Nicht lieferbar
Die Kraft der Worte - Carofiglio, Gianrico
Schade – dieser Artikel ist leider ausverkauft. Sobald wir wissen, ob und wann der Artikel wieder verfügbar ist, informieren wir Sie an dieser Stelle.
  • Gebundenes Buch

In vier Gesprächen mit dem ehemaligen Richter, Senatsabgeordneten und Schriftsteller Gianrico Carofiglio geht es um die komplexe und oft flüchtige Beziehung zwischen politischem Handeln, unserer Sprache und dem Prinzip der Wahrheit. Wenn in einer Gesellschaft das Vertrauen zur Sprache verloren geht, befindet sie sich in einem schlechten Zustand: Denn auf den Bedeutungsverlust des Diskurses folgt meist die gefährliche Entmachtung der staatlichen Institutionen. Ein leidenschaftlicher und spannender Dialog. Ein Plädoyer für kritisches Denken, das dabei hilft, Manipulationen zu erkennen und zu vermeiden.…mehr

Produktbeschreibung
In vier Gesprächen mit dem ehemaligen Richter, Senatsabgeordneten und Schriftsteller Gianrico Carofiglio geht es um die komplexe und oft flüchtige Beziehung zwischen politischem Handeln, unserer Sprache und dem Prinzip der Wahrheit. Wenn in einer Gesellschaft das Vertrauen zur Sprache verloren geht, befindet sie sich in einem schlechten Zustand: Denn auf den Bedeutungsverlust des Diskurses folgt meist die gefährliche Entmachtung der staatlichen Institutionen. Ein leidenschaftlicher und spannender Dialog. Ein Plädoyer für kritisches Denken, das dabei hilft, Manipulationen zu erkennen und zu vermeiden.
Autorenporträt
Rosatelli, JacoboJacopo Rosatelli ist Politikwissenschaftler, Journalist und Dozent in "Die Macht der Worte - Gespräche über Politik und Wahrheit" stellte er die Fragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2019

Weisheiten der Tolteken
Gespräche über Politisches

Gianrico Carofiglio gehört zu jenen Menschen, die selbst über das Wetter auf eine Weise sprechen könnten, in der ein kurzer Rekurs auf Platos Politeia, ein Sinnspruch von Voltaire oder eine Erzählung von Jorge Luis Borges vorkommen. Man kann das für ein Kunsthandwerk ganz eigener Art halten, für eine wohltuende Feinsinnigkeit in einer Welt, die zwischen dem Schlangestehen an der Drogeriekasse und dem Schulbrotschmieren schon genug Banalitäten bereithält. Oder aber man gehört zu jenen stumpfen Tiermenschen, die auf Carofiglios gespielt-verwunderte Frage auf Seite 28 - "Haben Sie noch nie von den vier Weisheiten der Tolteken gehört?" - mit einem trockenen Faustschlag antworten wollen. So oder so: Es entscheidet sich an dieser Frage, welchen Wert man dem kleinen, ohne Quellenverzeichnis knapp 100 Seiten langen Buch zumisst, in dem der frühere italienische Richter, Senatsabgeordnete und Schriftsteller Carofiglio mit dem Politikwissenschaftler, Lehrer und Journalisten Jacopo Rosatelli über "Politik und Wahrheit" spricht.

Das Gespräch beginnt Carofiglio mit Aphorismen von Antonio Gramsci und Margaret Mead. Uninteressant sind die nicht. Von Gramsci nimmt Carofiglio die Erkenntnis, dass Demokratien an der Gleichgültigkeit zugrunde gehen können und dass das Gegenteil dieser Gleichgültigkeit keineswegs in Internetdiskursen bestehen kann, die ein Engagement oft nur simulieren. Sich im Internet am "Jahrmarkt des Hasses" zu beteiligen ist für Carofiglio keine politische Handlung. Für ihn ist die Gesellschaft - er denkt vor allem an die italienische - längst süchtig nach Hass. Im Kontrast zu dieser Unversöhnlichkeit lobt er den Kompromiss mit einem Zitat von Amos Oz: "Das Gegenteil des Kompromisses ist Fanatismus und Tod." Andere Namen tropfen auch aus seinem Mund: Dahrendorf, Mahler, Keynes, Flaubert, Fromm, Wilde, Arendt, Orwell, Popper, um nur einige zu nennen.

Carofiglio trinkt seinen Kaffee mit viel Schaum. Während einer Frage Rosatellis, in der dieser von der Politik als "Narration" und "Storytelling" spricht, schneidet Carofiglio ihn barsch ab. "Entschuldigen Sie, ich muss Sie unterbrechen. Ich schlage vor, zwei Worte aus unserem Gespräch zu verbannen: Narration und Storytelling." Diese seien derart "oft und missbräuchlich" verwendet worden, dass sie ein "ernsthaftes Gespräch" unmöglich machten. Sieben Seiten später sagt Carofiglio: "Mitreißende Gefühle erzeugt man mit der wirkungsvollen Narration von Werten, wie Obama." Rosatelli, der ohnehin sehr sanfte Fragen stellt, unterbricht nicht.

Im Gespräch über die Lüge und die Täuschung in der Politik, dem interessantesten Teil des Buches, sagt Carofiglio, dass es Wahrheit "nur im Plural" gebe und die Wahrheitssuche aus einem "respektvollen Vergleich der Sichtweisen" bestehe. Das verdient Kritik, würde es doch bedeuten, jeder Lüge Respekt zu erweisen und den Diskurs wehrlos gegen eine Sabotageflut von Falschmeldungen zu machen. "Die bewusste Manipulation ist abzulehnen, doch andererseits muss man sich fragen, ob ein guter Politiker ihre Mechanismen kennen muss", sagt Carofiglio. Einerseits, um ihnen "nicht auf den Leim zu gehen", andererseits "um zu wissen, wann man sie im Sinne der Moral einsetzen darf". Das ist noch streitbarer als seine Wahrheitstheorie: Politiker sollen lügen dürfen? Eine Täuschung der Wähler hält Carofiglio für legitim, wenn sie einem "moralischen" Ziel dient. Eine moralische von einer unmoralischen Täuschung will Carofiglio mit Hilfe von Kant entscheiden. Der hatte alle Handlungen moralisch genannt, durch die Menschen nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern auch als Selbstzweck behandelt werden. Carofiglio will grob darauf hinaus, die Lüge aus Machtwillen zu verbieten, die Notlüge für das Allgemeinwohl hingegen zu erlauben. Fünf Seiten nachdem er seine Position so mit Kants sogenannter Selbstzweckformel begründet hat, erklärt Carofiglio, dass man sich nicht an Kants Formeln halten soll, weil Kant - wie er zugeben muss - niemals Lügen erlauben wollte, auch keine Notlügen. Der Interviewer Rosatelli, vielleicht schon schwindelnd vom Eklektizismus seines Gesprächspartners, fragt nicht nach.

In seinem Vorwort für die deutsche Ausgabe hatte Carofiglio noch von der "Pflicht" geschrieben, die Worte "verantwortungsvoll einzusetzen, um in unterschiedlichen Zusammenhängen und Formaten die Wahrheit zu sagen". Er hatte dazu, wie Namenskonfetti, Searle und Konfuzius zitiert - und doch gegen die allseits bekannte, erste Weisheit der Tolteken verstoßen: "Wähle deine Wort mit Bedacht."

JUSTUS BENDER.

Gianrico Carofiglio: Die Kraft der Worte. Gespräche über Politik und Wahrheit mit Jacopo Rosatelli.

Scoventa Verlag, 2019. 112 S., 12 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr