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Franz Reichelt steht 1912, in seinen selbstgebauten Fallschirm gewandet, auf dem Eiffelturm und zögert, sein Atem wölkt sich in der Kälte, in den alten Schwarzweißaufnahmen »pulsieren Chemie und Kratzspuren wie dichter Schneefall«.
Robika, der ein Siebtklässler wäre, wenn er eine Vorstellung von der Zeit hätte und in die Schule ginge, hat eine Obsession: Jede Woche sucht er sich im Laden von Mama Roza sieben weiße Seifen aus. Als der Laden einmal geschlossen ist, fährt Robikas Mutter mit ihrem untröstlichen Kind auf dem Fahrrad in die Stadt. Auf dem Rückweg haben sie einen Unfall, Robika…mehr

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Produktbeschreibung
Franz Reichelt steht 1912, in seinen selbstgebauten Fallschirm gewandet, auf dem Eiffelturm und zögert, sein Atem wölkt sich in der Kälte, in den alten Schwarzweißaufnahmen »pulsieren Chemie und Kratzspuren wie dichter Schneefall«.

Robika, der ein Siebtklässler wäre, wenn er eine Vorstellung von der Zeit hätte und in die Schule ginge, hat eine Obsession: Jede Woche sucht er sich im Laden von Mama Roza sieben weiße Seifen aus. Als der Laden einmal geschlossen ist, fährt Robikas Mutter mit ihrem untröstlichen Kind auf dem Fahrrad in die Stadt. Auf dem Rückweg haben sie einen Unfall, Robika muss geröntgt werden, eine Seife fest in jeder Hand. Aber alles ist gut, und er darf: Weiter atmen!

Ob sie von einer syrischen Flüchtlingsfamilie erzählt, die an der ungarischen Grenze strandet, von Rimbaud und denen, die ihn erforschen, von Liebenden, Kranken und Kindern, von Paris, Rio de Janeiro oder Ungarn - Zsófia Bán erschafft mit wenigen Sätzen, Filmschnitten Figuren, Bilder, innere Landschaften von ungekannter Tiefenschärfe.

Neue Erzählungen von Zsófia Bán - klug und empathisch, subtil und provokant, von assoziativer Phantasie und lakonischer Kühnheit.
Autorenporträt
Zsófia Bán, 1957 in Rio de Janeiro geboren, aufgewachsen in Brasilien und in Ungarn, lebte immer wieder in den USA. Sie hat in Filmstudios gearbeitet, war Ausstellungskuratorin und lehrt Amerikanistik in Budapest. Die namhafte Kunst- und Literaturkritikerin debütierte 2007 mit Abendschule. Fibel für Erwachsene (dt. 2012); es folgte der Prosaband Als nur die Tiere lebten (2012; dt. 2014). Auf Deutsch erschien zuletzt Weiter atmen (2020). Zsófia Bán war 2015 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Sie lebt in Budapest. Ihr Werk wird von Terézia Mora übersetzt. Terézia Mora, geboren 1971 in Sopron, Ungarn, ist Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Übersetzerin. Sie zog 1990 nach Berlin, studierte Hungarologie und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität und absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Drehbuchautorin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1998 arbeitet Sie als freie Autorin und übersetzt ungarische Literatur ins Deutsche.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Franz Reichelt ist der Erfinder eines Fallschirm-Prototyps, der 1912 dabei gefilmt wurde, wie er sich mit seiner fehlerhaften Erfindung vom Eiffelturm in den Tod stürzte, erinnert Rezensent Tilman Spreckelsen. Es ist kein Zufall, dass dieser Erzählband sowohl ein Foto des Mannes enthält, als auch in einer Geschichte von ihm erzählt, so der Kritiker: Autorin Zsófia Bán zeigt die Figuren in Kippmomenten, die in dem auf der Brüstung zögernd schwankenden Reichelt ideal symbolisiert sind, lobt er. Da auch ihre Sprache unzuverlässig schillert, lässt sie auch den Leser im besten Sinne kippeln, lobt Spreckelsen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2020

Luft holen im trügerischen Frieden
Die filigrane Sinnlichkeit der ungarischen Erzählerin Zsófia Bán in den neunzehn Geschichten ihres Bandes „Weiter atmen“
Wunderbar verdreht, leicht und zart, aber auch robust, biegsam in ihrer Syntax, membranartig in ihren Bildwelten wirken diese Erzählungen. Sie erzählen von Amphibien, die über die Haut atmen, von Löwen in Badewannen, von Vögeln, die Engeln gleichen oder womöglich doch welche sind. Sie erzählen von einer Frau, die ihre sterbenskranke Freundin im Krankenhaus besucht, von einer syrischen Flüchtlingsfamilie, die es von Aleppo bis an die ungarische Grenze geschafft hat, von Flugpionieren und Abenteurern.
Manchmal sind Gemälde der Anlass, etwa „Mann badet Löwen“ von Attila Szücs, oder gleich eine ganze Ausstellung wie Marianne Csákys „Böreim“ (Meine Häute). Auch eine sogenannte „Textverpflanzung“ gibt es, nämlich aus Péter Esterházys „Die Hilfsverben des Herzens“. Alles kann hier mit allem zusammengebracht werden, mal verwandelt und verschmolzen, mal sichtbar montiert.
Wie in ihrem 2012 auf Deutsch erschienenen Debütroman „Abendschule. Fibel für Erwachsene“ arbeitet Zsófia Bán auch in diesem Band mit 19 Erzählungen oft mit dem Mittel der Montage, mit Abbildungen und Fotos im Geist eines W. G. Sebald. Das wirkt völlig unangestrengt. Es liegt eine halkyonische Leichtigkeit über diesem schmalen Buch, das der Leserin und gewiss auch dem Leser Heiterkeit beschert. Während man erkunden will, wie das gemacht ist, provozieren die Geschichten dazu, sich fallen zu lassen, um sich ihrem Spielgeist hinzugeben.
Der Esprit der Erzählerin sammelt sich in den scheinbar ephemeren Details, flüchtig wie ein Geruch, aber genauso invasiv. Bei aller Zartheit regiert die Haptik, das Anfassen und Einverleiben, auch wenn Gestus und Vorsatz oft in der Schwebe bleiben. Etwa beim Besuch der Freundin im Krankenhaus. „Wie die Bäume“ rollt die Lebensgeschichten zweier Frauen auf, die sich die Männer ausgespannt haben und nicht zuletzt deshalb eng verbunden sind, weil sie in der jeweils anderen „eine perfekte Zeugin herangezüchtet haben“.
Die 1957 in Rio de Janeiro geborene Zsófia Bán erzählt in originellen Bildern. Beispielsweise eines von zotteligem Understatement (oder „Anderstäitment“, wie Terézia Mora kongenial an anderer Stelle übersetzt): „dass wir seit vierzig Jahren über die rissigen Pfade der Eifersucht trotten, die ausgedienten Tretmühlenpferde, die wir sind.“ Am Ende ihres Besuchs hat die Erzählerin Hunger. „Isst du das noch?“, fragt sie und zeigt auf den „unberührten Spinat“ auf dem Nachttisch der Kranken. Es bleibt offen, ob sie das Krankenhausessen zu sich nehmen wird. Seine Andersartigkeit, diese Mischung aus Profanität, Intimität und einer Spur von Ekel, die es bei Besuchern erregt – wird durch die Formulierung verstärkt, es sei mit einer „erstarrten Oberfläche wie grüner Marmor“ überzogen. Ein Firnis der Unberührbarkeit.
Auf der Bruchlinie zwischen Bedrohung und Rettung balancieren viele Geschichten, einmal fällt der Ausdruck, „harmonisch bedrohlich“, was die Sache ziemlich gut trifft. In „Weiter atmen!“, der Titel-Geschichte, kommt die Mutter eines (vermutlich autistischen) Roma-Jungen auf die Idee, ihrem Sohn jeden Tag ein neues Stück weißer Babyseife in die Hand zu geben, das er befühlen und zerfurchen kann. Das beruhigt ihn tatsächlich, bringt sie nur leider in die Lage, sieben Stück Seife pro Woche kaufen zu müssen. Bei einer Moped-Fahrt nach deren Erwerb haben Mutter und Sohn einen Unfall. Sie kommen ins Krankenhaus und müssen geröntgt werden. „Du darfst wieder atmen!“, sagt die Assistentin, als der Junge es überstanden hat. „Mutter und Sohn atmeten gleichzeitig aus und fingen gleichzeitig zu lachen an. Robika hielt es länger durch, Robika jauchzte und bohrte seine Fingernägel glücklich in die frisch ergatterte Babyseife. Natürlich, Robika, sagte Mama, jetzt darfst du weiter atmen, und sie sogen beide den zarten Seifenduft ein.“
Zsófia Bán wuchs als Tochter von Holocaust-Überlebenden zunächst in Brasilien, später in Ungarn auf. Sie war Ausstellungskuratorin, hat in Filmstudios gearbeitet, zeitweilig in den USA gelebt und lehrt Amerikanistik in Budapest. Als Gast des DAAD war sie 2015 in Berlin. Antisemitismus, Euthanasie und Fremdenfeindlichkeit sind in ihren Geschichten wie ein Hintergrundrauschen vernehmbar.
Der Atem ist die verletzliche Universalmetapher dieser neuen Erzählungen. Wo Atem ist, ist Leben, wer zusammen atmet, tauscht mit der Luft auch sein Inneres aus, findet womöglich einen gemeinsamen Rhythmus und Trost. Jemandem den Atem abzuwürgen, bedeutet äußerste Grausamkeit. Man denkt an die Erstickungstode in Konzentrationslagern. Aber auch an George Floyds verzweifelten Hilferuf, „I can’t breathe“. In Friedenszeiten, „jener trügerischen Übergangszeit zwischen zwei Kriegen“, könnte man geschützte Räume bereitstellen, um „das gemeinsame Ausgeliefertsein“ zu trainieren, überlegt die Erzählerin in „Wege, sich einzuschmiegen“. Jeden Morgen könnte sich die Bevölkerung dorthin begeben, „um den Puls, den Herzschlag wiederherzustellen, den Atemrhythmus aufeinander einzustimmen, einatmen, ausatmen, langsam, gleichmäßig, so lange bis das Volk des Schutzraums synchron nach Luft schnappt, was endlich Körper und Seele entspannt.“
„Hôtel de l’Univers“, die letzte und längste Geschichte, verbindet Details der Rimbaud-Forschung mit dem erotischen Erweckungserlebnis einer ungarischen Rimbaud-Spezialistin: Wie sie am Strand des Balatons vom Duft einer fremden Frau, die im Bikini an ihr vorbeistreift, magisch angezogen wird und hinter ihr hergeht, bis sie gemeinsam in einer Umkleidekabine landen. Elegant verschlingt Bán die Szenerie weiblichen Begehrens mit der abenteuerlichen Lebensgeschichte Arthur Rimbauds. Zeiten und Erinnerungsebenen werden ineinandergefältelt wie Schmetterlingsflügel.
Literatur kann wie ein „Beatmungsgerät“ sein, heißt es in einer Geschichte über die magische Wirkung von Gabriel García Márquez. Das beglaubigt „Weiter atmen“ in nahezu jeder Erzählung. Vom Ozean wegzuziehen, dessen Rauschen man gewohnt ist, löst Schlafstörungen aus, erfahren wir. Dieses Rauschen scheint in die Geschichten eingegangen zu sein. Man vernimmt es auch im durchlässigen Deutsch, das die zweisprachige Schriftstellerin Terézia Mora für ihre Kollegin gefunden hat. Vielleicht liegt es an der Mischung zwischen ungarischer Erzähltradition und der körperlichen Erfahrung Brasiliens, dass diese Geschichten so eigenständig sind: realistisch und surreal gleichermaßen, trocken, witzig, warm, von einer filigranen Sinnlichkeit, die wie ein Wahrnehmungsfilter funktioniert. „Die Angst vergrößert die Dinge ebenso wie die Freude“, heißt es einmal. Die Heiterkeit, die „Weiter atmen“ durchweht, ist ein Verkleinerungsmedium.
MEIKE FESSMANN
Auf der Bruchlinie zwischen
Bedrohung und Rettung
balancieren diese Geschichten
„Die Angst vergrößert die Dinge
ebenso wie die Freude“, heißt es
an einer Stelle
Zsófia Bán lebt in Budapest. Ihre Bücher werden von Terézia Mora ins Deutsche übersetzt.
Foto: Ekko von Schwichow/Suhrkamp
Zsófia Bán: Weiter
atmen. Erzählungen.
Aus dem Ungarischen
von Terézia Mora.
Suhrkamp, Berlin 2020.
173 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2020

Wer Seife hat, der fällt nicht aus der Zeit
Auf der Kippe zu stehen ist hier Normalzustand: Zsófia Báns neuer Erzählungsband "Weiter atmen"

Den 4. Februar 1912 sollte Franz Reichelt nicht überleben. Der Schneider aus Paris, der seit zwei Jahren mit der Erfindung eines Fallschirms beschäftigt war, hatte endlich von den Behörden die Erlaubnis erwirkt, sein Werk mit einer lebensgroßen Puppe zu testen, die er von einer Plattform des Eiffelturms werfen wollte. Doch als er, begleitet von Freunden, dort in den Morgenstunden ankommt, befestigt er seinen Fallschirm am eigenen Körper. Er nimmt einen Stuhl zu Hilfe, um auf die Brüstung der Plattform zu kommen. Dann springt er 57 Meter in die Tiefe. Der Fallschirm versagt.

Dass wir uns vom Sprung und seiner unmittelbaren Vorgeschichte ein vergleichsweise klares Bild machen können, liegt an der Anwesenheit gleich mehrerer Kameraleute. Einer von ihnen filmte auf der Plattform selbst. Sieht man sich die Aufnahmen heute an, dann ist am entsetzlichsten nicht der Sprung selbst oder der Moment, in dem der zerschmetterte Körper des Erfinders abtransportiert wird. Nein, es sind jene quälend langen 37 Sekunden, in denen Reichelt auf der schmalen Brüstung steht, bevor er sich hinunterstürzt. Er wiegt den Körper vor und zurück, als wollte er Schwung holen, dann wieder verharrt er, kippelt erneut, und wir, die wir das Ende ja kennen, kommen in dieser halben Minute nicht um die Frage herum: Und wenn er sich nun doch noch anders entscheidet?

Zweimal widmet sich die Autorin Zsófia Bán, Jahrgang 1957, in ihrem Erzählungsband "Weiter atmen", der jetzt zwei Jahre nach dem ungarischen Original auf Deutsch erschienen ist, dem erfinderischen Schneider. Zunächst ist da ein verschwommenes Foto, das Reichelt mit zwei Freunden auf der Plattform zeigt, kurz bevor er von dem Stuhl, auf dem er steht, mit einem Schritt hinüber zur Brüstung gehen wird. Es steht ganz ohne Kommentar zwischen dem ersten und dem zweiten Text von Báns neunzehn Stücke umfassender Sammlung.

Gut hundert Seiten später folgt dann die Erzählung "Fast gut", die noch einmal Reichelts Sprung beschreibt. Dessen filmische Dokumentation von 1912 wurde auf Youtube bereits mehr als fünf Millionen Mal angesehen, und so wie Bán auf ihre Schilderung des Sprungs unmittelbar eine Szene aus dem Budapest unserer Zeit folgen lässt, meint man, einer dieser Filmsichtungen beizuwohnen: Da ist erst vom "in der Kälte zögernde Gesicht von Franz Reichelt" die Rede, "an das wir uns immer erinnern werden", danach heißt es: "Sie hält die auf dem Handy abgespielte Aufnahme an und schaut sich über den Dächern um." Doch was die Angestellte, die nun auf dem Dach eines Budapester Bahnhofs steht, mit dem Handy rezipierte, war kein Film, sondern die Sprachnachricht ihres Freundes, der auf diese Weise mit ihr Schluss gemacht hat. Wieder und wieder hat die Verlassene, die zudem kurz zuvor auch noch von ihrem Chef entlassen worden ist, die Nachricht abgehört, und so wie die Autorin beides über den Anschein der Verbindung beider Sphären, Paris damals und Budapest heute, montiert, meint man auch hier bei der nun Arbeits- und Freundlosen ein Kippeln am Rand des Daches wahrzunehmen.

Das Interesse an genau solchen Momenten, die jäh umschlagen können, ist den Texten dieser Sammlung eingeschrieben, den eher konventionell erzählten ebenso wie den experimentelleren. Denn wo viele Erzählungsbände sehr ähnliche Texte aneinanderreihen, setzt "Weiter atmen" jedes Mal ganz neu an: begonnen mit dem finsteren "Hautatmung" und seiner Analogie zwischen durch Fettauftrag zu verstopfende Froschhaut und dem historischen Bewusstsein des Menschen, das ebenfalls bis zum Absterben behindert werden kann, fortgeführt mit der spielerischen und plötzlich sehr ernsten literarischen Fuge nach einem Thema von Péter Esterházy und beschlossen durch eine Spiegelung der Fluchtwünsche einer ungarischen Philologin im Lebenslauf ihres Forschungsobjekts Arthur Rimbaud.

Besonders diese letzte und mit 33 Seiten auch umfangreichste Geschichte des schmalen Bandes spielt mit den Kippfiguren der Biographien ebenso wie mit der Sehnsucht einzelner Protagonisten nach gesicherten Verhältnissen: Denn die Philologin ist Ende 2010 nach Paris gereist, um mit anderen Forschern die Echtheit eines (auch in der Realität) im April des Jahres entdeckten Fotos zu diskutieren, das angeblich Rimbaud 1880 in Aden zeigt, während sie sich mit dem Flehen ihres sechsjährigen Sohnes auseinandersetzen muss, nicht aus der Familie auszubrechen - drei Jahre zuvor hatte sie sich am Balaton-Strand in eine andere Frau verliebt.

Vor allem aber wird dieser Kippmoment an einzelnen Worten durchgespielt, deren Sinn für einige Protagonisten schillert oder gar nicht mehr zum üblichen Gebrauch passen will. Mit der manchmal geradezu didaktisch ausgestellten Sprachskepsis anderer Autoren haben Báns Erzählungen glücklicherweise nichts zu tun. Stattdessen lässt sie ihre Figuren Umwege zum Verständnis mit anderen finden wie in "Die Voyager-Goldplatte", wo eine verstummte Frau wieder zum Sprechen kommt, in "Torte", wo die Zurückweisung eines Geschenks zum Anlass für Überlegungen zur Kommunikation wird, oder in "Weiter atmen", einer Geschichte um einen Jungen, dem Seifenstücke, jeden Tag eines, zur Orientierung unabdingbar sind und dessen Mutter mit Gleichmut und großer Energie dafür sorgt, dass ihr Kind nicht aus der Zeit fällt.

Man liest sich fest in diesen Geschichten, man kommt an kein Ende auf diesen nicht einmal zweihundert Seiten, und dass die Autorin dem Leser die Hand reicht, um sie ihm souverän wieder zu entziehen, macht die Klasse dieser Sammlung aus. Warum sollte auch ausgerechnet der Leser nicht kippeln dürfen?

TILMAN SPRECKELSEN

Zsófia Bán: "Weiter atmen". Erzählungen.

Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 173 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Man liest sich fest in diesen Geschichten, man kommt an kein Ende auf diesen nicht einmal zweihundert Seiten, und dass die Autorin dem Leser die Hand reicht, um sie ihm souverän wieder zu entziehen, macht die Klasse dieser Sammlung aus.« Tilman Spreckelsen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20201107