakralsprache der Gottesdienste gewesen, und noch als es sich im Umfeld des Zionismus zu säkularisieren begann, neigte es zu einem Pathos, das alle Nationalbewegungen mit sich bringen. Erst nach der Staatsgründung und den massiven Einwanderungen begann eine wachsende Bevölkerung es als Alltagssprache zu benutzen und damit radikal zu verändern.

Jehuda Amichai ist der Dichter dieser Alltagssprache. Um die Tiefe seines Werkes zu verstehen, muss man jedoch wissen, dass er in Würzburg aufwuchs, erst mit zwölf Jahren aus Hitler-Deutschland nach Jerusalem kam und das Hebräisch der Synagoge beherrschte, weil er einem orthodoxen Elternhaus entstammte. Auch in Palästina besuchte er eine religiöse Schule. Das Alltagshebräisch, das man in seinen Gedichten zu lesen glaubt, steht immer in Beziehung zur Tradition und macht seine Texte zu vielschichtigen Gebilden.

Seine Sprache übt einen eigentümlichen Sog aus. Immer scheint sich Amichai an den Leser zu wenden, immer lässt er ihn teilnehmen an seinen Erlebnissen, immer führt er einen Dialog mit ihm. Oft zum Beispiel erzählen seine Verse von Jerusalem, aber der Blick richtet sich nicht auf die Heiligkeit der Stadt, sondern auf ihre Menschlichkeit.

In einem frühen Gedicht aus der Zeit, als Jerusalem geteilt war, heißt es: "Im Himmel über der Altstadt / ein Drachen. / Und am Ende der Schnur / ein Kind. / Das ich nicht sah / wegen der Mauer." Juden und Araber, Fromme und Unfromme, der Dichter und seine Leser - alle sind Menschen, und so lauten die letzten vier Zeilen: "Wir haben viele Fahnen gehisst. / Sie haben viele Fahnen gehisst. / Damit wir denken, sie seien fröhlich. / Damit sie denken, dass wir fröhlich sind."

Viele Gedichte Amichais sprechen von Gott, aber es ist nicht mehr der Junge aus dem orthodoxen Elternhaus, der sie schreibt, es ist ein Mann, der in den Kriegen Israels gekämpft und zu viel gesehen hat, um für bare Münze zu nehmen, was man in den Synagogen hört. Eines seiner Gottesgedichte heißt "Erscheinung" und ist ein kurzer Vierzeiler: "Heute erschien mir Gott so: / Jemand hielt mir von hinten die Augen zu. / Mit seinen Handflächen. / Rat mal, wer."

Deus absconditus, dieses dunkle Wort einer Fremdsprache - hier wird es plötzlich lebendig. Christen holen es aus der lateinischen Übersetzung des Jesaja, um den unsichtbaren Gott der Juden mit Jesus sichtbar zu machen, aber Amichai drückt es viel einfacher aus und viel schöner. Gott ist unsichtbar, wegen des Bilderverbots, das den Juden in der Tora auferlegt wurde, und aus vielen anderen Gründen, aber er ist dennoch gegenwärtig. Das Ich spürt Gottes Handflächen auf seinem Gesicht, erkennt sie instinktiv, erkennt auch die Stimme.

Denn sie sind alte Bekannte, die jüdischen Dichter und ihr Gott, seit Jahrtausenden miteinander intim. Jehuda Amichai hat Erfahrung mit seinem Herrn, und schon 1955, im ersten Gedichtband, stehen drei Strophen über ihn, die zu einer Ikone der israelischen Kultur geworden sind. Das Gedicht heißt "Gott erbarmt sich der Kindergartenkinder" und hebt so an: "Gott erbarmt sich der Kindergartenkinder, / weniger schon der Schulkinder. / Der Großen erbarmt er sich nicht mehr. / Die lässt er allein, / manchmal müssen sie robben / auf dem Weg zur Sammelstelle / durch glühenden Sand, / blutüberströmt."

Je älter wir werden, desto weiter entfernt Gott sich von uns. Welcher Kinder aber erbarmt er sich? Diese erste Strophe scheint eine Männerwelt zu zeigen, nur Jungen, die später als blutüberströmte Soldaten durch den Sand robben. Oder gibt es noch eine andere Sammelstelle in der Wüste: den Berg Sinai und die schreckliche Strafe, die Moses den Israeliten zuteilte, weil sie um das goldene Kalb tanzten?

Erst in der zweiten Strophe kommt das weibliche Element hinzu: "Der wirklich Liebenden wird er sich vielleicht / erbarmen, barmherzig zeigen, ihnen Schatten schenken / wie der Baum dem Schlafenden auf der Bank, / draußen in der Allee."

In den "wirklich Liebenden" verbinden sich Mann und Frau. Ohne diese Liebe bleibt der Mann dort "draußen in der Allee" ein Obdachloser, dem nur der Baum seinen Schatten spendet, und die letzte Strophe spricht vom "Erbe der Mutter": "Und vielleicht werden auch wir / unsre letzten Münzen der Gnade hervorholen für sie / aus dem Erbe der Mutter, / auf dass der Liebenden Glück uns beschütze, / jetzt und an anderen Tagen."

Der Gott dieses Gedichtes ist der Gott der Väter im Alten Testament, und erst die Mutter rettet uns vor ihm. Amichai ist skeptisch geworden, und so lautet ein spätes Gedicht aus dem Zyklus "Götter wechseln, die Gebete bleiben für immer": "Die Wege meines Lebens sind verwickelt und kompliziert. Ich bin ein Knoten, nicht zu lösen, / gleich dem, den man ins Taschentuch knüpft, zur Erinnerung / an etwas. Ich weiß nicht, woran ich erinnern soll und wen, / damit er's nicht vergisst. Vielleicht soll ich Gott erinnern, / eine bessere Welt zu machen. Ich weiß es nicht, / ich bin der Knoten im Taschentuch, das ist alles, und das ist mein Leben."

Die Verse bilden sechs Langzeilen und muten zuerst prosaisch an. Die Lebenswege des Ichs sind "verwickelt und kompliziert"; das klingt wenig poetisch, ja fast banal, aber schon vier Worte später sind wir mitten im Rätsel des Gedichtes. Seine Lebenswege haben das Ich zum Knoten geschlungen, der "nicht zu lösen" ist, und die Metapher entfaltet sich. Das Ich wird zum Knoten im Taschentuch, zum Zeichen der Erinnerung, denn die Fäden, die in ihm zusammenlaufen, sind die Wege seines Lebens, die Träger der Erinnerung. Aber diese Erinnerung ist verlorengegangen, und der Knoten, das Ich, hat seine Aufgabe vergessen. In der jüdischen Tradition hatte sie etwas mit Gott zu tun, aber nur eine Vermutung ist geblieben: "Vielleicht soll ich Gott erinnern, / eine bessere Welt zu machen."

Der schöne Band präsentiert eine gut getroffene Auswahl aus Amichais Werk, und Anne Birkenhauer, die bei einigen Gedichten von Kollegen unterstützt wurde, hat sie wundervoll übersetzt. Ariel Hirschfeld, ein großer Kenner hebräischer Dichtung, rundet den Band mit einem informativen und einfühlsamen Nachwort ab.

JAKOB HESSING.

Jehuda Amichai: "Offen Verschlossen Offen".

Gedichte.

Ausgewählt und mit Nachwort von Ariel Hirschfeld. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer u. a. Jüdischer Verlag, Berlin 2020. 155 S., geb., 25,- [Euro].

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»Mit Jehuda Amichais Werkauswahl Offen Verschlossen Offen ist ein international gefeierter Lyriker aus Würzburg zu entdecken, der erst in seiner Exilsprache Hebräisch zum großen Dichter wurde.« Dirk Kruse br.de 20210317