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Hannah Arendt war zeit ihres Lebens eine begeisterte Briefschreiberin, die mit ihren Weggefährten in intensivem Austausch stand. Einer dieser Briefwechsel ist erst jetzt entdeckt worden: der mit dem Politologen und Publizisten Dolf Sternberger, dessen Trauzeugin sie - noch als «Hannah Stern, berufslos» - war. Nach dem Krieg begannen die beiden, sich zu schreiben, jetzt zwischen New York, wo die Emigrantin bald zu Weltruhm gelangte, und Heidelberg, wo Dolf Sternberger einen Weg in die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft suchte. Ihre Briefe sind voller überraschender Einsichten, sprühen…mehr

Produktbeschreibung
Hannah Arendt war zeit ihres Lebens eine begeisterte Briefschreiberin, die mit ihren Weggefährten in intensivem Austausch stand. Einer dieser Briefwechsel ist erst jetzt entdeckt worden: der mit dem Politologen und Publizisten Dolf Sternberger, dessen Trauzeugin sie - noch als «Hannah Stern, berufslos» - war. Nach dem Krieg begannen die beiden, sich zu schreiben, jetzt zwischen New York, wo die Emigrantin bald zu Weltruhm gelangte, und Heidelberg, wo Dolf Sternberger einen Weg in die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft suchte. Ihre Briefe sind voller überraschender Einsichten, sprühen vor Geist und Wortwitz. Kann man die restaurative Bundesrepublik schöner charakterisieren als Arendt: «Mir hat die gute alte Zeit schon nicht gefallen, als sie noch 25 Jahre jünger war»?
Udo Bermbach, der beide kannte, beleuchtet in einer ausführlichen Einleitung und zahlreichen Kommentaren die biographischen und zeithistorischen Hintergründe. Die beiden Briefschreiber verband ein tiefer, freier Gedankenaustausch, an dem der Leser nun erstmals teilhaben darf.
Autorenporträt
Hannah Arendt, 1906 in Hannover geboren und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die USA emigriert, gehört zu den wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Werke zur Theorie der totalen Herrschaft, ihre existenzphilosophischen Schriften und auch ihre Arbeiten als Publizistin (nicht zuletzt ihr Kommentar zum Eichmann-Prozess) haben bis heute nichts an Aktualität verloren, ja werden im Gegenteil noch immer breit rezipiert. Der aus dem Nachlass veröffentlichte Essay "Die Freiheit, frei zu sein" (2018) etwa stand monatelang auf der "Spiegel"-Bestsellerliste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2019

Das Liebe-Committee trat nicht zusammen
Doch über Heidegger stritt man sich: Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger

Als Dolf Sternberger den Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Karl Jaspers 1985 in dieser Zeitung besprach, konnte er seine verletzten Gefühle nicht gänzlich verbergen. Schließlich erfuhr er auf diesem Wege, zehn Jahre nach Arendts Tod, dass sie ihn nicht so hoch geschätzt hatte, wie er bis dahin glaubte annehmen zu dürfen. Arendt und Sternberger kannten sich seit ihren gemeinsamen Heidelberger Studientagen in den späten zwanziger Jahren. Arendt war 1931 sogar die einzige Trauzeugin bei Sternbergers Hochzeit mit Ilse Rothschild. Als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen, emigrierte Arendt und landete nach mehreren Zwischenstationen in New York. Sternberger blieb im Land und war bis zu seinem Berufsverbot 1943 Redakteur der "Frankfurter Zeitung". Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Frau lebten die Eheleute während des Dritten Reichs in ständiger Angst. Das Äußerste fürchtend, trugen sie schließlich stets Giftkapseln bei sich. Auf den Gedanken, seine Frau zu verlassen, um dem Diskriminierungs- und Verfolgungsdruck nachzugeben, kam Sternberger indes nie.

Dieses Verhalten dürfte ihm Hannah Arendt, mit der Sternberger nach 1945 wieder in Kontakt trat, hoch angerechnet haben. Für "Die Wandlung", eine bis zu ihrer Einstellung 1949 führende kulturpolitische Zeitschrift der frühen Nachkriegszeit, die Sternberger gemeinsam mit Karl Jaspers, Werner Krauss und Alfred Weber begründet hatte, gewann er seine alte Freundin als Autorin. Sie veröffentlichte dort sechs Essays, darunter die richtungsweisenden Aufsätze "Organisierte Schuld" und "Konzentrationsläger".

Der Briefwechsel handelt zunächst von diesem redaktionellen Austausch. Er ist vergleichsweise förmlich gehalten, die beiden siezen sich noch bis zum ersten Wiedersehen im Jahr 1948. Ein gewisses Ungleichgewicht prägte die Korrespondenz insbesondere am Beginn, blieb aber bis in späten Jahre erkennbar. Sternberger schwärmte für Arendt, bewunderte sie, persönlich ebenso wie für ihre kühne Originalität und scharfsinnigen Interventionen. Ihr gegenüber machte er sich häufig klein. Arendt schrieb zumeist im Duktus der Überlegenheit und kühlte Sternbergers gefühlsbetonten freundschaftlichen Ton ein wenig ab. Auch vermittelte sie den Eindruck, als sei ihr die intellektuelle Auseinandersetzung mit Sternberger nicht so ernst und wichtig, wie er sich das wünschte und einforderte.

Dieses Ungleichgewicht zwischen beiden bestand nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung, sondern war auch objektiv gegeben. Nach dem Krieg avancierte Arendt rasch zu einer international berühmten Philosophin und Publizistin. Sternberger genoss wachsendes Renommee in der Bundesrepublik, als gelehrter Journalist und Intellektueller, später auch als Mitbegründer der Politikwissenschaft im Westen Deutschlands und Heidelberger Professor. Seine Stimme fand öffentlich Gehör, er hatte im Hessischen Rundfunk zwischen 1946 und 1966 eine regelmäßige Radiosendung mit dem Titel "Dolf Sternberger spricht", gab bis 1958 "Die Gegenwart" mit heraus und gehörte bald zum festen Mitarbeiterkreis der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Wiederholt sucht Sternberger in seinen Briefen nach Möglichkeiten, wie er mit Arendt länger an einem Ort sein kann. Er selbst taxiert die Chancen auf eine Professur in den Vereinigten Staaten und versucht umgekehrt im Jahr 1963, Arendt auf einen Lehrstuhl in Heidelberg zu locken. Sie aber will ihre Heimat New York nicht verlassen und noch weniger "im Ernst ,Professor' werden", wenn sie das nicht absolut müsse. Letztlich kommt es wiederholt zu kürzeren Treffen und während einer Gastprofessur Sternbergers in Chicago zu einer längeren gemeinsamen Zeit, die auch Arendt genossen haben muss. Verspielt-neckisch ruft sie ihm im Anschluss Ende 1964 nach Heidelberg hinterher: "Und wie geht es Dir sonst? Genug Martinis im Haus? Nebst einem kleinen Scotch als nightcap?"

Ansonsten ist es aber Sternberger, der vor allem Arendt verehrt und offen bekennt, "Sehnsucht" nach ihr zu haben. Arendt steht für ihn an erster Stelle, während das umgekehrt nicht der Fall ist. Bei Arendt hat ihr akademischer Lehrer und väterlicher Freund Jaspers eindeutig Vorrang - ebenso die alte Liebe Martin Heidegger. Von Arendts früherer Liaison weiß Sternberger nichts. Über Heidegger geraten die beiden erstmals ernsthaft in einen Streit. Sternberger zeigt sich verwundert darüber, weshalb seine Freundin dem nach 1933 arg angebräunten Philosophen, den er schon verachtet habe, als Heidegger "noch kein Nazi war, wenigstens kein erklärter", so viel Verständnis entgegenbringt. Im Dezember 1953 schreibt Sternberger ihr unumwunden: "In puncto Heidegger bist Du auf dem Holzwege, und das ist sehr traurig."

Für Dissens sorgt auch ihre kontroverse Einschätzung von Jaspers' Streitschrift "Wohin treibt die Bundesrepublik?" aus dem Jahr 1966, worin ein Bild der Bundesrepublik auf dem Weg von der "Parteienoligarchie" hin zur autoritären Diktatur gezeichnet wird. Sternberger scheint Arendt allzu rasch eine Art affirmativer Bundesrepublikaner geworden zu sein. Da mochte er bisweilen noch so sehr mit der frühen Bundesrepublik hadern, Exilphantasien äußern oder dem Grundgesetz als einem "schwächlichen Bonner Machwerk" wenig, schon gar keinen "Verfassungspatriotismus" zutrauen, wie er ihn Jahrzehnte später erfinden sollte. Arendt unterschätzt Sternberger und hält ihm genügsame Kritiklosigkeit vor. Schon 1953 schreibt sie mit sarkastischem Unterton: "Ich kann sehr gut? verstehen, dass Du unter dem Eindruck des ,Wirtschaftswunders' und einer Restabilisierung Dich normalisieren willst und?normalisiert hast." Ende 1971 fasst sie den grundlegenden Unterschied zwischen Sternberger und ihr in die Worte: "Du bist mir halt ein bißchen zu konservativ und ich Dir halt ein bißchen zu revolutionär." Das habe sie schon stets so wahrgenommen, aber die Freundschaft sei davon unbeschadet geblieben.

Der Briefwechsel, den diese langjährige, nicht immer reibungsfreie Freundschaft hervorbrachte, koloriert beider Biographien weiter und wirft manches Schlaglicht auf zeithistorische Vorgänge und Anknüpfungen an geistesgeschichtliche Traditionen. Auch Udo Bermbachs ausführliche Einleitung bietet insgesamt gute Orientierung. Ansonsten verdient die Edition jedoch Kritik.

Wer das Buch mit der Lektüre der editorischen Notiz beginnt, bekommt gleich ein ungutes Gefühl: "Für die Erläuterungen zu einzelnen Personen sind deren Daten zumeist von Wikepedia (sic!) bezogen worden." Das führt dazu, dass Akteure, Ereignisse und Zusammenhänge im Halbschatten bleiben, wenn die Information nicht ganz schnell (hawaiianisch: "wiki-wiki") aufzutreiben oder dem Herausgeber Udo Bermbach ohnehin bekannt war.

Bei der Lektüre verfestigt sich der Eindruck, dass die Edition weder vom Herausgeber noch von einem Lektor vor Drucklegung gründlich gegengelesen wurde. Neben diversen Tippfehlern, Inkonsistenzen und wenig punktgenauen Kommentaren ist dafür ein doppelt abgedruckter Brief aus dem Jahr 1949 deutlichster Beleg. Zehn Jahre später taucht das Schreiben, entsprechend nachdatiert, gleichwohl mit dem Briefkopf der 1959 lange nicht mehr existierenden "Wandlung" versehen, erneut auf, im Übrigen mit variierten Fußnoten.

Je nach Gestimmtheit des Editors scheinen diese unterschiedlich auszufallen, wie auch weitere Annotationen. Mal werden Personen erläutert, die gar nicht gemeint sind (so Jochen Klepper, obwohl wenige Seiten zuvor doch der "richtige" Otto Klepper genannt ist), mal werden sie gleich in zwei Kurzbiogrammen gewürdigt (so Karl Löwith), mal gar nicht (so Saul Padover) oder falsch geschrieben (so John "Pockock"). Wenn Sternbergers an sich gut lesbare Handschrift einmal nicht ganz schnell zu entziffern war, wird in den Fußnoten fix "unleserlich" bemerkt oder über ein nicht ausfindig zu machendes "Liebe-Committee" sinniert, obgleich der Briefschreiber lediglich vom "lieben Committee" sprach, nämlich jenem "on Social Thought", das ihn auf Arendts Veranlassung hin nach Chicago eingeladen hatte.

Gut, dass viele der abgedruckten Briefe als Faksimile in den "Hannah Arendt Papers" in der Library of Congress online von hier auf jetzt aufzublättern sind. Wer Lust hat, kann fragwürdig erscheinende Passagen überprüfen und den Lückentext an manchem Punkt einigermaßen leicht ergänzen. Es wäre der Auftakt für die Erstellung einer dringend notwendigen Errata-Liste zu dieser Ausgabe.

ALEXANDER GALLUS.

Hannah Arendt und Dolf Sternberger: "Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär". Briefwechsel 1946 - 1975. Hrsg. v. Udo Bermbach. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 480 S., geb., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Angst vor
Deutschland
Politik unter Ebenbürtigen: Hannah Arendt
im Briefwechsel mit Dolf Sternberger
VON GUSTAV SEIBT
Am 17. Mai 1948 machte Dolf Sternberger seiner alten Studienfreundin Hannah Arendt – man war sich am Ende der Zwanziger Jahre im Seminar von Karl Jaspers begegnet – einen hochtönenden Vorschlag. Sie sollten beweisen, „dass Ozeane Pfützen sind“ und ihre Plätze tauschen. Sternberger wünschte sehnlich, endlich in die USA zu kommen, das Land, in dem Arendt nach ihrer Flucht vor den Nazis eine zweite Heimat gefunden hatte.
Nun winkte ein Stipendium, aber wer sollte dann Die Wandlung leiten, die Zeitschrift, mit der Sternberger seit November 1945 das intellektuelle Leben im besetzten Deutschland maßgeblich prägte und für die er Hannah Arendt als auffallende Autorin gewonnen hatte? Könnte nicht die „liebe“, aber damals noch gesiezte Hannah ihn in der Heidelberger Redaktionsstube vertreten? „Sie könnten“, so Sternberger, „einen Pfiff ertönen lassen, dass die Menschen, die ,möglichen’ Menschen in allen Kontinenten die Ohren spitzen.“
So grandios die Aussicht, der Brief endet mit einer weiteren Bitte um Tee, der vier Wochen vor der Währungsreform noch immer Mangelware war. Hannah Arendt antwortet auf den Vorschlag erst zwei Monate später mit einem großen Brief, der bares Entsetzen bekundet. „Was mir ganz unmöglich scheint, ist erstens, dass ein Jude die Wandlung leitet und zweitens dass ein Jude sich damit einverstanden erklärt.“ „Muss ich Ihnen erzählen, dass Deutschland noch nie so antisemitisch war wie gerade jetzt?“ Auch spreche ihre, Hannahs, Konzessionslosigkeit dagegen. Der Grund der Absage ist Angst: „Ich habe einfach Angst vor Deutschland und ich habe nicht – was mich diese Angst vielleicht überwinden ließe – Heimweh. (…) Die allermeisten Menschen, die ich von früher her kenne, möchte ich in meinem ganzen Leben nie wieder sehen.“
Den Empfänger Sternberger und dessen jüdische Frau Ilse nimmt Arendt ausdrücklich aus, außerdem den gemeinsamen Lehrer Jaspers, dem sie bis zum Ende des Lebens die Treue hielt. Was Sentimentalität angehe, habe sie, so zusammenfassend, „die Seele eines besseren Schlächterhunds“. So blieb das Experiment einer parallel zur Gründung der Bundesrepublik von Hannah Arendt redigierten Zeitschrift ungewagt. Doch kann man die entsetzte Abwehr begreifen. Die erste Abhandlung, die Arendt 1946 zur Wandlung beigesteuert hatte, handelte von „organisierter Schuld“. Dort wehrte sie zwar die Kollektivschuldthese von den Deutschen ab, beschrieb aber zugleich einen neuartigen Tätertypus, der nicht die bizarren Züge des NS-Führungspersonals trug, sondern ein Spießer war, „mit allem Anschein der Respectabilität, mit allen Gewohnheiten eines guten Familienvaters, der seine Frau nicht betrügt und für seine Kinder eine anständige Zukunft sichern will“.
In der Welt dieser weiterlebenden unauffälligen Verbrecher wollte Arendt um keinen Preis zurück. Das hätte Sternberger, der ihren Essay mit gebührender Bewunderung empfangen hatte, vielleicht sogar voraussehen können. Auch er, dessen Frau in einem Versteck überlebt hatte und zeitlebens traumatisiert blieb, fühlte sich nur ein Jahr nach dem ozeanischen Vorschlag in Deutschland so unwohl, dass er an Auswanderung dachte. Soeben war ein erster Prozess gegen Veit Harlan, den Regisseur des antisemitischen Hetzfilms „Jud Süß“ eingestellt worden, und Sternberger resümierte verbittert: „Im Grunde ist beinahe alles gescheitert, was ich wollte – ich meine in der Sache, in der Substanz, bei gleichzeitigen persönlichen Erfolgen an Publizität und Renommé.“
Das schrieb er vier Wochen vor der Verkündung des Grundgesetzes, das der spätere Erfinder des „Verfassungspatriotismus“ als „schwächliches Bonner Machwerk“ beurteilte, das im Falle einer Wiedervereinigung den „bolschewistischen Routiniers nicht gewachsen“ sein werde. Nun, wenigstens das ist anders gekommen, allerdings hat Sternberger, der im Sommer 1989 starb, das nicht mehr erlebt.
Sehr lebhaft, schön, geistvoll ist dieser Briefwechsel zweier eigenwilliger, hochbegabter Charaktere, die bei allen Differenzen in Temperament und Ansichten wussten, was sie aneinander hatten. Sternberger ist der Treuere der beiden, der Dienendere, auch wenn er gelegentlich Anerkennungstribute für nach Amerika geschickte Schriften von der hochfahrenden und etwas chaotisch-säumigen Briefpartnerin einfordert. Die drei Jahrzehnte des Austauschs, der bald von regelmäßigen Besuchen in den Ländern des jeweils anderen belebt wurde – seit 1948 duzte man sich, und setzte Dolf keinen „Gruss“ ohne einen „Kuss“ ans Briefende –, zeigen beide staunenswert produktiv.
Hannah Arendts Ruhm steigt immer höher, befestigt mit allen Mitteln, die von einer kritischen Werkausgabe bis zu einem Film und der Graphic Novel reichen und mit vielverkauften Einzelschriften auch das breite Publikum erreichen. Von Sternberger ist fast nur noch die Idee des „Verfassungspatriotismus“ im Umlauf, meist in der Umformulierung durch Jürgen Habermas, welche Staatsbürgerlichkeit, Liebe zur eigenen Republik, ohne ethnisch-kulturalistisch-nationalistische Verengung entwirft. Dass Sternberger als akademischer Lehrer und glanzvoller Schriftsteller die neue Wissenschaft von der Politik in Deutschland mitbegründete, wissen nur noch Fachleute. Dabei gibt es bei ihm eine beträchtliche Schnittmenge mit Arendts auf Aristoteles zurückgehendes Verständnis von Politik: als Raum menschlicher Bewährung unter Ebenbürtigen.
Sternberger hat Arendts „Vita activa“ in einer gescheiten Rezension in der FAZ gewürdigt und nach ihrem Tod eine wundervolle Zusammenfassung ihres politischen Denkens für ein Sonderheft des Merkur geliefert, „Die versunkene Stadt“. Die von Udo Bermbach, der beide persönlich kennengelernt hat, eingeleitete Ausgabe enthält zwei Essays von Arendt, die sie für Sternbergers Wandlung schrieb: den über die „organisierte Schuld“, der in vielen Zügen das Buch über „Eichmann in Jerusalem“ vorwegnimmt, und einen über „Konzentrationsläger“ (so!), den Sternberger zurecht bewunderte. Hier wird zum ersten Mal das Maß der Entmenschlichung in den Lagern der Nazis und der Sowjetunion auf Begriffe gebracht, die auf das spätere Totalitarismus-Buch vorausweisen.
Warum aber ist Sternberger, der heute weniger Bekannte, in der Ausgabe nur mit einer belanglosen Geburtstagsrede vertreten? Hätte man die Rezension zur „Vita activa“ und die „Versunkene Stadt“ aufgenommen, wäre das Bild rund geworden. Auch hätte sich eine kleine, im Kommentar nicht erläuterte Kontroverse geklärt. Als Dank für die schöne Besprechung offeriert Arendt, für Sternberger ein gutes Essen zu kochen, auch damit der Freund erkenne, dass ihr Begriff von „Arbeit“ als eher stumpfer Reproduktion eigentlich aus der Küche und nicht vom Acker komme. Sternberger nämlich hatte moniert, dass Arendt den Ackerbau unterschätze, der nicht nur „Arbeit“, sondern durch Züchtung auch „Erfindung“ sei. In der Küche, so Arendt, werde Sternberger schon sehen, dass ein Omelett „kaum fertig, auch schon wieder verschwunden“ sei. Sternberger repliziert, es komme aber nicht auf das konkrete Omelett, sondern aufs Rezept an, weshalb eine Eissorte auch zurecht nach Fürst Pückler benannt sei.
Der Kommentar schweigt zu der kleinen Kontroverse. Überhaupt muss hier nüchtern festgehalten werden, dass die Nichtigkeit dieses Kommentars und die Schlampigkeit der Edition sensationell sind. Erläutert werden überwiegend bekannte Personennamen, die in ein informatives Register gehörten und die fast durchweg bei Wikipedia zu finden sind. Wobei dann allerdings Wichtiges vergessen wird, wenn etwa bei Joachim Fest dessen eigene Beziehung zu Hannah Arendt unerwähnt bleibt. Der kurioseste Aussetzer ist, dass ein Brief Sternbergers vom 13. September 1949 unter dem Datum des 13. Septembers 1959 noch einmal abgedruckt wird.
Dabei handelt es sich um ein kaum zu vergessendes Schreiben, das zum größten Streit in diesem Briefwechsel gehört. Sternberger und Arendt sind sich höchst uneinig über Martin Heidegger, ein Dissens, der auf die Vorkriegszeit zurückging, als Sternberger Heideggers Todesverständnis sprachkritisch anging. Dies wiederholte er nun beim „Brief über den Humanismus“, und daraus entspinnt sich eine mehrjährige Kontroverse. Arendt, von deren Liebesbeziehung zu Heidegger Sternberger nichts ahnte, verteidigt den Philosophen flammend und mit persönlicher Schärfe. Wie sie überhaupt zu einer gewissen Herablassung neigt, nicht nur in einem Brief an Jaspers, den Sternberger noch lesen musste und der ihm „Außergewöhnlichkeit“ abspricht, sondern auch im Lob: „Es ist immer erstaunlich, wie gut und gleichsam leicht Du Dinge weisst, die man in Deutschland schlechterdings nicht weiss, noch nicht einmal ahnt.“
Dabei stimmt das, nur dass Sternbergers Leichtigkeit als Schriftsteller die Gründlichkeit seines Forschens und Denkens elegant untertreibt. Wer diesen wundervollen, bis in die literaturpolitischen Details interessanten Briefwechsel aus der Hand legt, könnte also nicht nur bei Arendt, sondern auch bei Sternberger weiterlesen. Neben den in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangenen Leitartikeln für die FAZ, sind hier aktuellste Entdeckungen zu machen, etwa eine Theorie der Repräsentation gegen den Populismus und ein gegen Carl Schmitt gewendeter Begriff des Politischen, der nicht auf das Freund-Feind-Verhältnis baut, sondern festhält: „Der Friede ist das einzige Ziel der Politik, aber die Politik ist auch der einzige Weg zum Frieden.“
Nachdem sie aus der Frankfurter Verlagsanstalt herausgedrängt worden waren,
gründete Ida Schöffling gemeinsam mit ihrem Mann Klaus Schöffling 1993
den literarischen Verlag „Schöffling & Co.“, der in diesem Jahr mit dem Deutschen
Verlagspreis und dem Hessischen Verlagspreis ausgezeichnet wurde und zwei Jahre
zuvor bereits den Kurt-Wolff-Preis erhalten hatte. Das Haus ist eine erste Adresse
für Gegenwartsliteratur und obendrein berühmt für seinen literarischen Katzenkalender.

Hannah Arendt,
Dolf Sternberger:
„Ich bin Dir halt ein bisschen
zu revolutionär“.
Briefwechsel 1946 bis 1975.
Hrsg. von Udo Bermbach.
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2019.
480 Seiten, 38 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Sehr lebhaft, schön, geistvoll ist dieser Briefwechsel zweier eigenwilliger, hochbegabter Charaktere ... wundervoll, bis in die literaturpolitischen Details interessant. Gustav Seibt Süddeutsche Zeitung 20191015