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Die persönlichen Notizen vom Autor des "Untergangs des Abendlandes": Radikal ehrlich, überheblich, tragisch. - Selten gewinnt man solche intimen Einblicke in die Hintergründe totalitären Denkens.

Produktbeschreibung
Die persönlichen Notizen vom Autor des "Untergangs des Abendlandes": Radikal ehrlich, überheblich, tragisch. - Selten gewinnt man solche intimen Einblicke in die Hintergründe totalitären Denkens.
Autorenporträt
Oswald Spengler (1880 - 1936) lebte nach der Aufgabe seines Lehrerberufes zurückgezogen und vom Erbe seiner Mutter in München. Seit 1911 schrieb er am "Untergang des Abendlandes", der ihn ab Erscheinen des ersten Bandes 1918 (1922 erschien Band 2) weltberühmt machen sollte. In der Folge verfaßte er stark deutschnational orientierte politische Aufsätze und weitere geschichtsphilosophische Werke, die seine Theorien des "Untergangs" mit Blick auf die Weltlage seiner Zeit präzisierten ("Der Mensch und die Technik", 1931, "Jahre der Entscheidung", 1936). In Deutschland wird Spengler u. a. wegen seiner Machtverherrlichung mit gutem Grund als ein geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus betrachtet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2007

„Das große Laster meines Lebens ist das Lügen”
Größenwahn und Jämmerlichkeit: Oswald Spenglers „Aufzeichnungen über sich selbst”
„Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – Nachmittags Schwimmschule”, schrieb Franz Kafka am 2. August 1914 in sein Tagebuch. Zur gleichen Zeit notierte sich Oswald Spengler in München: „Heute, an dem größten Tag der Weltgeschichte, der in mein Leben fällt und zu der Idee, derentwegen ich geboren wurde, in so gewaltigem Zusammenhang steht, 1. August 1914, sitze ich einsam zu Hause. Niemand denkt an mich.”
Spengler, der nach eigenem Bekunden seit 1912 an seinem Hauptwerk, dem „Untergang des Abendlandes” arbeitete, gibt in diesem Notat ein verblüffend genaues Bild von der Zerrissenheit seiner Existenz. Wohl selten bei einem derart wirkungsmächtigen Publizisten lagen Größenwahn und Jämmerlichkeit so nah beieinander und waren so stark ausgeprägt. Zugleich vermittelt diese Stelle einen Eindruck von der sich selbst nicht schonenden Ehrlichkeit in den Aufzeichnungen, die er unter dem Titel „Eis heauton” zusammenfasste und die zwischen 1913 und 1920 entstanden sein mögen, als der aus dem Dienst geschiedene Oberlehrer erst ein durch Erbschaft in Wohlstand lebender Niemand, seit 1918 aber ein prominenter Erfolgsautor war.
„Das große Laster meines Lebens ist das Lügen”, bekennt er hier einmal ohne sonderliche moralische Zerknirschung. Er lügt nicht aus Eitelkeit. „Äußere Eitelkeit ist mit ganz fern”, heißt es ein andermal und das stimmt auch nur halb. Spengler, sagt er selbst, lügt, weil er ein geborener Träumer ist. Er lügt, muss man ergänzen, weil er oft Angst hat, etwa die „Angst, wenn ich einen Laden betreten soll.”
Hier wird deutlich, weshalb die seit Jahrzehnten bekannten Aufzeichnungen, die Anton Mirko Koktanek schon für seine Spengler-Biographie nutzte, erst jetzt veröffentlicht werden. Lange Zeit schienen sie nicht zur Aura des Hauptwerks zu passen und man dachte, den Autor vor sich selbst schützen zu sollen. Als die Aura geschwunden war, hatte das Interesse an dem Untergangspropheten – der das nie hatte sein wollen – so sehr nachgelassen, dass auch die Fragmente „über sich selbst” uninteressant geworden zu sein schienen.
Allmächtiger Günstling
Wenn sie jetzt doch gut ediert herauskommen, werden sie keine neue Spengler-Diskussion eröffnen. Die entscheidenden Voraussetzungen dafür sind entfallen. Zwar gibt es erhellende Notate zu der Eigentümlichkeit des Umgangs mit mannigfaltigem Material des Historischen, aufgrund welcher Spengler, der ein kraftvoller Stilist war, so viele Leser in seinen Bann ziehen konnte: „Ich bin für das Sehen geschaffen”, schreibt er und beklagt, dass ihm seine „Arbeiten nie Freude machen. Nur der erste Einfall.” Aber der Ehrgeiz, der Spengler nach dem ersten alles überragenden Erfolg umtrieb, wirkt nicht anders als lächerlich. „Nur gelehrter Schreiber? Wie dürftig ist das!” Aber: „Meine Rolle im Dasein, die ich mir gewünscht hätte? – Allmächtiger Günstling eines tüchtigen Herrschers im 18. Jahrh., unter einem Herrn also, der etwas kann und will und dem man nicht dient, um ihm eine Last abzunehmen.” Und nochmal: aber: „Ich war zeitlebens ein Träumer”. Vielleicht vermittelnd zwischen beiden „Abers”: „Hätte ich nur einen Menschen von dem entsprechenden geistigen Rang bei mir gehabt! Was hätte ich alles fertig machen können!”
Dass der Untergang des Abendlandes nicht mit dem Untergang eines Ozeandampfers verglichen werden könne, hatte Spengler immer wieder betont und dass er mit dem Werk ein politisches Buch habe schreiben wollen. Die Kulturen der Weltgeschichte, befand er, entstehen und vergehen in erhabener Zwecklosigkeit wie die Blumen auf dem Felde. Das Schicksal der Blumen auf dem Felde wird beobachtet als Naturschauspiel nach den Gesetzen der Natur. Das Leben der Kulturen, trägt Spengler vor, sei zu betrachten als ein Ablauf, in dem sich Welt als Geschichte zeige. Zum Gipfel ihrer geistigen Entfaltungsmöglichkeiten gelange jede Kultur nur einmal. Dabei verbrauche sie ihre wertvollsten Kräfte. Hernach könnte der Kulturträger aber noch eine starke Zivilisation ausbilden, die auf Macht und nichts als die Macht gestützt, noch lange überdauern könne. „Zu einem Goethe”, mahnte Spengler, „werden wir Deutsche es nicht mehr bringen, wohl aber zu seinem Caesar.”
Spengler fiel auf Hitler nicht herein. Die Nazis bezeichnete er als „Prolet-Arier”. Der vielfach umworbene Autor hatte Anfang der 20er Jahre tatsächlich versucht, sich in große Politik einzumischen. Die Zeugnisse davon sind in der Ausgabe seines Briefwechsels nachzulesen. Sie muten beklemmend komisch an. Selbst der bayrische Forstrat Escherich, der in seinem Revier Hindenburg manchen kapitalen Bock zuführte, muss peinlich berührt gewesen sein. Von solchen Anstrengungen blieb Spengler nur die Freundschaft mit einigen Industriellen, vor allem mit Paul Reusch, dem einflussreichen Vorstandsvorsitzenden der Gute Hoffnungshütte. Da blieb für Hitler und die Seinen kaum Platz.
Es bleibt beim Thema Spengler das Faktum der Bewunderung, die er zumal von Seiten der besten Althistoriker seiner Zeit genoss, allen voran Eduard Meyer. Der haute ihm zwar bei jeder Gelegenheit die Fehler und Abwegigkeiten um die Ohren, zollte ihm aber unverdrossen hohe Anerkennung und widmete ihm eine Menge Zeit. Andere, Ernst Kornemann, Franz Altheim, Hans Erich Stier – der seine vorzügliche historische Zeitschrift „Welt als Geschichte” nannte – verhielten sich ähnlich. Dafür kann es eine Erklärung geben. Gerade die Althistoriker hatten den Blick ihrer Disziplin kontinuierlich und bedeutsam (und gegen Widerstände) erweitert. Droysen hatte die Grenzen der Klassischen Antike im Mittelmeerraum gesprengt. Eduard Meyer hatte den Mittelmeerraum weit nach Osten geöffnet. Altheim ist bis zur Geschichte der Hunnen gegangen. Stier interessierte sich für die Geschichte Alt-Mexikos. Bei diesem Bemühen sah man in Spengler einen Diskussionspartner. Alles geistige Leben, meinte Eduard Meyer, sei Diskussion. Das, was die Nationalsozialisten den Historikern abverlangten, beendete alle diese Ausflüge.
Als Spengler 1936 starb, hatte er Jahre hinter sich, in denen zwar viele an ihn dachten, in denen er aber weithin totgeschwiegen worden war. Seit 1945 schleppt ihn die historische Zunft mit sich fort wie einen etwas seltsamen Verwandten. Für verblüffende Zitate ist er immer noch gut. JÜRGEN BUSCHE
OSWALD SPENGLER: „Ich beneide jeden, der lebt”. Die Aufzeichnungen „Eis heauton” aus dem Nachlass. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gilbert Merlio. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2007. 144 Seiten, 17,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2007

Spengler persönlich
Die Welt begreift man nur in groben Zügen: Oswald Spenglers Aufzeichnungen aus dem Nachlass zeigen den Untergangsautor als einen Mann, dem alles in die Seele schneidet Von Botho Strauß

Ist der umstrittene und unheimliche Geschichtsphilosoph Oswald Spengler (1880-1936) heute überholt und vergessen - oder ist er aktuell wie nie? Sein Hauptwerk "Der Untergang des Abendlandes" (der erste Band erschien 1918, der zweite kam 1922 heraus) wird jedenfalls immer wieder aufgelegt, seine Rolle als Feind der Demokratie und Bewunderer Mussolinis immer wieder diskutiert - zeitgenössische Untergangsdenker wie Samuel Huntington haben sich trotzdem von Spengler inspirieren lassen.

Eigentlich hatte er Angst vor allem. Angst vor Verwandten, vor Behörden, vor Gewittern.

Angst, eine Wohnung zu mieten, einen Brief zu öffnen, einen Laden zu betreten.

"Angst vor Weibern - sobald sie sich ausziehen."

Wer möchte glauben, dass es sich hier um Geständnisse des unerschrockenen Denkers, des deutungsgewaltigen Oswald Spengler handelt?

Seine Notizen zur Person, die unter der Rubrik "Ego" und "Eis heauton" in seinem Nachlass verstreut sind, liegen jetzt zum ersten Mal auf Deutsch vor. Die Veröffentlichung basiert auf der maschinenschriftlichen Wiedergabe oft sehr flüchtiger Aufzeichnungen, die seine Schwester herstellte - hoffentlich gewissenhafter als jene berüchtigte andere.

Die ungeordneten, undatierten Einträge sollen wohl eine künftige Selbstbeschreibung vorbereiten, es schwebt ihm vor: "eine neue Art von Biographie - rein seelisch".

Oft sind es nur Kürzel und Stichworte, stilistisch kaum geprägt, und zum überwiegenden Teil stammen sie aus den Jahren vor dem großen Ruhm, der dann unmittelbar nach Erscheinen von "Der Untergang des Abendlandes" mit Elementargewalt über den Autor hereinbrach.

Man sagt, der erste Teil seines Hauptwerks, das in den Notizen - wie zur Schonung des magischen Titels - unter dem Kürzel "U.d.A." auftaucht, sei bereits um 1914 so gut wie abgeschlossen gewesen, der Geniewurf eines Mittdreißigers, dessen Pathos und Wille zur Größe auch in den Notizen nicht unterdrückt wird.

Den gesamten Ersten Weltkrieg muss der Autor folglich als zermürbenden Aufschub empfinden, wegen eines Herzfehlers war er vom Militärdienst ausgeschlossen. Es mag sein, dass diese strapaziöse Zeit der Erwartung mit zu den vielen düsteren Selbstbezichtigungen, Inferioritätsbekundungen beitrug, die auf den Blättern schroff mit Anmaßung und Überheblichkeit wechseln. Etwas unbestimmt Bedrängtes, ein Lebensgefühl zwischen Herostratos und Karl May wird hier fixiert. Ein fortlaufendes journal intime entsteht jedoch dabei nicht, eher eine inkohärente Partitur von unterschiedlich veranlassten Seufzern und Klagelauten. Daneben aber auch der ernsthafte Versuch, seinem Unglück auf den Grund zu kommen, wie wir es von Hebbel oder anderen tragischen Naturen kennen, die schreibend Gerichtstag über sich selber halten.

Immer wieder wird die Wunde der verwirkten Kindheit aufgedeckt, wird der Vater geschmäht, ein Postbeamter, der dem Heranwachsenden das unablässige Lesen verargt; auch wird die Mutter bedauert, weil sie zu schwach ist, ihren künstlerischen Neigungen zu folgen. Die Erinnerung kennt keine Gnade. Die Eltern waren das Verderben des Kinds. "Nichts war gut."

Am wenigsten die Schule oder gar die Schulkameraden; kein Freund findet sich, der Tertianer verbringt die Nachmittage in der Hallenser Universitätsbibliothek.

Seine gesamte Jugend sei ihm schon dadurch verleidet worden, dass er zu niemandem habe aufschauen können. Die zeitgenössische Literatur zwischen 1895 und 1900: nichts als Plunder. Und wäre er ins Theater gegangen, was hätte man ihm geboten? Stücke von Halbe, Wildenbruch und Sudermann. Naturalismus. Nun, den Verdruss kann man verstehen. Das Theater kennt nur sehr kurze glückliche Perioden, in denen es daran gehindert wird, sich jedem ephemeren Blödsinn und dem schlechten Geschmack zu überlassen.

Die autobiographischen Skizzen Spenglers erheben keinen besonders originellen Deutungsanspruch gegen die eigene Person. Im Grunde passen sie in jede Biographie eines romantisch-sensiblen Künstlers, der sich in seiner Jugend als ein Verstoßener, als Träumer und Einzelgänger erlebt. Ein Kind, das bitterlich schluchzt, wenn am Neujahrstag der Weihnachtsbaum abgeräumt wird, die schön inszenierten Tage vorbei sind und der freudlose Alltag wieder beginnt. Ein junger Mann, der nach außen nur mitredet und dabei ins Lügen gerät, ja der sich zu lügen gezwungen sieht, um sein Innerstes nicht zu verraten. Denn dort beherrscht ihn der Drang, einmal Napoleon zu sein. Heimlich gibt es nichts Schöneres für ihn, als in seiner Stube die Landkarte neu zu zeichnen. Und schließlich der Junggeselle zeitlebens, der sich das "Mädel" von der Straße holt und dem dann schnell die Lust knickt, wenn es zu reden anfängt.

"Ich habe nie einen Monat ohne Selbstmordgedanken gehabt."

Wir lesen den Subtext eines Autors, den wir bisher nur in gebietender Sprache kannten.

Wir studieren das Betriebssystem eines geistigen Machtmenschen, das im Wesentlichen aus Schwächen besteht: Ekel und Phobien, Gegenwartsverachtung und Menschenscheu, Verzagtheit und Wirklichkeitsflucht.

"Ich weine so leicht. Alles schneidet mir tief in die Seele." Diese Seiten sind weitgehend frei von dem apodiktischen Stil seiner Abhandlungen, wo das Diktum nicht selten wirkt wie ein Ersatz für den Befehl.

Dies ist aber zunächst nur die kleinere Version des inneren Spengler, eine Lesart dieses beengten Mannes, die sich zwar aufdrängt, aber nicht mehr Originalität besitzt als die landläufige Entdeckung, dass ein Genie mit allerhand unliebsamen Störungen, Makeln und Befangenheiten behaftet ist.

Eine andere, vielleicht ergiebigere Version bezieht sich auf das Pathos-Subjekt, auf den Künstler-Philosophen Spengler, der unter dem Zwang steht, geschichtliche Ereignisse nachzuerleben, in Schmerz und Schauder nachzuvollziehen wie der mystische Christ die Leiden des Herrn.

"Ich empfinde die meisten grossen Weltereignisse - den Krieg z.B. - als persönliche Schuld. Wie kommt das? Ich gehe in entsetzlicher Verzweiflung herum, wie ein Missetäter, der dafür Strafe verdient."

Man hat bereits im Falle Nietzsches und Georges auf "die romantische Erfahrung von der erlittenen Geschichte" verwiesen, auf dieses "Poröswerden des Subjekts" (Ulrich Raulff) gegenüber noch den fernsten Erschütterungen. So scheint es zu einer Art Stigmatisierung bei geschichtlich Hochbegabten zu kommen. Roland Barthes hat dergleichen in seinem Buch über den französischen Revolutionshistoriker Jules Michelet beschrieben: dieser habe an und in seinem Körper alle Schmerzen, alle Leiden und Leidenschaften der Geschichte nachvollzogen.

Auch Spenglers Universalgeschichte hat ein solches Imitatio-Erleben, ein verwandeltes sakrales Weltgefühl zur Grundstimmung, und zu den Voraussetzungen seines Stils gehören nicht zuletzt auch die Eigenschaften des gescheiterten Gesellschaftsmenschen und überempfindlichen Autors, die er im Vollzug des Großen und Ganzen von der Idiosynkrasie zur Passion steigert.

Damit verlässt er von vorneherein - bei all seiner hochinstrumentierten und beweglichen Gelehrsamkeit - den Zirkel der historischen Wissenschaft und tritt uns Heutigen, die wir gewöhnt sind an eine bedürfnislos-nüchterne Dokumenten- und Detail-Historie, beinahe wie aus magischer Vorzeit entgegen.

Wenn jemand aber vom "U.d.A." bei fortgesetzter Lektüre auch heute noch gefesselt wird, so zum einen von der für den Autor unlöslichen Spannung von Gebieten und Erleiden, zum anderen aber, weil er sich in ein unvergleichliches Epos hineinliest. Einen kolossalen Roman ohne fiktionale Handlung, aber doch voller zur Fiktion gebrachter Ereignisse und Verläufe; ein Roman ohne einbildbares Personal, aber dafür - "rein seelisch" - in starken Erregungswellen und abenteuernden Synopsen. Seine gestalteten Subjekte sind die acht Kulturkreise der Weltgeschichte, sie steigen und herrschen, fallen und erlöschen wie die Seelen antiker Helden, ob China, Antike, Ägypten, die Geschichte wird betrieben vom Kraftwerk der Vergänglichkeit.

Kein Wunder, dass sich Thomas Mann wiederholt despektierlich (und dabei ungewöhnlich dilettantisch) über diesen Epiker- Kollegen äußerte, der zeitweilig an Ruhm, Ruf und Verkaufserfolg den Autor der "Buddenbrooks" in den Schatten stellte. Seinem Tagebuch vertraute er zu Spenglers Tod (1936) an, dass er diesen schon deshalb nicht mochte, weil er ihm zu ähnlich gewesen sei - und gewiss bezieht sich das nicht nur auf das gemeinsame Nietzsche-Erbe.

Spenglers Aufzeichnungen hingegen enthalten so gut wie keine Bemerkungen zu berühmten Zeitgenossen. Seine polemische Missstimmung nährt sich von Gemeinplätzen der romantischen Kulturkritik. Dazu gehört neben Gegenwartshass und Vergangenheitsverklärung immer wieder die Lust am Letzten; die Vorliebe, sich in das Enden einer Epoche, eines Stils, einer Blütezeit einzufühlen und sich in ihr wiederzufinden. Eine deutsche Seelenmode, die vielleicht mit dem glanzvollen Pessimismus Jacob Burckhardts begann und schließlich zur Konvention eines jeden geschichtsfühligen Bürgers wurde.

Dabei ist das Spekulieren aufs Ende stets zugleich Belebung wie Verletzung des Denkens, denn sein Originalmotiv ist ein christliches, sakrales, das Eschaton, das sich nicht denken lässt. Umso suggestiver seine philosophische Zweckentfremdung.

"Kultur - noch (ein) letztes Aufatmen vor d. Erlöschen . . . Denn seit 1914 d. ,Zivilisation'.

Barbarei, Sport, Amerikanismus, Tempo."

Spenglers Eschatologie rechnete mit einem deutschen Sieg im Ersten Weltkrieg; erst danach würde der "Amerikanismus" vollends eindringen und die Restzonen des Abendlands ein für alle Mal verwüsten. Es kam anders, der erste Band von "U.d.A." erschien im letzten Kriegsjahr, Sommer 1918, und sein populärer Erfolg wurde begünstigt vom Lebensgefühl nach der deutschen Niederlage. Sie verleitete sogar zur weitverbreiteten Fehllektüre des Werks, denn dieser Untergang war ja nicht gemeint.

Der zweite Band erschien erst 1922. Ob damals das Abendland noch existierte oder nicht, hing von der weltanschaulichen Einstellung des Einzelnen ab. Jedenfalls blieb der Erfolg hinter dem des ersten Teils zurück.

Dabei tauchten erst gegen Ende dieses Folgebands die provozierenden Prognosen auf, die den zukünftigen Cäsarismus betrafen, das Reich ohne Parteien, ein erneuertes, aristokratisch-asketisches Preußentum. Vor allem diese Heilserwartungen haben Spengler für die Linke bis heute ungenießbar gemacht, ihn gebrandmarkt als Vorläufer, Wegbereiter, Steigbügelhalter - und was sonst das lukácssche Verdammungsvokabular noch hergibt.

Fortsetzung auf der folgenden Seite.

Kritisch verhält sich zu Spenglers Kritikern bereits Adornos Aufsatz von 1938/41, unter dem Titel "Spengler nach dem Untergang" 1950 auf Deutsch erschienen, der bei allem marxistischen Degout gegenüber dem fortschrittsfeindlichen Autor dennoch zugeben muss, dass bisher keine der zahlreichen Schmähungen dem System Spenglers dialektisch gerecht werden konnte.

Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass es sich hier um einen Mann - nicht der extremen, wohl aber der ekstatischen Rechten handelt. Ein Isolierter (solange er an seinem Hauptwerk arbeitete), der die Empfänglichkeiten und das Verlangenspotential seiner Zeit in sich zusammenfasste und vergrößerte, alleinstehend mit einem Weltplan in der Hand, der ihm auch den weiten Blick in die Zukunft erlaubte.

Nicht selten erzielt er eine verblüffende Wirkung mit völlig ungeschützten Prophezeiungen wie etwa mit dieser: "Dem Christentum Dostojewskis gehört das nächste Jahrtausend."

Einsichten kommen oft en passant, wie beiläufig assoziiert, zu ihrer Prägnanz. Etwa die treffsichere Unterscheidung zwischen Tolstoi und Dostojewskij: bei Tolstoi nimmt alles die westliche Form des Problems an. "Dostojewski weiß gar nicht, was Probleme sind."

Des Schicksals-, doch keineswegs Gottesgläubigen beste, schärfste Beobachtungen gelten im "U.d.A." häufig dem Religiösen und der Religiosität und besonders auch den Formen ihres Niedergangs: "Eine Religion, die bei Sozialproblemen angelangt ist, hat aufgehört, Religion zu sein."

Er ist ohne Einschränkung ein Verächter der Demokratie. Hier lahmt sein Voraussehen oder ist mit Blindheit geschlagen. Er besitzt nicht die geringste Witterung dafür, dass das Gesetz des Verhältnismäßigen und der liberalen Konkurrenz je siegreich sein würde. Er sah durchaus nicht, dass Demokratie den morphologischen Prinzipien seines Werks eine neue Variante abfordern könnte. Aber wie sollte er auch um 1920 an ihren wandlungsstarken Formenreichtum geglaubt haben und daran, dass dieser eines Tages seinen gesamten Garten der Kulturen überwuchern würde? Das alles war für ihn nur Zivilisation. Da gibt denn die schlaue Naivität des engagierten Spengler-Lesers Wittgenstein dem Ganzen eine viel prospektivere Wendung: "Einmal wird vielleicht aus dieser Zivilisation eine Kultur entspringen."

Lassen wir zunächst die beliebte Provokation des Kulturpessimisten beiseite: ob das Abendland nicht längst untergegangen sei. Oder ob die Bombe nicht schon fiel, bevor sie eines Tages fallen wird.

Nehmen wir außerdem hin, dass die dringendsten Tendenzen des Werks und selbst das große Ordnen von Epochen und Imperien für uns nicht mehr von entscheidendem Interesse sein können; und das nicht nur, weil so vieles einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhielt. Ja, es mag schon sein: nichts stimmt - außer der Stimmung. Außer der Form. Außer der Gebärde des Bergens - nämlich der Suggestion, das rohe und wilde Schicksal der Menschheit in einem planvollen Garten eingehegt zu haben. Es sind gewiss eher die magischen Komponenten, die dem "U.d.A." seine nicht aussetzende Nachwirkung sichern.

Mit diesem Buch, meint Spengler in seinen Notizen, "war ich der letzte einer Reihe. Eine neue fängt nicht mehr an . . . Ich schliesse ab."

Das Gegenteil ist der Fall. Es ist das Prägwerk für etliche kulturanalytische Universalbetrachtungen bis in unsere Tage. Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" etwa käme ohne Rückversicherung bei Spengler nicht auf seine großen Spuren - und sein Buch nimmt immer wieder Beziehung zu ihm auf: "Der ,Untergang des Abendlandes' ist ein Hauptthema der Geschichte des 20. Jahrhunderts geblieben."

Ebenso unverkennbar ist der inspirierende Einfluss, den Spengler auf das Gestaltdenken in den "Sphären" von Peter Sloterdijk nimmt, auch er legt auf einigen glänzenden Seiten dies Erbe aus.

Liest man allerdings zu viel von der populären Literatur, Fukuyama, Huntington oder mindere Weltbild-Designer, dann kehrt man gern zum Original, zu Spengler, zurück, auch wenn man auf Aktualität verzichten muss. Seine Lektüre ist einfach spannender. Unter den Professoren amerikanischer Elite-Universitäten finden sich hervorragende Zeitgeschichtler, aber kein von Geschichte erschütterter Mensch. Ihre Bücher präsentieren eine Fülle von Statistiken und Informationen, wohingegen der gelehrte Epiker fasziniert, indem er gewaltige Stoffmengen immerzu in Gedankenreichtum, in ideelle Energie umsetzt. Stets dominiert der große Entwurf die Fakten, die Welt begreift man nur in groben Zügen, nicht in Detailansichten.

"Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte", so lautet schließlich der Untertitel vom "U. d. A.". Man gewinnt sogar den Eindruck, als sei der grobe Umriss für den Geist etwas Ähnliches wie das Beuteschema für das Raubtier: allein die Silhouette erregt den Jagdinstinkt.

Weltsichten, Modelle der spenglerschen Art, verfertigt der Mensch nicht, um auch nur annähernd recht zu haben gegenüber der Welt. Im Gegenteil ist der Geist darauf angewiesen, jeweils aufs Neue von der Welt widerlegt zu werden. Schon allein, um diese Projektionsmaschinerie, die der Spezies zur Orientierung vererbt ist, stetig zu verbessern und neu anzupassen. Es wäre daher verhängnisvoll, das Denken in groben Zügen zu verlernen und Bilder von der Welt nur noch in hoher Auflösung zu besitzen.

In besonderer Konjunktion stehen gegenwärtig Beuteschema und Detailansicht in der popularisierten und politisierten Sphäre der Ökologie, neuerdings auch der Meteorologie. Das verlangende und inkomplette Wissen in diesen Disziplinen bietet eine günstige Überlebensnische für modifizierten Kulturpessimismus und Untergangszauber. Das Enden bleibt als mythisches Depot erhalten und stimuliert sogar den nüchternen Forschungsstatistiker.

Aber, aus ein wenig Distanz betrachtet, stellt sich auch hier plötzlich das heideggersche Bomben-Aperçu wieder ein. In gewissem Sinn befinden wir uns wieder einmal nach der Katastrophe. Nämlich inmitten eines Lebens - oder mit Spenglers Lieblingswort: in einem Stadium des abendländischen Wachseins, das sich umfassend in eine Schadstoff-Farce verwandelt hat.

Oswald Spengler: "Ich beneide jeden, der lebt". Die Aufzeichnungen "Eis heauton" aus dem Nachlass. Lilienfeld-Verlag, 144 Seiten, 17,90 Euro. Erscheint Mitte September.

Botho Strauß' Novelle "Die Unbeholfenen" erscheint, ebenfalls Mitte September, im Hanser-Verlag.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einer seltenen Nähe von "Größenwahn und Jämmerlichkeit" begegnet Rezensent Jürgen Busche in Oswald Spenglers spät erschienenen Tagebuchnotizen, in denen dieser ganz anders als in seinem berühmten Hauptwerk "Der Untergang des Abendlandes" über Lügen und Eitelkeit, Träume von einem Leben als Haus- und Hofschreiber im 18. Jahrhundert oder die "Prolet-Arier" siniert. In Spenglers Berichten, welche schon sein Biograf Anton Mirko Koktanek herangezogen hat, findet der Rezensent eine "sich selbst nicht schonende Ehrlichkeit", und mitunter sei das "beklemmend komisch", wenn Spengler beispielsweise von seinen erfolglosen politischen Gehversuchen Anfang der zwanziger Jahre berichtet. Dass die Tagebücher erst jetzt erscheinen, führt der Rezensent auf den Versuch zurück, das Werk des Autors vor einer Abwertung durch diese Aufzeichnungen zu schützen. Eines muss er Spengler aber lassen: "Für verblüffende Zitate ist er immer noch gut".

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