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Vor uns entsteht ein völlig neuer Kafka: ein Gesellschaftskrieger, der unablässig um seine Beheimatung im Assimilationsprozeß ringt, der weiterhin in den ersten Jahren als überzeugter Beamter seiner Prager Behörde an der Verbesserung der Donaumonarchie intensiv mitgearbeitet hat, was in sämtlichen bisherigen Biografien nicht ins rechte Licht gestellt wurde. Es erscheint ein Liebender, dessen zahlreiche Affären hier zum ersten Mal zusammengestellt und überhaupt erst um die wichtigsten ergänzt werden, Liebesverhältnisse, die eben nicht ohne weiteres mit den Namen Felice und Milena erschöpfend…mehr

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Produktbeschreibung
Vor uns entsteht ein völlig neuer Kafka: ein Gesellschaftskrieger, der unablässig um seine Beheimatung im Assimilationsprozeß ringt, der weiterhin in den ersten Jahren als überzeugter Beamter seiner Prager Behörde an der Verbesserung der Donaumonarchie intensiv mitgearbeitet hat, was in sämtlichen bisherigen Biografien nicht ins rechte Licht gestellt wurde. Es erscheint ein Liebender, dessen zahlreiche Affären hier zum ersten Mal zusammengestellt und überhaupt erst um die wichtigsten ergänzt werden, Liebesverhältnisse, die eben nicht ohne weiteres mit den Namen Felice und Milena erschöpfend benannt sind. Bernd Neumanns umfassende Biografie berücksichtigt den letzten Stand der Kafka-Forschung ebenso wie die neuesten Erkenntnisse über Kafkas Leben und Sterben. Sie macht das Leben dieses Jahrhundertgenies anschaulich durch die Einblendung zahlreicher zeitgenössischer Stimmen, die die Umstände von Kafkas Existenz beleuchten und vor dem geistigen Auge des Lesers sinnlich konturieren.
Autorenporträt
Der Autor Bernd Neumann ist Professor für Deutsche Literatur an der Technischen Universität Norwegens in Trondheim (NTNU). Zahlreiche Veröffentlichungen zur Gegenwartsliteratur und zur Literatur des 19. Jahrhunderts; zu Roman und Autobiographie; zu Hannah Arendt, Uwe Johnson, Franz Kafka und Gottfried Keller.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2008

Mythengestöber

Vor dem Vater stirbt der Sohn: Und wieder liegt eine finale Kafka-Biographie vor, diesmal aus der doch allzu stumpfen Feder von Bernd Neumann.

Zum 125. Geburtstag von Franz Kafka haben sich die notorisch gegeneinander stichelnden Forscher, Klaus Wagenbach zufolge eifersüchtigen Witwen ähnlich, noch einmal mächtig ins Zeug gelegt. Schweres kritisches Gerät gegen eine "hypertrophierte Literaturtheorie" und die "gutmenschliche Tradition" der deutschen Kafka-Biographik fährt der Trondheimer Germanist Bernd Neumann auf. Die einen Witwen hätten aus Kafka einen dunklen Mythos gemacht, die anderen ihn unterdrückt, er sei bisher überhaupt nicht "Herr im eigenen biographischen Haus".

Verkannt sei er vor allem als selbstbewusster Prager Bürger österreichischer Staatsbürgerschaft, für den die Verteidigung der "Assimilationsheimat" mit der Waffe eine ernsthaft erwogene Option gewesen sei. Wenn Neumann den Bewunderer Napoleons als "Gesellschaftskrieger" etikettiert, so nimmt er ihn metaphorisch für die eigene kriegerisch vorgetragene These in Anspruch, dass die Auseinandersetzung mit der damaligen Prager Wirklichkeit wie mit der Realität des Weltkriegs für Kafkas Schreiben "hochwichtig" gewesen ist.

Das Besondere dieser Biographie soll daher darin bestehen, dass Kafka in den ihm zugehörigen "Hallraum" zurückversetzt wird, in die Polyphonie zeitgenössischer Stimmen. Das ergibt in der Tat ein Stimmengewirr, das sich in einem typographisch ziemlich chaotischen Text (mit zahlreichen Druckfehlern) niederschlägt. Die Schlüsse, die suggestiv oder explizit aus solcher Kontextualisierung gezogen werden, sind heterogen, oft abwegig und willkürlich, nicht selten geschmacklos. Um Kafka im Gegensatz zu seinen Vorgängern eine geglückte sexuelle Initiation zu bescheinigen, zieht Neumann einen lächerlich im Ekelhaften stochernden autobiographischen Text von Fritz J. Raddatz heran. Wie sich das zu dem Traum verhält, die "originale Stimme des Objekts" vernehmbar zu machen, bleibt das Geheimnis des analogieversessenen Biographen, der krampfhaft alles anders sehen will.

Mit der posthistoristischen Formel "So muss es gewesen sein" werden auch Gerüchte zum reichgeschmückten Inventar des biographischen Hauses. Grete Blochs Gefühle beim Tod ihres Siebenjährigen, der nach Neumanns Überzeugung auch Kafkas Sohn war, sollen dem Leser durch eine peinlich kitschige Passage aus Franz Werfels "Verdi"-Roman nahegebracht werden.

Was Wagenbach und anderen als "Mystifikation" galt, wird zu einer biographischen Aussage, mit der Neumann offenbar die hypertrophe Kafka-Deutung übertrumpfen will: "Der ewige Sohn Franz Kafka verlor darin eine vorübergehende Vaterschaft, ohne sie vorher überhaupt wirklich wahrgenommen zu haben. Vor dem Vater stirbt der Sohn." Obwohl Neumann überzeugt ist, dass Kafka kein Christ war, sondern dem Weimarer Spinozismus anhing, wird die Anspielung auf Thomas Brasch mit dem Tod Christi hinterlegt, der den Ruhm des Vaters unverlöschlich aufzucken lässt. Irgendwie prophetisch ist es am Ende aber dann wieder Kafka selbst, der vor dem Vater stirbt, während sich sein "finaler Navigator an der Venus als dem hellsten Stern" orientiert. Das erscheint dem Biographen "sicher".

Besonders interessiert nämlich zeigt sich Neumann "in sexualibus". Ihm liegt viel daran, Kafka als einen auch erotisch Selbstbestimmten zu zeigen, der sich seiner Wirkung auf Frauen sicher war und sich in "orgiastischen Strömen" vitalisierte. Bei den Huren aber, so weiß der Biograph, suchte Kafka Trost und Wärme. Einerseits soll er nicht zu den behandlungsbedürftigen Kranken des Wiener Seelendoktors gehört haben, andererseits wimmelt es bei Neumann nur so von vulgärpsychologischen Diagnosen. In sonderbarer Adaption der Sexualpathologie des neunzehnten Jahrhunderts soll Kafkas "onanistische Besessenheit des Nachtschreibens" zur Schwächung des Immunsystems, also zur Krankheit, geführt haben. In Professor Neumanns Mythen- und Metapherngestöber verwandelt sich das Nachtschreiben schließlich "zur letzten noch singenden Sirene im Manöverleben des schreibenden Beamten Franz Kafka, der tagsüber immer noch seinen gesellschaftlichen Kriegsdienst leistete ... als ein wahrer Sisyphus der Existenzbewältigung durch Schreiben".

Bernd Neumanns Biographie enthält zweifellos auch subtile Deutungen, aber der hochwichtige Überbietungsstil, die Metaphernketten und preziösen Kategorien, die überhebliche Auseinandersetzung mit der Forschung und dauernd wiederholte vollmundige Sentenzen machen die Lektüre zur Qual. Auch handwerklich ist das Buch ein Desaster. Der ohnehin leichtfertige Umgang mit den Quellen wird durch unübersichtlich zusammengedrängte Endnoten, die auf eine im typographisch vermurksten Haupttext nicht vorhandene Zeilenzählung verweisen, zusätzlich undurchschaubar. Für Lektorierung und Beratung hat der Verlag offensichtlich nicht gesorgt, für Reklame schon.

Ein "völlig neuer Kafka" aber ist nicht ersichtlich. Diese Biographie ist nicht das Haus des eleganten, aber des Wohnkomforts nicht bedürftigen Pragers, vielmehr das von Bernd Neumanns Jargon der Uneigentlichkeit. Der geneigte Leser hat in diesem überladenen Interieur nichts zu suchen. Er wird je nach Temperament bei Rainer Stach oder Peter-André Alt anklopfen wollen.

FRIEDMAR APEL

Bernd Neumann: "Franz Kafka. Gesellschaftskrieger". Eine Biographie. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 666 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zum 125. Geburtstag ein neuer Kafka? Friedmar Apel ist skeptisch. Was Bernd Neumann in seinem Buch an "hochwichtigen" Thesen und "vulgärpsychologischen" Diagnosen auffährt, hätte der Rezensent allerdings kaum für möglich, erst recht nicht für nötig gehalten, wie er verärgert notiert. Die vom Autor bemühten Analogien, die Kafka als Zeitgenossen der damaligen Prager Wirklichkeit zeigen sollen, scheinen dem Rezensenten allerdings eher der Gerüchteküche zu entstammen. Die bisherige Kafka-Deutung übertrumpft der Autor nach Apels Dafürhalten am ehesten noch mit seinem "Mythen- und Metapherngestöber". Die wenigen subtilen Deutungen verschwinden hinter der "Qual" der Lektüre von Neumanns "vollmundigen Sentenzen" und seiner "überheblichen" Sicht auf die Kafka-Forschung. Dass der Band auch "handwerklich ein Desaster" ist und laut Apel offenbar ohne Lektorat zustande kam, macht das Ärgernis für den Rezensenten komplett.

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